Eigene Forschungen

Montag, 16. Dezember 2024

13 ASSASSINS


JÛSANNIN NO SHIKAKU
Japan, GB 2010

Regie:
Takashi Miike

Darsteller:
Kôji Yakusho,
Goro Inagaki,
Masachika Ichimura,
Yûsuke Iseya,
Tsuyoshi Ihara,
Takayuki Yamada,
Sôsuke Takaoka,
Kazuki Namioka



Inhalt:

Japan, 1844: Die Zeit der großen Kriege ist vorbei. Doch dem Land droht neues Unheil: Fürst Naritsugu [Goro Inagaki] soll nach dem bevorstehenden Tod seines Bruders den Thron besteigen. Das Problem: Der Mann ist ein ausgemachter Sadist, verstümmelt, vergewaltigt und mordet in unfassbarer Grausamkeit. Da er der Bruder des Shōguns ist, wird ihm Narrenfreiheit gewährt; sein Tun darf nicht infrage gestellt werden. Obwohl sein Leibwächter Hanbei [Masachika Ichimura] angewidert ist von der Unmenschlichkeit seines Vorgesetzten, hält er ihm die Treue, wie es die Tradition verlangt. Doch am Hof regt sich Widerstand: Der ehrwürdige Samurai Shimada [Kôji Yakusho] erhält den Auftrag, ein Tötungskommando zusammenzustellen, um den Fürsten zu ermorden. 13 Krieger sind es schließlich, welche planen, den Thronfolger während einer Reise durch das Land zu meucheln. Doch Hanbei bekommt von den Plänen Wind und versucht, seinen Gebieter mit aller Macht zu schützen. Als die Attentäter dem Fürsten schließlich in einem mit Fallen gespickten Dorf auflauern, sehen sie sich einer 200 Mann starken Armee gegenüber – der Beginn eines infernalen Massakers ...

Kritik:

Regisseur Takashi Miike erwarb sich mit Schockgranaten wie ICHI THE KILLER einen Ruf wie Donnerhall und kreierte gern alptraumhafte, teils verstörende Grenzüberschreitungen, die Kritik und Publikum nicht selten sprach- und ratlos zurückließen. In der zweiten Hälfte seiner Karriere jedoch wandte sich der einstige Leinwandschreck vermehrt auch massentauglicheren Projekten zu, die sich sogar auf renommierten Filmfestivals Lob einheimsen und Preise abstauben konnten. Wie 13 ASSASSINS, die Neuinterpretation eines gleichnamigen Samurai-Epos' aus dem Jahre 1962, die sich deutlich stärker an traditionelles Erzählkino anlehnt und die Enfant-terrible-Attitüde nahezu vollständig ad acta legt. Zwar finden sich auch hier zumindest im Ansatz „klassische“ Miike-Momente, aber im Gegensatz zu früheren Eskapaden, bei denen Gewalt und Grausamkeit größtenteils der Provokation dienten, besitzen sie hier eine klare narrative Funktion. Wenn die Leiche eines Mädchens gezeigt wird, die Extremitäten abgeschlagen, die Zunge herausgerissen und wie Müll auf die Straße geworfen, dann dient das nicht der Befriedigung voyeuristischer Niederungen, sondern der effektiven Bebilderung der Verworfenheit des Fürsten Naritsugu, was dem Betrachter die Notwendigkeit seiner Ermordung vor Augen führt. 13 ASSASSINS ist keine simple Zurschaustellung rüder Brutalitäten, sondern erzählt primär von komplexen moralischen Dilemmata und behandelt die philosophische Frage, inwieweit Gewalt im Dienste einer vermeintlich guten Sache legitimiert werden kann und darf.

