Eigene Forschungen

Samstag, 2. Dezember 2023

GODZILLA - MINUS ONE


GOJIRA -1.0
Japan 2023

Regie:
Takashi Yamazaki

Darsteller:
Ryūnosuke Kamiki,
Minami Hamabe,
Yuki Yamada,
Munetaka Aoki,
Hidetaka Yoshioka,
Sakura Ando,
Kuranosuke Sasaki,
Noriko Oishi



„Ich bin jemand, der schon längst tot sein sollte.“
(Shikishima hat heute mal wieder gute Laune.)


Inhalt:

Japan, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs: Die Insel Odo dient als Anflugstelle für Flugzeuge mit Motorschaden. Pilot Kôichi Shikishima [Ryūnosuke Kamiki], des Einsatzes müde, täuscht einen solchen vor, um sich auf dem Eiland in Sicherheit zu bringen. Doch die Ruhe ist nur von kurzer Dauer, denn etwas Unfassbares geschieht: Ein gigantisches Ungetüm, von den Einheimischen ‚Godzilla‘ genannt, erscheint auf der Bildfläche und beginnt einen radikalen Vernichtungsfeldzug. Shikishima ist einer der wenigen Überlebenden. 2 Jahre später: Im immer noch völlig zerstörten Tokio hat der nach wie vor traumatisierte Shikishima sich eine neue Existenz aufgebaut. Er lebt mit Frau und Kind zusammen und hat eine gut bezahlte Arbeit als Minenentschärfer zur See. Doch am Bikini-Atoll braut sich neues Unheil zusammen: Atombombentests treffen den dort ruhenden ‚Godzilla‘, der daraufhin zu einem noch grauenhafteren Wesen mutiert. Als ein paar Schlachtschiffe zerstört werden, ist Shikishima sofort klar, wer bzw. was dafür verantwortlich ist. Und es steuert aufs Festland zu.

Kritik:

Godzilla, das dinosaurierartige radioaktiv verstrahlte Fabelwesen, wurde vom Feuilleton lange Zeit lediglich belächelt. Teils nicht ganz zu Unrecht: Spätestens ab den 1970er Jahren verlor die japanische Kino-Reihe jeden Anspruch und gefiel nur noch als kunterbunte Jahrmarktsattraktion (was durchaus auch seinen Reiz hatte). Längst totgeglaubt, gelang dem Kult-Koloss im neuen Jahrtausend eine kaum mehr für möglich gehaltene Renaissance: Mit etlichen Jahren Verspätung eroberte er doch noch Hollywood [GODZILLA (2014)], welches ihn folgend sowohl in Film- als auch Serienform in ausufernde Schlachten schickte. Aber auch in seinem Ursprungsland durfte das Kaijū (wie Riesen-Monster dort genannt werden) erneut zum Leben erwachen, erst als SHIN GODZILLA (2016), welcher der Saga komplett neues Leben einhauchte, dann erstmals gezeichnet in gleich zwei Anime-Varianten. Fast schon zur Tradition verkommen, wurde GODZILLA – MINUS ONE, der vorliegende Kino-Nachfolger SHIN GODZILLAs, abermals als Komplettmodifikation gestaltet, welche die vorherigen Fortsetzungen und Ableger ignoriert und alles wieder auf Anfang setzt.

So nah an die Wurzeln wagte man sich zuvor allerdings niemals zurück. Denn eigentlich, und das geriet im Laufe der Jahre fast ein wenig in Vergessenheit, ist das feuerspeiende Ungetüm kein Gute-Laune-Lieferant, sondern eine gespenstige Schreckgestalt, die Tod und Leid über Land und Leute bringt. Sein Stelldichein im Jahre 1954 war nicht nur aufgrund der schwarzweißen Bilder ein enorm düsteres Weltuntergangs-Szenario: Regisseur Ishirō Honda schuf mit GODZILLA eine eindrückliche Allegorie über das Grauen des Atomkrieges, dessen Auswirkungen dem Land der aufgehenden Sonne im Produktionsjahr noch in den Knochen steckte. GODZILLA – MINUS ONE dreht die Zeit zurück und verortet die Ereignisse erneut in den Nachkriegsjahren, wodurch man es im Grunde mit der ersten wirklichen Neuverfilmung des originalen Meilensteins zu tun hat. Und ja, Godzilla ist tatsächlich wieder die brachiale Urgewalt, die er einst war, eine Geißel der Menschheit auf gnadenlosem Vernichtungsfeldzug. Das erklärt dann auch den Titel: Japan liegt nach den verheerenden Bomben-Angriffen überwiegend im Trümmern; für die Nation bricht das neue Jahr 0 an. Das Auftauchen Godzillas macht dann alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft zunichte; die neue Zeitrechnung beträgt somit nun nicht einmal mehr Null, sondern Minus Eins.

Stilistisch unterscheiden sich die 1954er- und die 2023er-Version dennoch recht stark. So steht das Monster hier nicht mehr für die Gefahren der Atomkraft, sondern für das Trauma des Krieges, welches der Nation noch Jahre später bis in die Heimat folgt und keine Ruhe geben wird, bevor es nicht vollständig vernichtet ist. Sinnbild dafür ist der von Ryūnosuke Kamiki [→ KRIEG DER DÄMONEN] gespielte Pilot Kôichi Shikishima, der zudem die Bürde vermeintlicher Feigheit mich sich herumträgt: Während des Krieges drückte er sich vor dem Kampfeinsatz und beim ersten Auftauchen Godzillas ist er mental zu schwach, um die Waffe abzufeuern (Dass diese dem Untier wahrscheinlich gar nichts hätte anhaben können und seine Kameraden somit ohnehin gestorben wären, spielt dabei keine Rolle, da Schuldgefühle nicht zwangsläufig rational sind). Wenn er sich, um Godzilla zu besiegen, schließlich einem Freiwilligen-Battalion anschließt, das überwiegend als ehemaligen Armee-Angehörigen besteht, ist die Botschaft eindeutig: Die Fehler der Vergangenheit müssen getilgt, Schuld und Schock der Nation ausgemerzt werden. Dabei umschifft MINUS ONE immer wieder ein Thema, das dennoch einem godzillagroßen Elefanten gleich im Raum steht. Denn dass das Land geschunden am Boden lag, hatte schließlich einen Grund: die Kollaboration Japans mit den Verbrechern des Nationalsozialismus. Von deren menschenfeindlicher Ideologie ist hier selbstverständlich nichts zu spüren: Das Militär besteht ausschließlich aus grundanständigen Leuten, Rädchen im Getriebe, die halt lediglich das taten, was irgendwie getan werden musste. So hat es einen durchaus bitteren Beigeschmack, wenn immer wieder betont wird, wie sehr die Regierung ihre Männer doch im Stich gelassen habe. Auch zur Bekämpfung Godzillas (= des Kriegstraumas) trägt sie nichts bei, weswegen die ehemaligen Soldaten die Sache höchstselbst in die Hand nehmen müssen.

Mit der bleiernen Schwere, die über dem Geschehen liegt, mögen sich die (vergleichsweise seltenen) Auftritte des Stars der Show indes nicht so recht vertragen: Godzillas Vernichtungsfeldzüge sind nämlich durchaus dem sensationsheischenden Krawall-Kino verpflichtet und machen – salopp gesagt – richtig Laune. Wenn sein Feueratem ganze Straßenzüge ausradiert und ikonische Szenen aus dem originalen Klassiker kopiert werden, während dazu Akira Ifukubes bewährte musikalische Klänge ertönen, dann macht das Fan-Herz wahre Freudensprünge. Aber MINUS ONE ist eben kein Spaß-Spektakel, sondern ein durchaus düsteres Drama über gepeinigte Seelen auf der Suche nach Sinn und Absolution. Das hat schon etwas Ironisches: Nachdem die japanischen Godzilla-Filme aufgrund der Durchschaubarkeit ihrer Effekte und oft naiven Handlung lange Zeit als rückständig und albern gegolten hatten, brachten Beiträge wie SHIN GODZILLA oder eben MINUS ONE eine ungeahnte Ernsthaftigkeit in die Marke, während ausgerechnet die parallel dazu laufende, vom japanischen Output unabhängige amerikanische Reihe nun plötzlich für die Infantilität zuständig war, wenn Godzilla sich dort z. B. wieder mit seinem alten Konkurrenten King Kong kloppen durfte.

So ganz kann MINUS ONE den Widerspruch zwischen bedrückender Stimmung und begeisternder Zerstörungsorgie bis zum Ende nicht auflösen, wenn man gegen den monströsen Staatsfeind auf hoher See final zu Felde zieht. Das hält dann zwar im Ablauf keine Überraschungen bereit, arbeitet den notwendigen Action-Anteil aber pflichtschuldigst ab. Der Oxygen-Zerstörer, die Wunderwaffe aus dem Original, die in den Folgejahren immer mal wieder innerhalb der Reihe thematisiert wurde, bleibt dabei dieses Mal in der Mottenkiste – obwohl sie fraglos ein wenig sinnvoller gewesen wäre als der doch recht hanebüchene Plan, den man sich hier zurechtlegt. Dass es kurz vor Abspann dann noch zu einem kurzen Moment kommt, der in seiner absurden Kitschigkeit wirkt, als habe Steven Spielberg hier ein paar Sekunden lang die Feder geführt, hätte nicht sein müssen, richtet aber auch keinen großen Schaden an. MINUS ONE ist zwar kein Meilenstein geworden, aber eine (erneute) Frischzellenkur, welche die Unsterblichkeit seiner Titelfigur abermals zementiert. Auf ihn mit Gebrüll!

Laufzeit: 125 Min. / Freigabe: ab 12

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