Hongkong 1977
Regie:
Yeung Sze
Darsteller:
Yeung Sze/Bolo Yeung,
Pai Piao/Jason Pai,
Mi Lan,
Chin Yuet-Sang,
To Siu-Ming,
San Kuai,
Lau Yat-Fan,
Tsang Chi-Wai/Eric Tsang
Yeung Sze ist Kult! Und das, obwohl ihn keiner kennt. Gut, zumindest nicht unter diesem Namen. Auch Yang-Sze-, Yeung-Shut-, Yang-Szu-, Yeung-See-, Yang-Tze-, Yung-Sze-, Ywung-Sze-, Yang-Tse-, Young-Sy- oder Yang-Sa-Fans trifft man eher selten. Der Name des als 양사 in der chinesischen Provinz Guangdong geborenen Martial-Arts-Darstellers wurde auf alle erdenkliche (Schreib-)Weisen transkribiert. Berühmtheit erlangte er am Ende allerdings mit dem wohl am albernsten klingenden Pseudonym. Denn nachdem der Kampfkünstler und Gewichtheber nach zahlreichen Statistenrollen für die Shaw Brothers einen blutrünstigen Schurken im ersten amerikanischen Bruce-Lee-Brüller DER MANN MIT DER TODESKRALLE (1973) verkörperte, wurde er quasi über Nacht weltbekannt. Und da seine Figur im Film „Bolo“ hieß, was nicht nur einprägsam ist, sondern auch international gut von der Lippe rollt, war das ab sofort auch sein Künstlername: Bolo Yeung.
Bruce Lee selbst starb noch, bevor er Teil seines eigenen Erfolgs werden konnte. Als nach dessen frühen Tod eine ganze Wagenladung an Bruce-Lee-Imitatoren auf die Leinwände geschüttet wurde, gehörte auch Bolo Yeung zum Stammpersonal und festigte aufgrund seines außergewöhnlichen Erscheinungsbilds somit seine Popularität. Ob es ihn gestört hat, dabei fast ausschließlich auf die Rolle des brutalen Bösewichts festgenagelt worden zu sein? Möglich, denn sein erstes Werk unter eigener Regie präsentiert ihn beinahe gänzlich anders. Geblieben ist lediglich sein Name, der dieses Mal – Marketing ist die halbe Miete! - auch direkt als ganzer Titel herhalten darf: BOLO!
Inhalt:
In einem kleinen chinesischen Dorf ist das Amt des Sheriffs gleichbedeutend mit einem Todesurteil: Wer ernsthaft für Recht und Ordnung eintritt, wird schnell einen Kopf kürzer gemacht – was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Als den Zuständigen mal wieder ein Ordnungshüterhaupt vor die Füße kullert, wird beschlossen, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Denn wer kann Gangstern am besten Einhalt gebieten? Natürlich! Andere Gangster! Und so wird angeordnet, alle Knastinsassen Strohhalme ziehen zu lassen. Zwei Gewinner dürfen das Gefängnis verlassen und Gesetzeshüter werden. Das Schicksal entscheidet sich für den schlitzohrigen Sprücheklopfer Ma [Jason Pai Piao] sowie das grobschlächtige Muskelpaket Bolo [Bolo Yeung Sze], die bereits im Bau aneinandergeraten sind und sich nach Freilassung erst einmal ein Kung-Fu- und Artistik-Duell liefern, um die Fronten zu klären. Im Dorf angekommen, stellen sie fest, dass hier wirklich die Unmoral regiert. Sogar der Bürgermeister ist in Menschenhandel verwickelt und wer diesbezüglich auspacken will, endet aufgeknüpft an der Laterne. Ma und Bolo müssen sich im wahrsten Sinne zusammenraufen, um ihre Haut zu retten und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen.
Kritik:
Obwohl der Titel eigentlich Bolo-Solo-Action verspricht, macht bereits der Beginn klar, dass man sich hier im Genre des Buddy-Movies bewegt, das zwei ungleiche Protagonisten zusammenschweißt, um sie durch dick und dünn gehen zu lassen. Dabei durchziehen von Beginn an (der deutsche Zusatztitel deutet es dezent an) signifikante Spencer-/Hill-Schwingungen das Szenario, sind Grundgerüst und Duktus doch eindeutig angelehnt an die Kassenerfolge des populären Prügel-Duos aus Italien. Während Jason Pai Piao [→ DER TODESSCHREI DES GELBEN TIGERS] als schlaksiger Charmeur durchaus passabel den asiatischen Kung-Fu-Hill mimt, ist Bolo Yeung als dessen Kompagnon und bud-spenceriger Kaventsmann kaum wiederzuerkennen. Seine Gesichtsbehaarung und das ebenso tumbe wie gutmütige Auftreten hat mit seinen früheren Rollen als furchteinflößender Knochenbrecher nichts mehr gemein. Zwar ist Yeung - im Gegensatz zu seinem offensichtlichen Vorbild und anders als im Dialog mehrmals behauptet - tatsächlich „nur“ kräftig und nicht dick. Aber diese bis dahin unbekannte Facette steht dem Berufsbösewicht doch erstaunlich gut und es ist genau dieses Gegen-das-Image-Agieren, aus dem BOLO seinen hauptsächlichen Reiz bezieht.
Das ist auch dringend notwendig, denn Reize, zumindest positiver Art, sind bei dieser Veranstaltung dann doch eher Mangelware. So hatte man zwar eine interessante Idee, aber offenbar keine Ahnung, was man aus ihr machen sollte. Schon die Prämisse ist freilich denkbar hanebüchen. Dass Knastvögel aus dem Bau herausrekrutiert werden, um aus ihnen ein Himmelfahrtskommando zu formieren, das kennt die Leinwand spätestens seit DAS DRECKIGE DUTZEND zur Genüge. Aber dass verurteilte Verbrecher freigelassen werden, um als Gesetzeshüter andere Verbrecher zur Strecke zu bringen (noch dazu mit der Ermahnung, bloß nicht Fersengeld zu geben), das hat schon eine ganz neue Quatsch-Qualität. Allerdings ist BOLO eine Komödie, da geht eine solch absurde Ausgangssituation durchaus klar. Viel ernüchternder ist es, wie wenig aus dieser Basis herausgeholt wurde, obwohl die Trümpfe doch eigentlich schon in der Hand lagen.
Was aber offenbar nicht in der Hand lag, war ein vernünftiges Drehbuch. Erzählerische Höchstleistungen erwartet sicherlich niemand, aber die Ereignisse BOLOs sind insgesamt so zusammenhanglos und sinnbefreit, dass es teils absurde Ausmaße annimmt. Bereits der Einstieg ist äußerst ungelenk, wenn Ma und Bolo (die ja eigentlich Sympathiefiguren sein sollen) einem blinden Mann sein Fahrzeug klauen – völlig grundlos übrigens, denn der Alte hatte sich längst dazu bereit erklärt, die beiden an ihr Ziel zu bringen. Im Dorf angekommen, gehen die Protagonisten als Erstes ins Bordell, das von Eric Tsang [→ SEVEN ASSASSINS] in Frauenkleidern geführt wird, der Bolo schließlich in einer viel zu langen Sequenz im albernen „Hühner-Stil“ attackiert, weil er glaubt, dieser wolle die Zeche prellen. Ma indes trifft vor Ort eine alte Bekannte aus früheren kriminellen Tagen und quetscht sie um den Verbleib mehrerer Goldbarren aus – vermutlich Beute aus Raubzügen, von der das Publikum an dieser Stelle auch zum ersten Mal hört. Ist das narrativ alles bereits arg fragmentarisch, wird es im weiteren Verlauf regelrecht chaotisch. Immer mehr seltsame Figuren bevölkern das Szenario, die so lang sonderbare Dinge tun und lassen, bis man schlichtweg aufgibt, nach Sinn und System zu suchen.
In einem Moment bittet eine Mutter den Titelhelden Bolo, kurz ihr Baby im Arm zu halten, um Wasser holen zu können, was er mit Freuden tut. Dann kommt die Frau zurück, rammt ihm ein Messer in den Bauch und kratzt mit Kind die Kurve. Daraufhin taumelt Bolo in eine Praxis, wo der Arzt ihn verbindet. Plötzlich befindet sich die Attentäterin aber im Nebenbett und Bolo merkt, dass der Arzt ihn auf ein Brett gefesselt hat. Dann kommt der Doktor zurück und beide liefern sich einen Kampf, den Bolo schließlich gewinnt, woraufhin der Besiegte sich ein weißes Pulver ins Gesicht schüttet – vermutlich, weil er in dem Krug, den er sich an den Mund setzte, etwas anderes erwartet hatte. Wenn man chinesische Schriftzeichen lesen könnte, wüsste man wohl auch, was. Dass sich einem dadurch auch der Sinn der ganzen Sequenz erschließt, darf jedoch bezweifelt werden. An anderer Stelle gerät ein Wirt mit seinem Gast in Streit, weil dieser gerade aus den USA zurückkommen ist und nun lauter Zeug bestellt, das in China gar nicht auf der Karte steht. Darum legt der Kellner ihm nahe, zu verschwinden, was ebenfalls in einer minutenlangen Prügelei mündet, die nachfolgend wirklich gar keine Relevanz für irgendetwas hat. Später machen Ma und eine Frau dann noch ein Spiel, dessen Regeln wahrlich schleierhaft sind: Sie rufen scheinbar zufällig Zahlen in den Raum, halten dazu ihre Hände hoch und sagen zeitgleich noch ein Gedicht auf, bei dem sich (zumindest in der Synchronisation) überhaupt nichts reimt.
Ein Erklärungsansatz für derlei Gaga-Momente ist, dass ein Großteil des Humors sich auf kulturelle Eigenheiten des Entstehungslandes bezieht und daher schlichtweg nicht übertragbar war. Begleitet wird die Show dabei stets von weiteren Elementen, die das komödiantische Hongkong-Kino weltweit berühmt-berüchtigt gemacht haben, wie wildes Grimassenschneiden, Schielen, Lispeln, Augenrollen und sonstige Eigenarten. Das sägt teils schon sehr an den Nerven. Zu allem Überfluss sind auch die Kampfszenen – also der in der Regel eigentliche Grund, weswegen man sich so etwas überhaupt ansieht – ausnehmend schlecht umgesetzt. Die beiden Hauptdarsteller selbst sorgten für die Choreographien und das Ergebnis ist alles andere als überzeugend. Nichts hier sieht nach echtem Schlagabtausch aus. So bleibt am Ende nicht mehr als eine Abfolge wirrer Szenen, bei der kaum etwas plausibel scheint. Dazu passend ist die deutsche Synchronisation nicht nur technisch miserabel und vermutlich von Amateuren im Wohnzimmer zurechtgestümpert, sondern in Sachen Dialog oftmals ebenfalls ein Mysterium, bei dem die Wörter – sofern man sie denn überhaupt versteht – einfach nicht zusammenpassen wollen. Dennoch – und das mag nun verblüffen – vertreibt BOLO die Zeit doch einigermaßen passabel und ist nicht nur trotz, sondern auch dank aller Eigenarten ein angenehm-kauziger Blick in die teils absurden Elaborate des damaligen Bahnhofskinos. Hin und wieder muss so eine kleine Kuriosität am Rande einfach mal sein. Und Yeung Sze bleibt Kult!
Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft