Australien 2024
Regie:
George Miller
Darsteller:
Anya Taylor-Joy,
Alyla Browne,
Chris Hemsworth,
Tom Burke,
Lachy Hulme,
Charlee Fraser,
Nathan Jones,
Angus Sampson
Am Anfang war MAD MAX. Es war 1979, als der damals noch unbekannte australische Regisseur George Miller mit dem damals noch unbekannten australischen Schauspieler Mel Gibson in der Hauptrolle unter diesem Titel die pessimistische Parabel einer untergehenden Zivilisation ins Kino brachte. Aufgrund des unerwarteten Erfolges wurde die Nummer in mehreren Fortsetzungen mit deutlich größerem Budget zur ausufernden Action-Installation umgedeutet. Die Figur der Furiosa trat dabei erstmals 2015 im Kapitel FURY ROAD auf und war bereits von Anfang an mehr als nur eine größere Nebenrolle, gönnte Miller, der sich stets auch für die Drehbücher verantwortlich zeichnete, der endzeitlichen Kriegerin doch ungewöhnlich viel Raum. Neun Jahre später durfte der Name FURIOSA schießlich ein ganzes Plakat schmücken und die kampferprobte Heldin ihren Lebens- und Leidensweg (im wahrsten Sinne) mutterseelenallein bestreiten. Ganz ohne Max, aber doch mit sehr viel Madness.
Dass diese dabei nicht mehr von Charlize Theron verkörpert wird, sondern von der deutlich jüngeren Anya Taylor-Joy, liegt vor allem darin begründet, dass hier die Vorgeschichte erzählt wird - der weite Weg zur Fury Road quasi. Genau genommen sind es deshalb sogar gleich zwei neue Schauspielerinnen in der Rolle, hat doch selbst die Vorgeschichte noch eine Vorgeschichte, in der sich die Protagonistin bereits als Dreikäsehoch als äußerst robust erweist, obgleich sie zum Auftakt direkt in die Hände brutaler Plünderer gerät.
Inhalt:
Der Lebensraum, in dem die noch kindliche Furiosa [Alyla Browne] aufwächst, ist so schön nicht mehr: Die Zivilisation ist im Eimer, die Welt fast nur noch Wüste, Ressourcen jeglicher Art sind teure, hart umkämpfte Handelsware. Doch Furiosa hat noch Glück im Unglück: Sie lebt in einer der wenigen verbliebenen Oasen, in einer Gemeinschaft friedlicher Menschen, die sich gegenseitig unterstützen. Doch eines Tages wird sie diesem Paradies brutal entrissen: Eine Bande von Plünderern entführt sie ins Ödland, um sie ihrem Anführer zu überreichen, dem skrupellosen Warlord Dementus [Chris Hemsworth]. Dieser tötet ihre Mutter, die erfolglos versucht hat, sie zu retten, und zieht sie als eine Art Ersatztochter auf. Nach einiger Zeit wechselt Furiosa jedoch den „Besitzer“: Um einen Handel zu besiegeln, wird sie an einen weiteren Machtmenschen verkauft: den maskierten, monsterartigen Immortan Joe [Lachy Hulme], der sie seinem Harem zuführen möchte. Furiosa kann durch eine List entkommen und übt sich fortan in der Kunst des Überlebens. Die Jahre vergehen und sie reift zur jungen Frau [nun: Anya Taylor-Joy]. Ihr Überlebenswille: Vergeltung für den Mord an ihrer Mutter.
Kritik:
An FURIOSA überrascht zunächst, dass die Geschichte kapitelweise erzählt und dabei jeder Teilabschnitt Quentin-Tarantino-artig per Einblendung benannt wird. Das ist schon ein kleiner Stilbruch, aber da bisher jeder Teil der Reihe in irgendeiner Form mit seinem Vorgänger brach, war das wohl das Zugeständnis an diese Tradition. Ansonsten behält man im Großen und Ganzen Stil und Optik des Vorgängers (beziehungsweise ja eigentlich ja Nachfolgers) bei, weswegen man sich auch sofort wieder in vertrauten Gefilden wähnt. Diese Welt ist definitiv die, die man aus FURY ROAD kennt, eine raue, ungastliche Wüstenlandschaft, bevölkert von motorisierten marodierenden Horden, in der das Recht des Stärkeren und Skrupelloseren gilt.
