Eigene Forschungen

Samstag, 18. November 2023

RISE OF THE LEGEND


HUANG FEI HONG ZHI YING XIONG YOU MENG
China 2014

Regie:
Chow Hin-Yeung

Darsteller:
Eddie Peng,
Sammo Hung,
Leung Ka-Fai,
Angelababy,
Wong Cho-Lam,
John Zhang,
Byron Mann,
Jing Boran



Hurra, die Legende steht auf. Da kommt Freude auf! Aber, Moment mal … Welche denn überhaupt? Immerhin ist die Kino-Landschaft voll von Ikonen und hochstilisierten Heldenfiguren. Während sich der englische Titel (und damit auch der gleichlautende deutsche) über den Namen des Protagonisten ausschweigt, sorgt ein Blick auf den originalen Schriftzug für Klarheit: Huang Fei Hong ist da zu lesen – ein Name, den der asienaffine Filmfreund auf Anhieb als Wong Fei-Hung identifiziert, denn so wird er im Westen meist transkribiert. Wong lebte einst tatsächlich (nämlich von 1847 bis 1924), war Arzt und Kampfkünstler zugleich (ein Martial-Arzt, sozusagen), lehrte sowohl traditionelle chinesische Medizin als auch Kung-Fu und setzte sich dem Vernehmen nach vehement für die Rechte der Schwachen und Hilflosen ein. Da die Leinwand solche Vorbilder liebt und das chinesische Publikum von Nationaltrophäen nie genug bekommen kann, entstand eine schwindelerregende Anzahl an cineastischen Adaptionen, die es mit historischen Fakten zwar nicht allzu genau nahmen, aber dafür den Namen erfolgreich ins Kollektivgedächtnis einbrannten.

In Deutschland am bekanntesten wurden dabei die DRUNKEN MASTER- sowie die ONCE UPON A TIME IN CHINA-Reihe – was vor allem an deren Hauptdarstellern liegt. Denn in der einen schickt Springfloh Jackie Chan seine Gegner auf die Bretter, während in der anderen Jet Li gekonnt zwischen Keile und Heilkunde pendelt. In RISE OF THE LEGEND darf sich nun erstmals Eddie Peng [→ COLD WAR] den begehrten Doktortitel anheften, um nach allen Regeln der (Kampf-)Kunst durchschlagende Rezepte auszustellen.

Inhalt:

China, 1868: Das Land ist zerrissen, auf den Straßen ist Gewalt allgegenwärtig. Im Hafenviertel der Provinz Guangzhou kämpfen zwei Verbrecherbanden verbissen um die Vorherrschaft: der Black Tiger Clan, angeführt von Master Lui [Sammo Hung], und der North Sea Clan unter dem Kommando von Master Wu [Chen Zhihui]. Als es dem jungen Kämpfer Wong Fei-Hung [Eddie Peng] gelingt, Wu einen Kopf kürzer zu machen, wird er zum Dank von Master Lui ins Syndikat aufgenommen und ohne Umschweife zur Nummer 4 in der Rangordnung ernannt, was seinen Kollegen 1 bis 3, nämlich North Evil [Jack Feng], Black Crow [Byron Mann] und Old Snake [Li Kaixian], so gar nicht schmecken möchte. Tatsächlich haben sie allen Grund zur Missgunst, wenn auch aus völlig anderen Gründen: Wong Fei-Hong gehört mit seinen Freunden Fiery [Jing Boran], Chun [May Wong] und Xinlan [Angela Yeung-Wing] nämlich eigentlich zur Orphan Gang, die plant, Master Luis Geldreserven zu rauben. Das Unternehmen gestaltet sich allerdings schwieriger als gedacht. Denn nicht nur, dass Nummer 1 bis 3 gegen Fei-Hung intrigieren, um ihn wieder loszuwerden - auch Long [Max Zhang], der Sohn Master Wus, ist hinter ihm her und sinnt auf Rache für den Tod seines Vaters.

Kritik:

'Selbst, wenn es bis zum allerletzten Herzschlag sein muss: Ich muss dafür sorgen, dass mein Gegner fällt', denkt der junge Mann, der gerade im strömenden Regen steht und sich, bereits in konzentrierter Kampfpose, in einer finsteren Gasse von einer Gruppe angriffslustiger Gestalten umringt sieht. Es sind die ersten Sekunden von RISE OF THE LEGEND und besagter Denker ist eben genau jene vom Titel behauptete Legende, die somit ob dieser feindlichen Offensive bereits zum Auftakt der Veranstaltung in wuchtiger Wehrhaftigkeit Tritte und Schläge verteilen und ihre Kontrahenten dekorativ in den Schlamm schleudern darf. Die Kamera wirbelt dabei mit wie wild, Blut und Wasser spritzen in effektiver Zeitlupe in Richtung des Betrachters und beim Landen eines Treffers bollert es von der Tonspur fortwährend, als sei soeben ein Güterzug mit Lichtgeschwindigkeit in ein Paukenlager gerast. Schon jetzt ist klar: Hier werden keine kleinen Brötchen gebacken, hier rappelt’s im Karton. Den Grund für das Geplänkel erfährt der Zuschauer (sofern es ihn denn überhaupt interessiert) allerdings erst später, denn das heftige Hand- und Fußgemenge war lediglich ein Ausblick auf kommende Ereignisse. Nach ein paar anschließenden Szenen, die den eben noch so prachtvoll prügelnden Protagonisten als Kleinkind unter der Schirmherrschaft seines klugen Vaters zeigen, folgt eine ausgiebig zelebrierte Vogelperspektive des Hafenviertels von Guangzhou, in dem emsiges Treiben herrscht und wo die Neugestaltung der Wong-Fei-Hung-Saga ihren Anfang nimmt.

Bereits der Beginn als Ganzes macht deutlich, dass die Reform von Erzählung und Figur Gemeinsamkeiten mit Vertrautem größtenteils vermissen lässt. Dieser generalüberholte Wong Fei-Hung ist alles andere als ein gelassener Gentleman, viel mehr ein ungestümer Wüterich, der bereits nach wenigen Minuten Laufzeit einem seiner Gegner die Hirse vom Halse hobelt. Zugegeben: So ganz getraut, seinen Helden zum kaltblütigen Killer umzudeuten, hat das Drehbuch sich dann doch nicht: Zum einen kullert der Kontrahenten-Kopf nicht aufgrund einer aktiven Abtrennungsmaßnahme, sondern weil dessen Besitzer hinterrücks doch sehr unglücklich in die scharfe Klinge stolpert. Und zum anderen ist für Fei-Hung das Ableben des ohnehin arg unsympathischen Fiesberts zwingender Mittel zum Zweck, sich das Vertrauen eines noch viel größeren Fisches zu angeln, dessen Verbrecherorganisation er fachgerecht zu infiltrieren und auszuhöhlen gedenkt. Und dennoch: Mit der prägenden Portraitierung durch Jet Li, der die Figur als liebenswert-edelmütigen Zeitgenossen in den Publikumsherzen verankerte, hat diese buchstäblich über Leichen gehende Darstellung nichts mehr zu tun. Von den schlitzohrigen Kapriolen von Schnapsnase Jackie Chan mal ganz zu schweigen.

Als hauptsächlichen Antriebsmotor für das ungewohnte Verhalten der Titelrolle fügte Autorin Christine To [→ TRUE LEGEND] ein – wie originell! - dringliches Vergangenheitsbewältigungsbegehren hinzu: Entgegen historischer Tatsachen stirbt der gütige Vater Wong Fei-Hungs hier nämlich, in salbungsvollen Rückblenden dargeboten, bei einer Rettungsaktion im Flammenmeer, wofür der verbleibende Sprössling alsbald den mächtigen Master Lui als Hauptverantwortlichen ausgemacht hat. Im festen Vorhaben, ihm seinen Verlust fachmännisch heimzuzahlen, erschleicht er sich durch die vorangegangene Tötungsaktion das Wohlwollen des gefürchteten Moguls und wird zur Tarnung vermeintlicher Teil des Biotops des Bösen, in welchem er rasch die Rangliste emporklettert. Im Grunde erzählt RISE OF THE LEGEND somit eine klassische Undercover-Story, wie man sie hauptsächlich aus dem Genre des Polizeifilms kennt: Der Gute gibt sich als Gauner aus, gliedert sich, das Damokles-Schwert der Entlarvung stets über sich wissend, in die Gemeinschaft ein, findet unerwartet Freunde auf gegnerischer Seite und beginnt mit sich selbst zu hadern, bevor ein großer Befreiungsschlag final die Fronten klärt.

Keine neue, aber auch keine schlechte Zutat, die hier jedoch arg verwässert wurde. Offenbar wollte sich die Autorin mit einem stringenten Handlungsablauf nicht zufrieden geben, weswegen RISE OF THE LEGEND unterwegs mehrfach die Richtung wechselt und bisweilen sogar komplett auf der Stelle tritt. So wird auf halber Strecke der Nebenschauplatz eines großangelegten Geldraubes eröffnet, den Fei-Hung mit seiner Orphan Gang genannten Gruppierung elternloser Versprengter durchführen will, was kurzzeitig für eine Art Genre-Wechsel in Richtung Rififi sorgt – zwar nicht ganz Ocean’s Eleven, aber immerhin Fei-Hungs Vier. Diese Aktion wird zwar als Baustein des Racheakts verkauft, doch schadet sie der Konsequenz der Story, führt sie doch zur Entwicklung zahlreicher Einzel-Episoden, welche den Hauptstrang regelrecht aufs Hintertreppchen schicken. Tatsächlich hat To merklich Mühe, die vielen nun mitmischenden Akteure unter einen Hut zu bringen, weswegen am Ende dann quasi jeder Charakter zu kurz kommt. Und wenn dann noch versucht wird, ein tragisches Liebesdreieck zu involvieren und der Held zwischen die Fronten zweier Frauenherzen gerät (samt schwülstiger Schwüre und kitschiger Bekundungen), dann herrscht sogar narrativer Stillstand.

Am Ende scheitert RISE OF THE LEGEND daran, der berühmten Figur eine überzeugende Frischzellenkur zu verpassen. Dass der kickende Arzt in seiner Darstellung hier überwiegend auf links gedreht wurde, fällt freilich unter den Aspekt der künstlerischen Freiheit und kann nicht wirklich negativ angelastet werden. Schon die vorangegangenen Interpretationen unterschieden sich teils stark. Allerdings wird man hiermit auch kaum neue Fans rekrutieren können. Dafür schindet Eddie Peng in der Hauptrolle auch schlichtweg zu wenig Eindruck – zumal sein Charakter keine erkennbare Entwicklung durchläuft. Fei-Hung ist am Ende eigentlich noch genauso wie am Anfang: ein Jungspund mit leichtem Aggressionsproblem, der an seinen Fehlern nicht wirklich zu wachsen scheint. Dafür darf er immerhin gegen eine Ikone des Hongkong-Kinos zu Felde ziehen: Sammo Hung. Der alteingesessene Star, der 2004 in IN 80 TAGEN UM DIE WELT witzigerweise noch selbst Wong Fei-Hung verkörperte, gibt hier mit Inbrunst den Oberschurken und Endgegner und reißt die Aufmerksamkeit in jeder seiner Szenen an sich. Das Finale in einem in Flammen stehenden Lagerhaus haut dann noch mal tüchtig aufs Mett und verdeutlicht, dass man als Genre-Fan hier trotz diverser Defizite eigentlich recht gut aufgehoben ist. Immerhin kommt es in regelmäßigen Abständen zu saftigen Auseinandersetzungen, die mit vollem Einsatz von Lanze, Schwert und Körper ausgetragen werden und zudem vom renommierten Profi Corey Yuen [→ THE MAN WITH THE IRON FISTS] gewohnt präzise choreographiert wurden. Mag das Ziel, eine neue Generation von Fei-Hung-Enthusiasten heranzuzüchten, auch verfehlt worden sein, so bleiben immerhin 2 Stunden aufwändig gestaltete Kampfkunst-Unterhaltung vor historischem Hintergrund. Da gibt’s Schlimmeres.

Laufzeit: 132 Min. / Freigabe: ungeprüft

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