Eigene Forschungen

Samstag, 18. Oktober 2014

LIEBE UND TOD IM GARTEN DER GÖTTER


AMORE E MORTE NEL GIARDINO DEGLI DEI
Italien 1972

Regie:
Sauro Scavolini

Darsteller:
Erica Blanc,
Peter Lee Lawrence,
Franz von Treuberg,
Ezio Marano,
Orchidea de Santis,
Rosario Borelli,
Vittorio Duse,
Bruno Boschetti



Inhalt:

Ein alternder Vogelkundler [Franz von Treuberg] mietet sich in einer abgelegenen Villa ein, um im angeschlossenen Garten nach seltenen Vogelarten forschen zu können. Bei einem Spaziergang im Wald findet er eines Tages zufällig ein paar alte Tonbänder, die er mit ins Haus nimmt, reinigt und schließlich abhört. Auf den Bändern befindet sich die Aufzeichnung der psychoanalytischen Sitzung einer Frau names Azzurra [Erica Blanc], die mit ihrem Arzt über ihren erfolgten Selbstmordversuch spricht. Er wird faszinierter Zuhörer einer Geschichte über die inzestiöse Hassliebe zwischen ihr und ihrem Bruder Manfredi [Peter Lee Lawrence] und das ebenfalls gestörte Verhältnis zu ihrem Ehemann Timothy [Rosario Borelli], die schließlich in Tod und Verderben gipfelt, in deren Ende der Professor selbst verwickelt sein wird.

Kritik:

LIEBE UND TOD IM GARTEN DER GÖTTER – das ist ein Titel, den man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss und der bereits im Vorfeld abenteuerlichste Assoziationen zu wecken vermag. Von ähnlich rätselhafter Poesie ist dann auch das Werk an sich, das, stets schwankend zwischen Anmut und Abgrund, von verhängnisvollen Liaisons und unerfüllten Leidenschaften berichtet, freilich ohne es seinem Publikum dabei allzu einfach zu machen. Die von Regisseur Sauro Scavolini (der ansonsten überwiegend als Autor in Erscheinung trat) höchst nonkonform komponierte und präsentierte Erzählung verweigert sich gewohnten Schablonen, bedient sich psychoanalytischer Ideen, kombiniert sie auf verschrobene Art und Weise mit unterschwelligen Abhandlungen über Faschismus und Machtmissbrauch und schmeckt sie ab mit einer gehörigen Portion extravagantem Eigensinn. Mit dem, was in Deutschland für gemeinhin als 'Giallo' bezeichnet wird, teilt sie sich somit am Ende im Prinzip lediglich noch eines der Kernelemente: den menschlichen Sexualtrieb als Initiator blutiger Ereignisse. Stilistisch und narrativ hingegen fällt sie nahezu völlig aus bekanntem Rahmen.

So gestaltet sich die Zuordnung, käme man denn in die Verlegenheit, das Werk wirklich in eine bestimmte Schublade drücken zu müssen, auch denkbar schwierig. Wer 
‚Giallo‘ sagt, befindet sich nun nicht vollkommen im Unrecht, doch liegt der Fokus insgesamt dermaßen selten auf der Kriminalkomponente, dass sie zeitweise fast dem Vergessen anheimfällt. Wer ‚Drama‘ sagt, der liegt auch nicht komplett daneben, wird dem komplexen psychologischen Hintergrund damit jedoch kaum gerecht. Und wer ‚Psychothriller‘ sagt, ist vermutlich noch am dichtesten dran an der Wahrheit, trifft den Kern allerdings auch nicht so wirklich. Denn LIEBE UND TOD IM GARTEN DER GÖTTER ist eben auch kein Nervenzerrer, der einen vor Spannung vibrieren lässt, sondern vielmehr eine morbide Reise in die menschliche Seele, deren grundsätzlicher Verzicht auf klassische Spannungsdramaturgie einem einiges an Geduld abverlangt.