Nicht selten kommen einem dabei die Werke Akira Kurosawas in den Sinn, allen voran der Klassiker DIE SIEBEN SAMURAI von 1954, der ebenfalls von einer Gruppe aufopferungsvoller Krieger erzählt, die sich einer scheinbar unüberwindbaren Übermacht entgegenstellen, bereit dafür, ihr eigenes Leben zu geben, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Auffallend an 13 ASSASSINS ist seine experimentelle Struktur, die mit einer Zweiteilung der Dramaturgie einhergeht. So gestaltet sich die erste Hälfte überwiegend ruhig, zeitweise fast schon meditativ. In aller Ruhe wird da die Ausgangssituation etabliert, werden die Figuren eingeführt und ihre Beweggründe nachvollziehbar gemacht. Bei der Gelegenheit wird auch nicht darauf verzichtet, den Antagonisten ausgiebig ins schlechte Licht zu rücken. Der jugendlich wirkende Naritsugu ist eine wahrlich verachtenswerte Kreatur an der Schwelle zum Wahnsinn, die teils aus Trieb, teils aus purer Lust und Langeweile schändet, tötet und terrorisiert. Mit der Unschuld eines Kindes und der Grausamkeit eines Tyrannen kommentiert der Thronfolger selbst das schlimmste Gemetzel noch mit einem infantil-entzückten „Großartig!“, bis man ihm die Pest höchstpersönlich an den Hals wünscht und regelrecht Stoßgebete gen Himmel schickt, das Tötungskommando möge doch bitte recht schnell ziemlich erfolgreich sein. Die zweite Hälfte stellt dann eine radikale Wende dar: In dramatischem Gegensatz zur bis dahin vorherrschenden Langsamkeit entfesselt Miike ein fast eine Stunde andauerndes, apokalyptisches Gemetzel, ein dreckiges Wühlen in Schlamm, Schweiß und Blut, bei dem wahrlich keine Gefangenen gemacht werden. Und obwohl es natürlich in erster Linie diese Eindrücke sind, die mit nach Hause genommen werden, wäre es ein Fehler, die Wucht des Werkes allein auf das infernale Finale zu beschränken.

Denn nur vordergründig wird hier die Geschichte eines Blutbads erzählt. Hinter all dem Hauen, Stechen und Sterben verbirgt sich ein tiefgründigerer Kommentar auf die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Japan des späten 19. Jahrhunderts. 13 ASSASSINS spielt in der Edo-Zeit (ca. 1615 - 1868), einer Ära weitgehender Stabilität, in der die Samurai keine klassischen Krieger mehr waren, sondern Teil eines streng geregelten, von Bürokratie geprägten Systems. Miike bietet einen authentisch anmutenden Einblick in eine Zeit, in der der traditionelle Samurai-Kodex, der jahrhundertelang die japanische Gesellschaft geprägt hatte, seinen letzten Atemzug tut. Seine Protagonisten sind keine Helden, sondern verzweifelte Männer, die in einer sich verändernden Welt keine Rolle mehr spielen. Ihre Ideale sind veraltet, ihre Ehre wurde durch die politischen Umwälzungen der Zeit untergraben, und sie selbst wirken in der damaligen modernen Gesellschaft überflüssig. Aus diesem Gefühl der Entwurzelung heraus gehen sie in den Tod, entschlossen, ein letztes Mal ihre Ehre zu verteidigen und eine letzte Heldentat zu vollbringen, die ihnen einen Platz in der Geschichte sichern soll. An der Absurdität blinden Gehorsams wird dabei kaum ein Zweifel gelassen. Entscheidend ist dabei die Figur des Leibwächters Hanbei, der von den Gräueltaten des Fürsten zwar ebenso angewidert ist wie alle anderen, sich aber dennoch blindlings, starr bewährter Tradition folgend und entgegen jeder menschlichen Vernunft, an die Aufgabe klammert, seinem Herren zu dienen und dessen Leben zur Not mit seinem eigenem zu beschützen. Dieser innere Zwiespalt, der tief im kulturellen Selbstverständnis Japans verwurzelt ist, verleiht 13 ASSASSINS eine psychologische Tiefe, die ihn weitaus vielschichtiger macht, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

13 ASSASSINS ist eine gelungene Frischzellenkur für das Samurai-Genre, die klassische Motive mit den Funktionalitäten des modernen Action-Kinos kreuzt und genügend Raum zur Reflexion lässt. Die japanische Originalfassung läuft direkt noch einmal 20 Minuten länger, angereichert mit ein wenig übernatürlichem Tamtam, den man dem westlichen Publikum wohl nicht auch noch aufhalsen wollte – vermutlich nicht ganz zu Unrecht, gefällt das Werk doch gerade durch seine Bodenständigkeit. Zu einem Klassiker reicht es freilich trotzdem nicht. Wohl aber zu einem facettenreichen Kunstwerk, das beweist, dass Action und Anspruch keine Konkurrenten sein müssen.

Laufzeit: 120 Min. / Freigabe: ab 16

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