China 2024
Regie:
Donnie Yen
Darsteller:
Donnie Yen,
Julian Cheung Chi-Lam,
Francis Ng Chun-Yu,
Michael Hui Koon-Man,
Michael Cheung Tin-Fu,
Kent Cheng Jak-Si,
Ray Lui Leung-Wai,
Mark Cheng Ho-Nam,
Lau Kong
Recht lange hat es gedauert, bis der Name „Donnie Yen“ auch in westlichen Gefilden ein Begriff war. In Asien schon seit den späten 1980ern ein Star, sei es durch seine Mitwirkung bei der im Polizei-Milieu angesiedelten IN THE LINE OF DUTY-Reihe, der TIGER CAGE-Trilogie oder historischen Kung-Fu-Epen wie IRON MONKEY, verpasste der pseudobiographische IP MAN (2008) dem Schauspieler und Kampfkünstler schließlich den nötigen Popularitätsschub, um auch im Rest der Welt als bekannt zu gelten. Immer mehr zum Aushängeschild der chinesischen Filmindustrie herangezüchtet, entstanden seitdem zahlreiche nur auf ihn zugeschnittene Werke, die seinen Status nachhaltig untermauern sollten. Dabei blieb man der Erfolgsformel in der Regel treu: Yen gab überwiegend den kampferprobten Großstadt-Polizisten oder den edlen Helden vor historischem Hintergrund. THE PROSECUTOR reiht sich da recht nahtlos ein, obwohl vom Grundprinzip her tatsächlich eher neues Terrain betreten wird. Vordergründig betrachtet hat man es nämlich mit einem waschechten Justiz-Thriller zu tun – ein Genre, in dem sich vornehmlich das amerikanische Kino sehr wohlfühlt, das vom asiatischen Markt aber überwiegend ignoriert wird. Das Drehbuch von Wong Chi-Mun [→ DIE SÖHNE DES GENERALS YANG] sorgt allerdings schon dafür, dass Fans nicht vor den Kopf gestoßen wird und es nicht allzu unyennig zugeht. Und so beginnt die Geschichte dann auch ziemlich vertraut: mit einem Yen in schicker Polizeiuniform.
Inhalt:
Fok Chi-Ho [Donnie Yen] ist Polizist mit Leib und Seele. Doch eines Tages kommt es zum Eklat: Beim Einsatz gegen ein Waffenkartell rettet er einer Kollegin das Leben und verletzt sich dabei schwer. Doch vor Gericht wird der versuchte Mörder freigesprochen. Enttäuscht vom System hängt er seinen Job an den Nagel – um selbst Staatsanwalt zu werden. Ein paar Jahre später beginnt er seinen neuen Dienst im Justizministerium unter der Ägide des erfahrenen Bao Ding [Kent Cheng]. Gleich sein erster Fall bringt Probleme: Der junge Ma Ka-Kit [Fung Ho Yeung] wird des Drogenhandels beschuldigt. Laut eigener Aussage hat er lediglich – gegen ein kleines Entgelt von Unbekannt – seine Adresse für die Annahme eines Pakets zur Verfügung gestellt, ohne zu wissen, was sich darin befand. Auf Anraten seiner Anwälte bekennt er sich schließlich trotzdem schuldig – bei Ersttätern sei ein mildes Urteil zu erwarten, so wird ihm gesagt. Wider Erwarten verurteilt ihn der Richter [Michael Hui] allerdings zu einer sehr hohen Haftstrafe. Fok vermutet ein abgekartetes Spiel und beginnt außerplanmäßig zu ermitteln. Er stößt auf ein weit verzweigtes kriminelles Netzwerk – und muss sich bald vor Auftragskillern hüten.
Kritik:
Die Eröffnungssequenz erfreut den Action-Freund zunächst auf vertraute Weise mit viel brachial inszeniertem Bleiaustausch, teils aus subjektiver Sicht, was Assoziationen zum klassischen „Ballerspiel“ hervorruft. Der Duktus ist dabei gewohnt übertrieben: Yen schaltet die gegnerische Partei fast im Alleingang aus – eine realitätsferne Befähigung zur Übermacht, die seinem Charakter auch in den folgenden zwei Stunden niemals abhanden kommt. Nicht genug der Heldentaten, rettet er im Anschluss an die Razzia obendrein einer Kollegin das noch so junge Leben, und zwar mittels eines Stunts, der jeden echten Menschen postwendend in die Urne befördert hätte. Als die anschließende Gerichtsverhandlung den Freispruch des Beinahetodverursachers zur Folge hat, sieht Fok sich gezwungen, den Polizeidienst zu quittieren, um stattdessen das Justizwesen mit ähnlich eherner Entschlossenheit zu bereichern. Das dafür nötige Studium verläuft offenbar ohne jede Müh, weswegen – zumindest laut Skript – sieben Jahre später ein neues Kapitel aufgeschlagen werden und Fok sich nun als Staatsanwalt verdingen kann.
Erwartungsgemäß legt er sich dabei aufgrund seiner Art, Gegebenheiten zu hinterfragen, schnell mit seinem Vorgesetzten an, der vom Genre-Veteranen Francis Ng [→ EXILED (2006)] verkörpert wird. Hier geraten Tempo und Spannung ein wenig ins Stocken, da der zugrunde liegende Fall nicht sonderlich aufregend ist: Ob der junge Ma Ka-Kit nun tatsächlich fälschlicherweise wegen Drogenhandels verurteilt wurde, obwohl es womöglich „nur“ Drogenbesitz war, oder ob er gar gänzlich unschuldig ist und hereingelegt wurde, führt beim Betrachter schnell zu gepflegtem Desinteresse. Allerdings nicht bei Fok, der gegen alle Widerstände versucht, den Fall neu aufrollen zu lassen. Als emotionaler Anker dient die Einbindung des Großvaters des Verurteilten, von Lau Kong [→ CITY ON FIRE (1987)] porträtiert als älterer Herr, der die Entlassung seines Enkels wohl nicht mehr miterleben würde, sollte ein Justizirrtum nicht rechtzeitig aufgeklärt werden. Laus Figur wird in erster Linie dazu genutzt, Donnie Yens Rolle als unerschütterlichen Gutmenschen zu präsentieren, der dem in ärmsten Verhältnissen lebenden Mann sogar heimlich Geldscheine zuschanzt. Richtig in Schwung kommt die Sache dann wieder, als Fok im Zuge eigenmächtiger Nachforschungen zur Zielscheibe diverser Anschläge wird, wobei das Drehbuch recht kopflos und dramaturgisch holprig ins Crime-Genre stolpert und das Geschehen aus den heiligen Hallen der Rechtsprechung zurück auf die Straße verlagert, in verrauchte Räuberhöhlen und zwielichtige Clubs, wo dreckige Gauner zwischen Koks, Nutten und Zigarettenqualm düstere Pläne schmieden.
Die Darstellung der Unterwelt gerät dabei arg klischeehaft und erinnert eher an Groschenromane oder altmodische Comic-Strips denn an Realitäten, inklusive heiser röchelnder Marlon-Brando-Kopie und aufgeregter Diskussion darüber, wer denn dem Gegenüber nun die Kugel in den Kopf jagen darf. Ins Reich der Fabel gehört fraglos auch die von der Leine gelassene Killermaschine (Yu Kang aus SPECIAL ID [2013]), die Donnie Yen das Leben schwermachen darf und selbst nach Stürzen von hohen Häuserdächern noch geistenskrank lachend und fit wie ein Turnschuh durch die Gegend springt. Das ist zwar schwer unterhaltsam und macht anständig Laune, beißt sich aber natürlich mit der seriösen Attitüde, die zuvor im Justizministerium oder Gerichtsaal hinaufbeschworen wurde. Angeblich sollte THE PROSECUTOR ursprünglich sogar ohne solche Kampfmomente auskommen und erst nachträglich wurde entschieden – die Fan-Gemeinde stets Blick –, derlei Yen-typische Handgemenge zu integrieren. Dafür darf man durchaus dankbar sein, denn die wuchtigen Kung-Fu-Kollisionen – Plausibilität hin oder her – verpassen der phasenweise etwas trägen Haupthandlung die nötige Portion Pfeffer.
Dabei bäckt die Inszenierung derselben wahrhaft keine kleinen Brötchen: Die Fights kommen nicht wie ein simples Duell Mann gegen Mann daher, sondern werden zu epischen Schlachten hochskaliert. In der imposantesten Aufnahme stellt sich Fok auf dem Dach eines Clubs einer Heerschar an Kontrahenten. Dabei wechselt die Kamera alsbald in die Vogelperspektive und bildet zusätzlich zum Kampfgetümmel die Skyline der gesamten Stadt ab, was dem Geschehen eine fast monumentale Bedeutung verleiht. Solcher Exzess, die Zelebrierung von körperlicher Konfrontation als überlebensgroßes, staatstragendes Jahrhundertereignis, erinnert stilistisch an die einflussreiche JOHN WICK-Reihe, in deren viertem Teil Donnie Yen ja ebenfalls zu Gast war. In Erinnerung bleibt außerdem Foks finale Verteidigungsmaßnahme gegen den nahezu unkaputtbaren Syndikatskiller in der U-Bahn – wobei diese sich eher für einen ICE zu sein scheint, immerhin rast sie in einem Affenzahn durch den Tunnelschacht und keine Haltestelle dieser Welt schickt sich an, die ausufernde Auseinandersetzung zu unterbrechen.
In solchen Momenten fühlt sich der Action-Aficionado angenehm zuhause, ist es doch gerade diese verspielte Beugung realer Gegebenheiten, die das Genre so aufregend macht. Dem Anspruch, gleichzeitig auch einen authentischen Einblick in Rechtsverhältnisse zu gewähren, wird man hingegen in keiner Weise gerecht. THE PROSECUTOR wurde nämlich tatsächlich von der Obersten Volksstaatsanwaltschaft gefördert und versteht sich damit als eine Art Prestigeprojekt. Dementsprechend wird zwischen den Zeilen gern auch mal ein Hohelied auf den Rechtsstaat sowie die Unabhängigkeit der chinesischen Justiz angestimmt. Das ist natürlich ein echter Lacher, zum einen, weil es schlicht nicht der tatsächlichen Situation vor Ort entspricht, zum anderen aber auch, weil THE PROSECUTOR dieser Behauptung sogar selbst widerspricht. Fok nutzt seine berufliche Vergangenheit nämlich, um weiterhin mit der Polizei zu kooperieren und ermuntert alle Anwesenden dazu, an einem Strang zu ziehen. Gewaltenteilung? Kann weg! Dazu kommt – und das ist der eigentliche Witz an der Sache –, dass im Grunde gar kein sonderlich gutes Licht auf den Justizapparat geworfen wird: überlastete Staatsdiener, die in der Abarbeitung ihrer Fälle kaum noch hinterherkommen und daher stets zur einfachsten Lösung greifen, arrogante Richter, die überteuerten Wein saufen und bereitwillig Unschuldige verknacken, sofern die Beweislage es hergibt, abgestumpfte Anwälte, die ihre Prozesse so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen … Da muss schon eine Lichtgestalt wie Donnie Yen anrücken, um das schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bringen und das Gleichgewicht wieder herzustellen. Yin und Yen, sozusagen.
Überraschend subversiv geriet zudem auch die Darstellung der krassen Arm-Reich-Schere, wenn die mitleiderregenden Lebensumstände bürgerlicher Figuren mit dem sündhaft teuren Chic weniger Priviligierter kontrastiert wird. Auch soziale Barrieren sowie die prekäre Wohnsituation in Hongkong werden immerhin am Rande thematisiert. In Anbetracht der staatlichen Kontrolle über unliebsame Inhalte ist es ein ziemlich unerwartetes Zugeständnis, dass das Bild vom Leben in der Metropole nicht unbedingt in den schillerndsten Farben gemalt wird. Ungeachtet dieser teils durchaus kritischen Untertöne bleibt THE PROSECUTOR am Ende natürlich jedoch vor allem eines: ein weiteres Vehikel, um Donnie Yens Ruf als Vorzeigeheld zu zementieren. Für weiteres Aufsehen sorgen Auftritte altbekannter Genre-Gesichter wie das von Michael Hui [→ ENTE GUT, ALLES GUT (1988)], der in den 1980ern in China als Komiker eine Größe war und hier nun als strenger Richter gezielt gegen den Strich besetzt wurde. Oder das von Kent Cheng in der Rolle des gewissenhaften Mentors, der hier einen erfreulich mobilen Eindruck macht, bedenkt man, dass er bei früheren Gastspielen wie im Jackie-Chan-Knaller CRIME STORY (1993) kaum in den Fahrstuhl passte.
Das Urteil: Nach eingehender Beweisaufnahme und sorgfältiger Prüfung aller Augenzeugenberichte ist nach reiflicher Überlegung und gewissenhafter Abwägung zu konstatieren, dass THE PROSECUTOR deutlich mehr Stärken als Schwächen aufweist. Insbesondere die großartig in Szene gesetzten Action-Sequenzen unterstreichen die Wertigkeit des Werks und fließen maßgeblich in die Gesamtwertung ein. Die Anklage wegen Pathos und Propaganda wird mit dem Hinweis auf deren relative Unterrepräsentation als irrelevant verworfen – sie können dem Ergebnis keinen ernsthaften Schaden zufügen. Gleichwohl wird befunden, dass Protagonist Yen trotz fortgeschrittenen Alters von 60 Jahren immer noch eindrucksvoll sowohl Charisma als auch körperliche Agilität zur Schau trägt, was uneingeschränkte Hochachtung hervorruft. Somit ergeht ein rückhaltloses Empfehlungsschreiben für alle Fans der Durchsetzung martialischer Gerechtigkeit. Kein Grund zur Klage!
Laufzeit: 117 Min. / Freigabe: ab 16