„Freudianisch“ ist ein Wort, das einmal innerhalb eines Dialoges fällt und geradezu dazu prädestiniert ist, auch als Stempel auf dem Gesamtprodukt zu prangen. Doch werden die populären Theorien der Psychoanalyse dabei nicht etwa ausschließlich als banale Mordmotiverklärungen genutzt wie bei vielen zeitnah entstandenen Beiträgen aus dem Krimi-Bereich, sondern als Aufhänger für eine tiefschürfende Seelenreise, deren Rätsel erst noch entschlüsselt werden müssen und deren flirrende Inszenierung zu permanenter Irritation und unterschwelliger Unruhe führt. Im einen Augenblick unstet und nervös zuckend per Handkamera gefilmt, im nächsten dann wieder starr, geerdet und von fast schon quälender Statik, erspinnt Scavolini ein intelligent verschachteltes (alp-)traumartiges Mosaik miteinander verknüpfter Einzelschicksale, das auf drei verschieden Ebenen (der gehörten, der erzählten und der erlebten) scheinbar mühelos durch Zeit und Raum springt und Vergangenheit und Gegenwart sich im ständigen Wechsel begegnen lässt.

Dazu gesellt sich allerlei visueller Schabernack in Form von ungewöhnlichen Kameraperspektiven (z. B. von oben oder durch einen Spiegel), subjektiver Sicht (ein weiteres Überbleibsel des klassischen Giallo) und Parallelmontagen, bei denen Bewegung und Stillstand sich die Hände reichen. Und doch wird das Werk trotz allem zweifelsfrei vorhandenem künstlerischen Anspruch zu keinem Zeitpunkt unangenehm prätentiös, herrscht doch ganz im Gegenteil trotz aller filmischer Raffinessen ein geradezu trister, dokumentarischer Stil, der auf unnötige Arrangements vollkommen zu verzichten scheint. Dazu passt dann auch, dass selbst die dezenten Spuren von Erotik und Nacktheit niemals voyeuristisch ausgeschlachtet, sondern vielmehr wie eine zwingend notwendige Komponente wirken.

Auch die Akteure passen sich den zeitweise fast schon naturalistischen Bedingungen an: Die Darsteller agieren hier nicht, sie sind. Hier gibt es keine Schauspieler, so scheint es, nur echte Menschen, die sich ziellos durch ein unterkühltes, humorfreies Szenario bewegen. Diese Menschen hören in zentralen Funktionen auf die Namen Erica Blanc [→ DAS GEHEIMNIS DER BLONDEN KATZE], die gleichwohl als hilfloses Opfer wie auch als mörderisches Biest auftreten muss und – zumindest in manchen Augenblicken – auch als angsteinflößende geisterhafte Schreckgestalt erscheint, sowie Peter Lee Lawrence [→ EIN COLT FÜR HUNDERT SÄRGE], der in Deutschland als Karl Otto Hirenbach geboren wurde und hauptsächlich in Italo-Western zu sehen war, wofür er aufgrund seines jungenhaften Äußeren häufig belächelt wurde. Tatsächlich könnte man sich einen steileren Kontrast zu seinen Heldenrollen kaum vorstellen, den in hilfloser Verzweiflung gefangenen Strauchler spielt er sagenhaft authentisch.

Eine deutsche Sprachfassung blieb Scavolinis Werk verwehrt; die hiesigen Verleiher interessierten sich seinerzeit nicht für den schwerfälligen Bastard, der zu viel Hirnschmalz erforderte und zu wenig marktschreierisches Potenzial bot. Überraschend ist das kaum: In Zeiten, in denen längst DER KILLER VON WIEN und DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE in wesentlich reißerischer Aufmachung mit Handschuh und Rasiermesser durch die Kinosäle tobten, dürfte für eine verkopfte Auseinandersetzung über Trieb und Wahn kaum Platz gewesen sein. Da hätte es auch nicht geholfen, dass gegen Ende durchaus blutig auf eine von rohen Gewaltmomenten durchzogene Klimax zugesteuert wird. LIEBE UND TOD IM GARTEN DER GÖTTER bleibt ein sperriges, ein befremdliches, ein verstörendes Kunstwerk, das immer wieder mit Erwartungen spielt, um sie dann wieder zu unterlaufen, das hier und da immer wieder kleine Schocks verteilt, um einen nachfolgend wieder in vermeintlicher Alltagssicherheit zu wiegen. Das ist auf Dauer in seiner normkonträren Art durchaus faszinierend, doch lässt einen im gleichen Maße auch seltsam leer und unbefriedigt zurück.

Der Gang durch den Garten der Götter empfiehlt sich daher in erster Linie für Interessenten des ungewöhnlichen Euro-Kinos der 70er Jahre sowie ausgemachte Freunde der Psychoanalyse.

Laufzeit: 86 Min. / Freigabe: ab 16

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen