Eigene Forschungen

Mittwoch, 1. November 2017

IM DUTZEND ZUR HÖLLE


IL CONSIGLIORI
Italien 1973

Regie:
Alberto De Martino

Darsteller:
Tomas Milian,
Martin Balsam,
Francisco Rabal,
Dagmar Lassander,
Nello Pazzafini,
Perla Cristal,
Carlo Tamberlani,
Manuel Zarzo



„Wo du auch bist, es geht überall um das Gleiche, Thomas! Um das Überleben. Dafür kämpfen wir gemeinsam. Sind wir zusammen, können wir uns helfen. Wir sind wie Fischschuppen, die sich gegenseitig decken.“


Inhalt:

Mehrere Jahre saß Thomas Accardo [Tomas Milian] im Gefängnis. Grund: Der findige Anwalt verdingte sich für die Mafia und ist der Patensohn des einflussreichen Don Antonio [Martin Balsam]. Nach seiner Entlassung hat Thomas eine erschreckende Nachricht für seinen Ziehvater: Er will die Organisation verlassen, um mit der hübschen Laura Murchison [Dagmar Lassander] samt Haus und Hof zur Ruhe zu kommen. Don Antonio, der große Stücke auf ihn hält, gestattet ihm seinen Wunsch schließlich, wohl wissend, dass er sich damit in eine prekäre Lage bringt: Ein Ausstieg aus der Mafia, so das ungeschriebene Gesetz, ist eigentlich ausgeschlossen. Sein Konkurrent, der machthungrige Don Vincent Garafalo [Francisco Rabal], nutzt die Gelegenheit, um den mächtigen Paten zu diskreditieren, säht Zwietracht und zettelt einen brutalen Bandenkrieg an, der die Verhältnisse neu ordnen soll. Als auch Thomas klar wird, dass er ohne weiteres keinen Frieden finden wird, verbündet er sich erneut mit Don Antonio – dieses Mal allerdings, um gemeinsam mit den letzten treuen Gefolgsleuten und blank geputztem Waffenarsenal gegen den intriganten Garafalo ins Feld zu ziehen.

Kritik:

Der Kino-Welterfolg DER PATE machte die Mafia 1972 quasi über Nacht zum Popstar und wurde zu einer Art Startschuss für einen ganzen Strauß ähnlicher Gangsterfilme, welche die „ehrenwerte Gesellschaft“ als Basis für ihr oft nicht besonders zimperliches Unterhaltungsprogramm nutzten. Mit der Realität dürfte die oft stark romantisierte Darstellung nie allzu viel am Hut gehabt haben, aber das von Regisseur Francis Ford Coppola auf den Weg geschickte Bild war dermaßen prägend, dass es nachfolgend meist schlicht übernommen wurde. Eine Vielzahl der Epigonen kam - wenig überraschend - aus italienischen Gefilden - zum einen, weil die dortige Filmindustrie zu der Zeit ohnehin auf jeden erfolgversprechenden Zug aufsprang, zum anderen natürlich auch deswegen, weil die Organisation im Stiefelland ihre Wurzeln hat und der Publikumsbezug zur Thematik somit automatisch größer war. Alberto De Martinos IM DUTZEND ZUR HÖLLE, ein Jahr nach Coppolas stilbildendem Epos entstanden, erreicht zwar in keiner Minute dessen erzählerische und inhaltliche Dichte, allerdings ist die Intention dahinter auch eine ganz andere. Drehbuchautor Adriano Bolzoni [→ DIE TODESMINEN VON CANYON CITY] ersann keine auf ausladende Präsentation bedachte Geschichte, sondern konzentrierte sich hauptsächlich, oftmals fast schon kammerspielartig, auf die gegenseitige Beziehung zweier Personen: die des Aussteiger Thomas Accardo und seines Paten Don Antonio.

