USA 2015
Regie:
Denis Villeneuve
Darsteller:
Emily Blunt,
Benicio Del Toro,
Josh Brolin,
Daniel Kaluuya,
Jon Berthal,
Jeffrey Donovan,
Raoul Trujillo,
Sarah Minnich
Inhalt:
Bei einem Einsatz gegen die mexikanische Drogenmafia entdeckt das FBI in einem Haus in Arizona mehrere Dutzend Leichen. Obwohl Agentin Kate Macer [Emily Blunt] dieses Ereignis psychisch schwer zu schaffen macht, meldet sie sich freiwillig als Mitglied einer Sondereinheit unter dem Kommando ihres etwas undurchsichtigen Kollegen Matt Graves [Josh Brolin]: In El Paso will man - auf amerikanischem Boden – nach dem großen Boss des Kartells suchen. Doch Macer merkt bald, dass sie getäuscht wurde: Der Einsatz führt tatsächlich ins mexikanische Júarez, wo internationales Recht herrscht, was die Operation illegal macht. Schnell ist klar, dass dies nicht der einzige Regelverstoß bleiben wird: Matts Team missachtet alle Vorschriften und wendet rücksichtslos Gewalt an, um ans Ziel zu gelangen. Und dann ist da noch das undurchschaubare Mitglied Alejandro Medellín [Benicio Del Toro], das ebenfalls zweifelhafte Motive zu haben scheint. Für Macer wird der Einsatz mehr und mehr zum Alptraum.
Kritik:
Sicario ist ein mexikanischer Slang-Ausdruck und bedeutet so viel wie
„Auftragsmörder“. So erklärt es die einführende
Texteinblendung, bevor einen Denis Villeneuves [→ PRISONERS] so
betitelter Drogen-Thriller ohne Umwege in ein fiebriges
Höllenszenario wirft und eine elektrisierende Eröffnungssequenz
präsentiert, die den Tenor der folgenden zwei Stunden maßgeblich
bestimmen wird. Die brutale Aushebung eines Geheimverstecks der
Drogenmafia, kumulierend im unerwarteten Fund eines grauenvollen
Massengrabes, ist ein Musterbeispiel brillanten Regie-Handwerks und
fesselt einen von der ersten Sekunde an in den Sitz. Die
ausdrucksstarken Bilder Roger Deakins' [→ NO COUNTRY FOR OLD MEN] in
Kombination mit dem pulsierenden, ins Mark dringenden Sound Jóhann
Jóhannssons [→ SKYFALL] kreieren eine zum Schneiden dichte
Atmosphäre, die einen regelrecht in sich hineinzieht und eine
suggestive Spannung freisetzt, die bis zum Finale anhält. Denn die
ganze Aktion ist nur der Vorläufer einer erbarmungslosen Reise in
die Finsternis, welche die Hauptprotagonistin Kate Macer bis an die
Grenzen ihrer Belastbarkeit führt.
Dabei bietet SICARIO auf inhaltlicher Ebene sogar nur wenig Innovatives: Dass
die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, ist nun wahrlich
kein neues Thema des politischen Thrillers, wurde jedoch selten so
überzeugend umgesetzt wie hier. Das amerikanische
Sondereinsatzkommando missachtet jede formelle und moralische Regel,
agiert mit rücksichtsloser Härte und unterscheidet sich somit kaum
von den Kartellen, die sie eigentlich bekämpfen. Macer verkommt währenddessen zur fast passiven Person, die fassungslos auf
die Gräueltaten und Ungerechtigkeiten blickt und damit in erster
Linie dem Publikum als Identifikation dient, dem es kaum anders
ergeht. Bereits die erste Station, die Stadt Júarez, die ihre
Besucher mit verstümmelten, von einer Brücke hängenden Leichen
begrüßt und von einem Team-Mitglied wenig subtil als „Biest“
bezeichnet wird, gleicht einer Hölle auf Erden, in der menschliches
Leben keinen Pfifferling mehr wert ist und die einem auf Anhieb
klarmacht, dass jede Hoffnung auf Ausmerzung der
Verbrechensherrschaft vergebens ist. Das Übel lässt sich nicht mehr
bekämpfen - höchstens noch ein bisschen kontrollieren. Und um das
zu erreichen, muss man selbst zum Übeltäter werden.
Die
Männer in SICARIO wissen das; sie sind abgebrühte Haudegen, die
ihre einstigen Ideale, falls sie denn jemals welche hatten, schon
längst über Bord geworfen haben. Macer hingegen, die von Anfang an
belogen, bisweilen sogar benutzt wird, begreift das erst nach und
nach. Emily Blunt [→ LOOPER] gelingt es, alle Facetten dieses
inneren Prozesses glaubwürdig abzubilden, ohne dabei in
darstellerische Klischees zu verfallen. Ihr gegenüber steht (der
zugegebenermaßen sehr wohl klischeehaft besetzte) Benicio Del Toro
[→ SIN CITY] als zwielichtiger Alejandro Medellín, der eine
entscheidende Rolle für den Verlauf der Ereignisse spielt, dessen
Ziele jedoch lange Zeit unklar bleiben und der dadurch abwechselnd
als Bedrohung und Verbündeter erscheint. Dazu gesellt sich Josh
Brolin [→ GANGSTER SQUAD] als Einsatzleiter Matt Graves, der als
zunächst recht sympathischer schräger Vogel auftritt, später
jedoch in erster Linie durch seinen eiskalten Zynismus schockiert.
Diese Konstellation mag nicht frei sein von gängigen Stereotypen,
funktioniert jedoch bestens.
Den
brillanten Darstellerleistungen zum Trotze wäre SICARIO allerdings
nur halb so beeindruckend ohne seine exzellente Visualisierung, die
in vielen Momenten in Sachen Look und Stil eher einem Kriegsfilm als
einem Thriller gleicht. Und wenn die Karawanen des Sonderkommandos
sich martialisch ihren Weg durch Wüstenlandschaften und
Straßenlabyrinthe bahnen, fühlt man sich bisweilen auch an
apokalyptische Endzeitszenarien der Marke MAD MAX erinnert. Auffällig
ist dabei immer wieder eine ungemein starke Symbolik: Als Macer nach ihrem ersten
Einsatz unter der Dusche steht und sich erschöpft das Blut vom
Körper wäscht, dann beschreibt das ihre ganze Situation innerhalb
nur weniger Sekunden und ist zugleich auch finsterer Vorbote aller
schrecklichen Ereignisse, die noch folgen werden. Später steht sie
dann auf einem Häuserdach, um sich ein „Feuerwerk“ anzusehen,
und wird Zeuge, wie rot glühende Geschütze den Nachthimmel erhellen
- eine eben so simple wie effektive Veranschaulichung der Tatsache,
dass die Gewalt an diesem Teil der Erde nicht nur längst zum Alltag
gehört, sondern sich bereits unauslöschlich etabliert hat.
Das Mittendrin statt nur dabei-Gefühl, das SICARIO vermittelt, ist beachtlich und erreicht seinen Höhepunkt in dem Moment, als das amerikanische
Team an der Grenzstation von Júarez in einem Stau eingepfercht ist
und plötzlich jeder Insasse der umliegenden Fahrzeuge eine Waffe auf
die Männer zu richten scheint. Die Nerven sind bis zum Zerreißen
gespannt, jede falsche Bewegung könnte ein gewaltiges Massaker zur
Folge haben. Die hier aufgebaute Dramatik ist von immenser Intensität, das in der Luft liegende Unheil förmlich greifbar und die Erregung der Protagonisten scheint auch
der Zuschauer bis in die Haarspitzen zu spüren. Es sind Augenblicke
wie dieser, die SICARIO zu einem Erlebnis machen, dessen Sogwirkung
man sich kaum entziehen kann. Dass
der Kreislauf aus Blut und Brutalität nicht zu durchbrechen ist, ist
die Quintessenz, auf die schließlich alles hinauslaufen wird und die
in einer nicht unbedingt erbaulichen, wenngleich großartigen
Schlussszene auf den Punkt gebracht wird. „Du wirst hier nicht
überleben“, heißt es am Ende, „denn du bist kein Wolf. Und dies ist jetzt das Land der Wölfe.“
Laufzeit: 121 Min. / Freigabe: ab 16
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