Eigene Forschungen

Samstag, 28. Oktober 2023

DAS MEDAILLON


THE MEDALLION
USA, Hongkong 2003

Regie:
Gordon Chan

Darsteller:
Jackie Chan,
Lee Evans,
Claire Forlani,
Christy Chung,
Julian Sands,
John Rhys-Davies,
Anthony Wong,
Scott Adkins


Inhalt:

Der „Verbrecher“ (mehr erfährt man über ihn tatsächlich nicht) Snakehead [Julian Sands] jagt einem uralten Geheimnis hinterher, einem magischen Medaillon, das übermenschliche Macht verleiht. Der Hüter dieses Artefakts ist ein kleiner Junge, der „Auserwählte“ [Alex Bao], welchen er kurzerhand entführen lässt. Allerdings klebt ihm Interpol samt Hong Kong Police am Hacken. Zwar kann deren Mitarbeiter Eddie Yang [Jackie Chan] das Kind befreien, doch bezahlt der Inspektor diese Rettungsaktion mit seinem Leben. Sein Glück, dass die Legenden wahr sind: Das Medaillon besitzt tatsächlich Zauberkräfte und holt ihn aus dem Totenreich zurück. Folglich unsterblich geworden versucht er nun, gemeinsam mit seinen Kollegen Watson [Lee Evans] und Nicole [Claire Forlani] Snakehead ein weiteres Mal aufzuhalten.

Kritik:

Mit der Hollywood-Karriere des chinesischen Super-Stars Jackie Chan hat es nicht geklappt. Zwar konnte die RUSH HOUR-Trilogie eine beträchtliche Anzahl an Leuten in Richtung Lichtspielhaus mobilisieren, doch präsentierte man Asiens Ikone hier in erster Linie als Anhängsel des amerikanischen Komikers Chris Tucker. Ohne ein derartiges Zugpferd blieb das Publikumsinteresse überwiegend aus. Nachdem TUXEDO 2002 zum Debakel wurde, sollte DAS MEDAILLON es wieder richten. Doch die halbgare Fantasy-Komödie erwies sich als weiterer Sargnagel und holte nur einen Bruchteil ihrer Entstehungskosten wieder rein. Selbst die Produzenten schienen nicht so wirklich überzeugt zu sein von ihrem Erzeugnis, wurde es doch nach Fertigstellung stark gekürzt und durch nachträglich erstellte Szenen und Synchronisationen inhaltlich überarbeitet. Ob diese Maßnahmen Auswirkungen auf das Einspielergebnis hatten, darüber kann nur spekuliert werden. Fest steht nur, dass nach dieser Spezialbehandlung kaum noch etwas einen nachvollziehbaren Sinn ergibt, fielen doch fast alle Erklärungen betreffend der Zusammenhänge der Schere zum Opfer.

Woher kommt das titelgebende Medaillon? Warum hat es Zauberkräfte? Warum besteht es aus zwei Teilen? Warum ist man unsterblich, nachdem es einen ins Leben zurückgeholt hat? Warum wird es von einem Kind gehütet? Warum befindet sich dieses Kind urplötzlich in der Obhut der weiblichen Hauptrolle? Warum funktioniert das Medaillon jedes Mal ein bisschen anders? Warum dauert es manchmal sehr lang, bis eine Person aus dem Jenseits zurückkehrt und manchmal nur wenige Sekunden? Warum steckt der Wiedergänger mal in voller Montur und mal nur im Adams-Kostüm? Fragen über Fragen! Nun ist es für ein gelungenes Unterhaltungsprogramm freilich nicht zwingend notwendig, dass jede Kleinigkeit akribisch erläutert wird. DAS MEDAILLON allerdings tut die ganze Zeit so, als wisse sein Publikum über die Begebenheiten längst Bescheid und verweigert sich vehement jeder zusätzlichen Erklärung, was auf Dauer ziemlich frustriert.

In beträchtlichem Maße betrifft das auch die Motivation des Schurken. Klar, er jagt das Medaillon, aber was er sich davon erhofft, wie er davon erfahren hat und nicht zuletzt, warum er als gestandener Gangster einfach so an übersinnlichen Hokuspokus glaubt (und zwar so felsenfest, dass er dafür alles riskiert und mehrere Menschen über die Klinge springen lässt), bleibt nebulös. Dass er zudem noch Boss einer ganzen Unterwelt-Organisation zu sein scheint, macht die Sache auch nicht verständlicher. Denn natürlich werden auch seine ganzen Helferleins nicht weiter vorgestellt und mischen halt ganz selbstverständlich mit. Die ursprüngliche Fassung, noch unter dem Titel HIGHBINDERS geplant, sollte dem Vernehmen nach fast 110 Minuten dauern und Bösewicht Snakehead als Kopf eines Menschenschmuggler-Rings porträtieren. Das Medaillon selbst spielte in dieser Version eine deutlich geringere Rolle und besaß die Macht, unbesiegbare Kreaturen, die Highbinders, zu erschaffen, von denen sich Snakehead eine Armee heranzüchten wollte. Zugegeben: Viel Sinn ergibt auch das nicht. Aber es geht zumindest mal über ein paar vage Andeutungen hinaus.

Was man dem MEDAILLON indes nicht vorwerfen kann, ist ein Mangel an Tempo. Das Entfernen jedweder Erklärungsmomente und Nebenhandlungsstränge hat zur Folge, dass hier wirklich ständig was los ist. Jackie Chan agiert dabei brauchbar agil und liefert bereits bei der einleitenden Verfolgungsjagd im (damals angesagten) Parcours-Stil ein paar anständig choreographierte Kampfeinlagen. Natürlich reicht das nicht mehr an frühere Glanzzeiten heran und es wurde deutlich häufiger getrickst, um ihn beweglicher erscheinen zu lassen als es tatsächlich noch der Fall war, aber das Alter fordert halt seinen Tribut. Die Idee der magisch herbeigeführten „Unsterblichkeit“ des Stars rührt natürlich auch in erster Linie daher, eine inhaltliche Entschuldigung dafür zu haben, den Kung-Fu-Athleten im späteren Verlauf sichtbar per Effekt unterstützen zu dürfen. Denn zur Halbzeit der Handlung wird die Hauptfigur ganz offiziell zum Superhelden, zum wiedererweckten Unsterblichen mit übernatürlichen Fähigkeiten. Inhaltlich wird daraus freilich fast gar nichts gemacht, haben diese neu erworbenen Kräfte doch kaum Einfluss auf das kommende Geschehen oder des Protagonistens Kondition. Der von Chan verkörperte Eddie Yang flog schließlich schon vor seiner Verwandlung als energiegeladener Lebend-Flummi durch die Landschaft, was die Unterschiede beider Stadien marginal erscheinen lässt.

Das Hauptproblem DAS MEDAILLONs ist jedoch weder diese undurchdachte Dramaturgie noch dessen elliptische Erzählweise. Es ist der verzweifelte Versuch, unbedingt lustig zu sein. Am deutlichsten schiefgegangen ist das bei der Verpflichtung des britischen Komikers Lee Evans [→ DAS FÜNFTE ELEMENT], der als Interpol-Agent fehlbesetzter kaum sein könnte. Evans agiert als hemmungslos alberner Hampelmann und treibt dem peinlich berührten Betrachter mit seinen ausufernden Kaspereien samt Massen an Grimassen regelrecht die Schamröte ins Gesicht. Dass seine Figur vom Skript auch noch ausnehmend inkompetent gezeichnet wurde, lässt ihn schnell zum Nerv-Faktor Nummer 1 mutieren. In der Realität dürfte solch eine Oberpfeife bei Interpol nicht einmal den Papierkorb leeren. Aber natürlich ist es unfair, den Schwarzen Peter dafür Evans in die Schuhe zu schieben. Es ist fraglos die Schuld der Autoren und deren zweifelhaftes Verständnis davon, was einen gelungenen Witz ausmacht. In einer Situation wird Evans Charakter aufgrund verbaler Zweideutigkeiten für homosexuell gehalten. Woraufhin er immer wieder beteuert, es nicht zu sein. Dabei lachen dann alle. Das ist der ganze Gag. Mehr kommt da nicht.

Kurz vorm Finale werden die Helden übrigens auch noch versehentlich angepinkelt – was dann endgültig zur Frage führt, ob die Drehbuchschreiber (tatsächlich brauchte man für diese lahme Kiste insgesamt 5 Leute) ihre Pubertät bereits hinter sich gelassen hatten. Zusammengehalten werden diese Segmente aus akzeptabler Action und fragwürdigem Humor durch reichlich hilflose Versuche, Dramaturgie und Charaktertiefe zu erzeugen. Anfangs wird ohne nachvollziehbare Grundlage ein halbgarer Konflikt zwischen Yang (Chan) und Watson (Evans) konstruiert, der allerdings zügig wieder zu den Akten wandert. Yang wurde dazu eine komplizierte Liebelei mit seiner Kollegin Nicole (gespielt von Claire Forlani [→ THE ROCK]) in die Erzählung gezaubert, die jeder Chemie, Plausibilität und Passion abtrünnig ist. Dazu gibt es eine merkwürdige Gemeinschafts-Koch- und Verköstigungs-Szene im Hause Watson, bei der sinnlos zu Andy Summers y Los Musicos’ „Twist and Shout“ herumgetanzt wird. Dass Watsons Gattin (dargestellt von Christy Chung [→ GEN-Y COPS]) ihre Fassade als biedere Hausfrau zu einem späteren Zeitpunkt ablegt, um sich als schlagkräftige Kampf-Amazone zu entpuppen, ist zwar maximal vorhersehbar, geschieht, als es dann tatsächlich geschieht, jedoch auch bar jeder Erklärung.

Irgendwann befindet man sich dann aus heiterem Himmel in irgendeiner Höhle, um pflichtschuldig den Showdown einzuläuten. Warum das Finale ausgerechnet hier stattfinden muss und wieso plötzlich alle davon wissen und aufwändig mit schwerem Gerät anreisen, das weiß lediglich der Geier. Ist eben einfach so! Dummerweise geht dem MEDAILLON ausgerechnet in diesem letzten Akt vollends die Puste aus. Das (natürlich stattfindende) Ableben des Oberschurken geriet derart antiklimaktisch, das grenzt schon an Leistungsverweigerung. Davor kommt es zwar immer mal wieder zu kleineren Kämpfereien (unter anderem auch mit dem späteren Action-Star Scott Adkins [→ WOLF WARRIOR]), aber die sind nur kurz und reißen niemanden vom Hocker. Und wenn kurz darauf der Abspann rollt und das Meiste auch schon wieder vergessen ist, wundert man sich, dass man damals offenbar tatsächlich der Meinung war, mit dieser belanglosen Luftnummer Jackie Chans Karriere befeuern zu können. Immerhin ist das Ding flott erzählt und Fans des Hongkong-Kinos schätzen den Auftritt Anthony Wongs [→ BLACK MASK] oder entdecken sogar Nicholas Tse [→ SHAOLIN] und Edison Chen [→ THE SNIPER], die mal flink durchs Bild huschen. Und wer schon immer der Meinung war, dass Kuss-Szenen exakt das sind, was Jackie Chan-Filmen bis dahin stets gefehlt hatte, der ist hier ebenfalls an der richtigen Adresse.

Laufzeit: 85 Min. / Freigabe: ab 12

Samstag, 21. Oktober 2023

KAMUI - THE LAST NINJA


KAMUI GAIDEN
Japan 2009

Regie:
Yôichi Sai

Darsteller:
Ken'ichi Matsuyama,
Koyuki,
Kaoru Kobayashi,
Kôichi Satô,
Hideaki Itô,
Sei Ashina,
Ekin Cheng,
Naoyuki Morita



Wenn ein Manga eine Realverfilmung bekommt, ist Empörung prinzipiell vorprogrammiert. Zu unterschiedlich sind beide Medien in Art und Möglichkeit der Darstellung, zu stark in der Regel die Kompromisse in Sachen Story- und Plot-Komprimierung, als dass man als Purist beglückt nach Hause gehen könnte. Auch KAMUI GAIDEN, die Kino-Adaption der gleichnamigen Comic-Reihe, musste daher ein beträchtliches Maß an Missbilligung über sich ergehen lassen – wobei sich ein Großteil der Kritik allein darauf bezog, dass der Film halt nicht die Vorlage ist. Aber reale Menschen sind nun mal keine Zeichnungen und 2 Stunden nicht ausreichend, um den Inhalt von mehr als 20 Bänden unverändert wiederzugeben. Darum betrachtet man KAMUI – THE LAST NINJA, wie die Umsetzung in Deutschland getauft wurde, am besten als eigenständiges Werk und misst es lediglich an sich selbst.

Inhalt:

„Japan im 17. Jahrhundert, zur Zeit der Herrschaft der Tokugawa-Dynastie: In einem armen Dorf erblickt ein Kind das Licht der Welt. Es hört auf den Namen Kamui. In dieser ungerechten Klassengesellschaft wächst er zu einem starken Jungen heran. Kamui hat nur einen einzigen Wunsch: stark genug zu werden, um schließlich als freier Mensch leben zu können. Eines Tages verlässt er sein Dorf und begibt sich auf eine ziellose Reise. Aber wohin er auch kommt: Überall stößt er auf eine große, kalte Mauer. Weil er arm ist, wird er ein Ninja. Und als Ninja strebt er nach Vollkommenheit. Gefangen in den Fesseln der Ninja-Gesetze, ist er gezwungen, Menschen zu töten. So wird er zum Abtrünnigen und steht als Gejagter am Abgrund des Todes. Aber sein eigentlicher Feind sind nicht seine Verfolger mit ihren nicht enden wollenden Angriffen. Es ist sein eigenes Herz, das niemandem trauen kann. So bleibt ihm nichts weiter, als auf der Flucht zu sein. Um zu überleben.“

So erklärt es zu Beginn ein Erzähler auf dem Off in weniger als 2 Minuten, zunächst noch begleitet von Zeichnungen der Vorlage, die allerdings alsbald in die reale, gefilmte Variante übergleiten. Und diese Bilder können sich durchaus sehen lassen: Dreckig, erdig und gelbstichig beginnt die Erzählung im schicken Italo-Western-Retro-Look und das auch gleich mit zünftigem Kampfgetümmel inklusive gekreuzter Klingen, fliegender Ketten und garstiger Wurfgeschosse. Es ist der Freiheitskampf Sugarus, einer jungen Frau, die ebenfalls aus der Ninja-Gemeinschaft austreten möchte und dafür nun mit dem Leben bezahlen soll. Titelheld Kamui wird, noch im Kindesalter, Zeuge dieses Gefechtes und muss miterleben, wie Sugaru schließlich über die Klippen in ihren scheinbaren Tod stürzt. Viele Jahre später, als junger Erwachsener und inzwischen selbst auf der Flucht vor den Vollstreckern der Ninja, wird er sie in einem Küstenstädtchen wiedertreffen – als Gemahlin des exzentrischen, doch herzensguten Fischers Hanbei.

Aus diesem unverhofften Wiedersehen schöpft KAMUI den Löwenanteil seiner Spannung, birgt die Begegnung doch einiges an Konfliktpotential. Denn Sugaru, der es gelang, ihrer Vergangenheit zu entfliehen und sich ein neues Leben aufzubauen, misstraut dem Neuankömmling, da ein Verrat ihren Tod bedeuten könnte. Aber auch Kamui selbst muss seinen Ninja-Hintergrund bestmöglich geheim halten, weil ein unbedachtes Wort gegenüber falschen Leuten ihn ebenfalls in Gefahr brächte. Es ist ein Leben in Angst und Paranoia, das beide führen, geprägt von gegenseitigem Misstrauen und vorsichtiger Annäherung. Die Integrierung Kamuis in die Dorfgemeinschaft führt zudem zu weiterem Missmut, als Hanbeis Tochter ein eindeutiges Auge auf den attraktiven Neuzugang wirft, was einen zwielichtigen Nebenbuhler, der nun seine Felle davonschwimmen sieht, arg erzürnt und zum Risiko werden lässt. Und nicht zuletzt steht auch Hanbei selbst auf der Abschussliste, da er das Pferd eines Fürsten getötet hat, der sich seinen Verlust nun in Blut auszahlen lassen möchte und dafür seine skrupellosen Schergen ausgesandt hat.

Kritik:

Diese zwischenmenschlichen Wechselspiele dominieren weite Strecken der Handlung, weswegen sich Action-Junkies trotz gelegentlich stattfindender, eher kurzgehaltener kriegerischer Auseinandersetzungen durchaus langweilen könnten. Angezogen wird das Tempo wieder, als ca. zur Halbzeit ominöse Hai-Jäger das Szenario betreten, die für einige abstruse Momente sorgen, wenn sie aus dem Meer hervorschnellende Kiefermäuler noch während des Sprungvorganges fachgerecht filetieren. Das Auftauchen dieser neuen Figuren passiert recht unvermittelt und lenkt das Geschehen in neue Bahnen, die kaum Bezug zu den vorherigen Ereignissen besitzen. Dramaturgisch wirkt das etwas unausgegoren und erweckt ein wenig den Anschein, es mit dem Zusammenschnitt eines Mehrteilers zu tun zu haben. Einerseits schimmert hier natürlich der Serien-Charakter der Vorlage durch. Andererseits ist hier auch auf stilistischer Ebene ein Bruch bemerkbar, passt diese absurde Praxis der Raubfisch-Massakrierung doch eher in ein komödiantisch angehauchtes Szenario. KAMUI gebärdet sich allerdings überwiegend bierernst und von bleierner Schwermut geprägt. Und obwohl rechtschaffende Historiker gewiss Anfälle bekommen, wirkt die Darstellung der Edo-Zeit überwiegend echt und nahbar, was bisweilen sogar an die Samurai-Epen Akira Kurosawas erinnert.

Natürlich haben die Ninjas dementsprechend auch nichts mit den meist in schwarze Roben gehüllten Killer-Akrobaten zu tun, die Regisseure wie Sam Firstenberg oder gar Godfrey Ho in Heulern namens AMERICAN NINJA oder NINJA TERMINATOR auf die Menschheit losließen. Die hier porträtierte Mörderbande ist eine doch recht gewöhnlich gekleidete, dabei aber reichlich ruchlose Gemeinschaft, die überwiegend damit beschäftigt zu sein scheint, sich gegenseitig zu jagen und ans Messer zu liefern. Obwohl bei den daraus resultierenden gewaltsamen Zusammenstößen auch mal die eine oder andere Extremität durch die Gegend fliegt, ist der Härtegrad zumindest in visueller Hinsicht eher moderat. Inhaltlich ist die Geschichte allerdings von beträchtlicher Brutalität. Denn auch vor Sympathiefiguren wird nicht Halt gemacht, sodass im Zweifelsfalle auch mal der eine oder andere liebgewonnene Charakter über die Klinge springen darf. Diese Konsequenz hebt KAMUI durchaus vom Gros der Konkurrenz ab. Etwas störend wirken hingegen die teils verblüffend schlechten Effekte, die dem Authentizitätsgefühl abträglich sind, sei es im Schlachtgewühl oder bei Flucht und Flug von Mensch und Tier.

Als unvorteilhaft erweist sich außerdem, dass der neutrale Erzähler, der einen zu Beginn noch so erkenntnisreich in die vorhandenen Verhältnisse einweihte, im weiteren Verlauf nie so wirklich Ruhe gibt und zwischendurch immer mal wieder laufende Sequenzen kommentiert. Sätze wie „Das azurblaue Meer und der unendlich sorglose Hanbei berührten Kamuis Herz tief“, wirken reichlich sinnlos und verführen in erster Linie zum genervten Augenrollen. Vollends überzeugen kann hingegen Hauptdarsteller Ken'ichi Matsuyama [→ DEATH NOTE] als Kamui. Dem damals 24-Jährigen nimmt man die Gratwanderung zwischen sensibler Seele und potentieller Killermaschine mühelos ab. Mag KAMUI innerhalb seiner Schauspiel-Vita eher unbedeutend sein, privat lohnte sich sein Auftritt auf jeden Fall: 2 Jahre später gaben er und seine Leinwand-Partnerin Koyugi [→ LAST SAMURAI] sich das Ja-Wort. Fans des Hongkong-Kinos erspähen in einer Nebenrolle außerdem den chinesischen Star Ekin Cheng [→ DIE SÖHNE DES GENERALS YANG]. Wie der sich in eine japanische Manga-Verfilmung verirrt hat, obwohl seine Rolle ebenfalls japanisch ist, ist eine gute Frage, aber der charismatische Mime ist immer gern gesehen.

Für Regisseur Yôichi Sai [→ ART OF REVENGE] blieb dies das letzte Werk, bevor er im November 2022 verstarb. Begeisterungsstürme löst die eher gemächlich erzählte Selbstfindungsgeschichte zwar nicht aus, aber die überwiegend verhaltenen bis sogar negativen Rezensionen verwundern dann doch. KAMUI besticht durch seine sorgfältige Inszenierung und den Aufwand in Sachen Kostüm und Kulisse, durch den eine glaubwürdige, greifbare Welt entsteht. Das betrifft vor allem die Szenen im Dorf, denen viel Zeit gewidmet wird und die eine gehörige Portion zwischenmenschliche Spannung entstehen lassen. Die Bilder atmen stets großes Kino, sei es staubig-erdig an Land oder knallig-blau auf hoher See. Dramaturgische Schwächen sind vorhanden und gelegentliche Stil- und Richtungswechsel irritieren, aber unterm Strich wurde hier deutlich mehr richtig als falsch gemacht. Die neutrale Erzählerstimme würde sich jetzt vermutlich zu Wort melden und so etwas sagen wie: „Die prachtvollen Tableaus und die spürbare Energie aller Beteiligten berührten den Rezensenten tief.“ Und damit hätte sie recht.

Laufzeit: 120 Min. / Freigabe: ab 16 

Samstag, 14. Oktober 2023

BLOODY TIE


SASAENG GYEOLDAN
Südkorea 2006

Regie:
Choi Ho

Darsteller:
Ryu Seung-beom,
Hwang Jeong-min,
Chu Ja-Hyeon,
Ja-Hyeon Chu,
Kim Hee-ra,
Lee Do-gyung,
On Ju-wan,
Choe Jin-ho



Inhalt:

Busan: Kurz vor der Jahrtausendwende hat der Drogenhandel die Stadt im Würgegriff. Einer der Nutznießer ist der junge Dealer Lee Sang-do [Ryu Seung-beom], der seine Haushaltskasse mit dem Handel von Crystal Meth aufbessert. Doch die sorglosen Tage sind vorbei, als ihn der ruppige Polizist Doh Jing-Wang [Hwang Jeong-min] aufsucht und zur Zusammenarbeit erpresst: Sang-do soll als Spitzel agieren, um an eine noch größere Nummer heranzukommen. Doch die geplante Verhaftung geht gehörig in die Binsen, woraufhin Jing-Wang seinen Job los ist und Sang-do seine Freiheit. Acht Monate später kommt der Kriminelle aus dem Knast. Gleichzeitig wird der geschasste Bulle wieder in den Dienst gestellt. Während Jing-Wang die Karriereleiter erneut erklimmen muss, sieht sich Sang-do völlig neuen Verhältnissen gegenüber: Aus dem Ausland sind neue Drogen ins Land gekommen und haben den Markt komplett verändert. Der neue große Boss heißt Jang-chul [Lee Do-gyung]. Dessen Verhaftung wäre für Jing-Wang die Rückkehr zu alten Ehren und für Sang-do die Möglichkeit, wieder zum Kiez-König aufzusteigen. Notgedrungen schmieden die Kontrahenten daher ein neues schicksalhaftes Bündnis.

Kritik:

BLOODY TIE beginnt im Stil einer flotten Komödie, wenn der junge Dealer Lee Sang-do dem Publikum per gut gelauntem Off-Kommentar erklärt, wie er in hemdsärmeliger Routine seine Geschäfte abwickelt und was für eine tolle Win-Win-Situation das doch ist: Seine Kunden erwerben (vermeintliches) Glück in kleinen Dosen, er selbst hört im Austausch dafür tagtäglich die Scheine rascheln. Trotz der ernsten Thematik (dass Südkorea kurz vor der Jahrtausendwende in einer Krise steckte und speziell in Busan das Verbrechen scheinbar unkontrollierbar wütete, das vermitteln bereits zum Einstieg diverse Schlagzeilen und Ausschnitte aus Nachrichtensendungen) wird dabei eine durchaus heitere Grundstimmung suggeriert. Sang-do feiert ausgelassen in Bars und Clubs; sein forsches Auftreten wirkt jugendlich-überschwänglich, seine Gestiken und Mimiken erinnern bisweilen an argloses Kleinkind-Verhalten. Dazu bringen ein funky Soundtrack und schnelle Schnitte gehörig Schwung in die Sache und sorgen für Stimmung und gute Laune.

Dass diese ausgelassene Attitüde nicht bis zum Ende Bestand haben wird, davon zeugt bereits die erste Begegnung zwischen Sang-do und seinem unfreiwilligen Polizisten-Partner Jing-Wang, die unmissverständlich aufzeigt, dass sie keine Kumpels werden. Das hier ist kein Buddy Movie, in dem sich zwei grundverschiedene Parteien zusammenraufen und schließlich Freundschaft schwören. Hier können sich beide Männer tatsächlich auf den Tod nicht ausstehen, und die zerbrechliche Zweckgemeinschaft bleibt auch eine bis zum bitteren Ende. Auf dem Weg dorthin wird es mit jedem Schritt düsterer und brutaler, was dem Werk in seinem Heimatland sogar einige Schlagzeilen bescherte: Obwohl nicht ausdrücklich verboten, galt die explizite Darstellung von Drogensucht in Südkorea lange Zeit als eine Art rotes Tuch, weswegen das kommerzielle Kino in der Regel einen verschämten Bogen um das Thema machte. BLOODY TIE hingegen leistete sich diesen Tabubruch, wenn auch nicht um des reinen Brechens willen: Die Zurschaustellung der verhängnisvollen Folgen des Konsums von Rauschgift ist notwendiger Bestandteil der Handlung und offeriert zudem einige Schauwerte in Sachen Schauspiel und Inszenierung.

Chu Ja-Hyeon verkörpert exzellent die süchtige Lee Ji-young, die aufgrund traumatischer Erlebnisse in die Abhängigkeit getrieben wurde. Wenn in einer rückblickenden Montage gezeigt wird, wie sie langsam, aber unaufhaltsam in die Sucht abgleitet, dann ist das darstellerisch wie inszenatorisch ein nachhaltig eindrücklicher Moment. Gleichzeitig wird Ji-young auch zum Zünglein an der Waage. Denn Sang-do, dessen Weg sich mit dem ihren zufällig kreuzt, erkennt seine Mitschuld an ihrem Zustand, weswegen er die im Grunde nur noch als Wrack existierende Frau in eine Entzugsklinik einliefert – die ironischerweise von seinem eigenen Onkel geleitet wird. Dieser Moment bedeutet im Übrigen jedoch nicht, dass aus dem Dealer jetzt plötzlich ein besserer Mensch wird. So versucht er nach Ji-youngs ersten Erfolgen in Sachen Entzug schamlos, sie zum nächsten Drogen-Cocktail zu überreden. Seine Motivation wird dabei nicht ganz klar, aber spätestens ab diesem Moment steht fest, dass Sang-do nicht zur Sympathiefigur taugt.

Das gilt allerdings auch für Jing-Wang, der als Polizist ja immerhin (zumindest formal) auf der Seite des Gesetzes steht. Aber auch er ist für das Publikum keine Bezugsperson, wenn er sich, offenbar psychisch labil, stets am Rande des Nervenzusammenbruchs zu bewegen scheint und sich sein Gebaren gar nicht großartig von dem eines Verbrechers unterscheidet. Nun sind ambivalente Figuren, erst recht im Genre des Gangster- und Polizeifilms, prinzipiell immer gern gesehen, zumal man sich damit natürlich deutlich dichter an der Realität befindet als mit den Klischees vom strahlenden Helden und fiesen Schurken. Aber wenn Verhaltensweisen und Handlungen kaum nachvollziehbar sind und die Protagonisten moralisch mal in die eine, mal in die andere Richtung pendeln, dann führt das auf Dauer doch eher zu Unzufriedenheit.

Dabei blitzen vereinzelt durchaus mal Anflüge von Charakterisierung und Motivation auf, am ehesten bei Dealer Sang-do, dessen Leben offenbar bereits von Kindesbeinen an von Gewalt und Kriminalität bestimmt war. Vertieft wird das dann allerdings nicht. Jing-Wang hingegen handelt nach der Prämisse, dass Kriminalität mit legalen Mitteln nicht besiegt werden kann, weswegen er zwangsläufig selbst zum Kriminellen wird. Diese Figur ist im Genre natürlich alles andere als neu und im Falle BLOODY TIEs gelang es den Autoren auch nicht, ihr neue Facetten abzuringen. Darum muss als zusätzlicher Antrieb dann doch noch die gute alte Rache herhalten: Zielperson Jang-chul ist nämlich nicht nur Drogenbaron, nein, er hat auch noch einen Kumpel und Kollegen Jing-Wangs auf dem Gewissen.

Lebendig werden diese Abziehbilder in erster Linie vom energischen Spiel ihrer Darsteller. Speziell Ryu Seung-beom [→ ARAHAN] agiert sich als mit heftigen Gefühlsschwankungen versehenem Drogendealer die Seele aus dem Leib: Mal enthusiastisch wie ein kleines Kind, kullern im nächsten Augenblick dann ausgiebig die Tränen. In Hwang Jeong-min [→ SHIRI] als rastlosem Polizisten scheint indes ein brodelnder Zorn zu wohnen, der jede Sekunde sich Bahn brechen und zur Explosion führen könnte. Bezogen auf reale Verhältnisse scheint das zwar ein wenig übertrieben (einen Beamten, der solch ein überkandideltes und unberechenbares Verhalten an den Tag legt, hätte man schon längst in Frührente geschickt), aber darstellerisch gibt es da ebenfalls nichts zu mosern.

Hauptgrund, dass BLOODY TIE am Ende als Sieger ins Ziel kommt, ist allerdings die temporeiche Inszenierung, die trotz nicht gerade schmaler Laufzeit ständig aufs Gas steigt, obwohl man sich stilistisch nicht so ganz einigen konnte. Denn obwohl das Ganze zeitlich Ende der 1990er verortet ist, klingt der Soundtrack stark nach 1970er Jahre, wobei manche Szenen auch einen entsprechenden, an Beiträge wie FRENCH CONNECTION gemahnenden, Siff-Look mitbringen, während schnelle Schnitte, Split-Screens und viel Kamerabewegung dann doch wieder deutlich moderner wirken. Schaden tut das freilich nicht, denn es funktioniert durchgehend bis zum Schluss, der erstaunlich nihilistisch daherkommt und nun gar nichts mehr von der scheinbaren Unbekümmertheit der ersten Minuten innehat. BLOODY TIE mag das Genre damit weder neu erfinden noch ihm irgendwelche Innovationen hinzufügen, ist unterm Strich jedoch ein professionell gefertigter Zeitvertreib, dem man sich ohne Reue aussetzen kann.

Laufzeit: 112 Min. / Freigabe: ab 16

Samstag, 7. Oktober 2023

TÖDLICHE SPIELE


DEATH GAME
USA 1977

Regie:
Peter S. Traynor

Darsteller:
Sondra Locke,
Colleen Camp,
Seymour Cassel,
Beth Brickell,
Michael Kalmansohn,
Ruth Warshawsky
(Mehr sind es
tatsächlich nicht.)



Inhalt:

George Manning [Seymour Cassel], Geschäftsmann, glücklich verheiratet, bleibt an seinem 40. Geburtstag allein zu Haus, da seine Frau sich um einen familiären Notfall kümmern muss. Er erwartet ein ruhiges Wochenende. Abends zieht ein Gewitter auf, was ja an sich noch nichts Schlimmes ist. Urplötzlich stehen dann jedoch zwei junge, vom Regen durchnässte Frauen vor seiner Tür, die sich als Jackson [Sondra Locke] und Donna [Colleen Camp] vorstellen und erklären, dass sie eigentlich auf eine Party wollten, aber mit dem Auto liegengeblieben seien. George lädt sie zum Trocknen ins Haus ein und gestattet ihnen, einen Freund anzurufen, der sie abholt. Die drei unterhalten sich angenehm vor dem Kamin, der Abend wird immer länger und der Alkohol tut seine Wirkung. Schließlich kommt es zum Äußersten. Am folgenden Morgen kommt das böse Erwachen gleich in doppelter Hinsicht: Nicht nur, dass beide Frauen jegliche Anziehungskraft verloren haben und sich plötzlich benehmen wie die Schweine, es stellt sich zudem auch noch heraus, dass die Geschichte von der Party und dem angerufenen Freund eine Lüge war. Nun beginnt für den Ehebrecher das schlimmste Wochenende seines Lebens. Denn Jackson und Donna lassen ihren sadistischen Neigungen freien Lauf und haben offenbar nicht vor, das Haus jemals wieder zu verlassen.

Kritik:

Home Invasion nennt sich eine Unterkategorie des Terror-Kinos, die vor allem deswegen so effektiv ist, weil sie wie kaum eine andere mit menschlichen Urängsten spielt: Die Vorstellung, dass das Böse bis in die eigenen vier Wände vordringt, dass sich die eigene Sicherheit nicht nur als Illusion, sondern der vermeintliche Safe-Space im Gegenteil sogar als scheinbar unüberwindbare Falle entpuppt, rüttelt gewiss bei nicht gerade wenigen Bürgern anständig an den Nerven. Vor allem das kostengünstig produzierte Sensations-Kino machte sich diesem Umstand zunutze und ließ auf der Leinwand immer wieder gewaltbereite Mörder, Psychopathen und Sadisten für ihre perfide Spielchen in anderer Leute Eigenheime eindringen. Dass die Unholde dabei auffallend oft männlich und die Opfer weiblich waren, lässt sich natürlich leicht als garstiger Kommentar zum Kampf der Geschlechter umdeuten. Diese Prämisse drehte Regisseur Peter S. Traynor in seinem Zweite-bis-Dritte-Reihe-Reißer DEATH GAME einfach mal frech auf links, wenn stattdessen zwei weibliche, mit dem Wahnsinn Sympathisierende anfangen, einem mehr oder minder unbescholtenen männlichen Mitbürger das Leben zur Hölle zu machen – ein im Prinzip simpler Taschenspieler-Trick, im Ergebnis jedoch erstaunlich effektiv.

Dass sich das Publikum trotz des fraglos nicht tadellosen Verhaltens der männlichen Hauptfigur schnell auf Seite George Mannings schlägt, liegt vor allem daran, dass es dem Regisseur gelingt, dessen Situation vollkommen glaubhaft rüberzubringen: Die beiden jungen Frauen, die wie aus dem Nichts in Georges Leben hereinbrechen, erwecken zunächst den Beschützerinstinkt und bedienen im weiteren Verlaufe in ihrer scheinbaren naiven Arglosigkeit dann unterschwellige fleischliche Fantasien, ohne dabei in plumpe Porno-Provokationen zu verfallen. Tatsächlich besitzt das alkoholumnebelte Palaver vor dem Kamin eine kindlich-unschuldige Gemütlichkeit, sodass nachvollziehbar ist, wie eines schließlich ganz klassisch zum anderen führt. Kaum minder faszinierend, wie DEATH GAME es gelingt, die Stimmung am darauffolgenden Morgen ins komplette Gegenteil kippen zu lassen: Der erotische Reiz des Vorabends ist völlig verflogen, die Besucherinnen erscheinen nicht mehr die Bohne attraktiv, geschweige denn begehrenswert, sondern sogar regelrecht abstoßend – eine treffsichere Versinnbildlichung von Scham und schlechtem Gewissen. Die zuvor so verlockend erschienenen kindlich-naiven Verhaltensweisen werden für George nun nach und nach zum Alptraum, wenn die unfreiwilligen Gäste ihrem Spieltrieb freien Lauf lassen, wobei auch das Mobiliar in Mitleidenschaft gezogen wird. Regelrecht greifbar scheint dabei die aufsteigende Panik des Ehebrechers, wenn ihm Stück für Stück gewahr wird, dass er die beiden Damen vermutlich nicht mehr loswird.

Das funktioniert auch wegen des guten Schauspiels der Protagonistinnen, denen es allein durch die Veränderung leichter Nuancen gelingt, ihre Erscheinung von attraktiv auf abstoßend und schließlich sogar bedrohlich zu ändern. Verkörpert werden die Hausbesetzerinnen von Sondra Locke (die wohl ewig nur darauf reduziert sein wird, mal mit Clint Eastwood verheiratet gewesen zu sein) [→ DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK] und Colleen Camp [→ BRUCE LEE – MEIN LETZTER KAMPF], die alterstechnisch interessanterweise fast ein Jahrzehnt auseinanderliegen, ohne dass man es wirklich merkt (Camp war beim Dreh 21 Jahre alt, Locke sogar schon 30). Geschickt schaukelt das Skript den Konflikt im weiteren Verlaufe immer weiter hoch, die offensichtliche Geisteskrankheit der Frauen tritt deutlicher zutage und spätestens, wenn ein zufällig vorbeikommender Lieferjunge unfreiwillige Bekanntschaft mit einem Aquarium machen muss (eine in ihrer nüchternen Kaltblütigkeit wirklich enorm schockierende Szene), ist klar, dass es für George nun gar nicht mehr um die Rettung von Ehe oder Ehre geht, sondern nur noch darum, mit heiler Haut davonzukommen.

Dass der Produktion nur ein schmales Budget zur Verfügung stand, gereichte ihr durchaus zum Vorteil. So spielt sich die Handlung fast ausschließlich im Hause George Mannings ab, was DEATH GAME zu einem intensiven Kammerspiel werden lässt. Und obwohl es (bis auf besagte Aquariums-Szene) gar keine körperlichen Gewaltakte zu sehen gibt, hat man nach gut 90 Minuten Spielzeit das Gefühl, soeben Zeuge einer brutalen Tour de Force gewesen zu sein. Wenn die Frauen unter irrem Gelächter hemmungslos Klaviertasten malträtieren, wild mit Schminke bemalt wie Schreckgespenster durch die Wohnung fegen und sich generell völlig irrational und unberechenbar verhalten, dann erscheint das wie ein surrealer Alptraum, aus dem es kein Entkommen gibt. Gipfel des Grauens ist dann eine „Gerichtsverhandlung“, in welcher George stellvertretend für die Geißel des Patriarchats zur Ader gelassen wird.

Ob die Aktionen tatsächlich eine Art Rache für erfolgten sexuellen Missbrauch sein sollen oder die geistige Unzurechnungsfähigkeit der Protagonistinnen gar Resultat von eben solchem sind, wie mehrmals angedeutet wird, darüber schweigt sich DEATH GAME final aus. Eine gute Entscheidung, denn das bis zuletzt völlig rätselhaft und erklärungslos bleibende Verhalten der Eindringlinge unterstreicht abermals den irrationalen Alptraum-Charakter der Ereignisse. Dazu passend auch das nur im ersten Moment zu diesen im Kontrast zu stehen scheinende Kinderlied „Good Old Dad“, das im Vorspann erklingt und hinter dessen harmloser Fröhlichkeit sich ebenfalls gruselige Abgründe erahnen lassen. Vermutlich sind eben diese bewusst offen gelassenen, oftmals auch fehlenden Zusammenhänge der Grund dafür, dass DEATH GAME seinerzeit in der Rezeption so stark polarisierend aufgenommen wurde. Von „Schund“ bis „feministisches Manifest“ war so ziemlich jede Einschätzung dabei. Die Wahrheit dürfte – ja, das ist eine Phrase! – irgendwo dazwischen liegen. Denn dass dem kostengünstig zum Leben erweckten Terrorfilmchen durchaus Ambitionen zu Grunde lagen, lässt sich kaum leugnen.

Speziell Sondra Locke berichtete später allerdings von chaotischen Dreharbeiten und tadelte die mangelhafte Leistung Peter S. Traynors in Sachen Schauspielführung. Diesem Urteil schloss sich George-Darsteller Seymour Cassel [→ COOGANS GROSSER BLUFF] liebend gern an, der Berichten zufolge mit dem Regisseur in einen lautstarken Disput geriet und mehrmals damit drohte, das Set zu verlassen. Zudem verweigerte er seine Mitwirkung an jeder Form von Nachdreh und -bearbeitung, sodass er sogar von einem anderen Schauspieler nachsynchronisiert werden musste. Dem Resultat merkt man das allerdings nicht an: DEATH GAME wirkt durchaus stimmig und entlässt sein staunendes Publikum schließlich mit einer Szene, die so unerwartet kommt, dass kaum eine Besprechung sie unerwähnt lässt. Und ja, das Ende ist überraschend. Allerdings auch nur, weil es im Grunde völlig bescheuert ist. Im Prinzip könnte man jeden Film auf diese Weise enden lassen, Geringschätzung des eigenen Publikums vorausgesetzt. Daher sollte man sich tatsächlich eher auf den Rest fokussieren. Auch dann hat man es freilich nicht mit einem vergessenen Meisterwerk zu tun. Aber dafür mit einem oftmals etwas verschrobenen, stets interessanten und – was das Wichtigste ist! – im Gedächtnis bleibenden Mini-Thriller, der das Glück hatte, unter widrigen Bedingungen entstanden zu sein, um so wundersam speziell zu werden, wie er jetzt ist.

Laufzeit: 87 Min. / Freigabe: ungeprüft