Italien 1972
Regie:
Sergio Martino
Darsteller:
Edwige Fenech,
George Hilton,
Ivan Rassimov,
Maria Cumani Quasimodo,
Tom Felleghy,
Luciano Pigozzi,
George Rigaud,
Julián Ugarte
Inhalt:
Seit
dem Tod ihres ungeborenen Kindes leidet die junge Jane [Edwige
Fenech] unter erschreckend intensiven Alpträumen. Immer wieder
auftretender Protagonist: ein unheimlicher Fremder mit stahlblauen
Augen und gezückter Klinge, der ihr offenbar ans Leder will. Ihr
Lebensgefährte Richard [George Hilton] empfiehlt zur Heilung dubiose
Pillen, ihr Therapeut Dr. Burton [George Rigaud] rät zu Ruhe und
Entspannung. Helfen tut das freilich alles nicht. Als ihr der
mysteriöse Traummann plötzlich auch in der Realität auflauert,
nimmt sie in ihrer Verzweiflung den leicht wunderlichen Ratschlag
ihrer Nachbarin Mary [Marina Malfatti] an: Eine Schwarze Messe soll
die gebeutelte Seele wieder in Balance bringen. Und tatsächlich:
Nach einer bizarren Nacht inklusive Tierblut und Rudelgewudel blüht
Janes Psyche deutlich auf. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer:
Plötzlich kommt es in ihrer Umgebung zu gewaltsamen Todesfällen.
Und ihr eigentlicher Alptraum beginnt …
Kritik:
1971
machte Regisseur Sergio Martino den zahlreichen Giallo-Fans gleich
zwei sehr ansprechende Genre-Geschenke. Erst zauberte sein blutiger
Bilderbogen DER KILLER VON WIEN allen Freunden elegant-effektiver
Krimi-Unterhaltung ein Lächeln ins Gesicht, dann legte er nur wenige
Monate später DER SCHWANZ DES SKORPIONS vor, der die Qualität des
Vorgängers zwar nicht mehr erreichte, Martinos Ruf als zuverlässiger
Lieferant solide gefertigter Spannungsszenarien aber nachhaltig
zementierte. Im Jahr darauf präsentierte der fleißige
Filmhandwerker schließlich den dritten Nägelkauer in Folge: DIE
FARBEN DER NACHT erzählt die archetypische Thriller-Story einer
schutzbedürftigen Maid in Not, für deren Umsetzung Martino und Team
in visueller Hinsicht abermals aus den Vollen schöpften. Bereits
unmittelbar nach dem (noch recht harmonieversprechenden) Vorspann
verstört eine Abfolge wild verwinkelter Bilder den Betrachter, ein
grelles Gewirr aus gammeliger Kauleiste, knallblauen Kontaktlinsen
und rinnendem Kunstblut, das sich freilich ziemlich schnell als
furchterregender Alptraum der Hauptprotagonistin entpuppt, der
grazilen Jane Harrison, welcher das Publikum im weiteren Verlauf
nicht mehr von der Seite weichen wird.
Beschweren
werden sich darüber sicherlich nur Wenige, ging die Rolle der Heldin
doch an Edwige Fenech, die auch schon beim KILLER VON WIEN dabei war
und eine Zeitlang - nicht ganz zu Unrecht - als eine der
attraktivsten Aktricen des italienischen Nischenkinos galt. Die
damals 24-Jährige gefällt hier jedoch nicht nur auf optischer,
sondern auch auf darstellerischer Ebene und überzeugt als labile
junge Frau, die sich gelegentlich gefährlich nahe an der Schwelle
zum Wahnsinn bewegt. Denn schon bald wird deutlich, dass Martino
dieses Mal sein vertrautes Terrain verlässt. Anders als die beiden
Vorgänger ist DIE FARBEN DER NACHT deutlich weniger an
Massakrierung und Mörderjagd interessiert und rückt stattdessen
Themen wie Seelenleid und Realitätsverlust in den Fokus. Die Idee,
narrative Spielchen mit Schein und Sein zu treiben, war natürlich
schon damals nicht neu, sorgt aber altbewährt für den nötigen
Nervenkitzel: Ebenso wie (die stellenweise doch etwas arg hilflos
wirkende) Jane Harrison fragt sich auch der Betrachter bald, ob die
rätselhaften Ereignisse um sie herum Resultat höllischer Visionen
oder weltlicher Verschwörung sind, und Jeder aus ihrem
Bekanntenkreis steht im Laufe der Ereignisse mindestens ein Mal im
Verdacht, irgendwie nicht ganz koscher zu sein.
Aus
psychologischer Perspektive rumpelt es hier zugegebenermaßen an
allen Ecken und Enden, und so manch ein in Seelenkunde Geschulter
dürfte sich bereits auf dem Kenntnisstand der 1970er Jahre die
Akademikerhaare gerauft haben. Trotz reizvoller Gedankenspiele und
stilistischer Raffinesse ist das Geschehen nämlich höchst
hanebüchen und die brisante Thematik allzu offensichtlich nur Mittel
zum Zweck, das Publikum mit der nötigen Portion Schauder an sich zu
binden. Allein schon die Aufhängeridee, dass die Protagonistin an
einer Schwarzen Messe (samt Bettenschlacht und Blutgeschmiere)
teilnimmt in der Hoffnung, das könne irgendwie hilfreich gegen
Alpträume sein, ist so himmelschreiend vernunftswidrig, dass man
kurzzeitig annimmt, das Ganze spiele womöglich auf einem anderen
Planeten, auf dem menschenähnliche Wesen Entscheidungen treffen, die
für den tatsächlichen Homo Sapiens keinen nachvollziehbaren Sinn
ergeben (dafür würde auch sprechen, dass manche dieser Wesen ohne
ersichtlichen Grund am helllichten Tag in halbtransparenten Kleidern
herumlaufen). Dass bei solch einer Prämisse auch die Auflösung
nicht gerade vor Plausibilität strotzt, versteht sich eigentlich von
selbst. Wirklichen Schaden anrichten tut das allerdings nicht. Im
italienischen Genre-Kino geht es generell nur selten um schnöde
Rationalität. Es geht um Farben, Bilder und Stimmungen. Und genau in
diesen Bereichen funktioniert DIE FARBEN DER NACHT prächtig.
Neben
gelegentlicher inhaltlicher Absurdität teilt man sich mit dem klassischen Giallo (zumindest nach deutscher Lesart) in
erster Linie die experimentelle Attitüde und die publikumswirksame
Andeutung oder Zurschaustellung weiblicher Nacktheit. Andere
charakteristische Ingredienzien wie schwarze Handschuhe, blanke
Rasierklingen und subjektive Mördersicht sucht man vergebens, und
auch der Gewaltpegel wurde deutlich heruntergefahren. Das
Vernachlässigen der klassischen Krimi-Komponente, die Konzentrierung
auf psychedelische Horror-Elemente und nicht zuletzt die eher
schleichende Entwicklung der Ereignisse (auf die ersten Morde muss
duldsam gewartet werden) mag manchem Puristen womöglich nur wenig
gefallen. Wer aus seinem starren Rezensionskonzept ausbrechen kann,
erlebt hier allerdings einen angenehmen Zeitvertreib mit gern
gesehenen Gesichtern: George Hilton [→ DJANGO – MELODIE IN BLEI]
verkörpert den zwielichtigen Lebensabschnittsgefährten der
verhuschten Heldin, Ivan Rassimov [→ DJANGO – DEIN HENKER WARTET]
lauert eben jener hinter jeder zweiten Ecke auf und setzt auch schon
mal in der U-Bahn zum Sprung auf sie an, George Rigaud [→ TOP JOB]
mimt den seltsamen Psychiater, der seine Zulassung offenbar in der
Keksdose gefunden hat, und Julián Ugarte [→ IN MEINER WUT WIEG ICH
VIER ZENTNER] gibt sich als satanischer Sektenguru die zweifelhafte
Ehre. Und über allem schwebt die Präsenz von Edwige Fenech, die das
Werk mit Schönheit und Schauspiel fast im Alleingang trägt (auch,
wenn man sich ihren Charakter zumindest einen Hauch selbstbestimmter
gewünscht hätte).
DIE
FARBEN DER NACHT ist ein exzessiver Wirbelwind zwischen Wahn und
Wirklichkeit, gespickt mit Giallo- und Horror-Motiven, ROSEMARY'S
BABY bisweilen näher als DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE. Dem
Schlussakt fehlt es dafür freilich an inhaltlicher Konsequenz, und
so manches wirkt nicht zu Ende gedacht. Wer schon immer mal wissen
wollte, wie es auf einer Schwarzen Messe eigentlich so zu geht, kommt
um Sergio Martinos Farbenspiel allerdings nicht herum. Im Folgejahr ratterte unter seiner Regie dann DIE SÄGE DES TEUFELS. Aber das ist eine andere Geschichte.
Laufzeit: 95 Min. / Freigabe: ab 16
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