Italien, Spanien 1966
Regie:
Sergio Corbucci
Darsteller:
Burt Reynolds,
Aldo Sanbrell,
Nicoletta Machiavelli,
Fernando Rey,
Tanya Lopert,
Franca Polesello,
Lucia Modugno,
Peter Cross
Inhalt:
USA, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die Tötung von Indianern ist mittlerweile verboten. Der skrupellose Duncan [Aldo Sambrell] und seine Banditenbande lassen sich davon allerdings nicht beeindrucken und machen weiterhin Jagd auf Ureinwohner-Skalps. Nachdem sie eine komplette Siedlung vernichtet haben, sinnt Joe [Burt Reynolds], einziger Überlebender des Massakers, auf Rache. Als Duncans Männer einen Zug mit Bargeld-Reserven überfallen, dezimiert Joe die Bande erheblich und bringt das Fahrzeug eigenhändig ans Ziel. Dort bietet er den verängstigen Dorfbewohnern an, Duncan und seine Männer unschädlich zu machen. Diese weigern sich zunächst, sehen jedoch bald ein, dass sie keine andere Wahl haben – denn die verbliebenen Banditen sind bereits auf dem Weg ins Dorf, um das Geld doch noch an sich zu bringen. Joe heftet sich den Sheriffstern an die Brust und verspricht den Anwesenden, sie zu beschützen. Nach seiner Ankunft stellt Duncan fest, dass Joe das Geld versteckt hat. Um den geheimen Ort herauszupressen, beginnt die Bande einen Terror gegen die Bürger, den Joe zunächst nicht verhindern kann – er unterliegt seinen Widersachern und wird gefoltert. Doch mithilfe zweier Huren kann er sich befreien und schlägt zurück.
Kritik:
Im selben Jahr, in dem Regisseur Sergio Corbucci mit dem wegweisenden, weil grandios dreckigen DJANGO das Bild des Wildwestfilms nachhaltig veränderte, inszenierte er noch ein weiteres von ähnlich nihilistischer Stimmung geprägtes Werk, das von den Kritikern häufiger mal vergessen wird: NAVAJO JOE! Gleichfalls als düstere Abkehr von den bis dahin gängigen, heroischen Pferdeopern konzipiert, bediente man sich auch hier später zum Standard gewordenen Genre-Zutaten: Wind pfeift durch karge Felslandschaften, Sand knirscht unter den Stiefeln und Pulverdampf schwängert die Luft - eine trostlose Welt, in der Sitte und Anstand sich größtenteils verabschiedet haben. Bereits der Auftakt stellt diesbezüglich die Weichen: In einer beschaulichen Indianersiedlung geht alles seinen gewohnten Gang. Die Sonne scheint, die Pferde trinken, die Menschen gehen ihren Alltagsgeschäften nach. So auch eine junge Indianerin, die am Fluss sitzt und Felle glättet. Da erscheint ein Reiter, ein weißer Mann mit Sombrero. Er steigt vom Pferd; die Frau lächelt ihn arglos an. Er erwidert die Geste, zieht seinen Colt und knallt sie kommentarlos über den Haufen. Während daraufhin eine Bande marodierender Männer das Dorf überfällt und ein Massaker anrichtet, zieht der Mann ein Messer und skalpiert sein soeben erlegtes Opfer.
Das ist zwar fraglos ziemlich plump und klischeehaft, aber eben auch enorm effektiv: Der harte Umschwung von idyllischer Eintracht zu barbarischer Brutalität schockiert und involviert zudem auf Anhieb das Publikum. Spätestens, wenn der gewissenlose Sombrero-Träger seiner Beute mit beinahe begeistertem Blick die Kopfhaut abtrennt und wie eine makabre Trophäe in die Höhe hält, während auf der Tonspur ein mehrstimmiger, verstörender Klagegesang anschwillt, der sich final zu einem mitreißenden, den Vorspann untermalenden Orchesterstück emporschwingt, dann ist der eigene Alltag völlig vergessen und man ist mit Haut und Haaren Teil dieser apokalyptischen Vision. Dabei ist NAVAJO JOE inhaltlich weder neu noch kreativ: Einmal mehr geht es um den Drang nach blutiger Vergeltung. Denn der einleitende Massenmord hinterlässt einen Überlebenden, Titelheld Joe, dem es nun gehörig nach Genugtuung dürstet. Doch anstatt einfach zur Tat zu schreiten und in Schurkenkreisen aufzuräumen, vereitelt er zunächst lediglich einen Raubzug der Bande und lässt sich dafür von den Bürgern eines kleinen Dorfes zum Sheriff ernennen. Somit darf er die Täter jetzt also sogar im Namen des Gesetzes zur Strecke bringen – denn die Ermordung von Indianern ist laut novelliertem amerikanischen Recht eine Straftat.
So wird aus der eigentlich obligatorischen Rachenummer ein originelles, ja, regelrecht rebellisches Stück Kino. Immerhin ist dies einer der ersten Western, in dem ein indigener Charakter die Hauptrolle verkörpert. War der „Indianer“ auf der Leinwand bis dahin meist als ruchloser Meuchler in Erscheinung getreten, der den armen weißen Mann drangsaliert, agiert er hier als moralische Instanz, während der gutbürgerliche Amerikaner als überwiegend rassistischer und geldgeiler Feigling porträtiert wird. Diesen Perspektivwechsel lotet das Skript geradezu genüsslich aus. Durchtränkt von bissigen Seitenhieben wird hier das pessimistische Bild eines Amerikas gezeichnet, in dem Dinge wie Fremdenhass, Vorurteile und gewissenloses Streben nach Reichtum eine Selbstverständlichkeit darstellen. Bösewicht Duncan und seine Bagage besitzen ohnehin kaum noch menschliche Züge, aber auch bei den vermeintlich so anständigen Dorfbewohnern trudelt der moralische Kompass gar mächtig. Als die Eisenbahn ankommt, mit Leichen gefüllt und von Blut getränkt, gilt ihre größte Sorge dem Panzerschrank inklusive der in ihm enthaltenden Barschaft. Erst, als sie diese an Ort und Stelle vorfinden, macht sich Erleichterung breit: „Es ist alles in Ordnung. Wir haben Glück gehabt!“ Von den Toten redet keiner.
