Eigene Forschungen

Freitag, 4. April 2014

MAN OF TAI CHI


MAN OF TAI CHI
USA, China, Hongkong 2013

Regie:
Keanu Reeves

Darsteller:
Tiger Chen Hu,
Keanu Reeves,
Karen Mok,
Simon Yam,
Yue Hoi,
Michael Chan,
Ye Qing,
Iko Uwais



„Warum gewinnst du?“ - „Weil ich besser bin.“


Inhalt:

Chen Lin-Hu [Tiger Hu Chen] lebt in Peking in einfachen Verhältnissen und schlägt sich als Kurierfahrer durch. Seine Leidenschaft gilt der Kampfkunst Tai Chi, welche er regelmäßig im Tempel seines Meisters Yang [Yue Hoi] trainiert. Als er gegen den Willen Yangs an Fernseh-Wettkämpfen teilnimmt, erregt er damit die Aufmerksamkeit des eiskalten Geschäftsmannes Donaka Mark [Keanu Reeves]. Dieser veranstaltet vor wohlsituiertem Publikum brutale Martial-Arts-Kämpfe auf Leben und Tod. Von Unschuld und Bescheidenheit Chens gleichermaßen beeindruckt wie von seiner Kampfkraft, unterbreitet er diesem ein großzügiges finanzielles Angebot - freilich, ohne seine wahren Absichten zu verraten. Chen lehnt zunächst ab. Erst, als der Tempel seines Meisters aufgrund von Sicherheitsmängeln geschlossen werden soll, entschließt er sich, doch für Mark zu kämpfen. Nun beginnt für ihn eine Reise ans Ende der Unschuld und wieder zurück.

Kritik:

Hollywood-Star Keanu Reeves frönte in späteren Jahren, fraglos immer noch von seinem MATRIX-Ruhm und dem guten Klang seines Namens profitierend, seiner Liebe für das fernöstliche Kino und brachte mit 47 RONIN und MAN OF TAI CHI innerhalb kürzester Zeit zwei tief in der asiatischen Kultur verwurzelte Heldenreisen auf die Leinwand, die vom breiten Publikum aufgrund ihrer speziellen Thematik zwar eher ignoriert, von Genrefreunden jedoch überwiegend wohlwollend zur Kenntnis genommen wurden. Und obwohl er auch bei letzterem zunächst nur als Darsteller und Drehbuchberater eingeplant war, übernahm er schließlich, neben der Rolle des Antagonisten, auch noch den Regieposten, was innerhalb seiner Karriere eine Premiere bedeutete.

Bereits die (zumindest im Original vorhandene) Mehrsprachigkeit aus überwiegend Kantonesisch und Mandarin und nur wenig Englisch (was gut und gern als zuschauerunfreundlich gewertet werden darf) macht dabei deutlich, dass es Reeves wenig daran gelegen war, die asiatischen Motive den Gewohnheiten des westlichen Mainstream-Publikums anzupassen, weswegen auch Look und Location lobenswert unangetastet blieben: Der Schauplatz MAN OF TAI CHIs ist China, und seine malerischen Bilder sind ein relativ unverblümter Offenbarungseid einer geradezu schwelgerischen Liebe zum Handlungsort Peking. So erlebt man, während einer wunderbaren Kamerafahrt durch Häuserschluchten und Fensterscheiben, einen ganzen Tag flirrenden Großstadtlebens im Zeitraffer, und selbst der Abspann scheint nur zu existieren, damit ihm eine fast zärtliche verabschiedende Luftaufnahme der Metropole als Hintergrund dienen kann.

Das Drehbuch beschreitet derweil nicht mal im Ansatz neue Wege und betet die in der Vergangenheit bereits unzählige Male durchexerzierte Selbstfindungsgeschichte eines Mannes vom Erliegen der Versuchung über den Verlust der Unschuld bis hin zur gereinigten Wiederauferstehung ohne nennenswerte Variation treuherzig herunter. MAN OF TAI CHI funktioniert daher weniger als klassische Spannungskost, sondern viel mehr als einzige große Metapher, in welcher sich die Kampfkunst über ihre simple Funktion als Instrument körperlicher Auseinandersetzung erhebt und zum Gradmesser für Tugend und Standhaftigkeit wird: Hauptfigur Tiger Chen, hier und dort mal ein wenig aufmüpfig, doch moralisch einwandfrei, kommt vom rechten Wege ab, lässt sich, zunächst aus lauteren Motiven, später aufgrund schnöden Mammons und gekränkter Eitelkeit, von der dunklen Seite einspannen, bevor er seine Verfehlung schließlich erkennen und sich seinen Dämonen stellen darf. Das mag vom Kern her nicht neu sein und in seiner banalen Erkenntnis auch reichlich abgestanden, doch gibt sich die inhaltlich weitestgehend überraschungsfreie Moralparabel im selben Moment dermaßen aufrichtig, so voller Elan und Engagement, dass ihre Formelhaftigkeit so gut wie gar nicht ins Gewicht fällt.

Dass kaum eine Bindung des Publikums an die eher unterkühlt gezeichnete Hauptfigur erfolgt, ist freilich ein eher unschöner Nebeneffekt der Sache, nicht zuletzt deshalb, weil genau dieses Thema im Finale noch eine wichtige Rolle spielen soll. In seiner wohl wichtigsten Funktion macht MAN OF TAI CHI hingegen alles richtig: Die Kampfszenen sind durch die Bank schlicht großartig inszeniert - roh, grob und zeitweilen von geradezu schmerzhafter Brutalität, im selben Moment jedoch auch von purer Schönheit. Yuen Woo-Ping, mit Reeves noch aus seiner MATRIX-Zeit bekannt, sorgte für eine zuverlässig makellose Choreographie und Kameramann Elliot Davis [→ OUT OF SIGHT] lieferte die effektiven Bilder dazu. Wenn Tiger Chen sich, vor sich kultiviert gebendem Publikum in schickem Ambiente, einen ungleichen Überraschungskampf gegen gleich zwei rücksichtslose Gegner liefern muss, dabei, zwischen unstet flackerndem Licht, gerade mal noch die Silhouetten der Kämpfenden zu erkennen sind, dann werden die Möglichkeiten der Sehnervreizung größtmöglich ausgelotet.

Dabei experimentierte man ursprünglich sogar mit ganz neuen Kameramodellen, welche die Kämpfer während ihrer Einsätze umgeschnallt haben sollten, um eine bis dahin noch nie dagewesene Form der Publikumsinvolvierung zu erreichen. Doch selbst der Name Reeves öffnet bei solch einem riskanten Projekt nicht automatisch jeden Geldbeutel, so dass die progressiven Pläne schließlich ad acta gelegt werden mussten. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob dieses zum Vor- oder Nachteil MAN OF TAI CHIs geschah, doch ist es bemerkenswert, dass man stattdessen schließlich den umgekehrten Weg ging und die Fights auf das Elementarste reduzierte. Was hier zählt, ist nicht die technische Innovation, sondern die klassische Kontroverse: Zwei Männer, ein Raum, ein Befehl: „Fight!“

Diese Bescheidenheit, dieses Herunterbrechen auf das Notwendigste, dieser Verzicht auf effektheischende Übertreibungen für das Höher-Weiter-Schneller-Publikum zugunsten der respektvollen Huldigung der altmodischen Genreklassiker (bereits der Titel erinnert frappierend an Yuen Woo-Pings TAI CHI MASTER), das alles erweist sich als eine der größten Trumpfkarten MAN OF TAI CHIs und ist der Hauptgrund dafür, dass Reeves Regiedebüt so wunderbar rund läuft. Doch auch optisch hat der Regisseur sein Werk voll und ganz im Griff, präsentiert wunderbar ineinanderfließende Bilder, irgendwo zwischen antiquiert und modern, und gefällt sich in der genussvollen Auskostung markanter Gegensätze: Dem beschaulichen, ländlich gezeichneten Leben Pekings, mit seinen hart schuftenden, anständigen Bürgern, wird die gefühlskalte Hochfinanzfassade Hongkongs gegenübergestellt, klinisch rein, blitzeblank geschrubbt und frei von menschlicher Wärme. Chens meditative Übungen stehen in heftigem Kontrast zu den grausamen Tötungsveranstaltungen Marks, welcher bereits nach ein paar Minuten das erste Genick gebrochen und einem seiner Zöglinge brutalst die Kehle aufgeschlitzt hat.

