USA 2011
Regie:
Nicolas Winding Refn
Darsteller:
Ryan Gosling,
Carey Mulligan,
Bryan Cranston,
Albert Brooks,
Oscar Isaac,
Christina Hendricks,
Ron Perlman,
Russ Tamblyn
Nachdem die PUSHER-Trilogie und die fast schon als Stillleben durchgehende Wikinger-Meditation VALHALLA RISING eher vor einem kleinen Publikum gelaufen waren, gelang dem dänischstämmigen Regisseur Nicolas Winding Refn mit dem deutlich massentauglicheren DRIVE der internationale Durchbruch. Dabei vollbrachte er das Kunststück, eine sattsam bekannte Geschichte dermaßen frisch und virtuos in Szene zu setzen, dass man den Eindruck gewinnt, etwas Ähnliches habe es bis dahin noch nicht gegeben.
Inhalt:
Ein junger Automechaniker [Ryan Gosling] bessert seine bescheidene Gage dadurch auf, dass er sich von finsterem Gesocks gelegentlich als Fluchtwagenfahrer anheuern lässt. Dank seiner außergewöhnlichen Fahrkünste schafft er es dabei regelmäßig, der Polizei zu entkommen. Privat führt er ein unauffälliges Leben in einer schäbigen Mietwohnung. Im Laufe der Zeit verliebt er sich in seine Nachbarin Irine [Carey Mulligan]. Doch als beide gerade dabei sind, sich näherzukommen, wird ihr Ehemann Standard [Oscar Isaac] aus dem Gefängnis entlassen. Dieser schuldet dem gewissenlosen Gangster Cook [James Biberi] noch Geld. Um Irine zu schützen, bietet der Fahrer an, Standard bei einem Überfall zur Seite zu stehen. Doch der Plan misslingt: Standard wird aufs Kreuz gelegt und bezahlt mit seinem Leben. Zwar kann der Fahrer mitsamt der Beute entkommen, doch ist er nun seines Lebens nicht mehr sicher: Cook ist hinter ihm und dem Geld her. Eine Spirale der Gewalt setzt sich in Gang.
Kritik:
Vor Spannung im Sitz vibrieren wird der Betrachter aufgrund ausgetretener Handlungspfade freilich kaum und auch die Story-Elemente kommen einem doch arg vertraut vor. Cineastische Geschwindigkeitszelebrationen wie TRANSPORTER (2002) mit Jason Statham als rasendem Kurier kommen einem in den Sinn, und nicht nur der Titel weckt Erinnerungen an Walter Hills Klassiker DRIVER (1979), in dem Ryan O’Neill ebenfalls einen versierten Fluchtwagenbeschleuniger mimt. Hier hingegen ist es ein anderer Ryan, nämlich ein Gosling, der seine Fahrkünste in den Dienst der Unterwelt stellt und dabei ein rigoroses, in Eigenregie verfasstes Regelwerk befolgt. Er ist ein Profi, dem jedwede Menschlichkeit abhandengekommen zu sein scheint: Sein Blick ist stets leer, seine Art unnahbar. Als dann doch das Unerwartete eintritt und er erstmals aus Zuneigung zu einer anderen Person, also eben menschlich, agiert, gerät seine wohlgeordnete Welt aus den Fugen.
Inhaltliche Parallelen zu den genannten Referenzen sind gewiss nicht aus der Luft gegriffen, allein das ‚Wie‘ macht hier den Unterschied. Leuten mit Sinn für Stil und Ästhetik dürften sich nämlich die Augen weiten. Der bis zum Anschlag durchstilisierte Neo-Noir-Thriller besticht von der ersten bis zur letzten Sekunde durch formvollendet lässige Eleganz. Bereits die eröffnende Autojagd unterlegt Refn nicht etwa mit peitschendem Score, wie ein etwas weniger vorsichtiger Regisseur es vermutlich getan hätte, sondern mit einem aus dem Radio tönenden Kommentar eines Basketball-Spiels. Anstatt à la THE FAST AND THE FURIOUS einfach stumpf aufs Gaspedal zu treten, um den Verfolgern zu entkommen, geht der Protagonist, dessen Name tatsächlich nie Erwähnung findet und der darum stets nur als ‚Fahrer‘ bezeichnet wird, mit Taktik, Klugheit und Bedacht zu Werke – eine passendere Metapher für den Erfolg von DRIVE ließe sich nur schwerlich finden.
Grundsätzlich zwar ebenfalls zum Action-Genre zählend, gibt sich DRIVE ungewohnt entspannt und nimmt sich Zeit für seine Figuren und deren Gefühle, ohne sich dabei einer banalisierenden Verbalisierung zu unterwerfen – mehr als einmal ersetzt gekonnte Gestik das erklärende Gespräch. Stereotypen werden dabei stilsicher umschifft. Trotz seiner Überlegenheit am Steuer und seines durchaus brutalen Durchgreifens zur Erlangung eigener Ziele hat dieser Fahrer mit klassischer Coolness in Form markiger Sprüche und dem üblichen Rollenbild des selbstbewussten Alphamännchens, wie Jason Statham es verkörperte, nichts gemein. Er ist kein herkömmlicher Held, sondern ein Mensch, der in einer verworfenen Welt sein zweifelhaftes Steckenpferd gefunden hat. Dass er weder Namen noch Vergangenheit besitzt, ist keine künstlerische Überhöhung, sondern Ausdruck seiner Unfähigkeit zur sozialen Interaktion. Ähnlich unkonventionell gezeichnet wurde sein Rivale um die Gunst der Dame, die den Fahrer ja immerhin etwas aus seiner introvertierten Lethargie gerissen hat. Doch obwohl gerade erst aus dem Gefängnis entlassen, ist der von Oscar Isaac [→ SUCKER PUNCH] porträtierte Ehemann nicht etwa, wie erwartet, ein verachtenswerter Schläger, sondern ein vielschichtiger Charakter voller Stärken und Schwächen, der dem Fahrer sogar Sympathien entgegenbringt, obwohl er um dessen Gefühle für seine Frau weiß.
Natürlich steht und fällt so eine Nummer mit ihrer Besetzung. Und vor allem bei der Hauptrolle hat man dabei alles richtig gemacht: Ryan Goslings [→ MORD NACH PLAN] zurückgenommenes und dennoch (oder gerade deswegen) sagenhaft intensives Spiel ist ein Hochgenuss. Kein überflüssiges Wort kommt ihm über die Lippen. Die kleinste Regung in seinem Gesicht hingegen spricht ganze Bände. Jeder Blick, jede Bewegung, jedes kleine Zucken … Alles sitzt punktgenau. Kein Wunder also, dass Refn, zumindest laut eigener Aussage, die Mitwirkung Goslings zur Voraussetzung für die Umsetzung machte. Aber auch die kleineren Rollen sind stark besetzt. Besonders Bryan Cranston [→ GODZILLA] als gutmütiger Werkstattbesitzer und Albert Brooks, der 1976 bereits dem TAXI DRIVER zur Seite stand (ganz gewiss ebenfalls kein Zufall), als unberechenbarer, zu überraschenden Gewaltakten neigender Gangster wissen zu gefallen.
Aller Extravaganz in Sachen Stil und Charakterisierung zum Trotze gehorcht das Handeln der Figuren insgesamt dann allerdings doch eher den Regeln des Mediums denn der Realität. So fragt man sich etwa, warum die Gangster – selbst nach den ersten Opfern in den eigenen Reihen – die finale Rache des Fahrers geduldig abwarten, anstatt vernünftigerweise das Weite zu suchen. Ähnlich merkwürdig mutet es an, dass Leute, die wissen, dass sie auf der Abschussliste stehen, mutterseelenallein mitten in der Nacht sehenden Auges ins Messer laufen. Mag ihr Schicksal auch beschlossene Sache sein, allzu einfach sollte man es der Vorsehung dann nun doch nicht machen. Dass es Regisseur Refn auf Realismus ankam, darf allerdings bezweifelt werden, denn seine Arbeit funktioniert hervorragend als das, was sie sein möchte: als filigrane Fingerübung, die die Möglichkeiten intelligenter Inszenierung bis zum Exzess auslotet. DRIVE war zudem einer der ersten Beiträge der 1980er-Retro-Welle, die um 2010 rum an Fahrt gewann. Musik, Ästhetik und Look sind daher voll und ganz dieser Epoche verschrieben, weswegen Refn seinem später auch wiederholt unter Beweis gestellten Faible für Neonlicht, Synthesizer-Sound und hypnotischen Minimalismus freien Lauf ließ. Aufgemotzt mit ein paar weiteren optischen Spielereien (so wird der Kampf zweier Personen lediglich als Schattenspiel visualisiert) und einem exzellenten Einsatz sorgsam ausgewählter Songs, welche die Intensität mancher Momente ins Unermessliche steigern, ist DRIVE ein großartig durchkomponiertes Fest für Geist und Sinn. Abgefahren!
Laufzeit: 101 Min. / Freigabe: ab 18
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