Eigene Forschungen

Dienstag, 1. Juli 2025

THE PROSECUTOR


NG PAAN
China 2024

Regie:
Donnie Yen

Darsteller:
Donnie Yen,
Julian Cheung Chi-Lam,
Francis Ng Chun-Yu,
Michael Hui Koon-Man,
Michael Cheung Tin-Fu,
Kent Cheng Jak-Si,
Ray Lui Leung-Wai,
Mark Cheng Ho-Nam,
Lau Kong


Recht lange hat es gedauert, bis der Name „Donnie Yen“ auch in westlichen Gefilden ein Begriff war. In Asien schon seit den späten 1980ern ein Star, sei es durch seine Mitwirkung bei der im Polizei-Milieu angesiedelten IN THE LINE OF DUTY-Reihe, der TIGER CAGE-Trilogie oder historischen Kung-Fu-Epen wie IRON MONKEY, verpasste der pseudobiographische IP MAN (2008) dem Schauspieler und Kampfkünstler schließlich den nötigen Popularitätsschub, um auch im Rest der Welt als bekannt zu gelten. Immer mehr zum Aushängeschild der chinesischen Filmindustrie herangezüchtet, entstanden seitdem zahlreiche nur auf ihn zugeschnittene Werke, die seinen Status nachhaltig untermauern sollten. Dabei blieb man der Erfolgsformel in der Regel treu: Yen gab überwiegend den kampferprobten Großstadt-Polizisten oder den edlen Helden vor historischem Hintergrund. THE PROSECUTOR reiht sich da recht nahtlos ein, obwohl vom Grundprinzip her tatsächlich eher neues Terrain betreten wird. Vordergründig betrachtet hat man es nämlich mit einem waschechten Justiz-Thriller zu tun – ein Genre, in dem sich vornehmlich das amerikanische Kino sehr wohlfühlt, das vom asiatischen Markt aber überwiegend ignoriert wird. Das Drehbuch von Wong Chi-Mun [→ DIE SÖHNE DES GENERALS YANG] sorgt allerdings schon dafür, dass Fans nicht vor den Kopf gestoßen wird und es nicht allzu unyennig zugeht. Und so beginnt die Geschichte dann auch ziemlich vertraut: mit einem Yen in schicker Polizeiuniform.

Inhalt:

Fok Chi-Ho [Donnie Yen] ist Polizist mit Leib und Seele. Doch eines Tages kommt es zum Eklat: Beim Einsatz gegen ein Waffenkartell rettet er einer Kollegin das Leben und verletzt sich dabei schwer. Doch vor Gericht wird der versuchte Mörder freigesprochen. Enttäuscht vom System hängt er seinen Job an den Nagel – um selbst Staatsanwalt zu werden. Ein paar Jahre später beginnt er seinen neuen Dienst im Justizministerium unter der Ägide des erfahrenen Bao Ding [Kent Cheng]. Gleich sein erster Fall bringt Probleme: Der junge Ma Ka-Kit [Fung Ho Yeung] wird des Drogenhandels beschuldigt. Laut eigener Aussage hat er lediglich – gegen ein kleines Entgelt von Unbekannt – seine Adresse für die Annahme eines Pakets zur Verfügung gestellt, ohne zu wissen, was sich darin befand. Auf Anraten seiner Anwälte bekennt er sich schließlich trotzdem schuldig – bei Ersttätern sei ein mildes Urteil zu erwarten, so wird ihm gesagt. Wider Erwarten verurteilt ihn der Richter [Michael Hui] allerdings zu einer sehr hohen Haftstrafe. Fok vermutet ein abgekartetes Spiel und beginnt außerplanmäßig zu ermitteln. Er stößt auf ein weit verzweigtes kriminelles Netzwerk – und muss sich bald vor Auftragskillern hüten.

Kritik:

Die Eröffnungssequenz erfreut den Action-Freund zunächst auf vertraute Weise mit viel brachial inszeniertem Bleiaustausch, teils aus subjektiver Sicht, was Assoziationen zum klassischen „Ballerspiel“ hervorruft. Der Duktus ist dabei gewohnt übertrieben: Yen schaltet die gegnerische Partei fast im Alleingang aus – eine realitätsferne Befähigung zur Übermacht, die seinem Charakter auch in den folgenden zwei Stunden niemals abhanden kommt. Nicht genug der Heldentaten, rettet er im Anschluss an die Razzia obendrein einer Kollegin das noch so junge Leben, und zwar mittels eines Stunts, der jeden echten Menschen postwendend in die Urne befördert hätte. Als die anschließende Gerichtsverhandlung den Freispruch des Beinahetodverursachers zur Folge hat, sieht Fok sich gezwungen, den Polizeidienst zu quittieren, um stattdessen das Justizwesen mit ähnlich eherner Entschlossenheit zu bereichern. Das dafür nötige Studium verläuft offenbar ohne jede Müh, weswegen – zumindest laut Skript – sieben Jahre später ein neues Kapitel aufgeschlagen werden und Fok sich nun als Staatsanwalt verdingen kann.

Erwartungsgemäß legt er sich dabei aufgrund seiner Art, Gegebenheiten zu hinterfragen, schnell mit seinem Vorgesetzten an, der vom Genre-Veteranen Francis Ng [→ EXILED (2006)] verkörpert wird. Hier geraten Tempo und Spannung ein wenig ins Stocken, da der zugrunde liegende Fall nicht sonderlich aufregend ist: Ob der junge Ma Ka-Kit nun tatsächlich fälschlicherweise wegen Drogenhandels verurteilt wurde, obwohl es womöglich „nur“ Drogenbesitz war, oder ob er gar gänzlich unschuldig ist und hereingelegt wurde, führt beim Betrachter schnell zu gepflegtem Desinteresse. Allerdings nicht bei Fok, der gegen alle Widerstände versucht, den Fall neu aufrollen zu lassen. Als emotionaler Anker dient die Einbindung des Großvaters des Verurteilten, von Lau Kong [→ CITY ON FIRE (1987)] porträtiert als älterer Herr, der die Entlassung seines Enkels wohl nicht mehr miterleben würde, sollte ein Justizirrtum nicht rechtzeitig aufgeklärt werden. Laus Figur wird in erster Linie dazu genutzt, Donnie Yens Rolle als unerschütterlichen Gutmenschen zu präsentieren, der dem in ärmsten Verhältnissen lebenden Mann sogar heimlich Geldscheine zuschanzt. Richtig in Schwung kommt die Sache dann wieder, als Fok im Zuge eigenmächtiger Nachforschungen zur Zielscheibe diverser Anschläge wird, wobei das Drehbuch recht kopflos und dramaturgisch holprig ins Crime-Genre stolpert und das Geschehen aus den heiligen Hallen der Rechtsprechung zurück auf die Straße verlagert, in verrauchte Räuberhöhlen und zwielichtige Clubs, wo dreckige Gauner zwischen Koks, Nutten und Zigarettenqualm düstere Pläne schmieden.

Die Darstellung der Unterwelt gerät dabei arg klischeehaft und erinnert eher an Groschenromane oder altmodische Comic-Strips denn an Realitäten, inklusive heiser röchelnder Marlon-Brando-Kopie und aufgeregter Diskussion darüber, wer denn dem Gegenüber nun die Kugel in den Kopf jagen darf. Ins Reich der Fabel gehört fraglos auch die von der Leine gelassene Killermaschine (Yu Kang aus SPECIAL ID [2013]), die Donnie Yen das Leben schwermachen darf und selbst nach Stürzen von hohen Häuserdächern noch geistenskrank lachend und fit wie ein Turnschuh durch die Gegend springt. Das ist zwar schwer unterhaltsam und macht anständig Laune, beißt sich aber natürlich mit der seriösen Attitüde, die zuvor im Justizministerium oder Gerichtsaal hinaufbeschworen wurde. Angeblich sollte THE PROSECUTOR ursprünglich sogar ohne solche Kampfmomente auskommen und erst nachträglich wurde entschieden – die Fan-Gemeinde stets Blick –, derlei Yen-typische Handgemenge zu integrieren. Dafür darf man durchaus dankbar sein, denn die wuchtigen Kung-Fu-Kollisionen – Plausibilität hin oder her – verpassen der phasenweise etwas trägen Haupthandlung die nötige Portion Pfeffer.

Dabei bäckt die Inszenierung derselben wahrhaft keine kleinen Brötchen: Die Fights kommen nicht wie ein simples Duell Mann gegen Mann daher, sondern werden zu epischen Schlachten hochskaliert. In der imposantesten Aufnahme stellt sich Fok auf dem Dach eines Clubs einer Heerschar an Kontrahenten. Dabei wechselt die Kamera alsbald in die Vogelperspektive und bildet zusätzlich zum Kampfgetümmel die Skyline der gesamten Stadt ab, was dem Geschehen eine fast monumentale Bedeutung verleiht. Solcher Exzess, die Zelebrierung von körperlicher Konfrontation als überlebensgroßes, staatstragendes Jahrhundertereignis, erinnert stilistisch an die einflussreiche JOHN WICK-Reihe, in deren viertem Teil Donnie Yen ja ebenfalls zu Gast war. In Erinnerung bleibt außerdem Foks finale Verteidigungsmaßnahme gegen den nahezu unkaputtbaren Syndikatskiller in der U-Bahn – wobei diese sich eher für einen ICE zu sein scheint, immerhin rast sie in einem Affenzahn durch den Tunnelschacht und keine Haltestelle dieser Welt schickt sich an, die ausufernde Auseinandersetzung zu unterbrechen.

In solchen Momenten fühlt sich der Action-Aficionado angenehm zuhause, ist es doch gerade diese verspielte Beugung realer Gegebenheiten, die das Genre so aufregend macht. Dem Anspruch, gleichzeitig auch einen authentischen Einblick in Rechtsverhältnisse zu gewähren, wird man hingegen in keiner Weise gerecht. THE PROSECUTOR wurde nämlich tatsächlich von der Obersten Volksstaatsanwaltschaft gefördert und versteht sich damit als eine Art Prestigeprojekt. Dementsprechend wird zwischen den Zeilen gern auch mal ein Hohelied auf den Rechtsstaat sowie die Unabhängigkeit der chinesischen Justiz angestimmt. Das ist natürlich ein echter Lacher, zum einen, weil es schlicht nicht der tatsächlichen Situation vor Ort entspricht, zum anderen aber auch, weil THE PROSECUTOR dieser Behauptung sogar selbst widerspricht. Fok nutzt seine berufliche Vergangenheit nämlich, um weiterhin mit der Polizei zu kooperieren und ermuntert alle Anwesenden dazu, an einem Strang zu ziehen. Gewaltenteilung? Kann weg! Dazu kommt – und das ist der eigentliche Witz an der Sache –, dass im Grunde gar kein sonderlich gutes Licht auf den Justizapparat geworfen wird: überlastete Staatsdiener, die in der Abarbeitung ihrer Fälle kaum noch hinterherkommen und daher stets zur einfachsten Lösung greifen, arrogante Richter, die überteuerten Wein saufen und bereitwillig Unschuldige verknacken, sofern die Beweislage es hergibt, abgestumpfte Anwälte, die ihre Prozesse so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen … Da muss schon eine Lichtgestalt wie Donnie Yen anrücken, um das schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bringen und das Gleichgewicht wieder herzustellen. Yin und Yen, sozusagen.

Überraschend subversiv geriet zudem auch die Darstellung der krassen Arm-Reich-Schere, wenn die mitleiderregenden Lebensumstände bürgerlicher Figuren mit dem sündhaft teuren Chic weniger Priviligierter kontrastiert wird. Auch soziale Barrieren sowie die prekäre Wohnsituation in Hongkong werden immerhin am Rande thematisiert. In Anbetracht der staatlichen Kontrolle über unliebsame Inhalte ist es ein ziemlich unerwartetes Zugeständnis, dass das Bild vom Leben in der Metropole nicht unbedingt in den schillerndsten Farben gemalt wird. Ungeachtet dieser teils durchaus kritischen Untertöne bleibt THE PROSECUTOR am Ende natürlich jedoch vor allem eines: ein weiteres Vehikel, um Donnie Yens Ruf als Vorzeigeheld zu zementieren. Für weiteres Aufsehen sorgen Auftritte altbekannter Genre-Gesichter wie das von Michael Hui [→ ENTE GUT, ALLES GUT (1988)], der in den 1980ern in China als Komiker eine Größe war und hier nun als strenger Richter gezielt gegen den Strich besetzt wurde. Oder das von Kent Cheng in der Rolle des gewissenhaften Mentors, der hier einen erfreulich mobilen Eindruck macht, bedenkt man, dass er bei früheren Gastspielen wie im Jackie-Chan-Knaller CRIME STORY (1993) kaum in den Fahrstuhl passte. 

Das Urteil: Nach eingehender Beweisaufnahme und sorgfältiger Prüfung aller Augenzeugenberichte ist nach reiflicher Überlegung und gewissenhafter Abwägung zu konstatieren, dass THE PROSECUTOR deutlich mehr Stärken als Schwächen aufweist. Insbesondere die großartig in Szene gesetzten Action-Sequenzen unterstreichen die Wertigkeit des Werks und fließen maßgeblich in die Gesamtwertung ein. Die Anklage wegen Pathos und Propaganda wird mit dem Hinweis auf deren relative Unterrepräsentation als irrelevant verworfen – sie können dem Ergebnis keinen ernsthaften Schaden zufügen. Gleichwohl wird befunden, dass Protagonist Yen trotz fortgeschrittenen Alters von 60 Jahren immer noch eindrucksvoll sowohl Charisma als auch körperliche Agilität zur Schau trägt, was uneingeschränkte Hochachtung hervorruft. Somit ergeht ein rückhaltloses Empfehlungsschreiben für alle Fans der Durchsetzung martialischer Gerechtigkeit. Kein Grund zur Klage!

Laufzeit: 117 Min. / Freigabe: ab 16

Dienstag, 24. Juni 2025

JOLT


JOLT
USA 2021

Regie:
Tanya Wexler

Darsteller:
Kate Beckinsale,
Jai Courtney,
Stanley Tucci,
Bobby Cannavale,
Laverne Cox,
Ori Pfeffer,
David Bradley,
Susan Sarandon



„Manche Leute heulen, manche saufen, manche schreiben scheiß Gedichte. Ich bin gewalttätig. Wird Zeit, das sinnvoll einzusetzen.“
(Immer schön, wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann.)

Inhalt:

Einfach nur zu behaupten, Lindy [Kate Beckinsale] habe ein Aggressionsproblem, wäre eine gewagte Untertreibung. Seit ihrer Kindheit trägt sie eine kaum kontrollierbare Wut in sich. Und ihre Hemmschwelle ist niedrig. Schon bei kleinen Provokationen oder Ungerechtigkeiten brennen ihr die Sicherungen durch und brutaler Hass bricht sich Bahn – oft sehr zum Leidwesen ihrer Mitmenschen. Kein Wunder also, dass sich Lindy weitestgehend aus der Gesellschaft zurückgezogen hat. Hoffnung keimt erst auf, als ihr Psychiater Dr. Munchin [Stanley Tucci] sie zu einem neuartigen Experiment überreden kann: Freiwillig herbeigeführte Elektroschocks sollen ihr hitziges Temperament zügeln. Aus diesem Grund trägt Lindy unter ihrer Kleidung nun eine Art Korsett, das mit Elektroden versehen wurde. Bei drohender Eskalation kann sie sich damit selbst per Knopfdruck ein paar Sekunden lang „unter Strom setzen“ – wodurch ihr Zorn verrauchen soll. Das funktioniert immerhin so gut, dass Lindy sich wieder unter Menschen traut. Sogar zu einem Blind Date findet sie den Mut. Gut, bei ihrem ersten Treffen prügelt sie zwar eine unverschämte Kellnerin ins Koma, aber das bekommt ihre Verabredung, der charmante Justin [Jai Courtney], zum Glück nicht mit. Lindy verliebt sich in den netten Buchhalter und ihr Leben scheint endlich ins Lot zu kommen. Doch als sie ihn am kommenden Tag anrufen will, meldet sich statt seiner Detective Vicars [Bobby Cannavale] von der Mordkommission und teilt ihr mit, dass Justin erschossen wurde. Lindys Welt bricht abermals zusammen. Aber nun hat sie ein Ziel: Den oder die Mörder ihres Geliebten zu finden und seinen Tod zu rächen. Und dafür hat sie mehr als genug Wut im Bauch.

Kritik:

„Jolt“ bedeutet auf Deutsch so viel wie „Ruck“ – womit in diesem Fall der elektrische Schlag gemeint ist, den die Protagonistin sich in regelmäßigen Abständen selbst verabreicht, um nicht aus der Haut zu fahren. JOLT steht damit ganz in der Tradition der exzessiven Gaga-Action, die gewissermaßen 2006 mit CRANK ihren Anfang nahm. Dort sah man einen durch die Stadt hetzenden Jason Statham, der sich immer wieder Adrenalinschübe verpassen musste, um nicht zu explodieren. Diese komplett absurde Ausgangssituation diente als Basis für eine hemmungslos Achterbahnfahrt, die nicht selten gezielt am guten Geschmack vorbeiging. Seitdem reicht eine verrückte Prämisse oft schon aus, um beim Genre-Freund Interesse zu wecken. Die Idee, einer Hauptfigur eine exorbitante Impulskontrollstörung zu verpassen, die nur mittels einer stromschlagausteilenden Apparatur gebändigt werden kann, ist daher prinzipiell schon einmal die halbe Miete – wobei im Wesentlichen das CRANK-Konzept einfach umgedreht wurde: Während dort der Erregungszustand künstlich hochgepuscht werden musste, um zu überleben, muss er hier – ganz im Gegenteil – mit aller Macht gezügelt werden. Die elektrische Unterwäsche, die das bewerkstelligen soll und als Alleinstellungsmerkmal in den Fokus gerückt wird, erweist sich allerdings rasch als für die Handlung überflüssiges Gimmick: Die Heldin hat nämlich ziemlich schnell gar keinen Grund mehr, ihren Jähzorn unter Verschluss zu halten. Auf der Suche nach den Verantwortlichen für das Ableben ihres Kavaliers braucht sie ihre aufbrausende Art nämlich unbedingt. Denn diese hindert sie daran, an etwaige Folgen zu denken und lässt sie zornesrot in Gangstergefilde vorpreschen, in die die Polizei nicht so einfach eindringen könnte.

Die rebellische Attitüde, die dabei mitschwingt, hält des Betrachters Stimmungsbarometer ziemlich konstant oben, obwohl JOLT letzten Endes doch relativ konventionell ausfällt. Dass Unbeherrschtheit und übersteigertes Aggressionspotenzial einen gleichzeitig auch noch Kampfkunsttechniken lehrt, mittels derer sich böse Buben behände auf die Bretter legen lassen, darf zudem stark bezweifelt werden. Etwas abgefedert wird dieses unglaubwürdige Element zumindest durch die Erwähnung der Jobs, die Lindy zuvor hatte und die ein gewisses Maß an Selbstverteidigungsbefähigung voraussetzen – Türsteherin zum Beispiel. Die hier zelebrierte Übertreibung erinnert dennoch stark an das Superhelden-Genre, in dem Behinderungen, Erkrankungen oder Traumata häufig als Ursache spezieller Begabungen herhalten mussten. Das Paradebeispiel dafür ist DAREDEVIL, der durch seine Blindheit seine anderen Sinne so weit schärfen konnte, dass er seinen Gegnern überlegen war. Lindys Superkraft in JOLT hingegen ist ihre Tobsucht. Und ihr Unvermögen, diese unter Kontrolle zu bringen. Ein wenig wie Hulk also. Nur halt ohne Hulk-Werdung. Oder wie Mr. Furious aus MYSTERY MEN. Nur, dass ihre Wut auch tatsächlich Folgen hat – sehr blutige mitunter. Der Comic-Eindruck der Veranstaltung wird zusätzlich verstärkt durch Gestalt und Habitus des Oberschurken: ein gleichermaßen steinalter wie -reicher Kauz, der in einem uneinnehmbaren Wolkenkratzer residiert, in dem er gelegentlich auch mal dämonisch von der Decke hängt. Nicht einmal die Regierung sei blöd genug, sich mit ihm anzulegen, heißt es an einer Stelle. Verkörpert wird diese Rolle von David Bradley [→ HARRY POTTER UND DER STEIN DER WEISEN], der sie mit ehrfurchtgebietender Bedrohlichkeit ausfüllt – was wunderbar mit Lindys jugendlich-unbeeindruckter Art kontrastiert.

Ohnehin … Kate Beckinsale! Die britische Schauspielerin besticht in der Hauptrolle durch eine sagenhafte Präsenz und trägt die ganze Angelegenheit nahezu mühelos auf ihren Schultern. Dass aus dem Püppchen aus PEARL HARBOUR (2001) einmal eine ernstzunehmende Action-Heldin wird, darauf hätte damals wohl kaum jemand gewettet. Und dass sie beim JOLT-Dreh bereits stramm auf die 50-Jahre-Marke zuging, glaubt man ebenfalls kaum. Als randalierender Racheengel mit Prügel-Tourette sprüht sie regelrecht vor Energie und obwohl sie nicht sonderlich muskulös ist, kauft man es ihr sofort ab, dass sie locker-flockig ein paar Leute zusammenfalten könnte. Freilich beißt sich ihre juvenil-derbe Art etwas mit der Behauptung, Lindy lebe am Rande der Gesellschaft. Dafür wirkt sie eigentlich viel zu unbeschwert. Aber JOLT will ja auch kein realistisches Sozialdrama sein, sondern in erster Linie gute Laune verbreiten. Der Einstieg geriet dafür allerdings erstaunlich düster, wenn mit Grabesstimme (Erzählerin: Susan Sarandon [→ THELMA & LOUISE]) von Lindys zerrütteter Kindheit berichtet wird, von der Tabletten- und Alkoholsucht ihrer Eltern, von ihrer Einsamkeit, ihren zerstörerischen Wutanfällen und ihrer Jugend als menschliches Versuchskaninchen. Das ist eigentlich schon ziemlich starker Tobak. Danach kippt der Tenor allerdings ziemlich schnell ins Komödiantische, was der abstrusen Story merklich guttut. Vor allem in den Dialogen zwischen Lindy und ihrem von Stanley Tucci [→ WILD CARD] gewohnt gallig verkörperten Stromschlag-Seelenklempner Dr. Munchin fliegen die Funken. Ihre gemeinsamen Szenen gehören fraglos zu den Höhepunkten JOLTs. Und dann ist da auch noch das Polizisten-Duo, das Lindy mehr oder weniger auf den Fersen ist und dabei ebenfalls für einige amüsante Momente sorgt: der schalkhafte, von Bobby Cannavale [→ PARKER] verkörperte Vicars, der offenbar ein kleines Auge auf seine Zielperson geworfen hat, und die resolute Nevin (Laverne Cox aus CHARLIE’S ANGELS [2019]), deren lakonische Kommentare ein paar echte Lacher fabrizieren.

Doch, das Personal ist schon gut aufgestellt und entschädigt auch für ein paar Defizite. Zu nennen wäre diesbezüglich in erster Linie die Inhaltsarmut, denn wirklich viel passiert hier eigentlich nicht. JOLT geht ziemlich unumwunden nach vorn und erlaubt sich keine großen Umwege. Nach dem fast schon mythisch angehauchten Einstieg hätte man da schon ein wenig mehr erwartet. Die Action ist zwar gut in Szene gesetzt, passiert aber tatsächlich auch eher selten. Viele von Lindys blutigen Ausrastern entpuppen sich zudem als Tagträume – Szenarien, die sicherlich Realität geworden wären, würde sie sich nicht mittels ihres Elektrodenkorsetts immer gerade noch rechtzeitig „zurechtschocken“. Dafür wurde eine völlig selbstzweckhafte Autoverfolgungsjagd ins Skript gemogelt, die so unnötig wirkt, dass es fast schon albern ist. Visuell allerdings hat Regisseurin Tanya Wexler (die zuvor hauptsächlich das Seriensegment bediente) die Chose gut im Griff. Wenn Lindy sich etwa unter Strom setzt, zoomt die Kamera auf ihre Augen, deren Pupillen dann von Blitzen durchzogen werden. Am Ende wird dann ganz selbstbewusst das Tor zu einer Fortsetzung sperrangelweit aufgetreten. Die kam dann allerdings nie. Was durchaus schade ist. JOLT ist zwar nicht sonderlich herausragend. Aber er macht Spaß. Und Wutbürgerin Beckinsale hätte man gern noch mindestens ein weiteres Mal beim Eskalieren zugesehen. 

Laufzeit: 91 Min. / Freigabe: ab 16

Mittwoch, 18. Juni 2025

BALLERINA


BALLERINA
USA 2025

Regie:
Len Wiseman

Darsteller:
Ana de Armas,
Gabriel Byrne,
Anjelica Huston,
Ian McShane,
Lance Reddick,
Norman Reedus,
Keanu Reeves,
Sharon Duncan-Brewster



„Aus der Welt von John Wick“ prangt prominent auf dem Plakat zu BALLERINA, damit auch ja niemand übersieht, es mit einem Ableger der populären Profikiller-Reihe zu tun zu haben. Dabei hätten sich 2014, als Teil 1 an den Start ging, wohl selbst die Produzenten nicht träumen lassen, dass die brutale Ballerorgie JOHN WICK einmal in Blockbuster-Sphären vorstoßen und der Name zur Marke reifen würde. Aber die später zum überlangen Epos aufgeblasene Action-Saga ließ trotz hoher Freigaben und Verzichts auf Massenkompatibilität von Fortsetzung zu Fortsetzung immer lauter die Kassen klingeln und bescherte ihrem Hauptdarsteller Keanu Reeves als unkaputtbarem Auftragsmörder auf der Abschussliste einen respektablen Alterseinstand. Zwar wirkt die Verbindung zum Vorbild teils etwas forciert, aber Fans haben bei BALLERINA dennoch allen Grund zur Freude. Denn der „weibliche Wick“ ist kaum weniger mörderisch unterwegs als das Original und entfesselt – wortwörtlich – einen Feuersturm der Rache.

Inhalt:

Als Eve Macarro [Victoria Comte] ihren ersten Menschen tötet, ist sie noch ein Kind: Sie feuert eine Kugel in den Körper des Mannes, der kurz davor ist, ihren Vater umzubringen. Doch dieser kam nicht allein. Er war Teil eines Killer-Kommandos, das einen groß angelegten Überfall auf die prachtvolle Privatbehausung des Syndikatmitglieds unternimmt. Auf der Flucht vor weiteren Attentätern erliegt der Angegriffene schließlich dennoch der feindlichen Übermacht. Seine traumatisierte Tochter überlebt und findet Zuflucht in einem ganz besonderen Waisenhaus: der Ballettschule der „Direktorin“ [Anjelica Huston]. Hier lernen die Mädchen nicht nur das Tanzen – sondern auch das Töten. Jahre später arbeitet Eve [jetzt: Ana de Armas] als Auftragsmörderin. Bei einem ihrer Einsätze entdeckt sie an ihrem Opfer eine Tätowierung, die ihr arg bekannt vorkommt: Die Mörder ihres Vaters trugen dieses Zeichen ebenfalls. Getrieben von Neu- und neu entflammter Vergeltungsgier beginnt sie, Nachforschungen über die Hintergründe des Symbols anzustellen – und entfacht damit unversehens eine blutige Fehde zwischen zwei mächtigen Bruderschaften.

Kritik:

Dass Musikalität eine der Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Action-Szene bildet, ist nicht erst seit den Kung-Fu-Reigen der Shaw Brothers oder den Blei-Balletten eines John Woo bekannt. Taktung, Körperbeherrschung, Choreographie, all das muss sitzen wie auf dem Parkett des Wiener Opernballs. Daher ist die Idee, ausgerechnet eine Tänzerin zur Action-Heldin zu machen, eigentlich eine sehr naheliegende. Dass BALLERINA diesen Titel trägt, weil die Protagonistin tatsächlich eine ist, und nicht etwa deswegen, weil sie die meiste Zeit wie wild um sich ballert, könnte man zwischenzeitlich allerdings auch durchaus mal vergessen. Bezüge auf die entsprechende Ausbildung werden mit Beginn ihres Privatfeldzugs nämlich überwiegend in den Hintergrund gedrängt. Fabelhaft inszeniert sind sie freilich dennoch, die zahlreichen Action-Scharmützel, die vor verschlagenem Witz und visuellem Einfallsreichtum nur so sprühen und damit in jeder Hinsicht die Tradition der Hauptreihe weiterführen. Trotzdem unterscheidet sich Eve Macarro von John Wick, den das Publikum ja als bereits erwachsenen Mann kennenlernte, bevor Scheibchen für Scheibchen offenbart wurde, wer diese Person überhaupt ist. Bei Eve indes ist es bei der Killerwerdung quasi von Beginn an mit dabei und wird Zeuge, wie sie das System erst begreifen und ihren Platz in ihm finden muss.

Und dieses System ist ganz schön komplex. Denn nach dem vergleichsweise geerdeten Einstieg mit JOHN WICK im Jahre 2014 sprudelte der Erfindergeist der Macher regelrecht über. In den Fortsetzungen entstand so eine absurde Paralleldimension, die dem Fantasy-Genre näher steht als dem Action-Genre, eine Art „Wickiversum“, in dem etliche miteinander verfeindete Killer-Clans bizarren Regeln und Kodexen folgend in einem empfindlichen Gleichgewicht weltumspannend mit- und gegeneinander agieren. Der in JOHN WICK III eingeführte Clan der Ruska Roma dient hier als Bindeglied zur Hauptreihe, denn deren Mitglied ist nun „Ballerina“ Eve Macarro. Für weitere Anbindung sorgen Auftritte bekannter Figuren wie Hotelmanager Winston (Ian McShane), Concierge Charon (Lance Reddick), die (nach wie vor) namenlose Direktorin der Ballett- und Ballerschule (Anjelica Huston) – sowie Keanu Reeves als John Wick persönlich, der sogar stärker eingebunden wurde, als es nötig gewesen wäre. Da wollte man wohl – der Vermarktung wegen – auf dessen Zugkraft schlichtweg nicht verzichten. Dabei hätte Hauptdarstellerin Ana de Armas solch prominenten Beistand gar nicht nötig gehabt, denn BALLERINA wuppt sie ganz allein. Obwohl grundsätzlich eher zierlicher Natur, geht sie körperlich in die Vollen und erweckt ihre Figur als energiegeladenen Wirbelwind zu wuchtigem Leben, mit kleinen Momenten des Zauderns und Zweifelns zwar, doch stets von absolut glaubwürdiger Tödlichkeit. Action-Erfahrung sammelte die Darstellerin bereits 2019 als Anhängsel des berühmtesten Geheimagenten Ihrer Majestät in KEINE ZEIT ZU STERBEN. Hier jettet sie nun selbst wie Bond um die Welt und landet schließlich in einem österreichischen Bergdorf, in dem es zu einem Finale kommt, das ebenso grotesk wie gigantisch ist.

Auf inhaltlicher Ebene hat man sich für BALLERINA wahrlich kein Bein ausgerissen – es ist die typische Geschichte einer Person, die Rache will für den Tod eines Familienmitglieds. Nachdem Einführung und Ausbildung der Protagonistin abgeschlossen sind, findet sie zufällig eine Spur, folgt ein paar Hinweisen und arbeitet sich von Station zu Station weiter vor, bis sie dem Endgegner gegenübersteht. Ihren Reiz bezieht die ausgetretene Story in erster Linie durch ihre Implantierung in die wundersam-verschrobene Wick-Welt, deren Wiedersehen einem ein Lächeln auf die Lippen zaubert, als treffe man nach längerer Zeit einen alten Freund wieder. Das ist die Welt, in der man sich mitten auf der Tanzfläche einer gefüllten Diskothek ein waffenstarrendes Duell liefern und dem Gegner Äxte ins Fleisch treiben kann, ohne dass sich die übrigen Anwesenden in irgendeiner Form daran stören. Oder in der Kämpfe auf offener Straße ausgetragen werden, gerne auch mit Auto als Waffe, ohne dass man Gefahr liefe, in seinem Tun von irgendwem unterbrochen zu werden. Vor allem aber ist es die Welt, in der, obwohl eigentlich in der Gegenwart angesiedelt, von den Kartellen regelrecht vorsintflutliche Technik zur Kommunikation angewendet wird – was immerhin Arbeitsplätze schafft, weil die guten, alten Telefonistinnen nun endlich wieder was zu tun bekommen und kettenrauchend Steckverbindungen herstellen sowie auf klobigen Tasten herumhämmern dürfen. Und zur Ortung von Feinden verwendet die Organisation natürlich nicht etwa GPS oder Satelliten – wozu denn auch, wenn es doch Fernrohre gibt?

Das herrliche Understatement, mit dem all diese Paradoxien serviert werden, als seien sie vollkommen selbstverständlich, verleiht BALLERINA (ebenso wie der ursprünglichen Wick-Reihe) einen hintersinnigen Humor, der brüllend komisch ist, obwohl auf der Oberfläche de facto nicht ein einziger Scherz geschieht. Und wenn Eve sich einem Wirtshaus mit Messer, Gabel, Schere, Licht (und allem, was sonst noch gerade greifbar ist) gegen eine aberwitzige Anzahl von Angreifern erwehren muss und die launige Schunkelmusik im Hintergrund zu dem ganzen Hauen, Stechen und Schießen fröhlich weiternervt, dann hat das ebenfalls mehr Witzpotenzial als manch vermeintlich lustige Sprücheklopferei der Blockbuster-Konkurrenz. Einem der Vorbilder wird dabei auf fast schon zu plumpe Weise gehuldigt, flimmert doch auch einmal das Massaker begleitend Stummfilm-Star Buster Keaton über den Fernsehschirm, dessen akrobatischen Komik-Kapriolen ja auch stets von stoischen Gesichtsausdrücken begleitet waren. Zum Slapstick gesellt sich bei BALLERINA freilich noch eine zünftige Portion Splatter, wenn dem Schurken per durch den Raum geschleudertem Schlittschuh erst noch eine mehr als nur gründliche Rasur verpasst wird, bevor er lustig über das Geländer purzelt.

