Eigene Forschungen

Samstag, 21. Oktober 2023

KAMUI - THE LAST NINJA


KAMUI GAIDEN
Japan 2009

Regie:
Yôichi Sai

Darsteller:
Ken'ichi Matsuyama,
Koyuki,
Kaoru Kobayashi,
Kôichi Satô,
Hideaki Itô,
Sei Ashina,
Ekin Cheng,
Naoyuki Morita



Wenn ein Manga eine Realverfilmung bekommt, ist Empörung prinzipiell vorprogrammiert. Zu unterschiedlich sind beide Medien in Art und Möglichkeit der Darstellung, zu stark in der Regel die Kompromisse in Sachen Story- und Plot-Komprimierung, als dass man als Purist beglückt nach Hause gehen könnte. Auch KAMUI GAIDEN, die Kino-Adaption der gleichnamigen Comic-Reihe, musste daher ein beträchtliches Maß an Missbilligung über sich ergehen lassen – wobei sich ein Großteil der Kritik allein darauf bezog, dass der Film halt nicht die Vorlage ist. Aber reale Menschen sind nun mal keine Zeichnungen und 2 Stunden nicht ausreichend, um den Inhalt von mehr als 20 Bänden unverändert wiederzugeben. Darum betrachtet man KAMUI – THE LAST NINJA, wie die Umsetzung in Deutschland getauft wurde, am besten als eigenständiges Werk und misst es lediglich an sich selbst.

Inhalt:

„Japan im 17. Jahrhundert, zur Zeit der Herrschaft der Tokugawa-Dynastie: In einem armen Dorf erblickt ein Kind das Licht der Welt. Es hört auf den Namen Kamui. In dieser ungerechten Klassengesellschaft wächst er zu einem starken Jungen heran. Kamui hat nur einen einzigen Wunsch: stark genug zu werden, um schließlich als freier Mensch leben zu können. Eines Tages verlässt er sein Dorf und begibt sich auf eine ziellose Reise. Aber wohin er auch kommt: Überall stößt er auf eine große, kalte Mauer. Weil er arm ist, wird er ein Ninja. Und als Ninja strebt er nach Vollkommenheit. Gefangen in den Fesseln der Ninja-Gesetze, ist er gezwungen, Menschen zu töten. So wird er zum Abtrünnigen und steht als Gejagter am Abgrund des Todes. Aber sein eigentlicher Feind sind nicht seine Verfolger mit ihren nicht enden wollenden Angriffen. Es ist sein eigenes Herz, das niemandem trauen kann. So bleibt ihm nichts weiter, als auf der Flucht zu sein. Um zu überleben.“

So erklärt es zu Beginn ein Erzähler auf dem Off in weniger als 2 Minuten, zunächst noch begleitet von Zeichnungen der Vorlage, die allerdings alsbald in die reale, gefilmte Variante übergleiten. Und diese Bilder können sich durchaus sehen lassen: Dreckig, erdig und gelbstichig beginnt die Erzählung im schicken Italo-Western-Retro-Look und das auch gleich mit zünftigem Kampfgetümmel inklusive gekreuzter Klingen, fliegender Ketten und garstiger Wurfgeschosse. Es ist der Freiheitskampf Sugarus, einer jungen Frau, die ebenfalls aus der Ninja-Gemeinschaft austreten möchte und dafür nun mit dem Leben bezahlen soll. Titelheld Kamui wird, noch im Kindesalter, Zeuge dieses Gefechtes und muss miterleben, wie Sugaru schließlich über die Klippen in ihren scheinbaren Tod stürzt. Viele Jahre später, als junger Erwachsener und inzwischen selbst auf der Flucht vor den Vollstreckern der Ninja, wird er sie in einem Küstenstädtchen wiedertreffen – als Gemahlin des exzentrischen, doch herzensguten Fischers Hanbei.

Aus diesem unverhofften Wiedersehen schöpft KAMUI den Löwenanteil seiner Spannung, birgt die Begegnung doch einiges an Konfliktpotential. Denn Sugaru, der es gelang, ihrer Vergangenheit zu entfliehen und sich ein neues Leben aufzubauen, misstraut dem Neuankömmling, da ein Verrat ihren Tod bedeuten könnte. Aber auch Kamui selbst muss seinen Ninja-Hintergrund bestmöglich geheim halten, weil ein unbedachtes Wort gegenüber falschen Leuten ihn ebenfalls in Gefahr brächte. Es ist ein Leben in Angst und Paranoia, das beide führen, geprägt von gegenseitigem Misstrauen und vorsichtiger Annäherung. Die Integrierung Kamuis in die Dorfgemeinschaft führt zudem zu weiterem Missmut, als Hanbeis Tochter ein eindeutiges Auge auf den attraktiven Neuzugang wirft, was einen zwielichtigen Nebenbuhler, der nun seine Felle davonschwimmen sieht, arg erzürnt und zum Risiko werden lässt. Und nicht zuletzt steht auch Hanbei selbst auf der Abschussliste, da er das Pferd eines Fürsten getötet hat, der sich seinen Verlust nun in Blut auszahlen lassen möchte und dafür seine skrupellosen Schergen ausgesandt hat.

Kritik:

Diese zwischenmenschlichen Wechselspiele dominieren weite Strecken der Handlung, weswegen sich Action-Junkies trotz gelegentlich stattfindender, eher kurzgehaltener kriegerischer Auseinandersetzungen durchaus langweilen könnten. Angezogen wird das Tempo wieder, als ca. zur Halbzeit ominöse Hai-Jäger das Szenario betreten, die für einige abstruse Momente sorgen, wenn sie aus dem Meer hervorschnellende Kiefermäuler noch während des Sprungvorganges fachgerecht filetieren. Das Auftauchen dieser neuen Figuren passiert recht unvermittelt und lenkt das Geschehen in neue Bahnen, die kaum Bezug zu den vorherigen Ereignissen besitzen. Dramaturgisch wirkt das etwas unausgegoren und erweckt ein wenig den Anschein, es mit dem Zusammenschnitt eines Mehrteilers zu tun zu haben. Einerseits schimmert hier natürlich der Serien-Charakter der Vorlage durch. Andererseits ist hier auch auf stilistischer Ebene ein Bruch bemerkbar, passt diese absurde Praxis der Raubfisch-Massakrierung doch eher in ein komödiantisch angehauchtes Szenario. KAMUI gebärdet sich allerdings überwiegend bierernst und von bleierner Schwermut geprägt. Und obwohl rechtschaffende Historiker gewiss Anfälle bekommen, wirkt die Darstellung der Edo-Zeit überwiegend echt und nahbar, was bisweilen sogar an die Samurai-Epen Akira Kurosawas erinnert.

Natürlich haben die Ninjas dementsprechend auch nichts mit den meist in schwarze Roben gehüllten Killer-Akrobaten zu tun, die Regisseure wie Sam Firstenberg oder gar Godfrey Ho in Heulern namens AMERICAN NINJA oder NINJA TERMINATOR auf die Menschheit losließen. Die hier porträtierte Mörderbande ist eine doch recht gewöhnlich gekleidete, dabei aber reichlich ruchlose Gemeinschaft, die überwiegend damit beschäftigt zu sein scheint, sich gegenseitig zu jagen und ans Messer zu liefern. Obwohl bei den daraus resultierenden gewaltsamen Zusammenstößen auch mal die eine oder andere Extremität durch die Gegend fliegt, ist der Härtegrad zumindest in visueller Hinsicht eher moderat. Inhaltlich ist die Geschichte allerdings von beträchtlicher Brutalität. Denn auch vor Sympathiefiguren wird nicht Halt gemacht, sodass im Zweifelsfalle auch mal der eine oder andere liebgewonnene Charakter über die Klinge springen darf. Diese Konsequenz hebt KAMUI durchaus vom Gros der Konkurrenz ab. Etwas störend wirken hingegen die teils verblüffend schlechten Effekte, die dem Authentizitätsgefühl abträglich sind, sei es im Schlachtgewühl oder bei Flucht und Flug von Mensch und Tier.

Als unvorteilhaft erweist sich außerdem, dass der neutrale Erzähler, der einen zu Beginn noch so erkenntnisreich in die vorhandenen Verhältnisse einweihte, im weiteren Verlauf nie so wirklich Ruhe gibt und zwischendurch immer mal wieder laufende Sequenzen kommentiert. Sätze wie „Das azurblaue Meer und der unendlich sorglose Hanbei berührten Kamuis Herz tief“, wirken reichlich sinnlos und verführen in erster Linie zum genervten Augenrollen. Vollends überzeugen kann hingegen Hauptdarsteller Ken'ichi Matsuyama [→ DEATH NOTE] als Kamui. Dem damals 24-Jährigen nimmt man die Gratwanderung zwischen sensibler Seele und potentieller Killermaschine mühelos ab. Mag KAMUI innerhalb seiner Schauspiel-Vita eher unbedeutend sein, privat lohnte sich sein Auftritt auf jeden Fall: 2 Jahre später gaben er und seine Leinwand-Partnerin Koyugi [→ LAST SAMURAI] sich das Ja-Wort. Fans des Hongkong-Kinos erspähen in einer Nebenrolle außerdem den chinesischen Star Ekin Cheng [→ DIE SÖHNE DES GENERALS YANG]. Wie der sich in eine japanische Manga-Verfilmung verirrt hat, obwohl seine Rolle ebenfalls japanisch ist, ist eine gute Frage, aber der charismatische Mime ist immer gern gesehen.

Für Regisseur Yôichi Sai [→ ART OF REVENGE] blieb dies das letzte Werk, bevor er im November 2022 verstarb. Begeisterungsstürme löst die eher gemächlich erzählte Selbstfindungsgeschichte zwar nicht aus, aber die überwiegend verhaltenen bis sogar negativen Rezensionen verwundern dann doch. KAMUI besticht durch seine sorgfältige Inszenierung und den Aufwand in Sachen Kostüm und Kulisse, durch den eine glaubwürdige, greifbare Welt entsteht. Das betrifft vor allem die Szenen im Dorf, denen viel Zeit gewidmet wird und die eine gehörige Portion zwischenmenschliche Spannung entstehen lassen. Die Bilder atmen stets großes Kino, sei es staubig-erdig an Land oder knallig-blau auf hoher See. Dramaturgische Schwächen sind vorhanden und gelegentliche Stil- und Richtungswechsel irritieren, aber unterm Strich wurde hier deutlich mehr richtig als falsch gemacht. Die neutrale Erzählerstimme würde sich jetzt vermutlich zu Wort melden und so etwas sagen wie: „Die prachtvollen Tableaus und die spürbare Energie aller Beteiligten berührten den Rezensenten tief.“ Und damit hätte sie recht.

Laufzeit: 120 Min. / Freigabe: ab 16 

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