Montag, 18. Dezember 2023

SILENT NIGHT - STUMME RACHE


SILENT NIGHT
USA 2023

Regie:
John Woo

Darsteller:
Joel Kinnaman,
Kid Cudi,
Catalina Sandino Moreno,
Harold Torres,
Vinny O’Brien,
Yoko Hamamura,
Valeria Santaella,
Angeles Woo



„...“


Inhalt:

Brian Godlock [Joel Kinnaman] hat so ziemlich alles, was man zum Glücklichsein braucht: Frau, Kind und einen extrem hässlichen Weihnachtspulli. Doch ausgerechnet am Fest der Liebe wird diese Idylle zerstört: Als sich direkt vor seiner Haustür zwei Straßen-Gangs bekriegen, bekommt sein Sohn einen Querschläger ab und stirbt noch an Ort und Stelle. Rasend vor Zorn und Trauer jagt Brian den Gangstern in einer Spontanreaktion hinterher – und bekommt selbst eine Kugel ab. Er überlebt. Aber sein Sprachzentrum ist zerstört. Und sein Leben natürlich auch. Spätestens, als auch seine Frau ihn verlässt, reift in ihm ein neuer Daseinszweck: die Vernichtung der Straßen-Gangs. Und des Mörders seines Sohnes.

Kritik:

In der Film-Branche reicht es in seltenen Fällen bereits aus, ein außergewöhnliches Konzept vorlegen zu können, um Produktionsgelder bewilligt zu bekommen. Beispiele: Ein Jugenddrama in Echtzeit und einer einzigen Einstellung ohne Schnitt. Ein Ballerfilm komplett aus subjektiver Sicht. Ein Actionfilm, der ausschließlich in einem Hotelzimmer spielt. Bei SILENT NIGHT dürfte es ähnlich abgelaufen sein. Die Idee: Ein Rachefilm, der vollkommen auf Dialoge verzichtet und seine Geschichte ausschließlich anhand seiner Bilder erzählt. Damit die Sprachlosigkeit des Protagonisten auch plausibel erscheint, bekommt dieser bereits nach wenigen Minuten eine Kugel in den Kehlkopf geballert und wird vom Täter als vermeintlich verblichen zurückgelassen. Da SILENT NIGHT aber eben kein Kurzfilm ist, überlebt der bis dahin glückliche Familienvater die Prozedur und wird im Krankenhaus so weit es geht wieder zusammengeflickt. Das behelfsfreie Gehen funktioniert nach geraumer Zeit zwar wieder, der Kirchenchor wird in Zukunft allerdings auf ihn verzichten müssen.

Dass das alles tatsächlich auch ohne Worte verständlich ist, liegt daran, dass das Publikum mit Film-Sprache und Genre-Schablonen bereits hinreichend vertraut ist. Schließlich werden immer wieder dieselben Muster und Methoden verwendet, um Geschichten an Mann und Frau zu bringen. So häufig und so repetitiv, dass begleitende Verbalisierungen in der Tat oftmals sogar banal oder obsolet wirken. Um die Pointe vorwegzunehmen: Funktionieren tut es im Falle SILENT NIGHTs dennoch nicht - in erster Linie, weil man es nicht geschafft hat, das eigene Konzept konsequent durchzuziehen. Dass die Hauptfigur keinen Mucks von sich gibt, ist im Rahmen der Handlung hinreichend und nachvollziehbar erklärt. Aber dass auch der Rest der Welt überwiegend die Klappe hält und sich stattdessen meist nur blasierte Blicke zuwirft, wirkt völlig befremdlich. Entscheidend ist dabei das Wort „überwiegend“. Denn wäre wenigstens diese Idee eisern durchgezogen, könnte man das zumindest als eigenwilligen künstlerischen Kniff akzeptieren. Aber so ist es eben nicht: Hin und wieder fallen nämlich doch schon mal ein paar knappe Sätze – wenn auch mit einem Dämmungseffekt unterlegt, weswegen es nun so klingt, als befände sich der Sprechende irgendwo im Nebenraum. Das ergibt in seiner Gesamtheit dann tatsächlich gar keinen Sinn mehr, sodass man den Eindruck gewinnt, SILENT NIGHT habe sich hin und wieder vor seinem eigenen Dogma erschrocken. Dass Radiomeldungen, Polizeifunk und Trainingsvideos ebenfalls mit Sprache versehen sind, erscheint hingegen durchaus stimmig (höhö!).

So steht dann am Ende ausgerechnet das, was man sich so selbstsicher als Alleinstellungsmerkmal auf die Fahne geschrieben hat, SILENT NIGHT im Weg. Das ist vor allem deswegen fatal, weil man auf inhaltlicher Ebene kaum Punkte sammeln kann. Streng nach Schema F arbeitet das Drehbuch die einzelnen Stationen und Entwicklungsstufen ab, frei von Innovation und Idee. Rückblende um Rückblende muss der Zuschauer zu Beginn über sich ergehen lassen, obwohl er schon längst begriffen hat, dass Brian Godlock einst, als er noch mit seinem Sohn im Garten herumtoben durfte, nahezu kriminell glücklich war. Dass seine Frau ihn schließlich verlässt, ist zwar nicht sonderlich nett, aber als entscheidender Tropfen zu viel im Fass natürlich von Bedeutung: Kind weg, Kehlkopf weg, und dann kratzt auch noch die Angetraute die Kurve. Da muss man ja zum Killer werden! Dass Brian beschließt, die böse Brut direkt an Weihnachten, also ein Jahr nach dem Tod seines Sohnes, zu den Ahnen zu schicken, ist natürlich auf emotionaler Ebene enorm effektiv, aber auch unsinnig: Was für ein dusseliger Plan ist es denn bitte, eine komplette Gang an nur einem einzigen Tag auszuschalten? Dann beginnt das übliche Prozedere, überwiegend bestehend aus Krafttraining, Schießübungen und Selbstverteidigungskursen (wobei das zumindest zum Teil verzichtbar erscheint, denn Action-Held-Qualitäten brachte der durchtrainierte Brian bereits vor seiner Schussverletzung mit, wenn er behände über Motorhauben hechtet).

In Sachen Stil und Atmosphäre gemahnt das nicht selten an den Übervater aller Selbstjustiz-Filme, nämlich DEATH WISH (1974), welcher den von Charles Bronson verkörperten Protagonisten auf seiner Reise vom Normalo zum Racheengel verfolgte. Auch hier wird die entwurzelte Hauptfigur während ihrer Streifzüge durch die Stadt immer mehr und mehr von der Lust gekitzelt, dem zahlreich vorhandenen Gesindel ein für alle Mal den Garaus zu machen. Die Zeit, die vergeht, bis der ehemalige Spießbürger dann tatsächlich seinen ersten Menschen über den Jordan schickt, ist dabei durchaus unterhaltsam und weitestgehend interessant aufbereitet (Wann er dabei zwischenzeitlich auch zum Fesselungskünstler geworden ist, der die Schurkenschaft schick verschnürt von der Zimmerdecke baumeln lassen kann, hätte man allerdings schon ganz gern mal gewusst). Anlog zur altbackenen Story fallen diesbezüglich allerdings auch einige Klischees ins Auge, teils so abgestanden, dass sie schon bedenklich an der Kante zur unfreiwilligen Karikatur kratzen. Das betrifft vor allem die ausschließlich aus Latinos bestehenden Straßenbanden, die ihre Freizeit scheinbar vorzugsweise damit verbringen, aus fahrenden Autos zu hängen, um dergestalt bleiverspitzend durch die Vororte zu rasen. Und wann immer sich die Mitglieder gegenseitig kontaktieren, ist der Angerufene gerade damit beschäftigt, irgendjemanden zu schlagen, zu foltern oder kaltzumachen. Wenn dann schließlich auf offener Straße ein Bandenkrieg ausbricht, weckt das sogar Assoziationen zum wirklich extrem stupiden DEATH WISH III (1985), der einst jedweden Realitätsbezug über Bord warf und die Pflaster Amerikas als permanente Schlachtfelder in Szene setzte.

Apropos „in Szene setzen“: Dass die Inszenierung SILENT NIGHTs von einem Altmeister des Actionfilms vorgenommen wurde, sieht man dem Ergebnis kaum an. John Woo, der sechs Jahre nach dem missglückten MANHUNT wieder Regie führte, verzichtete hier nämlich nahezu komplett auf all jene Mechanismen, für die er berühmt geworden war, mehr noch: Er verkehrte sie bisweilen sogar ins Gegenteil. Statt der tänzerischen Eleganz früherer Werke dominiert hier die ungeschlachte Rauferei, wenn man sich durch Küche, Keller und Garage kloppt und dafür so ziemlich alles zweckentfremdet, was einem spontan in die Finger fällt. Speziell das Finale macht allerdings durchaus was her und versöhnt sogar mit manchem Defizit: In nahezu surrealer Umgebung, der zu einer Art psychedelischer Diskothek umgebauten Behausung des Ober-Bösewichts, haut man sich da gegenseitig die Kugeln um die Ohren, was wirkt, als befände man sich gerade inmitten eines verschwitzten Fiebertraums. Fans von John Woo werden seinen ikonischen Inszenierungs-Stil vielleicht vermissen. Schlecht umgesetzt ist das alles dennoch nicht.

Überragend wäre SILENT NIGHT wohl in keinem Fall geworden. Selbst, wenn der Schweigsamkeits-Gimmick aufgegangen wäre, müsste man immer noch die sträflich ausgetrampelten Story-Pfade sowie die stupiden Stereotypen ins Feld führen. Mehr drin gewesen wäre allerdings dennoch, denn vieles wirkt schlichtweg nicht zu Ende gedacht. So lässt sich Brian Godlock z. B. seinen Wagen mit Panzerplatten spicken und unternimmt riskante Fahrmanöver auf der Übungsstrecke, ohne dass es später irgendeine zwingende Relevanz hätte. Dabei hätte man gerade hier die Klischees zur Tugend machen und den einsamen Rächer am Ende zu einer Art dunklen Superhelden der Marke THE PUNISHER umdeuten können, an welchen die Sache hin und wieder durchaus erinnert – wenn auch eben lediglich in der Light-Variante. So besitzt SILENT NIGHT am Ende kaum eigene Persönlichkeit, wirkt wie eine mundfaule Mischung aus Teil 1 und 3 von DEATH WISH, DEATH SENTENCE von 2007 (in dem ebenfalls ein Durchschnittstyp zum Vigilanten wird) und eben THE PUNISHER. Ein Totalausfall sieht freilich trotzdem anders aus. Generell funktioniert Weihnachts-Action ja immer ziemlich gut, da sich Blut und Schnee so schön vermischen können. Nicht jedes Mal muss es dabei ein Geniestreich wie STIRB LANGSAM oder THE LONG KISS GOODNIGHT sein. SILENT NIGHT fuhrwerkt nur in Zweiter Reihe. Aber das macht er eigentlich ganz anständig. Und der obligatorische Tauben-Gag (der irgendwann fester Bestandteil eines jeden Woo-Werkes wurde) ist dieses Mal ausnahmsweise sogar richtig lustig. Und nein: Der Gag ist nicht, dass die Taube dieses Mal eine Stumme ist. Herrje ...

Laufzeit: 105 Min. / Freigabe: ab 18 

Donnerstag, 14. Dezember 2023

NOTWEHR


ZHUI BU
China, Hongkong 2017

Regie:
John Woo

Darsteller:
Zhan Hanyu,
Masaharu Fukuyama,
Ha Ji-won,
Angeles Woo,
Jun Kunimura,
Nanami Sakuraba,
Stephy Qi Wei,
Ikeuchi Hiroyuki



Inhalt:

Du Qiu [Zhang Hanyu], Rechtsanwalt mit Erfolgshintergrund, beschließt, seine Arbeit für den japanischen Pharma-Konzern Tenjin an den Nagel zu hängen und zwecks neuen Jobs in die USA auszuwandern. Seine Pläne zerschlagen sich auf grauenhafte Art: Nach einer großen Firmenfeier, die seinen Abschied markieren sollte, erwacht er neben einer unbekannten Frau. Das Problem dabei: Sie ist tot. Ermordet. Alles deutet dabei so eindeutig auf ihn als Täter hin, dass er sich in einer Panik-Reaktion dem Polizei-Zugriff entzieht und in einer spektakulären Aktion die Kurve kratzt. Von nun an hat Qiu keine ruhige Minute mehr. Denn nicht nur der ehrgeizige Polizist Satoshi Yamura [Masaharu Fukuyama] heftet sich an seine Fersen. Auch die beiden Attentäterinnen Rain [Ha Ji-won] und Dawn [Angeles Woo] wollen ihm in unbekanntem Auftrage ans Leder.

Kritik:

Seinen Ruf als bester Action-Regisseur aller Zeiten wird Woo Yu-sen nicht mehr los. Das verdankt der als John Woo bekannt gewordene chinesisch-stämmige Filmschaffende vor allem drei Werken, die allesamt in Hongkong entstanden: Der Gangster-Ballade A BETTER TOMMOROW (1986), die noch relativ wenig Feuerzauber fabrizierte, dem Attentäter-Opus THE KILLER (1989), das eine bleihaltige Männerfreundschaft für die Ewigkeit erschuf, und schließlich dem Mani(schlacht)fest HARD-BOILED (1992), einem wahren Inferno aus Kugeln und Körpern, das lange Zeit als Maßstab für die Inszenierung virtuoser Action galt. Sein späteres Wirken in Hollywood wurde erst von der Kritik, dann auch vom Publikum eher verhalten aufgenommen, was schließlich in einigen Flops mündete, nicht immer nur finanzieller Natur. Mit dem (nun wieder in seiner Heimat gedrehten) Kriegs-Epos RED CLIFF (2008) konnte er zwar einen erneuten Erfolg verbuchen, aber historische Schlachten sind nun einmal nicht das, was man mit dem Namen des Regisseurs verbindet. Nachdem THE CROSSING (2014) weltweit fast einhellig ignoriert wurde, lag alle Aufmerksamkeit auf seinem Nachfolge-Projekt MANHUNT. Die abermalige Adaption eines bereits 1976 verfilmten Romans, so hofften viele, würde alte Woo-Tugenden wiederaufleben lassen.

NOTWEHR, wie das Werk in Deutschland getauft wurde, beginnt dann auch ungemein vielversprechend, wenn der Protagonist, Anwalt Du Qiu, ein altes japanisches Restaurant betritt und an der Theke zwanglos mit dessen Besitzerin ins Gespräch kommt. Alles an diesem Ort erinnere ihn an alte Filme, sinniert er. Die Dame, offenbar ebenfalls mit einer gewissen Leidenschaft für die Wunder der Leinwand unterwegs, beginnt daraufhin damit, Film-Zitate zum Besten zu geben, und man attestiert einander, wie viel besser das Kino früher doch war (was fraglos auch als sarkastischer Kommentar zum Schaffen Woos zu verstehen ist). Die traute, fast schon intime Zwietracht wird jäh gestört, als ein paar rüpelige Anzugträger das Etablissement betreten und anfangen, Stress zu machen. Qiu bietet der Frau seine Hilfe an, was von ihr freundlich, aber bestimmt abgelehnt wird. Als Qiu das Lokal kurz verlässt, schiebt sie die Tür hinter ihm zu, zückt zusammen mit ihrer Kollegin das Schießeisen und beginnt zu beschwingter Stimmungsmusik, die unfreundlichen Herren zurück zu den Ahnen zu schicken.

Dieser stimmungsvolle Auftakt macht auch deswegen Laune, weil er wohlige Assoziationen zu weiteren artverwandten Werken erwecken kann. Das Setting erinnert auf Anhieb an Johnny Tos fast vergessenen A HERO NEVER DIES (1998), der ebenfalls zu großen Teilen in rustikaler Schankraum-Umgebung spielt, die Ankunft der grobschlächtigen Gesellen gemahnt an die Kneipen-Szene aus Robert Rodriguez’ DESPERADO (1995), während das sympathische Zitier-Spiel die Filmverliebtheit eines Quentin Tarantino [→ KILL BILL] oder auch Wong Kar-Wai [→ THE GRANDMASTER] wiederspiegelt. Wenn zum Ende des Segments schließlich die Pistolen sprechen, um, wie von Woo einst selbst kultiviert, die Unholde in tänzerisch choreographierter Zeitlupe den Löffel reichen zu lassen, wirkt das fast nur noch wie eine notwendige Pflichtübung, um der Erwartungshaltung des Publikums Genüge zu tun.

Dass die gesamte Sequenz für den Rest der Handlung inhaltlich ohne Belang ist, spielt dabei keine Rolle. Immerhin wird Qiu hier als Hauptfigur etabliert und auch die beiden Killerinnen tauchen nicht zum letzten Male auf. Was dann folgt, unterscheidet sich jedoch auch stilistisch sehr stark, wenn man von der eher dörflichen Kuschel-Kulisse unversehens ins Milieu der Hochfinanz wechselt, in die Welt der schicken Klamotten und rauschenden Firmenfeiern, in welcher sich Qiu mühelos und selbstsicher bewegt. Erst, als er buchstäblich über Nacht zum Hauptverdächtigen eines Mordes wird, agiert er erstaunlich kopflos, entzieht sich seiner Verhaftung und liefert sich eine halsbrecherische Hetzjagd mit der Polizei. Das erscheint nicht unbedingt plausibel, da hier ja eben kein Otto Normalverbraucher des Verbrechens bezichtigt wird, sondern ein erfolgreicher, zudem als besonnen und nachdenklich eingeführter Anwalt, der seine Unschuld im weiteren Verlaufe gewiss höchstselbst unter Beweis hätte stellen können. Aber da der Plot ja irgendwie ins Rollen kommen muss, entscheidet sich Qiu für die deutlich spektakulärere Variante der Verfolgung, weswegen sein Kontrahent, der Polizist Satoshi Yamura, nun endlich auf die Bühne darf. Ähnlich, wie es bereits bei Qiu der Fall war, wird auch dieser mittels eines Szenarios vorgestellt, das völlig losgelöst vom Rest des Geschehens im luftleeren Raume schwebt, wenn sich der Gesetzeshüter als tollkühner Reporter ausgibt, um auf reichlich unkonventionelle Art eine Geiselnahme zu beenden (prägendes Element dabei: ein beherzter Tritt in des Gegenübers Kronjuwelen). Auf einer Mega-Baustelle kommt es im Anschluss zur Konfrontation mit dem flüchtigen Qiu, der dabei nicht unbedingt sympathisch rüberkommt, wenn er zum Zwecke des wiederholten Entkommens Satoshis Kollegin mit der Nagelpistole bedroht.

Zwischen beiden Parteien entwickelt sich nachfolgend das obligatorische Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Qiu regelmäßig entkommen kann, während Satoshi im Ausgleich dazu nicht locker lässt und ihn immer wieder aufspürt. Da der Polizist nach privaten Ermittlungen zu dem Schluss gelangt, dass der Mann, den er jagt, eigentlich unschuldig ist, erinnert das überdeutlich an den Nachstellungs-Klassiker AUF DER FLUCHT, bei dem das genauso war. Mit den früheren Werken John Woos hingegen, so schält sich bald heraus, hat das – bis auf ein paar dezente Referenzen – kaum noch was am Hut. Deren Genialität bestand nämlich eigentlich in der ungenierten Einbindung zügelloser Rittermythen-Romantik, welche den Gewaltausbrüchen nicht nur gleichberechtigt gegenüberstand, sondern sie sogar bedingte. Die Feuergefechte, die Massendestruktionen, das Bluten und das Sterben waren stets zwingende Quintessenz innerer Martyrien in einer fatalistischen Welt, in der das eine nicht ohne das andere existieren konnte. Hier hingegen passiert die Action einfach so, um ihrer selbst willen, ohne nachvollziehbare Notwendigkeit. Und auch das Motiv der ehernen Männerfreundschaft, notfalls über den Tod hinaus, ehemals ebenfalls essentielles Element in Woos Schaffen, spielt in MANHUNT keine Rolle. Denn wenn Jäger und Gejagter sich hier schließlich zusammenraufen, entsteht daraus kein Bund fürs Leben, sondern eine legere Zweckgemeinschaft, die im Zweifelsfalle nicht länger anhält als bis kurz vor Einsetzen des Abspanns. Eine empathische Einbindung des Publikums passiert dabei nicht eine Sekunde lang.

Das gilt auch in Bezug auf die zahlreichen weiteren Gefühlskomponenten, die hier so großzügig ins Spiel gebracht werden. So lernt Qiu eine Frau kennen, deren Verlobter sich das Leben nahm, nachdem er vor Gericht gegen Qiu unterlag. Doch auch Satoshi trägt innerlich Trauer, da seine Angetraute ebenfalls einen frühzeitigen Tod fand. Dessen junge Kollegin indes leidet darunter, von ihm nicht ausreichend ernstgenommen zu werden. Und dann sind da noch die beiden Auftragsmörderinnen aus der Anfangssequenz, die ebenfalls hin und wieder mal auftauchen, Anschläge verüben und dabei irgendwie Dämonen aus ihrer Vergangenheit mit sich herumtragen. Involvieren kann das alles nicht, da stets nur an der Oberfläche gekratzt wird und die Figuren nicht lebendig wirken. Bleibt dann am Ende also doch nur die Action. Und die kann sich überwiegend sehen lassen. Vor allem eine Mittelsequenz überzeugt auf ganzer Linie, wenn Qiu und Satoshi sich auf einem Farmgelände verschanzen und zwischen wiehernden Pferden ein waffenstarrendes Duell mit einer motorisierten Mörderbande austragen. Eine frühere Verfolgungsjagd per Jetski wirkt hingegen eher albern, während sich auf offener Straße überschlagende Autos durchaus Schauwerte bieten (natürlich mit der obligatorischen, realitätsinkompatiblen Explosion zum Ausklang). Dennoch – und das ist das Tragische – hat auch die Action schlichtweg nicht von Bumms von damals. Waren Woo-Werke diesbezüglich in den 1980er- und teils 1990er-Jahren noch pure Perfektion und Maß aller Dinge, ziehen Nachahmer wie JOHN WICK zwischenzeitlich locker an dem vorbei, was MANHUNT zu bieten hat.