Mit der Realität hat das freilich kaum noch etwas am Hut und mit der Anfängen der Reihe ebenfalls nicht. Teil 1 der Saga, noch mit einer Handvoll Dollar gedreht, weist zwar auch schon ein paar comicartige Elemente auf, ist im Kern jedoch ein dreckiger Polizeifilm alter Schule, in dem Motorrad-Bulle Max Rockatansky zunächst zur Verzweiflung, dann zum Vergeltungsakt gegen die Mörder seines Sohnes getrieben wird. Erst die Fortsetzung siedelt die Handlung dann in der Post-Apokalypse an, in der sich schrille Figuren im Hochgeschwindigkeitsrausch gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Das zelebriert zwar bereits mit kindlicher Lust die Übertreibung, hat aber immerhin noch eine gewisse Bodenhaftung. FURIOSA jedoch scheint inzwischen auf einem anderen Planeten zu spielen, der der Erde höchstens noch im Ansatz ähnlich ist. Aufgrund des Ambientes drängt sich einem zeitweise gar ein Vergleich mit DUNE auf (bei dessen 2024er Kino-Interpretation Anya Taylor-Joy kurioserweise auch dabei war) und tatsächlich würde es gar nicht groß überraschen, schraubte sich hier plötzlich ebenfalls ein gigantischer Wurm aus dem Sand.
Zu Beginn der Reise huldigt Miller allerdings einem ganz anderen, eigentlich mausetoten Genre, nämlich dem Barbarenfilm. Mehrere anfängliche Momente könnten direkt aus CONAN & Co. stammen, wenn die grausamen Horden des Tyrannen Dementus – teils sogar mit gehörten Helmen unterwegs – ihr blutiges Tagwerk verrichten, rauben, plündern, kreuzigen und morden. Nur eben mit Motorrädern. Bereits hier lernt man den Antagonisten mit Leidenschaft hassen. Chris Hemsworth [→ VACATION] spielt den menschenlebenverachtenden Anführer Dementus im formvollendeten Berserker-Modus und man wünscht sich, die Titelfigur würde ihm, obwohl noch im zarten Kindesalter, bereits an Ort und Stelle den Garaus machen. Dass er sich im gleichen Moment, in dem er ihr Mutter, Glück und sorglose Jugend raubt, auch noch als Gefühlsmenschen inszeniert, der um den Verlust seiner eigenen Tochter trauert, macht ihn nur noch verabscheuungswürdiger. Aber das war wohl notwendig, da das Skript zumindest eine halbwegs brauchbare Entschuldigung dafür benötigte, dass Furiosa tatsächlich am Leben gelassen wird und fortan eine nicht unbeträchtliche Zeit in der Obhut ihres Peinigers verbringt.
Hier schält sich langsam, aber sicher ein weiterer Unterschied zum Rest der Reihe heraus. Denn während sich die anderen Beiträge inhaltlich jeweils auf einen nur kurzen Zeitabschnitt konzentrieren, erstreckt sich FURIOSA über mehrere Jahre, beschreibt fast schon akribisch die langsame Frauwerdung der Protagonistin, die schließlich – so viel zur geliebten „Ersatztochter“ – von Dementus an einen Handelspartner verschachert wird, an den bereits aus FURY ROAD bekannten Immortan Joe, der sie zur Haremsdame umfunktionieren will. Furiosa denkt nicht mal daran, kann durch einen (bemerkenswert billigen) Trick entkommen, tarnt sich fortan per Kurzhaarfrisur als Junge und agiert so mehrere Jahre als „War Boy“ in der Armee Immortan Joes, was schon etwas weit hergeholt erscheint und leichte MULAN-Schwingungen mit sich bringt. Es ist faszinierend, wie beinahe unmerklich hier der Darstellerwechsel vonstatten geht, denn irgendwann dazwischen tauscht Furiosa ihren Körper und wird die verbleibende Spielzeit von Anya Taylor-Joy personifiziert. Beide Frauen bilden eine wunderbar konsistente Kombination und verströmen eine identische Präsenz, sodass der Übergang nahezu nahtlos und beinahe unbemerkt über die Bühne geht.
Furiosa geht ihren Weg weiter, wobei das anfangs prominent platzierte Rachemotiv dabei für geraume Weile ins Hintertreffen gerät. Lange Zeit (also innerhalb der Handlung: mehrere Jahre) geht es der Protagonistin lediglich darum, zu überleben, sich anzupassen, ihre Stärken zu entdecken und auszubauen, herauszufinden, wem sie vertrauen kann und wem nicht. Das Element Action spielt dabei – obwohl niemals völlig abwesend – keine so große Rolle wie noch in FURY ROAD, wo gefühlt niemals jemand länger als 20 Sekunden mal irgendwo stehen blieb. FURIOSA hingegen setzt eher auf das große Abenteuer. Aber wenn was passiert, dann ist wahrlich was los! Anspieltipp dafür ist der Überfall auf das „War Rig“, einerseits ein gigantischer Tanklaster, andererseits aber auch eine fahrende waffenstarrende Festung - was einige trotzdem nicht von dem Versuch abhält, das Ding kapern zu wollen. Mit Autos, Motorrädern und Fluggeräten attackiert eine Bande Verrückter das gepanzerte Superfahrzeug und wer Glück hat, kommt einfach nur unter die tonnenschweren Räder. Und wer es für schlau hielt, vom Luftraum aus anzugreifen, wird kurzerhand per eingebautem Kranarm vom Himmel gepflückt. Die Kinetik, die dabei entfesselt wird, macht in ihrem perfekt inszenierten Irrwitz fast sprachlos und lässt einen minutenlang alles vergessen. Dabei – und das ist die große Kunst – bleibt alles stets übersichtlich und fokussiert. Miller, der dem Genre vor FURY ROAD lange Zeit abtrünnig war, weiß, wie man Action auf die Beine stellt, die diese Bezeichnung auch verdient.
Der Überfall verbindet Furiosa unvermittelterweise mit dem „War Rig“-Steuermann Praetorian Jack, der für sie zur quasi einzigen Vertrauensperson wird. Dass bei der Gelegenheit noch völlig fehl am Platze wirkendes Kurzzeit-Geschmuse ins Skript gemogelt wurde, liegt wohl daran, dass Furiosa ihr Finale nicht als Jungfrau bestreiten sollte, denn zwischen all dem Den-Haremshäschern-entkommen, Sich-als-Junge-verkleiden und Unter-einem-fahrenden-Truck-hängen war für das gute, alte Pimperino natürlich nie so wirklich Zeit. Obwohl reichlich spät eingeführt, wirkt Tom Burke [→ ONLY GOD FORGIVES] in der Rolle auf Anhieb extrem cool und sympathisch. Zudem sieht er, vor allem hinter dem Steuer seines Trucks, Mel Gibson recht ähnlich, was natürlich wunderbar ins Universum passt. Ohnehin ist es abermals bemerkenswert, wie schillernd das auftretende Personal geriet, selbst wenn es nur Miniauftritte absolviert. Miller liefert die Freakshow frei Haus, oft auch missgestaltete, aber stets charakterstarke Figuren in extragaganten Kostümen, mit Namen, die offenbar bei einer feucht-fröhlichen Teehaus-Zeremonie entstanden: Organic Mechanic, Rictus Erectus, Scrotus, Octoboss - und nicht zuletzt der „Geschichtenerzähler“, ein greiser Mann im wallenden Gewand, der sich hin und wieder im Erklärbär-Modus zu Wort meldet und aussieht wie ein chrystal-meth-süchtiger Saruman mit Mikrofon.
Am Ende – das wird keinen überraschen – bekommt Furiosa ihre Rache. Dieser Abschnitt wird von manchem Kritiker als Schwäche empfunden, weil er sich Erwartungen widersetzt und darum als unspektakulär abgekanzelt wird. Tatsächlich besitzt aber gerade das nach all dem donnernden Getöse eine ungeheure Wucht. Miller hat verstanden, dass Action nur funktioniert, wenn man sie in Ruhe einbettet. So herrscht nach der brachialen „War Rig“-Sequenz für ein paar Sekunden eine Stille, die regelrecht in den Ohren dröhnt. Der Abspann wird später untermalt sein von entspannten Klängen, die so gar nicht nach Weltuntergang tönen. Und Furiosa kriegt ihre Vergeltung eben nicht zwischen kreischenden Motoren und schepperndem Blech, sondern in einem Moment gezügelten Stillstands. Und da schließt sich der Kreis. Denn das erinnert doch stark an Mel Gibsons finalen Akt aus dem 1979er MAD MAX, der eben auch nicht laut und schnell war, sondern bedacht und perfide.
Mit FURIOSA hat George Miller seine eigene Welt abermals neu erfunden, ohne bereits Etabliertem den Stinkefinger zu zeigen. Der Einfallsreichtum ist überbordend (Dementus fährt z. B. einen Streitwagen, der anstelle von Pferden von drei Motorrädern gezogen wird), die wuchtigen Bilder sind präzise durchgeplant und der Soundtrack unterstützt das Geschehen angemessen brachial. Und Anya Taylor-Joy hat sich mitsamt stechendem Blick (ihre Augen werden szenenweise fast schon penetrant überbetont) einen Platz im Action-Olymp gesichert.
Falls noch Fragen offen sind: FURIOSA brennt alles nieder! Weil Miller nicht nur daran gelegen war, es krachen zu lassen. Sondern weil er auch etwas zu erzählen hatte. Jede Figur, jeder Satz, jedes Sandkorn ist mit Bedeutung aufgeladen.
Furios? Ja!
Laufzeit: 148 Min. / Freigabe: ab 16
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