Eigene Forschungen

Donnerstag, 25. Oktober 2012

DIE INSEL DER BLUTIGEN PLANTAGE


DIE INSEL DER BLUTIGEN PLANTAGE
BRD, Philippinen 1983

Regie:
Kurt Raab

Darsteller:
Udo Kier,
Barbara Valentin,
Tet Antiquiera,
Karl-Otto Alberty,
Karen Lopez,
Hans Zander,
Karina Fallenstein,
Mike Monty



In den 1970er und 1980er Jahren erfreuten sich die Philippinen reger Beliebtheit. Der Grund: Aufgrund niedriger Gagen und laxer Sicherheitsbestimmungen ließen sich hier relativ unkompliziert und kostenschonend Filme produzieren - was zahlreiche Unternehmer sich zu Nutze machten, um hauptsächlich die Bahnhofskinos mit massig Material versorgen zu können. Meistens kamen die Produzenten dabei aus den USA, oft auch aus Italien. Dass bundesdeutsche Filmschaffende sich anschickten, dort ebenfalls ihre Zelte aufzuschlagen, geschah insgesamt eher selten. Und dennoch begab es sich Anfang der 1980er Jahre, dass Produzent Peter Kern beschloss, einen kostengünstigen Reißer auf den Philippinen zu drehen - vorgeblich, um mit den zu erwartenden Erträgen größere Wunschprojekte finanzieren zu können.

Kerns Erzählungen über das, was dann folgte, sind nahezu legendär. Denn als man vor Ort eintraf, stellte sich wohl heraus, dass der dortige Produzent Felipe G. Ortega Jr. pleite und das versprochene Set nicht mal im Ansatz errichtet worden war. Um zu retten, was zu retten war, begann man nach der Entlassung Ortegas damit, das benötigte Motiv noch im Eilverfahren zu arrangieren. Tatsächlich gelang es, den geplanten Drehbeginn einzuhalten. Doch die Freude währte nicht lang, stellte sich doch heraus, dass der angeheuerte Regisseur Celso Ad. Castillo nicht nur unfähig, sondern offenbar auch der Megalomanie anheimgefallen war, stundenlang vor sich hin starrte, Fusel in sich hineinschüttete, Untergebene ausschimpfte oder auf seine Intuition wartend über die Insel stiefelte.

Als nach drei Tagen außerplanmäßig Kurt Raab die Regie übernahm, entfachte das den Zorn Castillos - woraufhin die philippinischen Schauspieler von ihren Managern zum Abzug gezwungen wurden. Nachdem eine neue Darstellerriege zusammengestellt war, erschien der ursprüngliche Produzent Ortega Jr. wieder auf der Bildfläche und ließ laufend Material und Ausstattung beschlagnahmen. Als mittendrin die Finanzen versiegten, wurde hohe Summen an Bargeld ins Land geschmuggelt, um die Arbeiter bezahlen zu können. Und auch die weiteren Geschichten der Macher sind von teils faszinierender Absurdität: Crew-Mitglieder waren oft betrunken oder tagelang verschwunden. Karl-Otto Alberty war ständig auf Droge und konnte meist nur im Sitzen arbeiten. Der Effektmann war nicht in der Lage, Explosionen machen, weil er vergessen hatte, Dynamit zu kaufen. Dafür flog der Generator in die Luft. Da er nach Reparatur nur noch so semi funktionierte, musste der Rest der Szenen im Halbdunkel gedreht werden. Erdbeben brachen über die Insel herein. Taifune kündigten sich an. Und mittendrin stand die gebeutelte Crew und buckelte bis zum bitteren Ende an der vermeintlich schnellen Nummer, die am Ende wahre Unsummen kostete und das Team an die Grenze der Leistungsfähigkeit katapultierte.

Wie viel hier Dichtung ist und wie viel Wahrheit, lässt sich im Nachhinein zugegebenermaßen nicht mehr genau verifizieren. Letzten Endes basieren all diese Berichte auf späteren Erzählungen der Produzenten. Gut möglich also, dass hier bisweilen etwas übertrieben wurde. Fest steht nur, dass die Strapazen sich gelohnt haben. Denn das Ergebnis mit dem blumigen Titel DIE INSEL DER BLUTIGEN PLANTAGE ist nicht nur aufgrund seiner Entstehungsgeschichte ein grandioses Machwerk, dessen leidenschaftliche Infantilität einen nahezu überwältigt.

Inhalt:

Der ehemalige Nazi Otto Globocnik [Karl-Otto Alberty] errichtet gemeinsam mit seiner sadistischen Freundin [Barbara Valentin] (die gar liebevoll 'Blutige Olga' genannt wird und sich auch so benimmt) auf einer paradiesischen Insel eine grausame Schreckensdiktatur: Die Bevölkerung wird zur Arbeit gezwungen (die hauptsächlich darin besteht, den ganzen Tag Kokosnüsse aufzuspalten - denn wie jeder weiß, ist der illegale Kokosnuss-Handel ein Millionengeschäft), die Frauen zu Lustobjekten versklavt. Hermano [Udo Kier], einer der obersten Vertrauten Globocziks, verliebt sich jedoch in die attraktive Insulanerin Cora [Karen Lopez] und will sie heimlich von der Insel schaffen. Aber sein Plan fliegt auf. Cora wird ausgepeitscht, Hermano als Olgas persönlicher Lustsklave missbraucht. Doch Rita [Rosemarie Sarita], eine der Geknechteten, zettelt heimlich einen Aufstand an. Schon bald ist auf dem Eiland die Hölle los.

Kritik:

Einen simpel gestrickten, spekulativen Unterhaltungsfilm, der die niederen Bedürfnisse des Publikums befriedigen soll, wollten die Produzenten erschaffen (wie sie selbst in sympathischer Offenheit zugeben). Und dieses Unterfangen ist definitiv geglückt, werden doch tatsächlich so ziemlich alle Ingredienzen primitiver Filmkunst vereint. DIE INSEL DER BLUTIGEN PLANTAGE ist ein schier unglaubliches Werk, für dessen Existenz man einfach nur dankbar sein muss, ein kaum zu fassender, nahezu schwindelerregend abstruser Cocktail aus Frauenlagerfilm, Naziploitation und Söldner-Action, mit Horror-Elementen verrührt und vor paradiesischer Kulisse erzählt – in traumhaft schönen Bildern und in allerfeinstem Cinemascope, eingerahmt von einem gefährlich kitschigen Soundtrack, der selbst die härtesten Kerle zum Schluchzen bringt.

Mehr als einmal reibt man sich die Augen, wenn – zwischen Vergewaltigung, Voodoo-Zauber und feinfühligen Dialogen wie Ich dachte, du wärst ne gute Mösenakrobatin und „Früher hattest du mehr Feuer im Arsch!“ – plötzlich halbgare Bruce-Lee-Imitatoren über die Insel springen (die allerdings jämmerlich zu weinen anfangen, sobald sie jemand 'warmer Kanake' nennt), während völlig sinnlos über die Insel tobende Kleinwüchsige sich mit Kommentaren wie „Lass das, du geiler Zwerg!“ gegenseitig befummeln. Und mittendrin in diesem Wust aus perfektionierter Sinnbefreitheit begegnet man gestandenen Schauspielgrößen wie Udo Kier und Barbara Valentin, die den sagenhaften Unfug mit dermaßen tapferer Seriösität darbieten, als ginge es darum, die kommende Oscar-Verleihung im Alleingang abzuräumen. Und da DIE INSEL DER BLUTIGEN PLANTAGE jedoch trotz allem ein deutscher Film der 80er Jahre bleibt und das Team sogar aus dem Dunstkreis der Autorenfilm-Ecke stammt, schleicht sich zu guter Letzt auch noch ein Hauch FITZCARRALDOesker Züge in das absurde Geschehen.

Die zarten Anflüge von Gesellschaftskritik und Faschismusanalyse versinken freilich nahezu völlig im tosenden Meer der Merkwürdigkeiten, was den Kuriositätsfaktor zusätzlich nochmal ins fast Unermessliche steigert. Dazu passt es dann schon fast wieder, dass die Darstellerinnen aus der Eröffnungssequenz ihre Rollen in einem Preisausschreiben gewonnen hatten. Die Zeitschrift Neue Revue agierte nämlich als eine Art Werbepartner und bot zwei Laien die Möglichkeit, in einem Kinofilm mitspielen zu dürfen. Folglich besitzt DIE INSEL DER BLUTIGEN PLANTAGE nun eine recht sinnlose Einleitung, in der zwei junge Frauen zur Insel schippern, um dort von einem Wachmann gefangengenommen zu werden. Alle Beteiligten tauchen später freilich nie wieder auf.

Im Ergebnis ist das alles Exploitation in Vollendung, eine sich aus Drogennebel manifestiert zu haben scheinende, realitätsuntaugliche Eigenart in formal perfekten, epischen Hochglanzbildern, abgeschmeckt mit einem Hauch künstlerischen Anspruchs und von solch mitreißendem Engagement, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Das APOCALYPSE NOW des Trashfilms.

Großes Kino! Endlich!

Laufzeit: 84 Min. / Freigabe: ab 18

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