Eigene Forschungen

Freitag, 27. Dezember 2019

KIDNAPPING - EIN TAG DER GEWALT


OPERAZIONE KAPPA – SPARATE A VISTA
Italien 1977

Regie:
Luigi Petrini

Darsteller:
Mario Cutini,
Marco Marati,
Maria Pia Conte,
Patricia Pilchard,
Mario Bianchi,
Maria Francesca,
Linda Sini,
Edmondo Tieghi



Inhalt:

Paolo [Mario Cutini], junger Weiberheld und Taugenichts, ist verbittert: Erst gelang es ihm, sich auf eine dekadente Luxusparty zu schmuggeln und dort bei der Gastgebertochter auf Tuchfühlung zu gehen, da wird das Vergnügen von deren Mutter jäh unterbrochen und er selbst vor die Tür gesetzt. Zornig stromert er nun durch die nächtlichen Straßen und trifft dabei auf den etwa gleichaltrigen Giovanni [Marco Marati], der ebenfalls Frust schiebt: Auch bei ihm ging ein Schäferstündchen daneben, da ein bestimmter Teil seines Körpers im entscheidenden Augenblick seinen Dienst versagte. Angestachelt durch Drogen und Hassreden steigen sie in die Wohnung der jungen Anna [Selvaggia Di Vasco] ein, um sich das, was sie zuvor nicht bekommen haben, nun mit Gewalt zu holen. Als die spontan zwangsinvolvierte Nachbarin Isabella [Linda Sini] dabei ihr Leben lassen muss, flüchten die beiden panisch in die Nacht hinaus. Nachdem sie bald darauf erfahren, dass sie von der Polizei gesucht werden, reagieren sie kopflos: Sie überfallen ein Nobelrestaurant und nehmen die Gäste als Geiseln, um von der Polizei Geld und freies Geleit ins Ausland zu erpressen. Ein Plan, der gründlich in die Hose geht …

Kritik:

Luigi Petrini hat nicht viel gedreht. Gerade mal eine Handvoll Beiträge gehen auf das Konto des Regisseurs – im Italien der 70er, in dem die Filmschaffenden oft wie am Fließband produzierten, ist das quasi nichts. Hauptsächlich entstanden unter seiner Warte Komödien und Musikfilme, anspruchsloser Zeitvertreib, weitestgehend vergessen. Und dann produzierte er noch OPERAZIONE KAPPA – ein wahres Ungetüm von einem Film, das rein gar nichts mit leichter Unterhaltung zu tun hat und eher einem beherzten Schlag in die Magengegend gleicht. Petrini, der auch das Drehbuch verfasste, macht hier absolut keine Gefangenen und beschreibt nur wenige, aber entscheidende Stunden im Leben zweier junger Männer, die aufgrund des Frusts über ihr soziales Versagen und ihre Unangepasstheit explodieren und ihren Aggressionsstau, einer radikalen Therapie gleich, rücksichtslos an ihrer Umgebung auslassen. Rau und ungeschliffen geht es dabei zu, überwiegend im dokumentarischen Duktus gehalten, ohne eine (offensichtliche) cineastische Dramaturgie. KIDNAPPING – EIN TAG DER GEWALT nannte man das Ganze dann im Deutschen, was zumindest zum Teil in die Irre führt, da es hier nicht, wie der Haupttitel suggeriert, um eine Entführung geht, sondern um eine Geiselnahme. Der Untertitel hingegen passt perfekt, da sich die folgenschweren Ereignisse tatsächlich nur innerhalb eines Tages ereignen, was den authentischen Charakter des Gezeigten nochmals unterstreicht.

Böse Zungen könnten Petrini gewiss vorwerfen, das formal tatsächlich recht plumpe Werk diene lediglich dazu, die niederen Gelüste des Publikums zu befriedigen, das hauptsächlich mit Blut und nackter Haut in Sehberührung kommen möchte. Beiden Bedürfnissen wird dann auch entsprochen, garniert mit zum Teil bemerkenswert asozialen Aussprüchen, mit denen die Protagonisten ihre Schandtaten kommentieren. Dennoch wäre die Unterstellung, man habe hier lediglich schmieriges Entertainment für Sensationsdurstige im Sinn gehabt, zu kurz gedacht. Petrini zeichnete seine beiden Hauptfiguren nämlich dermaßen abstoßend, dass zu keinem Zeitpunkt jemals irgendeine Form der Identifikation oder Befriedigung möglich wäre. Fast könnten einem die Männer leid tun angesichts ihrer Unfähigkeit, die Konsequenzen ihrer Handlungen richtig einzuschätzen, der Zielgenauigkeit, mit der sie konsequent die falschen Entscheidungen treffen, und ihres Unvermögens, Empathie mit ihren Mitmenschen zu empfinden, wären sie nicht solch riesige Arschlöcher, denen man am liebsten höchstselbst das Fell mit dem Vorschlaghammer gerben möchte. Lobend erwähnt werden muss an dieser Stelle das sagenhaft gute Spiel der beiden Darsteller Mario Cutini und Marco Marati, die das Killerduo in einer Unverfälschtheit zum Leben erwecken, dass man phasenweise glatt vergisst, dass ja alles bloß inszeniert ist.

Es ist ein schicksalhafter Moment, wenn Paolo erstmals auf Giovanni trifft, der im Park hockt und Trübsal bläst. Sein sexuelles Versagen nagt an ihm und die frauenverachtenden Aussagen seiner neuen Zufallsbekanntschaft helfen ihm dabei, seinen Kummer zu überwinden. Die enorme Schnelligkeit, in der die beiden Freundschaft schließen, macht klar, wie sehr sie sich gegenseitig brauchen und vermutlich immer gebraucht haben. Angestachelt durch gehässige Reden und Drogenkonsum (albernerweise wird einem hier Marihuana als Aggressionsmotor verkauft), beginnen sie eine fatale Tour de Force aus Erniedrigung, Vergewaltigung und Mord - eine Einbahnstraße, aus der sie sich anschließend in völliger Missabschätzung der Realität durch eine gewalttätige Geiselnahme in einem Nobelrestaurant wieder freipressen möchten. Das Skript wird dabei nicht müde, Erklärungen für das asoziale Verhalten der Männer zu liefern – stellenweise durchaus unterschwellig, zum Teil aber auch unnötig offensichtlich in Dialoge verpackt. So wird Paolo vom Neid auf die privilegierte Schicht angetrieben, sodass es natürlich kein Zufall ist, dass er am Ende ausgerechnet die Gäste eines arschteuren Speiselokals als Geisel nimmt. Giovanni hingegen stand zeit seines Lebens unter der Fuchtel seines gestrengen Vaters und sieht in seinem Kompagnon das, was er sich niemals traute zu sein: ein Rebell nämlich, der auf sämtliche Konventionen einen Haufen setzt und sich ohne jede Etikette einfach das nimmt, was er will.

Der zunächst zurückhaltend gezeichnete Giovanni schält sich im Laufe der Ereignisse als die interessantere Figur heraus. Auf den Geschmack gekommen, überflügelt er in Sachen Boshaftigkeit sogar noch seinen neuen Freund, der ihm sein Ausbrechen aus der Passivität überhaupt erst ermöglicht hatte. Nicht zur Sprache gebracht, aber dennoch offenkundig, ist dabei seine unterdrückte Homosexualität. Fast ein wenig zu plump in der Bebilderung hocken er und Paolo am Anfang im Park auf einer antiken Kanone, das Rohr wie zwei pubertäre Jungs zwischen die Beine gepresst. Etwas subtiler geht Petrini später mit der Thematik um. Giovannis Versagen bei Frauen (warum wohl?) mündet in der perfiden Erniedrigung des weiblichen Geschlechts, die stets auf körperliche und sexuelle Attribute abzielt. In einer Szene zwingt er einen Mann per Waffengewalt dazu, Sex mit einer Frau zu haben. Überraschung: Es funktioniert natürlich nicht. Giovanni macht sich über den Mann lustig – dabei war sein eigenes sexuelles Versagen überhaupt erst der Auslöser für den asozialen Amoklauf.

Etwas merkwürdig erscheint die Nebenhandlung um eine der (weiblichen) Geiseln, die ohne ersichtlichen Grund romantische Gefühle für einen ihrer Geiselnehmer entwickeln darf. Das geschieht ohne erkennbare Motivation und raubt KIDNAPPING daher Glaubwürdigkeit. Ebenfalls kurios und wie ein Überbleibsel einer eigentlich am Schneidetisch entfernten Episode wirkt der Erzählstrang um den in dem Fall ermittelnden Inspektor, der mit seiner jungen Geliebten nebenbei noch den gemeinsamen Beziehungsstatus klären muss. In solchen Momenten wirkt Petrinis Gassenhauer dann doch etwas unrund und auf simple Unterhaltungszwecke ausgerichtet. In der Summe aber hat man es hier mit einem intensiven, radikal vorpreschenden Quer- und Tiefschläger zu tun, der genug Ambivalenzen bietet, um nicht voreilig in die Schmuddelecke gestellt zu werden.

Laufzeit: 95 Min. / Freigabe: ab 18

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