Davon, dass man es hier eigentlich mit dem Großmeister zu tun hat, zeugen nur noch zarte Selbstzitate wie beidhändiges Ballern, plötzlich einfrierende Bilder oder fließende Szenen-Übergänge. Die Konstellation Flüchtiger+Polizist ist eine entzahnte Replik von THE KILLER, das Finale erinnert aufgrund des Klinik-Schauplatzes entfernt an das Krankenhaus-Massaker HARD-BOILEDs. Allerdings wirken diese Querverweise überwiegend wie Nadelstiche, rufen sie einem doch immer wieder ins Gedächtnis zurück, wie deutlich überlegen die Vorbilder sind. Stattdessen erinnert MANHUNT über weite Strecken eher an Woos US-Produktion PAYCHECK, die alles andere als ein Ruhmesblatt war. Und auch, was als humorvolle Hommage gedacht war, geht behende ins Beinkleid: Seit Woo die Schauplätze THE KILLERs mit Scharen an Tauben bevölkerte, gelten diese als sein unumstößliches Markenzeichen. Bei dem mit religiösen Metaphern aufgeladenen Spektakel ergab das in Hinblick auf den Bedeutungshintergrund des Tieres auch fraglos Sinn. Danach jedoch wurde das gurrende Federvieh zum gegenstandslosen Gimmick, was hier seinen augenrollenauslösenden Negativ-Höhepunkt findet.

Wer trotz allem die Hoffnung in sich trug, das Finale könne das Ruder gewiss noch herumreißen, der wird böse abgestraft. Tatsächlich nämlich passiert genau das Gegenteil. Nicht nur, dass MANHUNT auf den letzten Metern einen halben Genre-Wechsel vollzieht, wird es dabei inhaltlich auch noch dermaßen absurd, dass es dem Gesamtbild nachhaltigen Schaden zufügt. So bleibt am Ende dann wirklich kaum noch etwas Positives zu sagen. Einzelne Momente sind durchaus sehenswert, aber stimmig zusammenfügen will sich das alles nicht. Vor allem der halbgar ins Skript gedoktorte Kriminalfall ist völlig uninteressant und letztendlich auch nicht das, was man in einem John-Woo-Film sehen möchte. Rätselraten und Mördersuche, so etwas können andere Anbieter besser. Und als gelte es, der Misere noch die Krone aufs Haupte zu setzen, ist auch die Akustik überwiegend grauenhaft. Aus unerfindlichen Gründen entschied man sich nämlich dafür, die asiatischen Darsteller zu großen Teilen Englisch sprechen zu lassen. Dabei hat man an einem guten Sprachtrainer offenbar ebenso gespart wie an einem guten Übersetzer. Infolgedessen radebrechen sich die Figuren nun in heiliger Angestrengtheit, die korrekten Töne zu treffen, emotionslos durch stocksteife Dialogzeilen, was die Darsteller schlechter wirken lässt, als sie es wohl eigentlich sind. Eine anständige Synchronfassung hätte hier wohl Abhilfe schaffen können. Das Problem: Es gibt keine (Gut, jedenfalls keine deutschsprachige. Zumindest die Franzosen haben sich eine gegönnt).

NOTWEHR mit Ladehemmung! Inhaltlich zerfahren und ohne rechtes Konzept von Station zu Station stolpernd, kann man zumindest konzedieren, dass man sich nicht der Verbreitung von Langeweile schuldig gemacht hat. Ereignislos ist das alles nämlich nicht, Leerlauf macht sich rar und auch die Optik ist insgesamt hochwertig. Dennoch ist das alles nur gekonnte Routine, keine gelebte Leidenschaft. Und wenn dann irgendwann der Abspann rollt, denkt man ernüchtert und sogar ein wenig wehmütig zurück an die verheißungsvolle Eingangssequenz. Und an die ersten Worte, die in MANHUNT gewechselt wurden: Früher, da waren die Filme einfach viel, viel besser.

Laufzeit: 110 Min. / Freigabe: ungeprüft

Freitag, 8. Dezember 2023

TRIPLE THREAT


TRIPLE THREAT
Thailand, China, USA 2019

Regie:
Jesse V. Johnson

Darsteller:
Tony Jaa,
Iko Uwais,
Tiger Chen,
Scott Adkins,
Michael Jai White,
Michael Bisping,
Celina Jade,
Michael Wong



„Wir rennen seitwärts und schießen dabei alles zu Klump.“
(Ganz wichtig bei sowas: Immer seitwärts rennen!)

Inhalt:

Irgendwo im Dschungel Indonesiens, in einem Erdloch gefangen, hockt Collins [Scott Adkins] – einer der gefährlichsten Terroristen der Welt. Als die Söldner Payu [Tony Jaa] und Long Fei [Tiger Chen] angeheuert werden, den Mann zu befreien, ahnen sie freilich noch nicht, mit wem sie es zu tun haben. Erst nach erfolgreicher Ausführung des Auftrages offenbart der frisch Befreite sein wahres grausames Gesicht. Payu und Fei beschließen, ihren Fehler wieder gutzumachen und den flüchtigen Collins zur Strecke zu bringen. Dabei werden sie allerdings selbst verfolgt: Der ehemalige Wachmann Jaka [Iko Uwais] verlor bei der Befreiungsaktion seine Frau und sieht in den beiden Männern die Schuldigen für dieses Unglück. Während er sich von Rache getrieben auf die Jagd begibt, planen Collins und seine Gefolgsleute einen Anschlag auf die reiche Erbin Tian Xiao [Celina Jade], die vorhat, ihr Vermögen der Verbrechensbekämpfung zur Verfügung zu stellen.

Kritik:

Fans und Sympathisanten des zünftigen Körperertüchtigungs-Kinos dürften mehrheitlich der spontanen Schnappatmung anheimgefallen sein, als die Besetzungsliste TRIPLE THREATs bekannt gegeben wurde. Das testosterongeschwängerte Personal-Paket, das findige Produzenten hier in Erwartung klingender Münze zusammenschnürten, schien den feuchten Träumen freidrehender Actionfilm-Nerds entsprungen zu sein, versammelten sich hier doch tatsächlich die zu dem Zeitpunkt wohl angesagtesten Heroen der Leinwand-Keile zum großen Karneval des Knochenverbiegens: Der Thailänder Tony Jaa, der 2003 mit dem staubtrockenen ONG-BAK einen Welterfolg landete, der Kritiker Vergleiche mit goldenen Bruce-Lee-Zeiten ziehen ließ. Der Indonesier Iko Uwais, dem 2011 mit THE RAID ein wegweisendes Action-Konglomerat gelang, dessen Kompromisslosigkeit neue Maßstäbe setzte. Der chinesische Kampfkünstler Tiger Chen, Schüler von Choreographie-Koryphäe Yuen Wo Ping, welcher der breiten Öffentlichkeit 2013 durch die Hauptrolle in Keanu Reeves’ Liebeserklärung MAN OF TAI CHI bekannt wurde. Der Brite Scott Adkins, der mit Werken wie NINJA (2009) die B-Action im 80er-Jahre-Stil wieder salonfähig machte. Der ehemalige US-Karate-Champion Michael Jai White, der sich durch seine Mitwirkung bei diversen Steven-Seagal- und Jean-Claude-Van-Damme-Vehikeln seine Lorbeeren verdiente und 2009 mit BLACK DYNAMITE einen herrlich selbstironischen Beitrag zum Blaxploitation-Genre erschuf. Die thailändische Faustverteilerin Jeeja Yanin, die 2008 durch den Leinwand-Wirbelwind CHOCOLATE internationale Aufmerksamkeit erregte. Und in einer kleineren Rolle gesellte sich auch noch Hongkong-Urgestein Michael Wong [→ FIRST OPTION (1996)] zu der illustren Truppe, der wohl immer mit dem Bild des harten, aber herzlichen Polizei-Ausbilders verbunden bleiben wird (obwohl er auch etliche andere Rollen verkörperte).

Eine ganze Wagenladung an Kompetenz und Können also, welche die Erwartungshaltung in nahezu schwindelerregende Höhen schraubte. Um das Fazit vorwegzunehmen: Fans cineastischer Kinetik kommen voll auf ihre Kosten. TRIPLE THREAT tritt tüchtig aufs Gaspedal und liefert kernigen Krawall in hoher Konzentration. Vom Action-Olymp ist man dennoch meilenweit entfernt – so sehr, dass jede der aufgeführten Darsteller-Referenzen tatsächlich ungleich sehenswerter ist. Denn die pickepacke vollgepackte Stabliste ist zugleich auch das Problem: Jedem der Stars gelingt es locker, ein Werk allein zu tragen. Ihre größten Erfolge bestachen durch zweckdienlich erdachte Konfliktsituationen, die so passgenau auf den jeweiligen Akteur zugeschnitten waren, dass dieser genügend Gelegenheit dazu bekam, seine Qualifikation zur Schau zu stellen. Hier, so hat man den Eindruck, stehen sich alle irgendwie gegenseitig im Weg. Was freilich geblieben ist, ist ein alibiartiges Story-Gerüst, das teils abenteuerliche Kapriolen schlagen muss, um die zahlreichen Publikumslieblinge halbwegs anständig unter einen Hut zu bringen. Dabei ist es nur allzu offensichtlich, dass zuallererst die Action-Szenen standen und man den Rest mehr oder minder improvisiert drumherum erfinden musste. Nun erwartet hier gewiss niemand im Vorfeld eine ausgefeilte Abhandlung, aber ein bisschen mehr Feinschliff, um die ganzen losen Enden und übriggebliebenen Fragezeichen zumindest etwas zu entkräften, wäre nun wahrlich kein Hexenwerk gewesen.

Generell ging man mit Erklärungen sehr ökonomisch um: Collins ist einfach „einer der gefährlichsten Terroristen“. Sich tatsächlich etwas auszudenken, was genau der Mann denn ausgefressen haben könnte, hat die Autoren offenbar überfordert. Dessen Zielperson Tian Xiao ist einfach nur eine „Millionenerbin“, die irgendwie irgendetwas gegen das Böse unternehmen will. Was genau, weiß man nicht. Es muss aber schon was wirklich Gravierendes sein, wenn die Unterwelt so in Aufruhr gerät, dass sie einen der „gefährlichsten Terroristen“ befreit, um die Dame auszuschalten (so ein gewöhnlicher Feld-, Wald- und Wiesen-Attentäter wäre der Aufgabe natürlich nicht gewachsen gewesen). So bekommt hier jede Figur einfach ein notdürftig erdachtes Attribut auf die Stirn gepinnt, welches als Charakterisierung einfach reichen muss. Auch der Rest bleibt eher schwammiger Natur – was vor allem für das Motiv der im Hintergrund die Fäden ziehenden Auftraggeberin gilt, die sich manchmal geheimnisumwabert per Telefon bei den Terroristen meldet, um neueste Instruktionen zu erteilen. Antwortmöglichkeiten darauf, wer sie ist und was sie antreibt, sparte das Skript vollkommen aus. Wobei das im Ansatz immerhin tatsächlich effektiv ist, hat es doch was von einem weiblichen Dr. Mabuse, eine unheilvolle, über allem schwebende Macht aus dem Dunkel.

Die Söldner Payu (Tony Jaa) und Long (Tiger Chen) machen zudem auch nicht den hellsten Eindruck, wenn sie zum Auftakt Scharen an Gegnern niederstrecken und im Nachhinein dann plötzlich ein schlechtes Gewissen bekommen, da sie der irrigen Meinung waren, bei dem Metzelauftrag handele es sich eigentlich um eine ‚humanitäre Mission‘. So ein Missverständnis aber auch … (Vermutlich war in der Heilsarmee kein Platz mehr frei, sodass die beiden Menschenfreunde auf Söldner umschulen mussten.) Doch zum Glück macht auch die Terror-Truppe um Scott Adkins nicht den Eindruck, einen Kompetenzwettbewerb in Sachen Geistesleistung gewinnen zu können: Nachdem ihr die Zielperson vor einem Fernsehstudio trotz ausgiebiger (und reichlich unkoordinierter) Bleiverspritzung durch die Lappen ging (indem sie einfach davonlief), beschließt die Mörderbande völlig plan- und kopflos, die gleiche Kamikaze-Nummer direkt noch einmal bei der örtlichen Polizei-Station abzuziehen. Getreu dem Motto: Ich bin Terrorist, ich bin böse, ich muss den ganzen Tag irgendwas umnieten. 18 Uhr ist Feierabend! Warum dieser grobschlächtige Haufen (der auch im weiteren Verlauf nichts so richtig gebacken bekommt) so gefürchtet sein soll, fragt man sich dann schon. Immerhin sorgt die Aktion für reichlich Schauwert, erinnert die bleihaltige Aufmischung des Reviers doch an eine beträchtlich aufgemotzte Variante der brachialen Zerlegung eines ebensolchen im Meilenstein TERMINATOR.

Dass hier statt Faust und Fuß in erster Linie Kugeln fliegen, mag eingefleischte Fans der Darsteller freilich enttäuschen. In der Tat besitzt TRIPLE THREAT insgesamt mehr Ähnlichkeit mit dem früheren philippinischen Söldner-Kino als mit den zeitnah entstandenen Martial-Arts-Epen, aus denen die Stars ja eigentlich hervorgingen. Ein paar Schlagabtausche gibt es dennoch zu bewundern. So passiert das erste Zusammentreffen (wobei „Zusammentreffen“ hier wörtlich gemeint ist) von Tiger Chen und Iko Uwais bei einem (offenbar illegalen) Untergrund-Kampf-Szenario, das doch stark an das 1988er Kultstück BLOODSPORT (oder fast noch mehr an dessen zahlreiche asiatische Nachahmer) erinnert. Und wem die Ereignisse bis dahin trotzdem noch zu bleihaltig waren, der wird mit einer finalen Zusammenschlag-Zusammenkunft entschädigt, deren Schauplatz, ein alter verfallener Palast, Assoziationen zum Shaw Brothers-Klassiker DIE TODESPAGODE DES GELBEN TIGERS (1969) zulässt. Das macht auch optisch schwer was her und dient somit auch als kleine Wiedergutmachung für den bis dahin doch arg kargen Look, der TRIPLE THREAT überwiegend anlastet: So scheint sich im Mittelteil phasenweise alles nur in einer schäbigen Straße abzuspielen.

Wer es schafft, die verklausulierte Erzählweise zu schlucken (das Skript zögert manche Dinge unnötig hinaus und kann sich lange Zeit nicht entscheiden, auf welcher Seite manche Figuren eigentlich stehen sollen), keine Scheu hat vor armseligem Dialoggut („Wer sind die?“ - „Eine Verbrecherbande. Richtig üble Kerle.“) und zudem ein Faible mitbringt für defizitäre 80er-Jahre-Billig-Action, an die sich TRIPLE THREAT nicht selten anschmiegt, geht somit am Ende doch recht glücklich nach Hause. Leid tun kann einem allerdings Celina Jade [→ THE MAN WITH THE IRON FISTS], die einfach nur das hilflose Opfer mimen darf und deren permanentes Panik-Gekreische nur unwesentlich unter dem von Fay Wray in KING KONG liegt.

Laufzeit: 96 Min. / Freigabe: ab 18

Samstag, 2. Dezember 2023

GODZILLA - MINUS ONE


GOJIRA -1.0
Japan 2023

Regie:
Takashi Yamazaki

Darsteller:
Ryūnosuke Kamiki,
Minami Hamabe,
Yuki Yamada,
Munetaka Aoki,
Hidetaka Yoshioka,
Sakura Ando,
Kuranosuke Sasaki,
Noriko Oishi



„Ich bin jemand, der schon längst tot sein sollte.“
(Shikishima hat heute mal wieder gute Laune.)


Inhalt:

Japan, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs: Die Insel Odo dient als Anflugstelle für Flugzeuge mit Motorschaden. Pilot Kôichi Shikishima [Ryūnosuke Kamiki], des Einsatzes müde, täuscht einen solchen vor, um sich auf dem Eiland in Sicherheit zu bringen. Doch die Ruhe ist nur von kurzer Dauer, denn etwas Unfassbares geschieht: Ein gigantisches Ungetüm, von den Einheimischen ‚Godzilla‘ genannt, erscheint auf der Bildfläche und beginnt einen radikalen Vernichtungsfeldzug. Shikishima ist einer der wenigen Überlebenden. 2 Jahre später: Im immer noch völlig zerstörten Tokio hat der nach wie vor traumatisierte Shikishima sich eine neue Existenz aufgebaut. Er lebt mit Frau und Kind zusammen und hat eine gut bezahlte Arbeit als Minenentschärfer zur See. Doch am Bikini-Atoll braut sich neues Unheil zusammen: Atombombentests treffen den dort ruhenden ‚Godzilla‘, der daraufhin zu einem noch grauenhafteren Wesen mutiert. Als ein paar Schlachtschiffe zerstört werden, ist Shikishima sofort klar, wer bzw. was dafür verantwortlich ist. Und es steuert aufs Festland zu.

Kritik:

Godzilla, das dinosaurierartige radioaktiv verstrahlte Fabelwesen, wurde vom Feuilleton lange Zeit lediglich belächelt. Teils nicht ganz zu Unrecht: Spätestens ab den 1970er Jahren verlor die japanische Kino-Reihe jeden Anspruch und gefiel nur noch als kunterbunte Jahrmarktsattraktion (was durchaus auch seinen Reiz hatte). Längst totgeglaubt, gelang dem Kult-Koloss im neuen Jahrtausend eine kaum mehr für möglich gehaltene Renaissance: Mit etlichen Jahren Verspätung eroberte er doch noch Hollywood [GODZILLA (2014)], welches ihn folgend sowohl in Film- als auch Serienform in ausufernde Schlachten schickte. Aber auch in seinem Ursprungsland durfte das Kaijū (wie Riesen-Monster dort genannt werden) erneut zum Leben erwachen, erst als SHIN GODZILLA (2016), welcher der Saga komplett neues Leben einhauchte, dann erstmals gezeichnet in gleich zwei Anime-Varianten. Fast schon zur Tradition verkommen, wurde GODZILLA – MINUS ONE, der vorliegende Kino-Nachfolger SHIN GODZILLAs, abermals als Komplettmodifikation gestaltet, welche die vorherigen Fortsetzungen und Ableger ignoriert und alles wieder auf Anfang setzt.

So nah an die Wurzeln wagte man sich zuvor allerdings niemals zurück. Denn eigentlich, und das geriet im Laufe der Jahre fast ein wenig in Vergessenheit, ist das feuerspeiende Ungetüm kein Gute-Laune-Lieferant, sondern eine gespenstige Schreckgestalt, die Tod und Leid über Land und Leute bringt. Sein Stelldichein im Jahre 1954 war nicht nur aufgrund der schwarzweißen Bilder ein enorm düsteres Weltuntergangs-Szenario: Regisseur Ishirō Honda schuf mit GODZILLA eine eindrückliche Allegorie über das Grauen des Atomkrieges, dessen Auswirkungen dem Land der aufgehenden Sonne im Produktionsjahr noch in den Knochen steckte. GODZILLA – MINUS ONE dreht die Zeit zurück und verortet die Ereignisse erneut in den Nachkriegsjahren, wodurch man es im Grunde mit der ersten wirklichen Neuverfilmung des originalen Meilensteins zu tun hat. Und ja, Godzilla ist tatsächlich wieder die brachiale Urgewalt, die er einst war, eine Geißel der Menschheit auf gnadenlosem Vernichtungsfeldzug. Das erklärt dann auch den Titel: Japan liegt nach den verheerenden Bomben-Angriffen überwiegend im Trümmern; für die Nation bricht das neue Jahr 0 an. Das Auftauchen Godzillas macht dann alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zunichte; die neue Zeitrechnung beträgt somit nun nicht einmal mehr Null, sondern Minus Eins.

Stilistisch unterscheiden sich die 1954er- und die 2023er-Version dennoch recht stark. So steht das Monster hier nicht mehr für die Gefahren der Atomkraft, sondern für das Trauma des Krieges, welches der Nation noch Jahre später bis in die Heimat folgt und keine Ruhe geben wird, bevor es nicht vollständig vernichtet ist. Sinnbild dafür ist der von Ryūnosuke Kamiki [→ KRIEG DER DÄMONEN] gespielte Pilot Kôichi Shikishima, der zudem die Bürde vermeintlicher Feigheit mich sich herumträgt: Während des Krieges drückte er sich vor dem Kampfeinsatz und beim ersten Auftauchen Godzillas ist er mental zu schwach, um die Waffe abzufeuern (Dass diese dem Untier wahrscheinlich gar nichts hätte anhaben können und seine Kameraden somit ohnehin gestorben wären, spielt dabei keine Rolle, da Schuldgefühle nicht zwangsläufig rational sind). Wenn er sich, um Godzilla zu besiegen, schließlich einem Freiwilligen-Battalion anschließt, das überwiegend als ehemaligen Armee-Angehörigen besteht, ist die Botschaft eindeutig: Die Fehler der Vergangenheit müssen getilgt, Schuld und Schock der Nation ausgemerzt werden. Dabei umschifft MINUS ONE immer wieder ein Thema, das dennoch einem godzillagroßen Elefanten gleich im Raum steht. Denn dass das Land geschunden am Boden lag, hatte schließlich einen Grund: die Kollaboration Japans mit den Verbrechern des Nationalsozialismus. Von deren menschenfeindlicher Ideologie ist hier selbstverständlich nichts zu spüren: Das Militär besteht ausschließlich aus grundanständigen Leuten, Rädchen im Getriebe, die halt lediglich das taten, was irgendwie getan werden musste. So hat es einen durchaus bitteren Beigeschmack, wenn immer wieder betont wird, wie sehr die Regierung ihre Männer doch im Stich gelassen habe. Auch zur Bekämpfung Godzillas (= des Kriegstraumas) trägt sie nichts bei, weswegen die ehemaligen Soldaten die Sache höchstselbst in die Hand nehmen müssen.