Dabei dient trotz der italienischen Herkunft der Produktion hier die amerikanische Metropole San Francisco als Hintergrund für einen gewiss nicht sonderlich originell erdachten, doch packend in Szene gesetzten Konflikt, der sich zwar absehbar, aber logisch und folgerichtig nach dem Aktions-Reaktions-Prinzip ablaufend zuspitzt bis zum unausweichlichen Finale, in dem dann reichlich Blei und Blut verspritzt wird. Trotz bisweilen pathetischer Reden wird dabei auf redundante Heldenverklärung verzichtet. Und obwohl man natürlich dazu neigt, sich am ehesten mit den beiden Hauptprotagonisten zu identifizieren, lässt das Drehbuch von Anfang an keinen Zweifel daran, dass auch diese nicht im Kirchenchor singen. Dass die Sympathien dennoch bei Thomas und Don liegen, obwohl sie eigentlich Mitglieder einer grausamen Verbrecherorganisation sind, liegt in erster Linie daran, dass sie wie unschuldige Lämmer wirken, denen die Situation über den Kopf wächst, und dass rund um sie herum noch ein ganzer Bau voller Charaktere existiert, die noch verworfener agieren. Die „Familie“ wird portraitiert als ein von der Außenwelt hermetisch abgeriegelter Kosmos, in dem zwar stets Nettigkeiten ausgetauscht und formelle Höflichkeitsregeln eingehalten werden, in dem jedoch Neid, Missgunst und Machtstreben für den anderen das Todesurteil bedeuten können. Zwar blitzt hin und wieder mal auf, dass auch hinter den Mafia-Mitgliedern menschliche Wesen mit menschlichen Befangenheiten stecken (wie z. B. die Sorge eines Paten um dessen Tochter), aber insgesamt regiert die Skrupellosigkeit. Die Polizei spielt dabei so irgendwie gar keine Rolle. Falls hier mal jemand vorbeiläuft, der eine Dienstuniform spazieren trägt, steht er entweder ebenfalls auf der Gehaltsliste des Syndikats oder er ist ein Rassist, der über „Schlitzaugen“ und „Itaker“ schimpft, aber feige den Schwanz einzieht, wenn man ihm Aug in Aug gegenübertritt.

Das alles folgt vertrauten Mustern und ist weder inhaltlich, noch formal bahnbrechend, fesselt jedoch über die gesamte Laufzeit hinweg. Martino und Bolzoni erschufen mit IM DUTZEND ZUR HÖLLE eine grobschlächtige Großstadt-Fabel, die einen quasi von Beginn an gefangen nimmt. Bereits der atmosphärische Auftakt mit der traumhaften Titelmelodie von Riz Ortolani [→ DAS GEHEIMNIS DER DREI DSCHUNKEN] atmet so viel Flair, dass man den Alltag ganz schnell Alltag sein lässt, um in dieser wildfremden Welt bald vollständig zu versinken. Action macht sich dabei rar. Wenn sie stattfindet, ist sie jedoch effektiv und sorgfältig in Szene gesetzt. Dazu gehören ein paar Schießereien, eine Autojagd und eine radikale Aufräumaktion in einer Fabrikhalle, bei welcher so Einiges zersiebt wird. Ein paar sehr unschöne Todesfälle gibt es gratis dazu; der Mafia grausame Schergen verschonen weder Kind noch Pizzabäcker. Und mittendrin agieren mit Tomas Milian [→ LAUF UM DEIN LEBEN] und Martin Balsam [→ ZWIEBEL-JACK RÄUMT AUF] zwei echte schauspielerische Schwergewichte des italienischen Kinos, sodass auch die darstellerischen Qualitäten stets gewahrt bleiben. Milian, der auch gern mal ein wenig übertrieb, spielt hier ungewohnt reserviert und betreibt sympathisches Understatement, was hervorragend zur Figur des desillusionierten Gangster-Anwaltes passt, während Balsam patriarchalisch und weise ums Eck kommt.

Den Gegenspieler figuriert Francisco Rabal [→ DAS GEHEIMNIS DER VIER KRONJUWELEN] als verschlagenen Neidhammel, der aus purer Eifersucht eine Welle aus Mord und Totschlag ins Rollen bringt. Das weibliche Geschlecht scheint hier indes schlichtweg irrelevant zu sein. Zwar setzt die Liebe zu einer Frau die gewalttätigen Ereignisse erst in Gang, tatsächlich jedoch besitzt diese Rolle Dagmar Lassanders [→ FRAUEN BIS ZUM WAHNSINN GEQUÄLT] eher Symbolwert. Thomas sehnt sich weniger nach ihr als Person, sondern sieht in ihr vielmehr ein Sinnbild für die zu erlangende Freiheit. Sein knapper, herzloser Abschied von ihr, kurz bevor er in die letzte Schlacht zieht, legt das zumindest nahe. Fans der Darstellerin werden daher auch eher enttäuscht sein; die Gute darf gerade mal ein paar Sätze sagen. IM DUTZEND ZUR HÖLLE macht seinem deutschen Titel dann im Finale alle Ehre und endet mit melancholischem Nachklang, der das Publikum bis über das Ende des abermals wunderschön orchestrierten Abspanns hinaus noch begleitet. Martinos Mafia-Mär reißt ganz gewiss keine Bäume aus, gefällt aber als gediegener und überdurchschnittlicher Genre-Beitrag zur Gangsterfilm-Welle der 70er-Jahre.

Laufzeit: 97 Min. / Freigabe: ungeprüft

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