Obwohl der Härtegrad bei alledem prinzipiell recht hoch ist, wirken die Gewaltakte durch Übertreibungen wie diese eher cartoonig als wirklich brutal. Wie schon beim Vorbild JOHN WICK besteht die Action überwiegend aus kung-fu-ähnlichen Nahkämpfen und Schießereien, die oft fließend ineinander übergehen. Zwischendurch bemüht man sich jedoch immer wieder, etwas Neues, Originelles zu erschaffen. Genannt sei hier der Moment, in dem die Heldin sich in einem Gewölbe ihrer Gegner mittels mehrerer Granatenwürfe entledigt, während sie selbst immer wieder hinter Stahltüren und ähnlichem Gerät in Deckung springt. Wenngleich vom Skript in den Schatten John Wicks gedrängt (der, wie gesagt, etwas zu viel Spielraum bekommen hat), steht die „Ballerina“ am Ende doch auf eigenen Beinen und funktioniert als emanzipierte Veranstaltung ganz ausgezeichnet. Zumal im Showdown dann endlich die brennende Frage geklärt wird, was denn nun eigentlich stärker ist: Flammenwerfer oder Feuerwehrschlauch? Eine Antwort bleibt man allerdings schuldig: Warum wird in allen Ballettschulen dieser Welt eigentlich immer nur „Schwanensee“ gespielt? Und warum sogar in der Welt von John Wick?

Laufzeit: 125 Min. / Freigabe: ab 18

Freitag, 13. Juni 2025

BROTHERS FROM THE WALLED CITY


SENG ZAAI CEOT LAI ZE
Hongkong 1982

Regie:
Lam Nai-Choi

Darsteller:
Chin Siu-Ho,
Phillip Ko Fei,
Johnny Wang Lung-Wei,
Liu Lai-Ling,
Wong Ching,
Kwan Hoi-San,
Pak Man-Biu,
So Hang-Suen



Shaw Brothers-Produktionen bringen die meisten wohl spontan mit aufwändigem Kung-Fu-Krawall in Verbindung, manch einer vielleicht auch noch mit Grusel-Gulasch oder Monster-Mumpitz. BROTHERS FROM THE WALLED CITY allerdings, obwohl vom Titel her eigentlich prädestiniert für eine weitere Heldenreise wackerer Kampfkunst-Recken, bespielt ein Genre, das in diesem Kontext wohl die wenigsten auf dem Zettel haben: das Großstadt-Drama. Gut, völlig neu ist die Thematik freilich nicht – immerhin begab man sich dafür ins Gangster-Milieu, in dem zuvor bereits viele Action-Auswüchse des Anbieters angesiedelt waren. Aber dieses von Regisseur Lam Nai-Choi auf den Weg gebrachte Werk verzichtet auf unrealistische körperbetonte Kinetik und setzt stattdessen auf eine stark dokumentarisch angehauchte, trockene Authentizität – nicht unähnlich der Idee des New Hollywoods, das mit seinen ambivalenten Enden, komplexen Charakteren und gesellschaftlichen Themen mit starren Konventionen brach. New Hongkong sozusagen.

Inhalt:

Xiao [Ha Wai-Hong] und Da [Lee Kim-Chung] wachsen unter prekären Bedingungen auf: In den Straßen der Walled City Kowloons verleben sie eine wilde Kindheit zwischen Chaos und Kriminalität. Ihre Welt gerät ins Wanken, als ihr Vater Chan [Kwan Hoi-San] von einem Drogensüchtigen eine Klinge in den Leib gestoßen bekommt und vor ihren Augen verstirbt. Als Heranwachsende kommen beide nicht mehr recht in die Spur. Trotz des Zuredens seines älteren Bruders, gerät vor allem Xiao [jetzt: Chin Siu-Ho] immer mehr außer Kontrolle, wagt gefährliche Mutproben und rebelliert gegen alle Regeln. Versehentlich legt er sich dabei auch mit dem Triadenmitglied Yi Ching [Wong Ching] an – ein Konflikt, der sich immer weiter zuspitzt. Als Xiaos Freundin Mei Ling [Liu Lai-Ling] schwanger wird, heizt ihr Vater, der jähzornige Officer Cheung [Johnny Wang Lung-Wei], die Situation noch weiter an. Verzweifelt versucht Da [jetzt: Phillip Ko Fei], die kommende Katastrophe abzuwenden.

Kritik:

Grob und ungeschliffen, fern der filigranen Kunstfertigkeit vieler anderer Shaw Brothers-Beiträge, gleicht BROTHERS FROM THE WALLED CITY einem düsteren Sozial-Krimi, der von entwurzelten Menschen erzählt, von ihrem Ringen darum, im Leben Fuß zu fassen, um am Ende doch nur Gefangene ihrer Welt zu bleiben, sei es durch äußere Umstände oder innere ZwängeXiao und Da, die beiden Brüder, die den Titel schmücken dürfen, fungieren als Symbolfiguren dieser Situation und werden daher vom Skript ausführlich beleuchtet. Der Prolog, in dem sie im Kindesalter ihren Vater verlieren, fällt dabei recht lang aus, bedenkt man, dass diese Ereignisse für den weiteren Verlauf eigentlich keine Rolle mehr spielen. Zugleich ist das auch der einzige Abschnitt, der tatsächlich in der Kowloon Walled City spielt, jenem von der Außenwelt abgeschotteten, von Gesetzlosigkeit beherrschten und dicht an dicht besiedelten Mikrokosmos, der noch bis in die 1990er-Jahre existierte. Eingemauert bleiben sie dennoch, die Titelhelden, auch im Erwachsenenalter, als ihnen – zumindest rein theoretisch – alle Türen offen stehen. Die These, dass Umfeld und Herkunft sowohl den Charakter prägen als auch den Lebensweg bestimmen, die Figuren also von Anfang an keine Chance haben, dem Strudel der Gewalt jemals zu entkommen, wird dabei zwar niemals explizit aufs Brot geschmiert, aber steht natürlich im Raum.

Vollends überzeugend wirkt diese Vermutung dabei freilich nicht, gefällt sich der jüngere Bruder, Xiao, als Heranwachsender doch überwiegend als infantiler Lausbube, der mit seinen Mitmenschen launige, teils auch schmerzhafte Scherze treibt, ohne dass dafür ein notwendiger Anlass erkennbar wäre. Da sich die Aktionen zwar nicht ganz, aber doch so ungefähr auf dem Niveau deutschen 1960er-Jahre-Pennäler-Klamauks befinden, konterkariert das doch einigermaßen mit der angestrebten Dramatik. Ausschlaggebend für die andauernde Abwärtsspirale ist dann, dass Xiao bei einer seiner Aktionen ein Triadenmitglied brüskiert, das diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen möchte. Kaum weniger unreif als sein Gegenüber, zettelt der Verunglimpfte daraufhin eine Retourkutsche an – der Beginn eines kleinkarierten Rache-Reigens, der sich so weit hochschaukelt, bis er alle Beteiligten in den Abgrund reißt. Das scheint in der Summe ein wenig bemüht: Warum sollte sich ein aufstrebender Gangster von einem Dumme-Jungen-Streich derart aus der Fassung bringen lassen, dass bald sein gesamter Alltag davon dominiert wird? Sonst keine Sorgen? Am Ende steht die Erkenntnis, dass wohl gar nichts Schlimmes passiert wäre, hätten sich alle Anwesenden einfach mal ein bisschen zivilisierter benommen – was dem postulierten Ansatz des Umweltdeterminismus dezent widerspricht. Auch wirkt vieles konstruiert und zurechtgebogen, um das Drama überhaupt erst in Gang zu bringen und halten zu können. Dazu gehört auch der fast schon übertrieben gehässig gezeichnete Officer Cheung (Wang Lung-Wei aus DER SHAOLIN-GIGANT), dessen Missgunst und Niedertracht nicht so recht nachvollziehbar erscheinen – immerhin ist er Polizist.

Nichtsdestotrotz: Fesselnd ist sie allemal, diese Großstadt-Fabel, die unterhaltsam zwischen Anspruch und Ausschlachtung sozialer Probleme pendelt – nicht in dem Sinne, dass man sich die Fingernägel zerkaut, aber Langeweile geht eben auch anders. Wer auf Action hofft (was aufgrund des Produktionsstudios gar nicht mal so wenige sein dürften), schaut etwas in die Röhre: BROTHERS FROM THE WALLED CITY spielt nicht in einer dieser Welten, in der jeder Hilfsarbeiter Kung-Fu beherrscht, sondern behält stets Bodenhaftung mit der Realität. Körperliche Auseinandersetzungen sind meist ein wüstes, unelegantes Raufen und in der Regel auch schnell vorbei. Niemand entwickelt Superkräfte, mutiert zum Rambo oder avanciert zum treffsicheren Western-Helden. Betrachtet man das Personal, ist es sogar einigermaßen erstaunlich, wie seriös es hier zugeht. Zum einen steht immerhin Phillip Ko auf der Besetzungsliste, der sich später als Darsteller, Regisseur und Produzent unzähliger Schrottschinken wie ULTRACOP 2000 einen zweifelhaften Ruf erarbeitete. Zum anderen geht die Inszenierung auf das Konto Lam Nai-Chois, der danach nicht nur das schmadderige Fantasy-Horror-Abenteuer-Gebräu THE SEVENTH CURSE zusammenrührte, sondern auch eines der groteskesten Werke verantwortete, die je gedreht wurden: die absurd brutale Manga-Verfilmung STORY OF RICKY. Dort werden Rasierklingen gefuttert, um sie dem Gegner ins Gesicht zu spucken, Kontrahenten mit ihrem eigenen Darm erdrosselt und garstige Gefängnisdirektoren in einer gigantischen Fleischfräse zu Mettgut verarbeitet.

All das könnte kaum weiter entfernt sein von der spröden Authentizitätsattitüde, die hier an den Tag gelegt wird. Allerdings hat Lam die Sache doch ziemlich gut im Griff und auch Herr Ko verkörpert den „vernünftigeren“ der beiden Brüder mit nahbarer Unverfälschtheit. Eine gewisse Groschenroman-Mentalität lässt sich zwar nicht leugnen, aber im Kern bleibt BROTHERS FROM THE WALLED CITY ein wütendes, nihilistisches Moralstück, das angenehm nach Straße schmeckt.

Laufzeit: 88 Min. / Freigabe: in Deutschland nicht erschienen

Samstag, 7. Juni 2025

DER KUNG-FU-FIGHTER VON CHINATOWN


TANG REN JIE XIAO ZI
Hongkong 1977

Regie:
Chang Cheh

Darsteller:
Alexander Fu Sheng,
Sun Chien,
Phillip Kwok Chun-Fung,
Lo Meng,
Jenny Tseng,
Shirley Yu Sha-Li,
Siu Yam-Yam,
Johnny Wang Lung-Wei



„Lieber ein lebendiger Versager als ein toter Held.“
(Tang Dongs Chef kennt die Regeln in Chinatown.)

Inhalt:

Tang Dong [Alexander Fu Sheng], ein einfacher Junge vom Land, hat nur einen Wunsch: ein besseres Leben für sich und seinen Großvater. Doch ohne Papiere ist das Überleben auf den Straßen Hongkongs ein täglicher Kampf. Als er sich mit dem zwielichtigen Geschäftsmann Xu Hao [Johnny Wang Lung-Wei] anlegt und von ihm hereingelegt wird, bleibt ihm nur die Flucht in die USA. In San Franciscos Chinatown bekommt er einen Job als Küchenhilfe und findet in seinem Kollegen, dem Studenten Yang Jian Wen [Sun Chien], einen neuen Freund. Doch Dong gerät erneut mit Kriminellen in Konflikt und wird unversehens Mitglied in der Weißer-Drache-Bande Siu Bak-Lungs [Phillip Kwok], wo er aufgrund seiner Kampfkünste schnell Karriere macht. Der naive Dong wird Teil eines Systems, das er nicht durchschaut – ohne zu erkennen, welchen Preis andere für seinen Aufstieg zahlen.

Kritik:

Obwohl CHINATOWN KID zur Zeit seiner Entstehung spielen soll, also um 1977 herum, macht er meist den Eindruck, seine Geschichte fände circa 40 Jahre früher statt. Viel zu altmodisch wirken Look und Setting dieser klassischen „Aufstieg und Fall eines Gangsters“-Story, die vom renommierten Regisseur Chang Cheh [→ ZEHN GELBE FÄUSTE FÜR DIE RACHE] im Auftrag der produzierenden Shaw Brothers entstand und überwiegend in den USA angesiedelt ist. Und genau da liegt vermutlich der Hase im Pfeffer. Denn gedreht wurde überwiegend offensichtlich nicht vor Ort, sondern in hauseigenen hongkonger Studiokulissen, die einen nur wenig authentischen und zudem stark anachronistischen Eindruck hinterlassen. Zwar wurden auch tatsächlich ein paar Szenen in San Francisco gedreht, an markanten Plätzen der realen Chinatown. Dem Vernehmen nach jedoch heimlich, still und leise, ohne wirkliche Drehgenehmigung, und auch nur, um wenigstens ein paar echte Amerika-Bilder integrieren zu können. Im Endprodukt sind die Übergänge zwischen real und künstlich alles andere als fließend und insgesamt eher rührender Natur. Die daraus resultierende Wirklichkeitsferne ist mitverantwortlich dafür, dass der Zuschauer die meiste Zeit über eher auf Distanz bleibt und das Geschehen nicht als ein Stück vom echten Leben begreift, sondern lediglich als (immerhin aufwändig arrangierte) Theatervorstellung.

Doch es ist nicht nur diese Artifizialität, die eine Einbindung erschwert. Das Drehbuch von Ni Kuang [→ DER PIRAT VON SHANTUNG], James Wong Jim [→ DANCING WARRIOR] und Chang Cheh selbst will viel zu viel, macht ein Fass nach dem anderen auf und setzt den Fokus dabei zu selten auf seine Figuren und ihre Facetten. Mit Tang Dong (Fu Sheng aus DER SCHREI DES GELBEN ADLERS) und Yang Jian Wen (Sun Chien aus DER GEHEIMBUND DER TODESKRALLE) werden gleich zu Beginn zwei zentrale Protagonisten eingeführt, die aus verschiedenen Gründen in die USA auswandern, bevor sie sich dort kennenlernen. Vor allem die Geschichte Tang Dongs ist dabei enorm ausladend und unnötig umständlich erzählt, obwohl sie kaum etwas zur späteren Entwicklung oder Charakterbildung beiträgt. Der Zuschauer wird zunächst Zeuge, wie er mit seinem ebenfalls bettelarmen Großvater durch die Straßen Hongkongs zieht, um eine anständige Arbeit zu finden. Da er jedoch keine Papiere hat, stellt ihn kein Unternehmen ein. So weit, so gut. Dann haben beide die Idee, an einem Stand Obstsaft zu verkaufen. Allerdings können sie sich keine Presse leisten. Doch Dong ist kräftig und kann Kung-Fu, was ihn befähigt, Orangen mit bloßer Hand auszuquetschen. Dadurch wird er zu einer Art Touristenattraktion und das Geschäft brummt. Trotzdem müssen sie regelmäßig vor der Polizei fliehen, denn eine Lizenz besitzen sie nach wie vor nicht.

Schon das ist eigentlich viel zu ausufernd erzählt, bedenkt man, dass diese Erlebnisse später keinerlei Relevanz mehr haben. Richtig kompliziert wird es aber erst, als Triadenboss Tsui Ho (Wang Lung-Wei aus BROTHERS FROM THE WALLED CITY) die Bühne betritt, der von Dongs Saftpresskunst so beeindruckt ist, dass er ihn gleich für seine Gang anwerben möchte. Es folgt eine Handvoll redundanter Einzel-Episödchen, aus denen man locker eigenständige Werke hätte weben können. So kommt es zu einem (vermeintlich freundschaftlichen) Zweikampf zwischen Dong und Xu, den Dong gewinnt, woraufhin Xu ziemlich impulsiv reagiert und ihn abstechen will, was dessen Frau allerdings verhindert. Diese spinnt dafür eine Intrige, die Dong glauben lässt, ihre Cousine befände sich in den Händen skrupelloser Entführer. Postwendend will Dong sie befreien – nur, um festzustellen, dass die vermeintliche Verwandte gar kein Familienmitglied ist, sondern von Xu und dessen Frau zur Prosititution gezwungen wird. Dass Dong die Dame ob dieser neuen Erkenntnis nun versteckt hält, erzürnt wiederum Xu, weswegen er Dong (auf sehr lachhafte Weise) Drogen untermogelt und die Polizei auf ihn aufmerksam macht. Nun endlich hat Dong so eine Art Grund, aus der Stadt zu fliehen – wobei die Entscheidung, gleich auch das ganze Land mit zu verlassen trotz dieser ellenlangen Herleitung nicht so wirklich plausibel erscheinen möchte.

Da nebenbei auch noch Yang Jian Wens Vorgeschichte erzählt wird, dauert es eine ganze Weile, bis Chinatown endlich zum zentralen Schauplatz wird. Das gehetzte Tempo der exorbitanten Exposition bleibt dabei weitgehend bestehen, sodass oft lediglich Anhaltspunkte gegeben werden, warum manche Dinge sich so entwickeln, wie sie es halt tun. Als einsame Ausnahme erweist sich die Beschreibung der beinahe bedingungslosen und nahezu aus dem Stegreif erfolgenden Freundschaft zwischen Tang Dong und Yang Jian Wen, die einfühlsam und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl auf die Leinwand gebracht wurde: Beide Männer bewerben sich gleichzeitig beim Restaurantbesitzer Chen (Yang Chi-Ching aus DER MANN MIT DER TIGERPRANKE), der allerdings nur einen Helfer in Lohn und Brot nehmen möchte. Bereitwillig verzichtet Dong auf einen Teil seines Gehalts, um Jian Wen ebenfalls seine Anstellung (und damit sein Studium) zu ermöglichen. Schlafen tun sie dann beide unter einem Dach – im Wortsinne, denn ihr knauseriger Chef lässt sie in einer winzigen Kammer direkt unter dem Giebel hausen, in der kaum genug Platz für eine einzige Person wäre. Nach Feierabend hocken sie dort regelmäßig zusammen und erzählen von ihren Leben, Hoffnungen und Träumen. Sie schuften für einen Hungerlohn, werden ausgiebig ausgenutzt, fristen ihr Dasein in einem kargen Verschlag – und scheinen doch glücklich, denn zuvor hatten sie noch weniger. Schon gar keine Perspektive. In einem charmanten Running Gag stoßen sie sich während ihrer Gespräche immer wieder den Kopf an der niedrigen Decke. Ein schönes Gleichnis: Die jungen Männer wollen hoch hinaus – und werden in ihrer Begeisterung immer wieder von ihrer beengten Lebensrealität gestoppt, die sie daran erinnert, dass es noch längst nicht so weit ist. Das Schlagen mit den Fäusten an die einzwängende Zimmerdecke wird zum symbolischen, später immer wieder aufgegriffenen Akt, zum Ausdruck des Wunsches nach Aufbruch und Entkommen aus bestehenden Verhältnissen.

Zumindest für Tang Dong ändern sich die Umstände dann bald auch schlagartig, wenn auch nicht unbedingt plausibel und reichlich konstruiert: Als er zu verhindern versucht, dass sein Chef Schutzgeld an die Triaden zahlen muss und zu diesem Zwecke ein paar anständige Nasenstüber in die doch recht überrascht dreinblickenden Eintreibervisagen verteilt, gerät er irgendwie zwischen Fronten zweier um die Vorherrschaft rivalisierender Verbrecherbanden. Als der feige Chen ihn auf die Straße setzt, um bei den Erpressern wieder lieb Kind zu machen, beginnt ein wilder Anwerbungsmarathon, denn jede der Banden möchte den Superkämpfer auf ihrer Gehaltsliste wissen. Am Ende dient Dong dem Anführer der „Weißen Drachen“ (Phillip Kwok aus DER TODESSCHREI DES GELBEN TIGERS) und das Drehbuch will dem Publikum Glauben machen, das arglose Chinatown Kid habe nicht die geringste Ahnung, dass sein Boss in halbseidene Geschäfte verwickelt ist. Trotzdem läuft Dong aus heiterem Himmel rum wie ein Zuhälter, flext wie Oskar durch sein Viertel und wundert sich, dass die Leute ihm gegenüber auf Distanz gehen. Als Zuschauer stellt man an dieser Stelle erneut fest, wie wenig greifbar die Figur Tang Dong doch eigentlich ist. Schon in der Anfangsszene verzehrt er sich nach einer sündhaft teuren Armbanduhr, die direkt vor ihm, doch in unerreichbarer Ferne im Schaufenster liegt. Später prügelt er sich mit Boss Tsui, weil dieser ihm im Falle des Sieges sein digitales Zeiteisen als Trophäe versprochen hat, das Dong auf Anhieb fasziniert hat. Logo, dass er nun, inzwischen selbst dem Reichtum anheim gefallen, ein eben solches Statussymbol mit sich spazieren trägt – nebst dekadentem Glimmstängel im Gesicht und lächerlichem Ludenkittel am Leib.

Woher seine Vorliebe für derlei oberflächliche Verlockungen rührt, wird nicht wirklich erklärt – ebensowenig wie die Arglosigkeit, mit welcher er durchs Leben stolpert und die ihn so korrumpierbar macht. Dong ist tatsächlich nie wirklich ein Gangster – anfangs ohnehin nicht, aber selbst dann nicht, als er zu den Herrschern der Stadt zählt. Die Konsequenzen seines neuen „Berufs“ erkennt er erst, als er seinen alten Freund und Kollegen Jian Wen wiedertrifft, der immer noch unter dem Dach des Restaurants wohnt und sich aufgrund der Doppelbelastung von Arbeit und Studium mittlerweile der Drogensucht ergeben hat. Das geht zu Herzen, in erster Linie deswegen, weil die gemeinsamen Szenen beider Charaktere zu den Höhepunkten CHINATOWN KIDs gehören, der ansonsten viele dramaturgische Schwächen hat. Die viel zu lange Herleitung gehört dazu, aber auch, dass Tang Dong erst im letzten Drittel zur Titelfigur wird und seine Unterweltkarriere daher gar nicht so richtig nachvollzogen werden kann. Von heute auf morgen ist er einfach der große Zampano. Jian Wen wird dafür, obwohl erst gleichberechtigt eingeführt, überwiegend vergessen, weil sich alles nur noch auf Tang Dong konzentriert. Da dieser aber nie wirklich lang an einer Station verweilt und es von Nebenfiguren, die alle irgendwie auch noch mitmischen, nur so wimmelt, kommt nie wirkliche Spannung auf. Besonders schwer erwischt es die Frauenrollen, die wirklich nur Alibifunktionen erfüllen. So bandelt Dong etwa mit der kessen Yvonne (Jenny Tseng aus DIE TÖDLICHE KOBRA) an, die sich später regelrecht in Luft auflöst. Dann hätte man das ja auch gleich lassen können.

CHINATOWN KID (dessen Titel für deutsche Plakate viel zu kurz war, weswegen er zu DER KUNG-FU-FIGHTER VON CHINATOWN aufgebrezelt wurde) ist zwar als Actionfilm deklariert, sieht sich selbst aber eher selten in dieser Funktion. Ja, es gibt ein paar Handgemenge hier und da und hin und wieder gerben sich ein paar Leute das Fell. Aber das artet niemals aus und ordnet sich brav der Handlung unter, die hauptsächlich vom Dialog vorangetrieben wird. „Gangster-Drama“ wäre daher die passendere Bezeichnung. Wird es doch mal rabiat, rückt man sich bevorzugt mit Faust, Flinte und Klinge zuleibe und hinterlässt dabei Blut, Schutt und Scherben. Wer hauptsächlich auf Kampf und Knochenbrecherei aus ist, wird hier jedoch kaum glücklich werden. Wer eine gut durchdachte Ereigniskette erwartet, allerdings ebenfalls nicht. Dazu ist das Drehbuch oft zu plump, zerfasert und undurchdacht. Punkten kann die Veranstaltung freilich durch ihre dichte Atmosphäre und ihren herrlichen 1970er-Jahre-Schwof, inklusive gigantischer Brillengestelle und Schnauzbärten des Todes. Am Ende ist CHINATOWN KID ein wenig wie sein Protagonist: etwas schrullig, etwas naiv – und trotz aller Defizite liebenswert. 

Laufzeit: 115 Min. / Freigabe: ungeprüft

Sonntag, 1. Juni 2025

KARATE KING


HAO KE
Hongkong 1973

Regie:
Chu-Got Ching-Wan,
Yang Ching-Chen

Darsteller:
Chin Han,
Shih Szu,
Yi Yuan,
Lung Fei,
Han Su,
Chin Tu,
Cheng Fu-Hung


„Für so'n mickriges Würstchen bist du ja ziemlich laut.“
(Lu Fu ist ein Mann vom Wurstfach.)

Inhalt:

China in den 1930ern: Nach fünf Jahren Gefängnis kehrt Lu Fu [Chin Han] in seine Heimat zurück. Die politische Lage ist angespannt: Der Einfluss der Japaner wächst bedrohlich; die Atmosphäre ist von Angst geprägt. Die größte Gefahr jedoch lauert nicht in der Fremde, sondern in der eigenen Familie: Lu Fus Bruder, Lu Te-Piao [Lung Fei], hat sich zwischenzeitlich die hauseigene Kohlemine unter den Nagel gerissen – und mit skrupellosen russischen Kollaborateuren ein dunkles Regime errichtet. Auf Lu Fu wartet daher kein Willkommensgruß, sondern ein Mordkommando. Nur mithilfe der kampferprobten Kung-Fu-Meisterin Ah Chu [Shih Szu] kann er seine Haut retten. In einem Akt der Verzweiflung wendet sich Lu Fu an den japanischen Geschäftsmann Nagata [Yi Yuan], der scheinbar bereit ist, ihm im Kampf gegen seinen Bruder beizustehen. Doch dieser hat eigene Pläne – er will die Mine selbst unter Kontrolle bringen. Der Beginn einer blutigen Schlacht.

Kritik:

Dass sich der Eastern und der Italo-Western stilistisch sehr gleichen, ist keine neue Erkenntnis. KARATE KING schickt sich an, einem diesen Sachverhalt mit Nachdruck zurück ins Gedächtnis zu prügeln. Trotz (überwiegendem) Verzicht auf Pulverdampf und Pferdegetrappel könnte die raue Rachemär nämlich ebenso gut im Land der Lassoschwinger und Revolverhelden stattfinden. Die ungastlichen Schauplätze, als da wären Knastmauern, Kohlemine oder karge Felsformationen, sind dabei ähnlich spartanisch wie die Handlung, die mehr schlecht als recht und zudem wenig plausibel von Station zu Station kriecht. Chin Han [→ DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN] als Protagonist Lu Fu macht gleich zu Beginn mächtig Eindruck – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Er malträtiert die steinernen Wände seiner Zelle per Fuß und hinterlässt dabei tiefe Spuren. Als der Wärter vorbeikommt und ihm verkündet, er habe seine Strafe nun abgesessen und dürfe den Bau daher verlassen, tritt Fu zum Abschied beherzt ein Loch in seine Zwangsbehausung und meint süffisant: „Ich hätte schon früher gehen können.“ Eine ziemlich coole Einführung der Figur, obwohl diese Power in den folgenden 80 Minuten kaum mehr erreicht wird. Im Gegenteil: Trotz seiner Kraft und Kampfkunst erweist sich Lu Fu als eher verletzlicher Charakter, der die Souveränität alles andere als gepachtet hat und im Laufe der Ereignisse viele Rückschläge einstecken muss.

Fu kehrt daraufhin zurück in seine Heimat – nur um feststellen zu müssen, dass seine Eltern nicht mehr am Leben sind. Mehr noch: Vor Ort herrscht ein Klima der Angst, deren Quelle ausgerechnet Fus eigener Bruder ist. Die Idee einer unter Tyrannenterror ächzenden Stadt, die von einem unerschrockenen Einzelkämpfer befreit werden muss, ist ebenfalls ein bekanntes Element zahlreicher Pferdeopern. Der Fakt, dass hier eine Familienfehde ins Spiel kommt, verleiht dem Stereotyp jedoch eine gewisse Sprengkraft. Wohl und Wehe aller Beteiligten scheinen sich hier am Besitz der Bergbaurechte zu entzünden. Was woanders die Weltherrschaft ist, ist bei KARATE KING die Kontrolle über die Kohlemine. Der Grund dafür geht über ein paar Andeutungen nicht hinaus, wie ohnehin alles ein bisschen vage bleibt. Auch Rang und Rolle der einzig relevanten Frauenfigur bleiben beispielsweise überwiegend im Nebel. Die von Shih Szu [→ DIE SIEBEN GOLDENEN VAMPIRE] verkörperte Ah Chu wird zunächst als resolute Rebellin eingeführt, die erst einmal fleißig Handkanten an Handlanger verteilt, bevor sie versucht, dem Despoten ins Gewissen zu reden. Dessen Vater war wohl ihr Lehrer – wie, wann und warum bleibt allerdings ebenso im Dunkeln wie ihre Motivation, Lu Fu beim Kampf gegen seinen brutalen Bruder zu unterstützen. So schlagkräftig ihr Einstand auch geriet: Einen gezielten Schurkenschlag später hockt sie erst einmal für eine nicht unerhebliche Weile in des Feindes Kellerloch.

Kompliziert wird es, als plötzlich auch noch japanische Gegenspieler auf den Plan treten, die zwar beim Helden zunächst einen auf gut Freund machen, aber natürlich Unheil im Schilde führen. Wann waren Besucher aus Nippon in einem Hongkong-Film dieser Zeit denn auch jemals wohlgesinnt? Dank ihres Zutuns wird der Bruderzwist circa ab Halbzeit der Handlung null und nichtig, weswegen sich der Fokus der ohnehin stark irrlichternden Story abermals verschiebt. Auch die Wildwest-Vibrationen schlagen dann wieder wüst um sich, wenn Lu Fu sehr unfein per Lore die Finger gebrochen werden – DJANGO lässt grüßen! Eine etwas klarere Linie hätte der Erzählung gewiss nicht geschadet, eine Zeit lang eiert das Skript doch ziemlich ziellos herum. Auch fragwürdige fremdenfeindliche Untertöne stoßen etwas sauer auf. Denn die Bedrohung, so der Tenor KARATE KINGs, kommt vorwiegend von außen. Selbst der verworfene Bruder steht unter der fatalen Einflussnahme russischer Interessengruppen und die Japaner sind natürlich ohnehin falsch und verschlagen bis ins Mark. Abgemildert werden diese zweifelhaften Tendenzen einerseits durch die Tatsache, dass sich diese Darstellung auch als legitime Kritik am Kolonialismus deuten lässt. Und andererseits durch die teils doch sehr albern geratene Umsetzung, die der Sache beträchtlich den Wind aus den Segeln nimmt. Die Japaner werden sichtbar von Chinesen gespielt und erfüllen so ziemlich jedes Klischee, das man sich vorstellen kann, inklusive schwertschwingender Amazone mit hochkonzentriertem Sauertopfblick. Und der Russe ist ein pummeliger Asiate (Cheng Fu-Hung, um genau zu sein, später unter anderem noch zu sehen in TAG DER BLUTIGEN RACHE), der sich ein Leopardenfell umgehängt hat und sich benimmt wie ein Urmensch.

KARATE KING ist international überwiegend als THE CHAMPION bekannt – beziehungsweise eigentlich eher nicht, denn die Popularität der Prügelarie hielt sich von jeher arg in Grenzen. Und das, obwohl die berühmten Shaw Brothers hinter der Sache stecken, was man ohne Weiteres gar nicht vermuten würde. Die üblichen Sets und Studiokulissen wurden hier nämlich verlassen, um die Ereignisse stattdessen in den schroffen Landschaften Taiwans abzulichten. Das Ergebnis ist von der Optik her überwiegend eher schäbiger Natur. Aber das ist vermutlich beabsichtigt und passt nahezu perfekt zur ruppigen Rhetorik. Dementsprechend fehlen auch die tänzerischen Kampf-Choreographien. Wenn hier geprügelt wird, dann gibt's ganz und gar unelegant aufs Fressbrett. Auffallend ist die höchst unterschiedliche Vermarktung in verschiedenen Breitengraden: Während in Deutschland die Rolle Chin Hans in den Vordergrund gerückt wird (und sogar zum Karate King ernannt wird, was natürlich Unsinn ist – Lu Fu kämpft mit Kung-Fu), findet sich im United Kingdom auch der Titel SHANGHAI LIL – THE QUEEN OF KUNG FU neben dem Bildnis der hufeschwingenden Shih Szu. Diese langt zwar zeitweilig tatsächlich ordentlich hin und mäht sich im furiosen Finale gemeinsam mit ihrem Kompagnon Lu Fu durch wahre Heerscharen an Gegnern. Eine Hauptrolle sieht dennoch definitiv anders aus. Immerhin gönnte man ihr zum Ausgleich ein sehr schönes Duell mit erwähnter Samurai-Kriegerin.

KARATE KING bietet kernige Kloppe in karger Kulisse und könnte allen gefallen, die es auch mal ne Nummer kleiner mögen. Große Mühen in eine funktionierende Dramaturgie investierte man offenbar nicht – vieles wirkt unausgereift und nicht zu Ende gedacht. Doch wer auf schroffe Eastern-Keile in staubigem Western-Ambiente steht, bekommt hier einen doch sehr launigen Leckerbissen serviert. Keine Königsklasse. Aber volksnah. 

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 27. Januar 2025

DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN


DA SHA SHOU
Hongkong 1971

Regie:
Chor Yuen

Darsteller:
Tsung Hua,
Chin Han,
Wang Ping,
Chiang Nan,
Ching Miao,
Yang Chi-Ching,
Ku Feng,
Cheng Kang-Yeh



Inhalt:

Anfang des 20. Jahrhunderts: In einer chinesischen Kleinstadt floriert der Opiumschmuggel. Wang Hsin-Tien [Ching Miao], Leiter der Kung-To-Kampfkunstschule, will dem illegalen Treiben ein Ende bereiten und stört die Geschäfte der Schmuggler erheblich. Bandenmitglied Chiao Tzu-Fei [Chiang Nan] will ihn daher beiseite schaffen und ersinnt einen sinistren Plan: Er schreibt einen Brief an seinen ehemaligen Vertrauten Hsieh Chun [Tsung Hua], der die Stadt vor über 10 Jahren verlassen hat. Hsieh, einst Messerwerfer im örtlichen Zirkus und bekannt für sein aufbrausendes Temperament, wird von Chiao mit einer Lüge in die Irre geführt: Wang und seine Schüler, so die Behauptung, würden die Gegend tyrannisieren. Unwissend, dass sein früherer Freund der wahre Feind ist, mischt Hsieh daraufhin die Schule auf und verletzt einen der Männer schwer. Doch dann trifft er überraschend seine ehemalige Zirkuskollegin Yu [Wang Ping] wieder, die ihm ins Gewissen redet. Mehr noch: Auch sein damaliger Gefährte Ma [Chin Han], einst ebenfalls in die Ferne gegangen, um Arbeit zu finden, taucht plötzlich wieder auf. Inzwischen hat er Karriere bei der Polizei gemacht und nur ein Ziel: den Drogenhandel in seiner alten Heimat zu zerschlagen. Als Chiao erkennt, dass sein Täuschungsmanöver aufzufliegen droht, heckt er einen noch perfideren Plan aus: Er lässt mehrere von Wangs Schülern ermorden und schiebt Hsieh die Schuld in die Schuhe. Die Intrige trägt Früchte: Es dauert nicht lang, da stehen sich die einstigen Brüder Hsieh und Ma als Feinde gegenüber.