Reeves spielt die Rolle des Antagonisten dann auch mit diebischem Vergnügen, gibt den großen Verführer mit leicht dämonischer Aura und kühler Attitüde, wobei ihm sein in der Vergangenheit oft verspottetes distanziertes Spiel hier nunmehr zur Ehre gereicht. Ironischerweise wirkt es dabei fast, als eifere er hier Al Pacino nach, welcher ihn im 1997er IM AUFTRAG DES TEUFELS noch selbst auf die Seite des Bösen ziehen durfte. So thront er wie der Leibhaftige persönlich auf sündhaft teurem, in seelenloser Symmetrie ausgerichtetem Mobiliar, um den moralischen Zerfall seines Schützlings live auf dem übergroßen Monitor mitzuerleben und mutiert in einem Moment teuflischen Gelächters tatsächlich zur unmenschlichen Schreckgestalt. Lediglich, dass Reeves sich am Ende als fast unbesiegbares Kampfass behauptet, strapaziert doch sehr die Glaubwürdigkeit. Zwar wirkt er in seiner einzigen Kampfszene mit seinen fast 50 Jahren noch respektabel agil, den Superfighter kann man ihm – nicht zuletzt aus dem Grund, da man um die überragenden artistischen Fähigkeiten seiner Mitstreiter weiß 
 dennoch nur schwerlich abnehmen.

Chen Hu, alias Tiger Chen, meistert seine Hauptrolle ebenfalls mit Bravour, obwohl seine Ausdrucksmöglichkeiten noch eingeschränkter sind als die eines Keanu Reeves. Das ist keine Überraschung, denn Chen ist eigentlich kein Schauspieler, sondern Stuntman und Kampfkunstlehrer, der sich am Set von MATRIX mit Reeves anfreundete. Dass er bei dessen Einstand als Regisseur nun gleich im Mittelpunkt stehen darf, ist nicht nur ein sehr sympathischer Freundschaftsdienst, sondern zudem auch noch eine gute Entscheidung: Chen wirkt als Darsteller wunderbar unverbraucht und im gleichen Maße unschuldig wie athletisch, so dass man ihm sowohl seine Arglosigkeit als auch seine Kampfkraft spielend abnimmt.

Auch bei der Besetzung der Nebenrollen bewies man ein sicheres Händchen, dem Genrefan werden bekannte Gesichter aus mehreren Generationen Martial-Arts-Action präsentiert, was für eine weitere Portion Authentizität sorgt. Yue Hoi, der bereits mit Jet Li in DIE MACHT DER SHAOLIN vor der Kamera stand, passt in die Rolle des alten Meisters Yang wie die berühmte Faust aufs Auge und als einer der Gegner Tiger Chens erkennt man Iko Uwais, der kurz zuvor mit der Gewaltoper THE RAID auf sich aufmerksam machte. Karen Mok [→ IN 80 TAGEN UM DIE WELT], ebenfalls ein bekanntes Gesicht des Hongkong-Kinos, ist als ermittelnde Polizistin Sun Jingshi zu sehen, während die Rolle von Ikone Simon Yam [→ BULLET IN THE HEAD] als Inspektor Wong fast schon sträflich verschenkt wirkt.

MAN OF TAI CHI ist insgesamt ein sehr beachtliches Debüt geworden, das seine moralinsaure Botschaft mit sanftem Märchenflair vernebelt: Protagonist Tiger Chen erscheint weniger als reeller Charakter, viel mehr als ein Ideal, als ein Sinnbild der Unschuld, als letzter Fackelträger einer eigentlich schon längst ausgestorbenen Disziplin – als letzter Schüler des Tai Chi. Donaka Mark ist seine Achillesferse, der heuchelnde Verführer, der an seine Eitelkeit appelliert, an sein Temperament, ihn manipuliert, seine Aggressionen Stück für Stück steigert. „Hast du Angst vor dem, was du ihnen antun könntest?“ fragt er, als Tiger dabei ist, im Kampf gegen seine Kontrahenten zu unterliegen. „Das musst du nicht.“ Dagegen agiert Meister Yang als Mentor Chens, als moralische Instanz, die ihm empfiehlt, den Geist zu reinigen und sein Chi zu sortieren: „Wenn du diesen Weg ohne Meditation gehst, dann wird es deinen Untergang bedeuten."

Chen geht diesen Weg, und bevor es zum finalen, in klassischer Wildwestmanier gefilmten und inszenierten Schlagabtausch kommt, muss er seine Lektionen lernen und seine spirituelle Mitte finden. Und obwohl die Pfade absehbar sind, nicht jeder Dialog perfekt sitzt und die Message fast schon rührend naiv daherkommt, bleibt MAN OF TAI CHI ein wunderbar ehrlich gemeintes Stück Kino von zielorientierter Geradlinigkeit und vibrierender Bildsprache.

„Du hast Blut gekostet“, tadelt Meister Yang seinen Schüler an einer Stelle. MAN OF TAI CHI ist die Versuchung durchaus wert.

Laufzeit: 105 Min. / Freigabe: ab 12

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen