USA 2009
Autor:
Victor Gischler
Übersetzer:
Andreas Brandhorst
Verlag:
Piper
ISBN:
978-3-492-29194-1
Inhalt:
Mortimer Tate überlebt das Ende der Welt in einer Höhle in den Bergen von Tennessee. Neun Jahre später macht er sich auf den Weg zurück in die Zivilisation – doch alles kommt anders als erwartet: Aus Versehen erschießt er die ersten Menschen, denen er begegnet. Und das Einzige, was in dieser Welt noch funktioniert, ist „Joey Armageddon's Sassy A-Go-Go“-Strip-Club. Hier ist das Bier noch kalt, und die Tänzerinnen sind heiß. Zusammen mit der hinreißenden Sheila, Buffalo Bill und dem Bergsteiger Ted macht sich Mortimer auf nach Atlanta, um seine Ex-Frau zu finden. Und ganz nebenbei über das Schicksal der Menschheit zu entscheiden …
Kritik:
So, werte Leser, jetzt ist es so weit. Wie angekündigt bekommt ihr nun hier unsere erste Buchbesprechung vor die Glotzbuchten. Und wie versprochen legen wir mit einem postapokalyptischen Schmankerl los.
Das Backcover von DIE GO-GO-GIRLS DER APOKALYPSE verspricht einen „ungewöhnliche[n] Endzeitroman mit Witz, bizarrem Einfallsreichtum und jeder Menge Action“ und damit eigentlich genau das, was man bekommt. Etwas irreführend sind eigentlich nur der Titel und das Cover, denn die Go-Go-Girls kommen im Roman zwar vor, spielen aber nur eine kleinere Nebenrolle.
Hauptprotagonist ist Mortimer Tate, der nach neun Jahren als Einsiedler versucht, seinen Weg zurück in ein normales Leben zu finden. Doch Mortimer muss schnell feststellen, dass inzwischen Gewalt und Wahnsinn die Welt regieren. Nur Joey Armageddon's Sassy A-Go-Go Clubs,
eine Mischung aus Strip-Club, Hotel, Warenhaus und Bank, bieten noch kleine Horte der Zivilisation, in denen, wer das entsprechende Kleingeld hat, sich von den Strapazen der Außenwelt erholen und für kurze Zeit wieder Mensch sein kann. Da Mortimer über all die Jahre kistenweise Johnnie-Walker-Whiskey in seiner Höhle gehortet hat, die er nun als Tauschmittel anbieten kann, steigt er auch direkt zum Platinmitglied auf und wird hofiert wie ein König. Hier könnte man bleiben und die Apokalypse Apokalypse sein lassen.
Aber Mortimer muss weiter. Was ihn vorwärts treibt, ist die Suche nach seiner Ex-Frau Anne. Die hat Mortimer nämlich, kurz bevor die Welt durch diverse Kriege und andere Katastrophen endgültig zum Teufel ging, einfach sitzen lassen, weil er damals ohnehin mit ihr im Scheidungsklinsch lag. Jetzt will er wissen, ob sie noch lebt, und wenn ja, ob es ihr gut geht. Schnell erfährt er, dass Anne als Go-Go-Tänzerin in einem von Joey Armageddons Clubs angeheuert hat. Die Spur führt ihn und seine Begleiter, den gutmütigen Revolverhelden Buffalo Bill, der sich als Rächer der Unterdrückten verdingt und der Mortimer das Leben rettet, und die junge Sheila, die Mortimer und Bill aus den Klauen eines perversen Vergewaltigers befreien, nach Cleveland, ins Herz von Joey Armageddons stetig wachsendem Imperium. Ihr Weg ist gesäumt von zahlreichen Gefahren. So geraten sie unter anderem in eine wilde Schießerei mit den sogenannten Rotstreifen, einer Gruppe von Banditen, die im Auftrag des „Roten Zaren“ ihr eigenes martialisches Gesetz durchzusetzen versuchen, werden von Kannibalen verschleppt und schließlich landet Mortimer in einer ehemaligen Nervenklinik, in der ein männerhassender Transsexueller ein scharfes Regiment führt. Schließlich in Cleveland angekommen, muss Mortimer feststellen, dass Anne nicht mehr dort ist. Stattdessen hat Joey Armageddon persönlich einen Auftrag für ihn: Er soll nach Atlanta in die Zentrale des Roten Zaren vordringen und diesem den Garaus machen. Zuerst lehnt Mortimer rigoros ab, aber Joey Armageddon hat überzeugende Argumente: Anne ist von den Männern des Roten Zaren nach Atlanta verschleppt worden …
Victor Gischlers Roman liest sich fast wie ein Literatur gewordener Exploitationfilm mit allem, was dazu gehört. Dementsprechend gestaltet sich auch Gischlers Schreibstil. Die Sprache ist dreckig wie die Szenerien und unflätig wie die Charaktere. Es gibt jede Menge Anspielungen auf die Popkultur, und Action und Sleaze sind wirklich reichlich vorhanden. Hier werden kaum Gefangene gemacht. Hier wird erschossen, aufgeschlitzt, Gliedmaßen abgetrennt, gefoltert und verbrannt, dass es eine wahre Freude ist. Der Showdown hält dann sogar Anleihen an MAD MAX 2 bereit, als Joey Armageddons Leute mit spritsparenden Mini-Coopern gegen die gepanzerten Ami-Schlitten des Roten Zaren in die Schlacht ziehen.
Durchzogen ist das Ganze von einem mal absurden, mal makabren Humor, der aber nie zu aufdringlich wird, sondern sich meist hintergründiger Witze und Doppeldeutigkeiten bedient. Was dem Buch ein wenig fehlt, ist Stringenz. Ähnlich, aber nicht ganz so explizit wie Dmitri Glukhowskys METRO 2033 zerfällt auch DIE GO-GO-GIRLS DER APOKALYPSE stellenweise in einzelne Episoden, wobei die meisten davon durch den Running Gag verbunden sind, dass Mortimer Tate andauernd von hinten einen Schlag über die Rübe bekommt oder mit einem Elektroschocker außer Gefecht gesetzt wird, wodurch ihm für einige Zeit das Bewusstsein schwindet und er sich postwendend in der nächsten, ausweglos erscheinenden Situation wiederfindet. Zudem verläuft Mortimers Entwicklung vom Eremiten zum Actionhelden ein wenig zu schnell, um wirklich glaubwürdig zu sein. Aber um Glaubwürdigkeit oder gar den Anspruch, eine tiefgründige Gesellschaftskritik abzuliefern geht es Victor Gischler ohnehin nicht. Vielmehr merkt man dem Buch deutlich an, dass der Autor einfach nur eine kurzweilige Actiongeschichte vor postapokalyptischer Kulisse schreiben wollte. Wer in der Geschichte eine tiefere Moral sucht, ist hier definitiv beim falschen Buch gelandet. Trotzdem verkommt der Roman aber nicht zum reinen Guilty Pleasure, denn in den wenigen ruhigen Momenten seiner Odyssee lässt Gischler Mortimer Tate immer wieder für kurze Zeit über dessen neue Umwelt und den Sinn seiner Suche nach Anne reflektieren und verleiht der Figur dadurch die nötige Tiefe, damit sie als Identifikationsfigur für den Leser nachvollziehbar bleibt.
Für alle Liebhaber anspruchsloser Actionware mit hohem Blutzoll ist DIE GO-GO-GIRLS DER APOKALYPSE ein echter Page-Turner. Atmosphärisch stimmig, flott geschrieben, actionreich und prall gefüllt mit schrägen Ideen, was aus der Menschheit werden könnte, wenn die Regeln der modernen Zivilisation plötzlich nicht mehr gelten. Darauf einen Jack Daniels (denn wenigstens der wird nach dem großen Knall immer noch hergestellt) und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.
Umfang: 390 S.
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