Als Joe den Posten des Gesetzeshüters verlangt, fallen die Anwesenden wenig überraschend aus allen Wolken. „Völlig ausgeschlossen“, meint einer, „ein Indianer als Sheriff? Das amerikanische Gesetz muss von Amerikanern geschützt werden.“ Joe erklärt daraufhin: „Mein Vater wurde hier geboren. Der Vater meines Vaters ebenfalls, genauso der Vater vom Vater meines Vaters. Wo wurde dein Vater geboren?“ „In Schottland“, antwortet sein verdattertes Gegenüber. „Dann bist du kein Amerikaner“, entgegnet Joe und niemandem mehr fällt etwas Passendes ein. In emotional effektiver Manier verlangt Joe von den Dörflern schließlich für jeden Banditen, den er Strecke bringt, einen Dollar. Das ist eine wunderbar-perfide Umkehr früherer Verhältnisse: Ein Dollar, das war der Preis, den zuvor ein Indianer-Skalp einbrachte – der vermeintliche Wert eines indigenen Menschenlebens. Zwar mag die wütende Abrechnung mit der bigotten US-Politik, die Völkermord erst verurteilt, sobald sie keinen Nutzen mehr daraus zu ziehen vermag, teilweise etwas platt anmuten, doch verfehlt sie ihre Wirkung nicht. Ausgerechnet die Huren, die außerhalb der etablierten Gesellschaft stehen, sind dann auch diejenigen, die sich einen letzten Rest Anstand bewahrt haben.
Als Titelhelden sieht man Burt Reynolds in seiner ersten wirklichen Hauptrolle. Authentisch in Sachen Herkunft wirkt das zwar nicht gerade (womöglich auch deswegen, weil der Schauspieler vor allem aufgrund späterer Figuren bekannt ist, die wirklich rein gar nichts mit dieser hier zu tun haben), aber er verkörpert Joe mit einer sehr einnehmenden Lässigkeit und der nötigen ehrfurchtgebietenden Physis. Der Umstand, dass man Reynolds eigentlich mit ganz anderen Rollen assoziiert (nicht wenige davon aus dem Komödienbereich), passt im Nachhinein sogar zwar ungewollt, aber nichtsdestotrotz fabelhaft ins Konzept, geziemt sich das Gesamtwerk letztendlich doch ähnlich eigen wie dessen unkonventionelle Protagonistenbesetzung. Reynolds selbst allerdings fand keine guten Worte für sein Debüt, meinte sogar, es sei so miserabel, dass man es nur in Flugzeugen und Gefängnissen zeigen dürfe, weil man von dort nicht fliehen könne. Woher sein Unmut rührte, erschließt sich einem null, und niemals darf vergessen werden, dass dies derselbe Mann gesagt hat, der 1983 für DER RASENDE GOCKEL in ein Hühnerkostüm kroch und das für eine gute Idee hielt.
Als Antagonist agiert Aldo Sambrell [→ TÖTE, AMIGO] als wahrhaft hassenswerte Drecksau, dem ein Menschenleben nichts bedeutet. Bereits seine offensichtliche Verzückung beim Entfernen der Indianerkopfhaut in der Eingangssequenz macht klar, dass es ihm beim Skalpieren nur zweitrangig um die Belohnung geht: Duncan zieht Erfüllung aus dem Töten. Später ermordet er eigenhändig eine junge Mutter vor den Augen ihres Sohnes - vorgeblich, um eine Zeugin loszuwerden, in Wahrheit jedoch, so ist anzunehmen, aus purem Lustgewinn. „Meine Mutter war eine Indianerin, darum hasse ich die Indianer. Und ich hasse die Weißen, weil mein Vater einer war“, sagt er an einer Stelle, was impliziert, dass seine Mordlust aus reinem Selbsthass resultiert. Psychologisch erscheint das sehr simpel und es erklärt irgendwie auch nichts. So ist Duncans Figur wesentlich stereotypischer geraten, nicht zuletzt auch wegen des klischeehaften Spiels Sambrells. Dass seine deutsche Synchronstimme etwas unpassend ausgewählt wurde, dafür kann er ja nichts.
Apropos Deutsch: Aus irgendwelchen Gründen fürchteten sich die Verleiher der Bundesrepublik jahrelang vor dem Originaltitel. In den Kinos lief NAVAJO JOE zunächst als AN SEINEN STIEFELN KLEBTE BLUT, auf Videokassette nannte sich die Nummer dann plötzlich KOPFGELD: EIN DOLLAR. Beide Titel sind zwar passend, aber warum man sich bis zum digitalen Zeitalter um die originale Namensgebung herumdrückte, ist schon eine berechtigte Frage. Ganz gleich jedoch, unter welchem Banner man sie sich zu Gemüte führt: Corbuccis vor Wut schnaubende Rachemär ist ein schmutziges Glanzlicht, welches das Genre zwar nicht so beeinflusste wie DJANGO, sich aber keinesfalls hinter diesem zu verstecken braucht. Und der schmissige Titelsong von Ennio Morricone [→ TOP JOB] geht einmal mehr ins Ohr. Und bleibt auch dort.
Laufzeit: 92 Min. / Freigabe: ab 18
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