Mit der bleiernen Schwere, die über dem Geschehen liegt, mögen sich die (vergleichsweise seltenen) Auftritte des Stars der Show indes nicht so recht vertragen: Godzillas Vernichtungsfeldzüge sind nämlich durchaus dem sensationsheischenden Krawall-Kino verpflichtet und machen – salopp gesagt – richtig Laune. Wenn sein Feueratem ganze Straßenzüge ausradiert und ikonische Szenen aus dem originalen Klassiker kopiert werden, während dazu Akira Ifukubes bewährte musikalische Klänge ertönen, dann macht das Fan-Herz wahre Freudensprünge. Aber MINUS ONE ist eben kein Spaß-Spektakel, sondern ein durchaus düsteres Drama über gepeinigte Seelen auf der Suche nach Sinn und Absolution. Das hat schon etwas Ironisches: Nachdem die japanischen Godzilla-Filme aufgrund der Durchschaubarkeit ihrer Effekte und oft naiven Handlung lange Zeit als rückständig und albern gegolten hatten, brachten Beiträge wie SHIN GODZILLA oder eben MINUS ONE eine ungeahnte Ernsthaftigkeit in die Marke, während ausgerechnet die parallel dazu laufende, vom japanischen Output unabhängige amerikanische Reihe nun plötzlich für die Infantilität zuständig war, wenn Godzilla sich dort z. B. wieder mit seinem alten Konkurrenten King Kong kloppen durfte.

So ganz kann MINUS ONE den Widerspruch zwischen bedrückender Stimmung und begeisternder Zerstörungsorgie bis zum Ende nicht auflösen, wenn man gegen den monströsen Staatsfeind auf hoher See final zu Felde zieht. Das hält dann zwar im Ablauf keine Überraschungen bereit, arbeitet den notwendigen Action-Anteil aber pflichtschuldigst ab. Der Oxygen-Zerstörer, die Wunderwaffe aus dem Original, die in den Folgejahren immer mal wieder innerhalb der Reihe thematisiert wurde, bleibt dabei dieses Mal in der Mottenkiste – obwohl sie fraglos ein wenig sinnvoller gewesen wäre als der doch recht hanebüchene Plan, den man sich hier zurechtlegt. Dass es kurz vor Abspann dann noch zu einem kurzen Moment kommt, der in seiner absurden Kitschigkeit wirkt, als habe Steven Spielberg hier ein paar Sekunden lang die Feder geführt, hätte nicht sein müssen, richtet aber auch keinen großen Schaden an. MINUS ONE ist zwar kein Meilenstein geworden, aber eine (erneute) Frischzellenkur, welche die Unsterblichkeit seiner Titelfigur abermals zementiert. Auf ihn mit Gebrüll!

Laufzeit: 125 Min. / Freigabe: ab 12

Samstag, 25. November 2023

DIE SÖHNE DES GENERALS YANG


ZUNG LIT JOENG GAA ZOENG
Hongkong 2013

Regie:
Ronny Yu

Darsteller:
Adam Cheng,
Xu Fan,
Ekin Cheng,
Raymond Lam,
Wu Chun,
Jerry Li Chen,
Vic Chou,
Yu Bo



Inhalt:

China im Jahre 986: Die Khitan, angeführt von Ye Luyuan [Shao Bing], fallen in das Song-Reich ein. General Yang Ye [Adam Cheng] wird samt seiner Armee zur Verteidigung einberufen. Problem: Er muss unter der Ägide seines persönlichen Rivalen General Pan Renmei [Leung Kar-yan] agieren. Auf dem Schlachtfeld lässt dieser ihn auch prompt ins Messer laufen und liefert ihm den Feind aus. Aber Yang hat sieben Söhne, Yanping [Ekin Cheng], Yanding [Yu Bo], Yan'an [Vic Chou], Yanhui [Li Chen], Yande [Raymond Lam], Yanzhao [Wu Chun] und Yansi [Fu Xinbo], die es sich zur Aufgabe machen, ihren Vater wieder aus der Gefangenschaft zu befreien. Der Weg hinter die feindlichen Linien wird zur verlustreichen Zerreißprobe.

Kritik:

Dass der deutsche Titel ZUNG LIT JOENG GAA ZOENGs an die von Kung-Fu-Klassiker wie DIE 13 SÖHNE DES GELBEN DRACHEN (1970) erinnert, kommt nicht von ungefähr: DIE SÖHNE DES GENERALS YANG wirkt wie eine um ein paar Jahrzehnte verspätete Shaw Brothers-Produktion und spielt ebenso wie die legendären Historien-Epen des einst wegweisenden Studios auf der klassischen Klaviatur aus Ehre, Treue und Pflichtbewusstsein. Dabei basiert die Geschichte auf eine im Ursprungsland hinlänglich bekannten Sage, die der Yang-Familie nämlich, die dort in regelmäßigen Abständen immer mal wieder zum Gegenstand kultureller Erzeugnisse wird. Der dortigen Bekanntheit ist es vermutlich auch geschuldet, dass das Autoren-Trio allzu weitschweifige Expositionen aussparte und das Publikum mehr oder minder unvermittelt ins Geschehen wirft. Bereits der Auftakt hat’s in sich: Verbalisierung von Familienfehden, eine verbotene Liebelei, rachsuchtintendierter Schlagabtausch mit Todesfolge, intrigantes Herumgezicke, Invasion feindlicher Mächte … Und dann sind gerade mal die ersten 5 Minuten um. Da kommt man sich dann schon ein wenig überrumpelt vor, wenn nachfolgend im Eiltempo Verteidigungspläne geschmiedet und Allianzen geschlossen werden, da die Relationen noch längst nicht klar sind.

Als weitere Parallele zu älterer Shaw Brothers-Tradition erweist sich dabei die noch zusätzlich verwirrende Personalfülle, denn sieben Söhne inklusive Rest der Familie, deren Rivalen, Sympathisanten und Liebschaften müssen ja irgendwie untergebracht werden. Die obligatorischen kurzen Einblendungen zur Etablierung von Namen und gegebenenfalls Rang helfen da wenig. Und dass die Söhne zudem Nummern tragen und sich meist auch nur entsprechend anreden, trägt auch nicht gerade zur Identifikationserleichterung bei. So etwas funktioniert ausschließlich bei DIE DREI ??? („Ausgezeichnet, Zweiter!“ - „Danke, Erster!“) Diese Mankos schwinden freilich im Laufe der Zeit. So erweist sich die Story im Nachhinein als doch eher simpel und der Einstieg als unnötig überladen und verklausuliert; viele einleitende Konstituierungen wie Liebesnöte, Machtpoker und Rachemotivationen werden hinfällig. Und auch die Söhne gewinnen nach und nach an Profil, spätestens, wenn sich ein jeder als Unikum in einer bestimmten Sache erweist, sei es Schwertführung, Geschick mit Pfeil und Bogen oder gar Heilkunde.

Das Auffinden des Familienoberhauptes passiert dann auch verblüffend hurtig, die eigentlichen Konflikte beginnen erst im Anschluss. Denn der Feind will die frisch Wiedervereinten auf keinen Fall ziehen lassen und startet ein potenziell tödliches Intermezzo aus Angriff und Heimtücke, was bisweilen an ein Belagerungsszenario der Marke RIO BRAVO oder ASSAULT erinnert. Jede Menge Gelegenheit also, die Klingen zu kreuzen und Sehnen zu spannen, was dann auch ausgiebig zelebriert wird. Da weicht die Komplexität des Beginns dann endgültig dem archaischen, aufs Notwendigste reduzierten Urkampf, der mehr und mehr zur privaten Vendetta wird. Dass die Brüder es tatsächlich schaffen, sich allein gegen eine ganze Armee zu behaupten, gehört natürlich ins Reich der Fabeln, kann hier aber spielend als Teil der Fiktion akzeptiert werden. Als zusätzliches Spannungselement fungiert die Vergiftung des zu rettenden Vaters, der zudem anfängt, mittels Fieberträumen in Bibelfilmoptik sein Leben zu hinterfragen. Hier ist also Not am Mann und Eile geboten, bevor die Zielperson doch noch das Zeitliche segnet und die ganze Aktion final vergebens war.

Über allem schwebt dabei stets das Konzept von „Ehre“ und „Familie“, was für beide Seiten gilt. Denn auch der Kontrahent scheint irgendwann gar nicht mehr die Annektierung eines Landes im Sinn zu haben, sondern sich auf einer persönlichen Vergeltungsmission zu befinden, macht er doch den Yang-Clan für den Verlust seiner eigenen Sippschaft verantwortlich. Das scheint etwas weit hergeholt und dezent übertrieben, sorgt aber natürlich für das nötige Konfliktpotential. Shao Bing [→ THE LOST BLADESMAN] agiert als Schurke dabei leicht am Rande der Lachhaftigkeit, wie ein Schulhof-Rambo, der einen auf dicke Hose macht und in seinem Auftreten für die behauptete Zeitepoche ein wenig zu modern rüberkommt. Fast noch mehr gilt das für sein Heer, das aus einer Schar von Paradiesvögeln und Türstehern mit modischen Uppercut-Frisuren besteht. Wenn sich dann noch ein tuntiger Beobachter in kaiserlichem Auftrage zur Truppe gesellt, ergibt das in der Summe doch einen ziemlich schrillen Haufen, der nicht unbedingt zu 100 Prozent ernstzunehmen ist.

Die zum Teil ausufernden Schlachtszenen bieten nur wenig, was man nicht bereits an anderer Stelle in ähnlicher Form gesehen hätte. Der obligatorische Pfeilteppich fehlt dabei ebenso wenig wie die altbekannte Feuerwalze. Trotzdem geriet das Getümmel durchaus imposant, wenn es auch allzu offensichtlich per Computertechnik aufgebrezelt wurde. Als optischer Maßstab scheint dabei Zack Znyders Comic-Verfilmung 300 (2006) gegolten zu haben, manche Momente scheinen doch arg inspiriert. Das ist zwar kompetent gemacht, lässt jedoch eine gewisse Eigenständigkeit vermissen. Höhepunkt ist darum die Sequenz, die nicht wie ein Abziehbild bekannter Vorbilder wirkt, nämlich ein gegen Ende stattfindendes Pfeil-und-Bogen-Duell in einem sonnenstrahlgetränkten Kornfeld. Wenn die Geschosse gefährlich durch die Reihen zischen und auf ihrem Weg zum Ziel auch ein paar Ähren in Stücke sprengen, dann ist das ebenso imposant wie spannungsfördernd.

Dass DIE SÖHNE DES GENERALS YANG trotz fehlender Innovationen so angenehm rund läuft, liegt in erster Linie daran, dass an den Hebeln echte Profis saßen, deren Arbeit man nur als routiniert bezeichnen kann. Regisseur Ronny Yu [→ FEARLESS] ist ein alter Hase auf dem Gebiet großbudgetierter Unterhaltungsware und die Choreographien stammen vom renommierten Tung Wei [→ BODYGUARDS AND ASSASSINS]. Mit knapp 100 Minuten Spielzeit ist die Erzählung auch angenehm kompakt verpackt. Man denke zum Vergleich nur an John Woos überbordendes Schlachtgemälde RED CLIFF (2008), das es in seiner Gesamtheit auf satte 280 Minuten bringt und sich somit nicht mal eben schnell weggucken lässt. Auf der Besetzungsliste sticht vor allem Ekin Cheng [→ RETURN TO A BETTER TOMORROW] als ältester Bruder hervor, aufgrund seiner Mitwirkung in zahlreichen Fantasy-Streifen und Action-Krimis wohl das im Westen bekannteste Gesicht. Zum Schluss sei noch der eindrückliche Soundtrack Kenji Kawais [→ BATTLE OF KINGDOMS] positiv hervorgehoben, der die brachialen Bilder passend untermalt und dabei so steil geht, dass man sich am liebsten gleich selbst mit aufs Ross schwingen möchte.

„Die Geschichte der Familie Yang lebt als Legende weiter bis zum heutigen Tag“, heißt es am Ende (in der deutschen Fassung eingesprochen vom großartigen Frank Schaff). „Sie steht für Werte wie Geradlinigkeit, Achtung, Güte und Rechtschaffenheit.“ Nachhaltig in Erinnerung bleiben wird diese Adaption der Sage dennoch nicht. Aber als kleines Epos für den Hunger zwischendurch taugt sie allemal.

Laufzeit: 102 Min. / Freigabe: ab 16

Samstag, 18. November 2023

RISE OF THE LEGEND


HUANG FEI HONG ZHI YING XIONG YOU MENG
China 2014

Regie:
Chow Hin-Yeung

Darsteller:
Eddie Peng,
Sammo Hung,
Leung Ka-Fai,
Angelababy,
Wong Cho-Lam,
John Zhang,
Byron Mann,
Jing Boran



Hurra, die Legende steht auf. Da kommt Freude auf! Aber, Moment mal … Welche denn überhaupt? Immerhin ist die Kino-Landschaft voll von Ikonen und hochstilisierten Heldenfiguren. Während sich der englische Titel (und damit auch der gleichlautende deutsche) über den Namen des Protagonisten ausschweigt, sorgt ein Blick auf den originalen Schriftzug für Klarheit: Huang Fei Hong ist da zu lesen – ein Name, den der asienaffine Filmfreund auf Anhieb als Wong Fei-Hung identifiziert, denn so wird er im Westen meist transkribiert. Wong lebte einst tatsächlich (nämlich von 1847 bis 1924), war Arzt und Kampfkünstler zugleich (ein Martial-Arzt, sozusagen), lehrte sowohl traditionelle chinesische Medizin als auch Kung-Fu und setzte sich dem Vernehmen nach vehement für die Rechte der Schwachen und Hilflosen ein. Da die Leinwand solche Vorbilder liebt und das chinesische Publikum von Nationaltrophäen nie genug bekommen kann, entstand eine schwindelerregende Anzahl an cineastischen Adaptionen, die es mit historischen Fakten zwar nicht allzu genau nahmen, aber dafür den Namen erfolgreich ins Kollektivgedächtnis einbrannten.

In Deutschland am bekanntesten wurden dabei die DRUNKEN MASTER- sowie die ONCE UPON A TIME IN CHINA-Reihe – was vor allem an deren Hauptdarstellern liegt. Denn in der einen schickt Springfloh Jackie Chan seine Gegner auf die Bretter, während in der anderen Jet Li gekonnt zwischen Keile und Heilkunde pendelt. In RISE OF THE LEGEND darf sich nun erstmals Eddie Peng [→ COLD WAR] den begehrten Doktortitel anheften, um nach allen Regeln der (Kampf-)Kunst durchschlagende Rezepte auszustellen.

Inhalt:

China, 1868: Das Land ist zerrissen, auf den Straßen ist Gewalt allgegenwärtig. Im Hafenviertel der Provinz Guangzhou kämpfen zwei Verbrecherbanden verbissen um die Vorherrschaft: der Black Tiger Clan, angeführt von Master Lui [Sammo Hung], und der North Sea Clan unter dem Kommando von Master Wu [Chen Zhihui]. Als es dem jungen Kämpfer Wong Fei-Hung [Eddie Peng] gelingt, Wu einen Kopf kürzer zu machen, wird er zum Dank von Master Lui ins Syndikat aufgenommen und ohne Umschweife zur Nummer 4 in der Rangordnung ernannt, was seinen Kollegen 1 bis 3, nämlich North Evil [Jack Feng], Black Crow [Byron Mann] und Old Snake [Li Kaixian], so gar nicht schmecken möchte. Tatsächlich haben sie allen Grund zur Missgunst, wenn auch aus völlig anderen Gründen: Wong Fei-Hong gehört mit seinen Freunden Fiery [Jing Boran], Chun [May Wong] und Xinlan [Angela Yeung-Wing] nämlich eigentlich zur Orphan Gang, die plant, Master Luis Geldreserven zu rauben. Das Unternehmen gestaltet sich allerdings schwieriger als gedacht. Denn nicht nur, dass Nummer 1 bis 3 gegen Fei-Hung intrigieren, um ihn wieder loszuwerden - auch Long [Max Zhang], der Sohn Master Wus, ist hinter ihm her und sinnt auf Rache für den Tod seines Vaters.

Kritik:

'Selbst, wenn es bis zum allerletzten Herzschlag sein muss: Ich muss dafür sorgen, dass mein Gegner fällt', denkt der junge Mann, der gerade im strömenden Regen steht und sich, bereits in konzentrierter Kampfpose, in einer finsteren Gasse von einer Gruppe angriffslustiger Gestalten umringt sieht. Es sind die ersten Sekunden von RISE OF THE LEGEND und besagter Denker ist eben genau jene vom Titel behauptete Legende, die somit ob dieser feindlichen Offensive bereits zum Auftakt der Veranstaltung in wuchtiger Wehrhaftigkeit Tritte und Schläge verteilen und ihre Kontrahenten dekorativ in den Schlamm schleudern darf. Die Kamera wirbelt dabei mit wie wild, Blut und Wasser spritzen in effektiver Zeitlupe in Richtung des Betrachters und beim Landen eines Treffers bollert es von der Tonspur fortwährend, als sei soeben ein Güterzug mit Lichtgeschwindigkeit in ein Paukenlager gerast. Schon jetzt ist klar: Hier werden keine kleinen Brötchen gebacken, hier rappelt’s im Karton. Den Grund für das Geplänkel erfährt der Zuschauer (sofern es ihn denn überhaupt interessiert) allerdings erst später, denn das heftige Hand- und Fußgemenge war lediglich ein Ausblick auf kommende Ereignisse. Nach ein paar anschließenden Szenen, die den eben noch so prachtvoll prügelnden Protagonisten als Kleinkind unter der Schirmherrschaft seines klugen Vaters zeigen, folgt eine ausgiebig zelebrierte Vogelperspektive des Hafenviertels von Guangzhou, in dem emsiges Treiben herrscht und wo die Neugestaltung der Wong-Fei-Hung-Saga ihren Anfang nimmt.

Bereits der Beginn als Ganzes macht deutlich, dass die Reform von Erzählung und Figur Gemeinsamkeiten mit Vertrautem größtenteils vermissen lässt. Dieser generalüberholte Wong Fei-Hung ist alles andere als ein gelassener Gentleman, viel mehr ein ungestümer Wüterich, der bereits nach wenigen Minuten Laufzeit einem seiner Gegner die Hirse vom Halse hobelt. Zugegeben: So ganz getraut, seinen Helden zum kaltblütigen Killer umzudeuten, hat das Drehbuch sich dann doch nicht: Zum einen kullert der Kontrahenten-Kopf nicht aufgrund einer aktiven Abtrennungsmaßnahme, sondern weil dessen Besitzer hinterrücks doch sehr unglücklich in die scharfe Klinge stolpert. Und zum anderen ist für Fei-Hung das Ableben des ohnehin arg unsympathischen Fiesberts zwingender Mittel zum Zweck, sich das Vertrauen eines noch viel größeren Fisches zu angeln, dessen Verbrecherorganisation er fachgerecht zu infiltrieren und auszuhöhlen gedenkt. Und dennoch: Mit der prägenden Portraitierung durch Jet Li, der die Figur als liebenswert-edelmütigen Zeitgenossen in den Publikumsherzen verankerte, hat diese buchstäblich über Leichen gehende Darstellung nichts mehr zu tun. Von den schlitzohrigen Kapriolen von Schnapsnase Jackie Chan mal ganz zu schweigen.

Als hauptsächlichen Antriebsmotor für das ungewohnte Verhalten der Titelrolle fügte Autorin Christine To [→ TRUE LEGEND] ein – wie originell! - dringliches Vergangenheitsbewältigungsbegehren hinzu: Entgegen historischer Tatsachen stirbt der gütige Vater Wong Fei-Hungs hier nämlich, in salbungsvollen Rückblenden dargeboten, bei einer Rettungsaktion im Flammenmeer, wofür der verbleibende Sprössling alsbald den mächtigen Master Lui als Hauptverantwortlichen ausgemacht hat. Im festen Vorhaben, ihm seinen Verlust fachmännisch heimzuzahlen, erschleicht er sich durch die vorangegangene Tötungsaktion das Wohlwollen des gefürchteten Moguls und wird zur Tarnung vermeintlicher Teil des Biotops des Bösen, in welchem er rasch die Rangliste emporklettert. Im Grunde erzählt RISE OF THE LEGEND somit eine klassische Undercover-Story, wie man sie hauptsächlich aus dem Genre des Polizeifilms kennt: Der Gute gibt sich als Gauner aus, gliedert sich, das Damokles-Schwert der Entlarvung stets über sich wissend, in die Gemeinschaft ein, findet unerwartet Freunde auf gegnerischer Seite und beginnt mit sich selbst zu hadern, bevor ein großer Befreiungsschlag final die Fronten klärt.

Keine neue, aber auch keine schlechte Zutat, die hier jedoch arg verwässert wurde. Offenbar wollte sich die Autorin mit einem stringenten Handlungsablauf nicht zufrieden geben, weswegen RISE OF THE LEGEND unterwegs mehrfach die Richtung wechselt und bisweilen sogar komplett auf der Stelle tritt. So wird auf halber Strecke der Nebenschauplatz eines großangelegten Geldraubes eröffnet, den Fei-Hung mit seiner Orphan Gang genannten Gruppierung elternloser Versprengter durchführen will, was kurzzeitig für eine Art Genre-Wechsel in Richtung Rififi sorgt – zwar nicht ganz Ocean’s Eleven, aber immerhin Fei-Hungs Vier. Diese Aktion wird zwar als Baustein des Racheakts verkauft, doch schadet sie der Konsequenz der Story, führt sie doch zur Entwicklung zahlreicher Einzel-Episoden, welche den Hauptstrang regelrecht aufs Hintertreppchen schicken. Tatsächlich hat To merklich Mühe, die vielen nun mitmischenden Akteure unter einen Hut zu bringen, weswegen am Ende dann quasi jeder Charakter zu kurz kommt. Und wenn dann noch versucht wird, ein tragisches Liebesdreieck zu involvieren und der Held zwischen die Fronten zweier Frauenherzen gerät (samt schwülstiger Schwüre und kitschiger Bekundungen), dann herrscht sogar narrativer Stillstand.

Am Ende scheitert RISE OF THE LEGEND daran, der berühmten Figur eine überzeugende Frischzellenkur zu verpassen. Dass der kickende Arzt in seiner Darstellung hier überwiegend auf links gedreht wurde, fällt freilich unter den Aspekt der künstlerischen Freiheit und kann nicht wirklich negativ angelastet werden. Schon die vorangegangenen Interpretationen unterschieden sich teils stark. Allerdings wird man hiermit auch kaum neue Fans rekrutieren können. Dafür schindet Eddie Peng in der Hauptrolle auch schlichtweg zu wenig Eindruck – zumal sein Charakter keine erkennbare Entwicklung durchläuft. Fei-Hung ist am Ende eigentlich noch genauso wie am Anfang: ein Jungspund mit leichtem Aggressionsproblem, der an seinen Fehlern nicht wirklich zu wachsen scheint. Dafür darf er immerhin gegen eine Ikone des Hongkong-Kinos zu Felde ziehen: Sammo Hung. Der alteingesessene Star, der 2004 in IN 80 TAGEN UM DIE WELT witzigerweise noch selbst Wong Fei-Hung verkörperte, gibt hier mit Inbrunst den Oberschurken und Endgegner und reißt die Aufmerksamkeit in jeder seiner Szenen an sich. Das Finale in einem in Flammen stehenden Lagerhaus haut dann noch mal tüchtig aufs Mett und verdeutlicht, dass man als Genre-Fan hier trotz diverser Defizite eigentlich recht gut aufgehoben ist. Immerhin kommt es in regelmäßigen Abständen zu saftigen Auseinandersetzungen, die mit vollem Einsatz von Lanze, Schwert und Körper ausgetragen werden und zudem vom renommierten Profi Corey Yuen [→ THE MAN WITH THE IRON FISTS] gewohnt präzise choreographiert wurden. Mag das Ziel, eine neue Generation von Fei-Hung-Enthusiasten heranzuzüchten, auch verfehlt worden sein, so bleiben immerhin 2 Stunden aufwändig gestaltete Kampfkunst-Unterhaltung vor historischem Hintergrund. Da gibt’s Schlimmeres.

Laufzeit: 132 Min. / Freigabe: ungeprüft

Samstag, 11. November 2023

SEVEN ASSASSINS - IRON CLOUD'S REVENGE


KWONG FAI SHUI YUE
China 2013

Regie:
Xiong Xin-Xin

Darsteller:
Eric Tsang,
Felix Wong,
Gigi Leung,
Ray Lui,
Ni Hongjie,
Michael Wong,
Xiong Xin-Xin,
Simon Yam



Nach Ende des Ersten Japanisch-Chinesischen Krieges (August 1894 bis April 1895) fürchteten sich die Dorfbewohner Nordchinas vor einem zu starken Einfluss ausländischer Interessen. Als mehrere Naturkatastrophen das Land zusätzlich beutelten, machten viele (natürlich wider jeder Logik) westliche Mächte für das Unglück verantwortlich. Infolgedessen begannen sogenannte „Boxer“ (sprich: Kampfkunstkundige) aufzubegehren, indem sie ausländisches Eigentum zerstörten und (leider) auch Menschen töteten. Sogar die Kaiserin begann schließlich, die Rebellion zu unterstützen, die später als „Boxer-Aufstand“ in die Geschichtsbücher eingetragen wurde. Nach ersten Teilerfolgen unterlagen die Aufständischen schließlich der ausländischen Allianz, was die ohnehin bereits angeschlagene Qing-Dynastie weiter schwächte. In der Aufarbeitung wurden die Boxer von Gelehrten zunächst eher negativ rezipiert, beklagt wurden vor allem Rückständigkeit, Naivität und Aberglaube. So waren z. B. viele Kämpfer davon überzeugt, chinesische Körper seien unempfindlich gegen ausländische Gewehrkugeln. Dummerweise konnten die meisten dann hinterher nicht mehr von ihrem Irrtum berichten. Im Laufe der Zeit jedoch wurden die Umstürzler vor allem in der künstlerischen Darstellung mehr und mehr glorifiziert und als erstes großes Bollwerk gegen den Imperialismus gefeiert.

In dieser turbulenten Zeit spielt auch SEVEN ASSASSINS, ein Hybrid aus Historienschinken und Comic-Strip mit einem beachtlichen Aufgebot an Altstars des Hongkong-Kinos.

Inhalt:

China zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Das einstmals stolze Kaiserreich ist zerrissen zwischen Tradition und Revolution; gewaltsame Unruhen beherrschen das Land. Einer der Rebellenführer ist Tie Yun [Felix Wong], der mit einer großen Menge Gold durch das Reich zieht, das der Rekrutierung neuer Streitkräfte dienen soll. Klar, dass das nicht gut geht: Kaiserliche Soldaten überfallen den Transport. Tie kann lediglich sein Leben retten und flüchtet in eine „Das goldene Tal“ genannte Kommune, die es bisher geschafft hat, friedlich und abseits aller Konflikte weiterleben zu können. In ihrem Anführer Boss Mao [Eric Tsang] findet Tie schnell einen neuen Freund und Seelenverwandten. Als die Armee das Dorf überfällt und einen Teil der Gemeinschaft kaltblütig massakriert, erwacht der Kampfgeist und die Überlebenden verbünden sich mit dem Revolutionär.

Kritik:

Das verspricht fraglos jede Menge Spannung, Action und Abenteuer. Doch SEVEN ASSASSINS kann die an das Sujet geknüpften Erwartungen am Ende kaum einlösen. Dabei sind die Voraussetzungen hervorragend: ein packender historischer Hintergrund, eine ansprechende Ausstattung, viele gern gesehene Gesichter und an den Hebeln Verantwortliche, die ihr Handwerk durchaus verstehen. Doch viel zu behäbig kommt die Erzählung daher, der es vor allem an der nötigen Dramatik fehlt. Die Fallhöhe der zahlreichen Figuren wird nie so recht deutlich, zumal sie einem bis zum Schluss überwiegend unnahbar bleiben und keine rechte Verbundenheit hervorrufen können. Sogar Eric Tsang [→ SHAOLIN BASKETBALL HERO], der eigentlich ein großartiger Schauspieler ist und hier als schwerpunktmäßiger Sympathieträger fungieren soll, kommt ungewohnt langweilig und leidenschaftslos daher – was vor allem deswegen überrascht, weil er zusätzlich als Produzent hinter dem Projekt stand. Mancherorts wird ihm sogar anteilig die Regie zugeschanzt, aber das scheint schlichtweg ein Fehler zu sein. Die Inszenierung übernahm der überwiegend als Darsteller, Kampfkünstler und Choreograph bekannte Xiong Xin-Xin [→ KILL FIGHTER], der hier ebenfalls als Dorfbewohner zu sehen ist und in einer pseudotiefsinnigen Dialog-Szene versuchen darf, seiner Rolle Profil zu verleihen.

Womöglich lag es an seiner Unerfahrenheit in Sachen ganzheitlicher Spielleitung, dass das Werk über weite Strecken so dröge geriet. Selbstverständlich reißt auch das Drehbuch keine Bäume aus und bietet inhaltlich kaum etwas Neues. Aber der Freiheitskampf einer friedlebenden Dorfgemeinschaft verspricht prinzipiell Aufregung, selbst, wenn die zu Grunde liegenden Mechanismen im Kino bereits mehrfach durchexerziert wurden. SEVEN ASSASSINS (ein Titel, der gewiss nicht zufällig Assoziationen zu DIE SIEBEN SAMURAI oder dessen Neuausrichtung DIE GLORREICHEN SIEBEN erweckt) wirkt allerdings gar nicht wie für die Leinwand konzipiert und erweckt vielmehr den Eindruck einer zwar engagierten, aber nichtsdestotrotz in Sachen Mitteln und Möglichkeiten zurückgeschraubten Fernseh-Produktion. Epische Breite will sich partout nicht einstellen und oftmals entsteht ein eher theaterhafter Eindruck - zumal es auch an variantenreichen Schauplätzen mangelt und wiederholt die altbekannte Dorfkulisse bemüht wird. Dafür sind die Action-Szenen prinzipiell gut gelungen, wobei vor allem das Finale tüchtig Versäumnisse nachholt. Zu dieser Epoche neuartige Waffen wie Pistolen oder Maschinengewehre sorgen für triftig Trommelfeuer, während das gute, alte Schießpulver für zusätzliche Lärmbelästigung inklusive Rauch und Feuer sorgen darf. Und natürlich fliegen neben Kugeln und Funken auch fleißig Faust und Fuß, um dem Gegner additional auf klassische Weise einzuheizen.

Realistisch ist das freilich kein Stück. SEVEN ASSASSINS wirkt in solchen Momenten wie ein überzogener Action-Comic - wozu auch der Look der von Ni Hongjie [→ SILENT WITNESS] verkörperten Schurkin beiträgt, die als attraktive Assassine im Aussehen zwischen Django und Domina direkt einem Manga entlaufen scheint. Stilistisch beißt sich das schon arg mit dem Rest der Darbietung, der einen eher geerdeten und nüchternen Ansatz verfolgt. Dabei ist es gerade dieses kleine Quäntchen Verrücktheit, das man sich gern häufiger gewünscht hätte, etwas mehr Mut, auch mal über die Stränge zu schlagen und den Wutz von der Kette zu lassen. So bleibt dem Genre-Fan als Primärantrieb zum Fahrscheinkauf das illustre Star-Ensemble, gelang es den Produzenten doch, eine ansehnliche Runde altgedienter Recken zusammenzutrommeln. Während Felix Wong [→ VENGEANCE], der als Rebellenführer die eigentliche Hauptrolle bekleidet, eher zur unbekannteren Garde gehört, kann man in einer kleinen, aber feinen Nebenrolle als Gouverneur Ti Lung erspähen, einst mit Epen wie DIE BLUTSBRÜDER DES GELBEN DRACHEN (1973) einer der größten Action-Helden Asiens. Michael Wong, der dank kerniger Cop-Reißer wie FINAL OPTION (1993) wohl ewig mit der Figur des harten, doch herzlichen Ausbilders verbunden bleiben wird, sieht man hier ungewohnterweise als das Gespräch suchenden Geistlichen. Weitere Gastauftritte absolvieren unter anderem Waise Lee [→ BULLET IN THE HEAD], Dick Wei [→ EASTERN CONDORS] sowie der vor allem aus Polizei- und Gangsterfilmen bekannte Simon Yam [→ DRAGON KILLER].

Summa summarum bleibt SEVEN ASSASSINS hinter seinen Möglichkeiten zurück. Leider passt sich auch die deutsche Nachvertonung der allgemein vorherrschenden Trägheit an und bietet neben einer miesen Abmischung meist unterdurchschnittliche Sprecherleistungen, vor allem bei den kleineren Rollen (Talsohle bildet dabei der Sprecher Simon Yams, der so heiser klingt, dass man ihm direkt nen Kamillentee aufbrühen möchte). Dabei ist GLORY DAYS (wie er manchmal auch deutlich weniger martialisch, dafür romantisch verklärt genannt wird) auch kein Totalausfall, bietet gediegenen, solide dahinplätschernden Zeitvertreib, der seine Stärken gegen Ende richtig ausspielt und damit einigen zwischenzeitlichen Leerlauf wieder wettmachen kann. Wer nur die Höhepunkte historischer Action-Unterhaltung mitnehmen möchte, darf diesen Beitrag dennoch gern überspringen, ohne sich dafür ein schlechtes Gewissen aufbürden zu müssen.

Laufzeit: 99 Min. / Freigabe: ab 16

Samstag, 4. November 2023

SPY DADDY


THE SPY NEXT DOOR
USA 2010

Regie:
Brian Levant

Darsteller:
Jackie Chan,
Amber Valletta,
Madeline Carroll,
Will Shadley,
Alina Foley,
Magnús Scheving,
Billy Ray Cyrus,
George Lopez



Mit Kindern und Tieren kannst du niemals verlieren! Diese Faustformel gilt eigentlich für die Boulevard-Presse, wenn es darum geht, auf möglichst unkomplizierte Weise stagnierende Absatzzahlen anzukurbeln. Doch da sich dieser Leitspruch quasi mühelos auf die Film-Industrie übertragen lässt, bekamen es viele Leinwand-Stars mit trudelndem Marktwert im Laufe ihrer Kino-Karriere mindestens ein Mal aus irgendwelchen dahergelaufenen Gründen mit rebellischem Kindsvolk zu tun. Dass es dabei auffallend oft Action-Helden trifft, ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass allein aus dem Umstand, eine Person mit Hartem-Hund-Image in ein familienfreundliches Umfeld zu verlagern und somit zwei völlig verschiedene Welten und Wertsysteme korrelieren zu lassen, bereits eine gewisse Grund-Komik entsteht. Das Paradebeispiel dafür ist KINDERGARTEN COP mit Arnold Schwarzenegger, der sogar als harter Action-Streifen beginnt und seinen Hauptdarsteller als unbesiegbare Killer-Maschine etabliert, bevor er als Kindergärtner durch die Renitenz altkluger Dreikäsehochs an die Grenzen seiner Belastbarkeit katapultiert wird. Im Jahre 2010 traf es dann schließlich auch die Kung-Fu-Ikone Jackie Chan, deren Hollywood-Laufbahn trotz des Kassenschlagers RUSH HOUR [1997] nie so richtig in Gang kam. Um das Ruder der Publikumsgunst herumzureißen, ging man dabei auf fast schon sträflich einfallslose Weise auf Nummer sicher und kreierte ein fadenscheiniges Drehbuch von der Stange, das alle vermeintlichen Erfolgs-Faktoren ebenso pflichtschuldig wie innovationslos durchexerziert.

Inhalt:

Die alleinstehende Mutter Gillian [Amber Valletta] müht sich nach Leibeskräften, Job, Privatleben und Erziehung dreier Kinder unter einen Hut zu bringen. Schützenhilfe bekommt sie dabei von ihrem netten Nachbarn, dem chinesischstämmigen Bob Ho [Jackie Chan], zu dem sie außerdem eine Liebes-Beziehung aufgebaut hat. Die Kinder hingegen mögen den bieder wirkenden Vater-Ersatz so gar nicht und machen dem Paar regelmäßig das Leben schwer. Was weder die Kinder noch die Mutter ahnen: Hinter der harmlosen Fassade Hos verbirgt sich ein gut ausgebildeter Geheimagent. Als Gillian für ein paar Tage das Haus verlassen muss, sieht Ho das als Chance, sich bei ihrem Nachwuchs beliebt zu machen und erklärt sich damit einverstanden, für die Zeit als Aufsichtsperson einzuspringen. Doch die vermeintlich leichte Aufgabe wird zum turbulenten Abenteuer, als Gillians Sohn Ian [Will Shadley] unbemerkt in den Besitz einer vertraulichen Formel gelangt, auf die es der gefährliche Gangster Poldark [Magnús Scheving] ebenfalls abgesehen hat. Schon bald ist eine Unzahl finsterer Gestalten hinter der arglosen Familie her und Bob muss plötzlich nicht nur rebellische Kinder, sondern auch feindliche Agenten unter Kontrolle bringen.

Kritik:

SPY DADDY beginnt recht überraschend mit einer Schnittmontage aus älteren Werken Jackie Chans – inklusive Szenen aus MISSION ADLER [1991], einem seiner großen Klassiker. Der Grund dafür ist klar: Das Publikum soll eingeschworen werden auf den Star der Show, alles dreht sich hier nur um den beliebten Wirbelwind aus Fernost. Doof nur, dass das, was dann folgt, so rein gar nichts mit dem eigentlichen Œuvre der Kampfkunst-Legende zu tun hat. Denn das auf Niedlich- und Familientauglichkeit setzende Szenario tauscht die oft sprachlos machende Rasanz früherer Vorstellungen gegen biedere Behäbigkeit und serviert dazu puritanische Paradigmen aus Hollywoods moralinsaurer Mottenkiste. „Familie hat nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun. Familie, das sind die Menschen, die du liebst und die dich lieben“, lautet eine der Plattitüden, die dem Publikum hier ums Ohr gehauen werden. Auf solch banale Erkenntnisse hat die Welt natürlich gewartet! Derlei Floskeln wirken hier gleich doppelt fehl am Platze, da die Autoren auf jedweden Realitätsbezug verzichteten und stattdessen lieber eine pulpige Comic-Welt entwarfen. So handelt es sich bei der mysteriösen Formel, um die es hier neben der Familienzusammenführung geht, um eine Rezeptur zur Herstellung ölfressender Bakterien (die auch schon mal Designer-Schuhe gleich mitverputzen, wie eine der Antagonistinnen am eigenen Leib erfahren muss). Die Schurkenschaft besteht aus stereotypisch gezeichneten Russen, die sich selbst unter ihresgleichen stets auf Englisch (bzw. in der Synchronfassung Deutsch) mit schlecht gefälschtem Akzent unterhalten. Irgendjemand hätte den Produzenten sagen müssen, dass der Kalte Krieg schon seit ein paar Jahrzehnten vorbei war. In einer Szene enttarnt Jackie Chan (alias Bob Ho) einen Spion übrigens dadurch, dass er durch eine List herausfindet, dass sein Gegenüber Russisch spricht. Ja, so einfach ist das hier: Wer Russisch spricht, ist automatisch auch ein feindlicher Agent.

Allerdings ist es gerade diese altmodisch-naive Herangehensweise, die SPY DADDY noch ein paar Bonus-Punkte zusichern kann. Man fühlt sich erinnert an die blauäugigen Agenten-Abenteuer der 1960er Jahre, als man dem Publikum noch allen möglichen Nonsens andrehen konnte und ständig irgendwelche Formeln und Seren entwickelt wurden, welche die unmöglichsten Dinge anstellen konnten. Dazu kommen ein paar wenige Kampf-Szenen, die an Chans goldene Jahre erinnern, wenn beispielsweise ein stinknormales Fahrrad in den Händen des Helden zur Waffe wird. Zugutehalten darf man auch, dass die Handlung zwar in absehbaren Bahnen verläuft, aber immerhin in solch unterhaltsamer Routine abgespult wird, dass es quasi keinen Leerlauf gibt. In dramaturgischer Hinsicht holpert es hingegen mehr als nur einmal. Warum die Kinder zu Beginn überhaupt eine so starke Abneigung gegen den ja doch sehr netten Herrn Ho hegen, vergaß das Skript irgendwie zu thematisieren. Eben noch ist die pubertierende Tochter aus irgendwelchen Gründen stinksauer auf ihren Ersatzvater, in der nächsten Szene führen beide Parteien dann plötzlich ein extrem freundschaftliches Gespräch auf dem Dach. Woher der Sinneswandel? Man weiß es nicht.

Generell werden Konflikte hier lediglich behauptet. Leute zürnen einander und vertragen sich wieder, immer so, wie es dem Drehbuch gerade in den Kram passt. Das Publikum steht daneben und wundert sich. Das Hauptproblem aber, warum SPY DADDY einfach nicht funktionieren will, ist die Tatsache, dass Jackie Chan eben niemals ein Arnold Schwarzenegger war. Klar, zu seinen besten Zeiten schickte der agile Chinese pro Minute mehr Gegner auf die Bretter als seine amerikanische Konkurrenz im gesamten Film. Aber dabei war er doch niemals die knallharte Kampfmaschine, die kompromisslos ihre Kontrahenten ausradiert, sondern stets ein massentauglicher Publikumsliebling, dem man seine Sprösslinge ohne Weiteres anvertrauen würde. Ihm nun bei der Kinder-Betreuung zuzusehen hat einfach nicht automatisch die Komik, die es beim Terminator hätte.

Am Hauptdarsteller liegt es im Grunde nicht, dass SPY DADDY scheitert. Der spielt nämlich wirklich mit einer Extra-Portion Chan-Charme und strahlt durchaus die nötige Spielfreude aus. Aber die einfallslos zusammengedoktorte Story könnte am Ende ohnehin nichts und niemand mehr retten. THE SPY NEXT DOOR (wie die Nummer eigentlich im Original heißt) ist dermaßen belanglos, dass man am Ende des Abspanns schon vergessen hat, worum es überhaupt ging. So bleibt der Höhepunkt der viel zu harmlosen Familien-Komödie der einleitende Ausschnitt aus MISSION ADLER. Ein Kompliment ist das nicht.

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ab 6