USA 2023
Regie:
John Woo
Darsteller:
Joel Kinnaman,
Kid Cudi,
Catalina Sandino Moreno,
Harold Torres,
Vinny O’Brien,
Yoko Hamamura,
Valeria Santaella,
Angeles Woo
„...“
Inhalt:
Brian Godlock [Joel Kinnaman] hat so ziemlich alles, was man zum Glücklichsein braucht: Frau, Kind und einen extrem hässlichen Weihnachtspulli. Doch ausgerechnet am Fest der Liebe wird diese Idylle zerstört: Als sich direkt vor seiner Haustür zwei Straßen-Gangs bekriegen, bekommt sein Sohn einen Querschläger ab und stirbt noch an Ort und Stelle. Rasend vor Zorn und Trauer jagt Brian den Gangstern in einer Spontanreaktion hinterher – und bekommt selbst eine Kugel ab. Er überlebt. Aber sein Sprachzentrum ist zerstört. Und sein Leben natürlich auch. Spätestens, als auch seine Frau ihn verlässt, reift in ihm ein neuer Daseinszweck: die Vernichtung der Straßen-Gangs. Und des Mörders seines Sohnes.
Kritik:
In der Film-Branche reicht es in seltenen Fällen bereits aus, ein außergewöhnliches Konzept vorlegen zu können, um Produktionsgelder bewilligt zu bekommen. Beispiele: Ein Jugenddrama in Echtzeit und einer einzigen Einstellung ohne Schnitt. Ein Ballerfilm komplett aus subjektiver Sicht. Ein Actionfilm, der ausschließlich in einem Hotelzimmer spielt. Bei SILENT NIGHT dürfte es ähnlich abgelaufen sein. Die Idee: Ein Rachefilm, der vollkommen auf Dialoge verzichtet und seine Geschichte ausschließlich anhand seiner Bilder erzählt. Damit die Sprachlosigkeit des Protagonisten auch plausibel erscheint, bekommt dieser bereits nach wenigen Minuten eine Kugel in den Kehlkopf geballert und wird vom Täter als vermeintlich verblichen zurückgelassen. Da SILENT NIGHT aber eben kein Kurzfilm ist, überlebt der bis dahin glückliche Familienvater die Prozedur und wird im Krankenhaus so weit es geht wieder zusammengeflickt. Das behelfsfreie Gehen funktioniert nach geraumer Zeit zwar wieder, der Kirchenchor wird in Zukunft allerdings auf ihn verzichten müssen.
Dass das alles tatsächlich auch ohne Worte verständlich ist, liegt daran, dass das Publikum mit Film-Sprache und Genre-Schablonen bereits hinreichend vertraut ist. Schließlich werden immer wieder dieselben Muster und Methoden verwendet, um Geschichten an Mann und Frau zu bringen. So häufig und so repetitiv, dass begleitende Verbalisierungen in der Tat oftmals sogar banal oder obsolet wirken. Um die Pointe vorwegzunehmen: Funktionieren tut es im Falle SILENT NIGHTs dennoch nicht - in erster Linie, weil man es nicht geschafft hat, das eigene Konzept konsequent durchzuziehen. Dass die Hauptfigur keinen Mucks von sich gibt, ist im Rahmen der Handlung hinreichend und nachvollziehbar erklärt. Aber dass auch der Rest der Welt überwiegend die Klappe hält und sich stattdessen meist nur blasierte Blicke zuwirft, wirkt völlig befremdlich. Entscheidend ist dabei das Wort „überwiegend“. Denn wäre wenigstens diese Idee eisern durchgezogen, könnte man das zumindest als eigenwilligen künstlerischen Kniff akzeptieren. Aber so ist es eben nicht: Hin und wieder fallen nämlich doch schon mal ein paar knappe Sätze – wenn auch mit einem Dämmungseffekt unterlegt, weswegen es nun so klingt, als befände sich der Sprechende irgendwo im Nebenraum. Das ergibt in seiner Gesamtheit dann tatsächlich gar keinen Sinn mehr, sodass man den Eindruck gewinnt, SILENT NIGHT habe sich hin und wieder vor seinem eigenen Dogma erschrocken. Dass Radiomeldungen, Polizeifunk und Trainingsvideos ebenfalls mit Sprache versehen sind, erscheint hingegen durchaus stimmig (höhö!).
So steht dann am Ende ausgerechnet das, was man sich so selbstsicher als Alleinstellungsmerkmal auf die Fahne geschrieben hat, SILENT NIGHT im Weg. Das ist vor allem deswegen fatal, weil man auf inhaltlicher Ebene kaum Punkte sammeln kann. Streng nach Schema F arbeitet das Drehbuch die einzelnen Stationen und Entwicklungsstufen ab, frei von Innovation und Idee. Rückblende um Rückblende muss der Zuschauer zu Beginn über sich ergehen lassen, obwohl er schon längst begriffen hat, dass Brian Godlock einst, als er noch mit seinem Sohn im Garten herumtoben durfte, nahezu kriminell glücklich war. Dass seine Frau ihn schließlich verlässt, ist zwar nicht sonderlich nett, aber als entscheidender Tropfen zu viel im Fass natürlich von Bedeutung: Kind weg, Kehlkopf weg, und dann kratzt auch noch die Angetraute die Kurve. Da muss man ja zum Killer werden! Dass Brian beschließt, die böse Brut direkt an Weihnachten, also ein Jahr nach dem Tod seines Sohnes, zu den Ahnen zu schicken, ist natürlich auf emotionaler Ebene enorm effektiv, aber auch unsinnig: Was für ein dusseliger Plan ist es denn bitte, eine komplette Gang an nur einem einzigen Tag auszuschalten? Dann beginnt das übliche Prozedere, überwiegend bestehend aus Krafttraining, Schießübungen und Selbstverteidigungskursen (wobei das zumindest zum Teil verzichtbar erscheint, denn Action-Held-Qualitäten brachte der durchtrainierte Brian bereits vor seiner Schussverletzung mit, wenn er behände über Motorhauben hechtet).
In Sachen Stil und Atmosphäre gemahnt das nicht selten an den Übervater aller Selbstjustiz-Filme, nämlich DEATH WISH (1974), welcher den von Charles Bronson verkörperten Protagonisten auf seiner Reise vom Normalo zum Racheengel verfolgte. Auch hier wird die entwurzelte Hauptfigur während ihrer Streifzüge durch die Stadt immer mehr und mehr von der Lust gekitzelt, dem zahlreich vorhandenen Gesindel ein für alle Mal den Garaus zu machen. Die Zeit, die vergeht, bis der ehemalige Spießbürger dann tatsächlich seinen ersten Menschen über den Jordan schickt, ist dabei durchaus unterhaltsam und weitestgehend interessant aufbereitet (Wann er dabei zwischenzeitlich auch zum Fesselungskünstler geworden ist, der die Schurkenschaft schick verschnürt von der Zimmerdecke baumeln lassen kann, hätte man allerdings schon ganz gern mal gewusst). Anlog zur altbackenen Story fallen diesbezüglich allerdings auch einige Klischees ins Auge, teils so abgestanden, dass sie schon bedenklich an der Kante zur unfreiwilligen Karikatur kratzen. Das betrifft vor allem die ausschließlich aus Latinos bestehenden Straßenbanden, die ihre Freizeit scheinbar vorzugsweise damit verbringen, aus fahrenden Autos zu hängen, um dergestalt bleiverspitzend durch die Vororte zu rasen. Und wann immer sich die Mitglieder gegenseitig kontaktieren, ist der Angerufene gerade damit beschäftigt, irgendjemanden zu schlagen, zu foltern oder kaltzumachen. Wenn dann schließlich auf offener Straße ein Bandenkrieg ausbricht, weckt das sogar Assoziationen zum wirklich extrem stupiden DEATH WISH III (1985), der einst jedweden Realitätsbezug über Bord warf und die Pflaster Amerikas als permanente Schlachtfelder in Szene setzte.
Apropos „in Szene setzen“: Dass die Inszenierung SILENT NIGHTs von einem Altmeister des Actionfilms vorgenommen wurde, sieht man dem Ergebnis kaum an. John Woo, der sechs Jahre nach dem missglückten MANHUNT wieder Regie führte, verzichtete hier nämlich nahezu komplett auf all jene Mechanismen, für die er berühmt geworden war, mehr noch: Er verkehrte sie bisweilen sogar ins Gegenteil. Statt der tänzerischen Eleganz früherer Werke dominiert hier die ungeschlachte Rauferei, wenn man sich durch Küche, Keller und Garage kloppt und dafür so ziemlich alles zweckentfremdet, was einem spontan in die Finger fällt. Speziell das Finale macht allerdings durchaus was her und versöhnt sogar mit manchem Defizit: In nahezu surrealer Umgebung, der zu einer Art psychedelischer Diskothek umgebauten Behausung des Ober-Bösewichts, haut man sich da gegenseitig die Kugeln um die Ohren, was wirkt, als befände man sich gerade inmitten eines verschwitzten Fiebertraums. Fans von John Woo werden seinen ikonischen Inszenierungs-Stil vielleicht vermissen. Schlecht umgesetzt ist das alles dennoch nicht.
Überragend wäre SILENT NIGHT wohl in keinem Fall geworden. Selbst, wenn der Schweigsamkeits-Gimmick aufgegangen wäre, müsste man immer noch die sträflich ausgetrampelten Story-Pfade sowie die stupiden Stereotypen ins Feld führen. Mehr drin gewesen wäre allerdings dennoch, denn vieles wirkt schlichtweg nicht zu Ende gedacht. So lässt sich Brian Godlock z. B. seinen Wagen mit Panzerplatten spicken und unternimmt riskante Fahrmanöver auf der Übungsstrecke, ohne dass es später irgendeine zwingende Relevanz hätte. Dabei hätte man gerade hier die Klischees zur Tugend machen und den einsamen Rächer am Ende zu einer Art dunklen Superhelden der Marke THE PUNISHER umdeuten können, an welchen die Sache hin und wieder durchaus erinnert – wenn auch eben lediglich in der Light-Variante. So besitzt SILENT NIGHT am Ende kaum eigene Persönlichkeit, wirkt wie eine mundfaule Mischung aus Teil 1 und 3 von DEATH WISH, DEATH SENTENCE von 2007 (in dem ebenfalls ein Durchschnittstyp zum Vigilanten wird) und eben THE PUNISHER. Ein Totalausfall sieht freilich trotzdem anders aus. Generell funktioniert Weihnachts-Action ja immer ziemlich gut, da sich Blut und Schnee so schön vermischen können. Nicht jedes Mal muss es dabei ein Geniestreich wie STIRB LANGSAM oder THE LONG KISS GOODNIGHT sein. SILENT NIGHT fuhrwerkt nur in Zweiter Reihe. Aber das macht er eigentlich ganz anständig. Und der obligatorische Tauben-Gag (der irgendwann fester Bestandteil eines jeden Woo-Werkes wurde) ist dieses Mal ausnahmsweise sogar richtig lustig. Und nein: Der Gag ist nicht, dass die Taube dieses Mal eine Stumme ist. Herrje ...
Laufzeit: 105 Min. / Freigabe: ab 18