Kritik:

Im Jahre 1971 drehte Chor Yuen [→ DAS TODESDUELL DER TIGERKRALLE] für die Shaw Brothers diesen kompliziert erzählten, im Kern jedoch sehr simplen Kung-Fu-Krimi, für dessen Umsetzung man die bewährten Studiohallen und -areale augenscheinlich nur selten verließ. Viel Mühe in eine plausible Story investierte man dabei nicht. Das Skript wurde offenbar mit heißer Nadel gestrickt und steht auf ziemlich wackeligen Beinen. Bereits die Prämisse erscheint recht seltsam, wird hier doch offenbar ein kompletter Ort ausschließlich von der örtlichen Kung-Fu-Schule verwaltet und kontrolliert. Würde die Geschichte gut 100 Jahre früher spielen, wäre das nicht einmal allzu weit hergeholt, aber für die abgebildete Zeit (vermutlich so um 1910 rum) erscheint die generelle Abwesenheit von Staat und Behörde nur wenig schlüssig. Aber weil das hier nun einmal der Fall ist, muss sich der örtliche Kung-Fu-Lehrer Wang höchstpersönlich um die Verbrechensbekämpfung bemühen. Direkt in der Eröffnungssequenz überfallen er und seine Schüler daher einen Drogentransport durch die Botanik, verteilen tüchtig Keile und verbrennen die heiße Ware noch an Ort und Stelle. Wie sinnvoll es ist, massenhaft Opium in Brand zu stecken, während man direkt danebensteht, wird bei der Gelegenheit leider nicht beantwortet.

Was dann folgt, ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass guter Wille allein kaum ausreicht, um die Konstruiertheit der Ereignisse ignorieren zu können. Denn die Idee, die der schurkische Schmuggler Chiao ausheckt, um Wang (buchstäblich) ans Messer zu liefern, ist schlichtweg hanebüchen: Er lockt seinen früheren Freund Hsieh in die Stadt, füttert ihn mit Falschinformationen, wonach Wang und seine Kung-Fu-Kollegen brutale Bösewichter sind, und hofft dann einfach darauf, dass dieser den Gegner aufgrund seines hitzigen Temperaments im Alleingang auslöscht. Ein einziges klärendes Gespräch mit dem vermeintlichen Feind hätte freilich schon ausgereicht, um das fragile Lügenkonstrukt in sich zusammenbrechen zu lassen, und in der Realität wäre es fraglos auch so gekommen. Aber in dieser Welt erlaubt das natürlich das Drehbuch nicht, weswegen Chiaos zweifelhafter Plan zunächst tatsächlich aufzugehen scheint. Als sich die Dinge dann doch anders entwickeln als erhofft, richtet Chiao ein Massaker an und schiebt Hsieh dafür die Schuld in die Schuhe. Das geschieht jedoch auf solch plumpe Weise, dass dabei auch noch das letzte bisschen Glaubwürdigkeit über Bord geht: Er lässt einfach Hsiehs Zeichen auf die Mordwerkzeuge gravieren, was als Beweis genügen soll (und es laut Skript auch tut). Wie ausgefuchst! Warum hat er nicht gleich noch dessen Visitenkarten nachgedruckt und den Leichen in die Taschen gesteckt?

Schluckt man diese haarsträubenden Ideen, dann funktioniert DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN allerdings ziemlich gut. Einen nicht erheblichen Anteil daran haben die stilsichere Inszenierung Chor Yuens und die energiegeladenen Kampfsequenzen. Für letztere war Yuen Wo-Ping [→ THE GRANDMASTER] verantwortlich, der damit eine seiner ersten Arbeiten ablieferte, viele Jahre, bevor er zum wohl bekanntesten Choreographen Asiens – vielleicht sogar der Welt – aufstieg. Von der späteren Perfektion ist er hier zwar noch entfernt, aber wenn sich die Kämpfer gegenseitig schwungvoll in und durch die Requisiten schleudern, besitzt das schon eine Menge destruktiver Wucht. Zwar gleichen sich die Bilder ziemlich und die Masche wird auch kaum variiert, aber unterhaltsam (und nicht zuletzt von allen Beteiligten gekonnt dargeboten) ist das Schauspiel allemal. Reichen die eigenen Extremitäten zur Verteidigung nicht mehr aus, werden überwiegend Messer gezückt. Das führt hin und wieder zu recht blutigen Ergebnissen, wobei diese nicht einmal ansatzweise so intensiv zelebriert werden wie z. B. bei DUELL OHNE GNADE oder DER PIRAT VON SHANTUNG, zwei weiteren Shaw Brothers-Werken mit leidenschaftlicher Messer-Macke. Die Wahl dieser Waffe ergibt in Anbetracht der Vergangenheit der Hauptfigur auch absolut Sinn, denn einst war Hsieh, mehrere Rückblicke verdeutlichen es, Messerwerfer der ansässigen Zirkusfamilie. Dementsprechend trägt er seine Wurfwerkzeuge nun wie Patronen am Gürtel mit sich herum, was schon ziemlich lässig rüberkommt. Dabei schleudert er seine Klingen überwiegend jedoch nicht, um seinen Gegnern das Lebenslicht auszupusten, sondern lediglich, um sie irgendwo festzunageln.

Die Qualitäten DIE BANDE DES GELBEN DRACHENs erschöpfen sich allerdings nicht allein in der Darbietung gewalttätiger Konfrontationen. Genaugenommen sind es gerade die leisen Zwischentöne, die das Interesse wecken und halten können. Denn hinter der harten Oberfläche schimmert dezent der zarte Zauber nostalgischer Wehmut. Ein sentimentaler Schleier schwebt über dem Geschehen, wenn der verlorene Sohn heimkehrt an die Stätte seiner Jugend, auf alte Weggefährten trifft und längst vergessen geglaubte Sorgen, Hoffnungen und Sehnsüchte neu erwachen. Durch böse manipulierende Mächte im Hintergrund droht die glückliche Zukunft des schließlich im Zentrum stehenden Dreiergespanns auf ewig zu zerbrechen und einstige Freundschaft zu Feindschaft zu werden. Geschickt wird dabei unterschwellig auf der Gefühlsklaviatur geklimpert, wenn Begegnungen und Aussprachen beispielsweise an Orten stattfinden, die sinnbildlich für die Vergangenheit stehen. Wie das Zirkuszelt, einst gemeinsames Domizil, mittlerweile alt, abgerockt und verlassen - ein Relikt verblichener Tage, wie die Figuren selbst. Oder wenn wiederkehrend die Seerose ins Bild gerückt wird, als Symbol für die Verbundenheit und unterdrückte Liebe zwischen Hsieh und Yu, die als einzige aus dem Trio in der Heimatstadt verblieb. Dass zwischen Hsieh und Ma, dem Dritten aus der Zirkusfamilie, ein latenter Wettbewerb um ihre Gunst besteht, wird dabei ebenfalls lediglich angedeutet, nie verbalisiert. Aber wenn die einstigen „Brüder“ sich am Ende, durch Lüge und Intrige aufeinandergehetzt, auf unterschiedlichen Seiten zum Duell gegenüberstehen, dann ist zu vermuten, dass sie auch durch eine verkappt schwelende Rivalität bezüglich der Zuneigung Yus angetrieben werden.

Der Umstand, dass genug Interpretationsspielraum gelassen wird und das Publikum nicht alles aufs Butterbrot geschmiert bekommt, ist eine der großen Stärken DIE BANDE DES GELBEN DRACHENs, der seine eingangs erwähnten Defizite gut auszugleichen versteht. Die Inszenierung ist durch und durch sauber, die Bilder sind prall gefüllt und die Sets werden stilsicher ins rechte Licht gerückt. Dazu wimmelt es von Statisten und ständig in der Luft hängender Rauch sorgt für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Lediglich bei der Hafenkulisse war man ein wenig zu sorglos und ließ die Darsteller einfach vor einer einfarbigen Wand agieren, was nicht besonders überzeugend aussieht. Dass am Ende urplötzlich mit Schusswaffen hantiert wird und ein japanischer Strippenzieher die Bühne betritt, will auch nicht so recht ins Bild passen und soll Resultat einer kurzfristigen Planänderung sein. Grund dafür war angeblich der bahnbrechende Erfolg FIST OF FURYs, in dem es Knochenbrecher-Koryphäe Bruce Lee ebenfalls mit Scharlatanen aus Nippon zu tun bekam. Da dieses Feindbild deswegen gerade mächtig in Mode war, so heißt es, entschied man sich für Storyänderungen und Nachdrehs, die das ursprüngliche Konzept ein wenig auf den Kopf stellten. Das klingt zwar zunächst plausibel, zumal ein Stilwechsel zum Finale nicht zu leugnen ist und der Auftritt des schwertschwingenden Ku Fengs [ → DIE TÖDLICHEN ZWEI] als neuer Endgegner doch arg forciert wirkt. Allerdings scheint DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN das Licht der Leinwand doch ein paar Wochen früher erblickt zu haben als FIST OF FURY, was die Behauptung ein wenig widersprüchlich macht.

Als echtes Ärgernis entpuppt sich die deutsche Sprachfassung, welche Hintergründe und Motivationen der Figuren nach Lust und Laune umdeutet, was die ohnehin nicht sonderlich plausible Story endgültig ins tiefe Tal der Verwirrung führt. In dieser Version ist Hsieh nicht etwa ein Messerwerfer, der nach vielen Jahren an den Ort seiner Jugend zurückkehrt, sondern ein externer Auftragsmörder, der von Chiao extra engagiert wird, um dessen Feinde auszuschalten. Dass beide Männer sich eigentlich von früher kennen und ein altes Schuldverhältnis zwischen ihnen besteht, wird komplett unterschlagen, wie auch die Tatsache, dass die Ereignisse in Hsiehs alter Heimat stattfinden. So wirkt es nun, als laufe er seinen ganzen alten Freunden und Bekannten hier rein zufällig über den Weg. Auch verliert dadurch natürlich nahezu alles an Bedeutung, seien es die symbolträchtigen Orte, wie das zerfallene Zirkuszelt, oder die nun regelrecht zweckfreien Rückblenden in Hsiehs Schaustellervergangenheit. Warum Chiao, in der deutschen Version simpler Auftraggeber eines Attentats, seinem Bediensteten einen Bären bezüglich der Zielpersonen aufbindet, erscheint zudem ebenso nebulös wie der Umstand, dass Hsieh, angeblich ja ein Killer mit Mordmission im Gepäck, tatsächlich niemanden umbringt, sondern einfach nur ein wenig Wirbel veranstaltet. Da man in dieser Fassung außerdem versucht war, es so aussehen zu lassen, als habe die eigentlich unschuldige Kung-Fu-Schule tatsächlich irgendwie Dreck am Stecken, ergibt am Ende kaum noch etwas einen nachvollziehbaren Sinn.

Wenngleich auch im Original erzählerisch alles andere als stressresistent, punktet DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN am Ende mit seiner eleganten Mixtur aus Stil, Action und emotionaler Tiefe. Nicht jeder Wurf ist ein Treffer. Aber jeder Treffer sitzt.

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 20. Januar 2025

BOLO - VIER FÄUSTE IM WILDEN OSTEN


BAI MA HEI QI
Hongkong 1977

Regie:
Yeung Sze

Darsteller:
Yeung Sze/Bolo Yeung,
Pai Piao/Jason Pai,
Mi Lan,
Chin Yuet-Sang,
To Siu-Ming,
San Kuai,
Lau Yat-Fan,
Tsang Chi-Wai/Eric Tsang



Yeung Sze ist Kult! Und das, obwohl ihn keiner kennt. Gut, zumindest nicht unter diesem Namen. Auch Yang-Sze-, Yeung-Shut-, Yang-Szu-, Yeung-See-, Yang-Tze-, Yung-Sze-, Ywung-Sze-, Yang-Tse-, Young-Sy- oder Yang-Sa-Fans trifft man eher selten. Der Name des als 양사 in der chinesischen Provinz Guangdong geborenen Martial-Arts-Darstellers wurde auf alle erdenkliche (Schreib-)Weisen transkribiert. Berühmtheit erlangte er am Ende allerdings mit dem wohl am albernsten klingenden Pseudonym. Denn nachdem der Kampfkünstler und Gewichtheber nach zahlreichen Statistenrollen für die Shaw Brothers einen blutrünstigen Schurken im ersten amerikanischen Bruce-Lee-Brüller DER MANN MIT DER TODESKRALLE (1973) verkörperte, wurde er quasi über Nacht weltbekannt. Und da seine Figur im Film „Bolo“ hieß, was nicht nur einprägsam ist, sondern international auch gut von Lippe und Zunge geht, war das ab sofort sein Künstlername: Bolo Yeung.

Bruce Lee selbst starb noch, bevor er Teil seines eigenen Welterfolgs werden konnte. Als nach dessen frühen Tod eine ganze Wagenladung an Bruce-Lee-Imitatoren auf die Leinwände geschüttet wurde, gehörte auch Bolo Yeung zum Stammpersonal und festigte aufgrund seines außergewöhnlichen Erscheinungsbilds somit seine Popularität. Ob es ihn gestört hat, dabei fast ausschließlich auf die Rolle des brutalen Bösewichts festgenagelt worden zu sein? Möglich, denn sein erstes Werk unter eigener Regie präsentiert ihn beinahe gänzlich anders. Geblieben ist lediglich sein Name, der dieses Mal – Marketing ist die halbe Miete! – auch direkt als ganzer Titel herhalten darf: BOLO!

Inhalt:

In einem kleinen chinesischen Dorf ist das Amt des Sheriffs gleichbedeutend mit einem Todesurteil: Wer ernsthaft für Recht und Ordnung eintritt, wird schnell einen Kopf kürzer gemacht – was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Als den Zuständigen mal wieder ein Ordnungshüterhaupt vor die Füße kullert, wird beschlossen, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Denn wer kann Gangstern am besten Einhalt gebieten? Natürlich! Andere Gangster! Und so wird angeordnet, alle Knastinsassen Strohhalme ziehen zu lassen. Zwei Gewinner dürfen das Gefängnis verlassen und Gesetzeshüter werden. Das Schicksal entscheidet sich für den schlitzohrigen Sprücheklopfer Ma [Jason Pai Piao] sowie das grobschlächtige Muskelpaket Bolo [Bolo Yeung Sze], die bereits im Bau aneinandergeraten sind und sich nach Freilassung erst einmal ein Kung-Fu- und Artistik-Duell liefern, um die Fronten zu klären. Im Dorf angekommen, stellen sie fest, dass hier wirklich die Unmoral regiert. Sogar der Bürgermeister ist in Menschenhandel verwickelt und wer diesbezüglich auspacken will, endet aufgeknüpft an der Laterne. Ma und Bolo müssen sich im wahrsten Sinne zusammenraufen, um ihre Haut zu retten und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen.

Kritik:

Obwohl der Titel eigentlich Bolo-Solo-Action verspricht, macht bereits der Beginn klar, dass man sich hier im Genre des Buddy-Movies bewegt, das zwei ungleiche Protagonisten zusammenschweißt, um sie durch dick und dünn gehen zu lassen. Dabei durchziehen von Beginn an (der deutsche Zusatztitel deutet es dezent an) signifikante Spencer-/Hill-Schwingungen das Szenario, sind Grundgerüst und Duktus doch eindeutig angelehnt an die Kassenerfolge des populären Prügel-Duos aus Italien. Während Jason Pai Piao [→ DER TODESSCHREI DES GELBEN TIGERS] als schlaksiger Charmeur durchaus passabel den asiatischen Kung-Fu-Hill mimt, ist Bolo Yeung als dessen Kompagnon und bud-spenceriger Kaventsmann kaum wiederzuerkennen. Seine Gesichtsbehaarung und das ebenso tumbe wie gutmütige Auftreten hat mit seinen früheren Rollen als furchteinflößender Knochenbrecher nichts mehr gemein. Zwar ist Yeung – im Gegensatz zu seinem offensichtlichen Vorbild und anders als im Dialog mehrmals behauptet – tatsächlich „nur“ kräftig und nicht dick. Aber diese bis dahin unbekannte Facette steht dem Berufsbösewicht doch erstaunlich gut und es ist genau dieses Gegen-das-Image-Agieren, aus dem BOLO seinen hauptsächlichen Reiz bezieht.

Das ist auch dringend notwendig, denn Reize, zumindest positiver Art, sind bei dieser Veranstaltung eher Mangelware. Man hatte zwar eine interessante Idee, aber offenbar keine Ahnung, was man aus ihr machen sollte. Schon die Prämisse ist freilich denkbar hanebüchen. Dass Knastvögel aus dem Bau herausrekrutiert werden, um aus ihnen ein Himmelfahrtskommando zu formieren, das kennt die Leinwand spätestens seit DAS DRECKIGE DUTZEND zur Genüge. Aber dass verurteilte Verbrecher freigelassen werden, um als Gesetzeshüter andere Verbrecher zur Strecke zu bringen (noch dazu mit der Ermahnung, bloß nicht Fersengeld zu geben), das hat schon eine ganz neue Quatsch-Qualität. Allerdings ist BOLO eine Komödie, da geht eine solch absurde Ausgangssituation durchaus klar. Viel ernüchternder ist es, wie wenig aus dieser Basis herausgeholt wurde, obwohl die Trümpfe doch eigentlich schon in der Hand lagen.

Denn was offenbar nicht in der Hand lag, war ein vernünftiges Drehbuch. Erzählerische Höchstleistungen erwartet sicherlich niemand, aber die Ereignisse BOLOs sind insgesamt so zusammenhanglos und sinnbefreit, dass es teils absurde Ausmaße annimmt. Bereits der Einstieg ist äußerst ungelenk, wenn Ma und Bolo (die ja eigentlich Sympathiefiguren sein sollen) einem blinden Mann sein Fahrzeug klauen – völlig grundlos übrigens, denn der Alte hatte sich längst dazu bereit erklärt, die beiden an ihr Ziel zu bringen. Im Dorf angekommen, gehen die Protagonisten als Erstes ins Bordell, das von Eric Tsang [→ SEVEN ASSASSINS] in Frauenkleidern geführt wird, der Bolo schließlich in einer viel zu langen Sequenz im albernen „Hühner-Stil“ attackiert, weil er glaubt, dieser wolle die Zeche prellen. Ma indes trifft vor Ort eine alte Bekannte aus früheren kriminellen Tagen und quetscht sie um den Verbleib mehrerer Goldbarren aus – vermutlich Beute aus Raubzügen, von der das Publikum an dieser Stelle auch zum ersten Mal hört. Ist das narrativ alles bereits arg fragmentarisch, wird es im weiteren Verlauf regelrecht chaotisch. Immer mehr seltsame Figuren bevölkern das Szenario, die so lang sonderbare Dinge tun und lassen, bis man schlichtweg aufgibt, nach Sinn und System zu suchen.

In einem Moment bittet eine Mutter den Titelhelden Bolo, kurz ihr Baby im Arm zu halten, um Wasser holen zu können, was er mit Freuden tut. Dann kommt die Frau zurück, rammt ihm ein Messer in den Bauch und kratzt mit Kind die Kurve. Daraufhin taumelt Bolo in eine Praxis, wo der Arzt ihn verbindet. Plötzlich befindet sich die Attentäterin aber im Nebenbett und Bolo merkt, dass der Arzt ihn auf ein Brett gefesselt hat. Dann kommt der Doktor zurück und beide liefern sich einen Kampf, den Bolo schließlich gewinnt, woraufhin der Besiegte sich ein weißes Pulver ins Gesicht schüttet – vermutlich, weil er in dem Krug, den er sich an den Mund setzte, etwas anderes erwartet hatte. Wenn man chinesische Schriftzeichen lesen könnte, wüsste man wohl auch, was. Dass sich einem dadurch auch der Sinn der ganzen Sequenz erschließt, darf jedoch bezweifelt werden. An anderer Stelle gerät ein Wirt mit seinem Gast in Streit, weil dieser gerade aus den USA zurückgekommen ist und nun lauter Zeug bestellt, das in China gar nicht auf der Karte steht. Darum legt der Kellner ihm nahe, zu verschwinden, was ebenfalls in einer minutenlangen Prügelei mündet, die nachfolgend wirklich gar keine Relevanz für irgendetwas hat. Später machen Ma und eine Frau dann noch ein Spiel, dessen Regeln wahrlich schleierhaft sind: Sie rufen scheinbar zufällig Zahlen in den Raum, halten dazu ihre Hände hoch und sagen zeitgleich noch ein Gedicht auf, bei dem sich (zumindest in der Synchronisation) überhaupt nichts reimt. 

Ein Erklärungsansatz für derlei Gaga-Momente ist, dass ein Großteil des Humors sich auf kulturelle Eigenheiten des Entstehungslandes bezieht und daher schlichtweg nicht übertragbar war. Begleitet wird die Show dabei stets von weiteren Elementen, die das komödiantische Hongkong-Kino weltweit berühmt-berüchtigt gemacht haben, wie wildes Grimassenschneiden, Schielen, Lispeln, Augenrollen und sonstige Attribute. Das sägt teils schon sehr an den Nerven. Zu allem Überfluss sind auch die Kampfszenen – also der in der Regel eigentliche Grund, weswegen man sich so etwas überhaupt ansieht – ausnehmend schlecht umgesetzt. Die beiden Hauptdarsteller selbst sorgten für die Choreographien und das Ergebnis ist alles andere als überzeugend. Nichts hier sieht nach echtem Schlagabtausch aus. So bleibt am Ende nicht mehr als eine Abfolge wirrer Szenen, bei der sich kaum etwas im Einklang befindet. Dazu passend ist die deutsche Synchronisation nicht nur technisch miserabel und vermutlich von Amateuren im Wohnzimmer zurechtgekloppt, sondern in Sachen Dialog oftmals ebenfalls ein Mysterium, bei dem die Wörter – sofern man sie denn überhaupt versteht – einfach nicht zusammenpassen wollen. Dennoch – und das mag nun verblüffen – vertreibt BOLO die Zeit doch einigermaßen passabel und ist nicht nur trotz, sondern auch dank aller Eigenarten ein angenehm-kauziger Blick in die teils absurden Elaborate des damaligen Bahnhofskinos. Hin und wieder muss so eine kleine Kuriosität am Rande einfach mal sein. Und Yeung Sze bleibt Kult!

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft