Italien 2013
Regie:
Pierfrancesco Diliberto
Darsteller:
Pierfrancesco Diliberto,
Cristiana Capotondi,
Alex Bisconti,
Ginevra Antona,
Claudio Gioè,
Barbara Tabita,
Rosario Lisma,
Enzo Salomone
Inhalt:
In
den 70er Jahren in Palermo geboren und aufgewachsen, ist der junge
Arturo quasi von Beginn an umgeben von den Verbrechen der Mafia. Sich
von seinen Eltern unverstanden fühlend, ernennt er stattdessen
Ministerpräsidenten Giulio Andreotti zu seinem Idol. Als er sich in
seine Schulkameradin Flora verliebt, versucht er mit allen möglichen
Mitteln, sie zu beeindrucken – aber stets kommen ihm entweder ein
arroganter Nebenbuhler in die Quere oder schicksalhafte Ereignisse,
die auf das Konto der Mafia gehen. Der Drang nach besserem
Verständnis für die Beziehungen zwischen der Verbrecherorganisation
und der Politik seines Landes wird für ihn zu einer Art kleiner
Obsession, weswegen er – angestachelt von einem bei ihm in der
Nachbarschaft wohnenden Journalisten - zu Block und Stift greift und
sich auf kindlich-forsche Art erfolgreich zu namhaften Politikern und
Gesetzeshütern durchfragt.
Kritik:
Palermo,
die Hauptstadt Siziliens, galt schon immer als Hochburg der Mafia und
war damit im Laufe ihrer Geschichte wiederholt Schauplatz brutaler
Anschläge und blutiger Exekutionen. In den 80er Jahren tobte
zwischen mehreren verfeindeten Clans ein rücksichtsloser
Bandenkrieg, der einer Menge Menschen den Tod brachte und die Anzahl
noch lebender Mafiosi erheblich schrumpfen ließ. Einer der größten
Nutznießer dieser Ereignisse war Totò Riina, der sich im Anschluss
die Kontrolle über die Organisation sichern konnte und in dessen
Auftrag nun auch vermehrt Staatsdiener aus den Bereichen Justiz,
Politik und Polizei ermordet wurden. Als Reaktion darauf wurden die
Anstrengungen zur Verbrechensbekämpfung drastisch erhöht, was
mehrere offizielle Mafia-Jäger hervorbrachte – die natürlich
allesamt auf der Abschussliste standen und deshalb oftmals nicht an
Altersschwäche starben. Terror- und Gewaltakte gehörten somit
(speziell in den 70er und 80er Jahren) für die Bürger Palermos
quasi zum Alltag. Im Jahre 2013 kam der in Italien sehr bekannte und
politisch engagierte Satiriker Pierfrancesco Diliberto auf die nicht
gerade naheliegende Idee, dieses Thema zum Gegenstand einer
ironischen Kino-Komödie zu machen.
Dazu
bediente er sich allerdings keines klamauklastigen Holzhammer-Humors,
sondern schilderte die Ereignisse stattdessen behutsam und
nostalgisch verklärt aus der naiven Sicht eines arglosen Jungen.
Arturo, so dessen Name, berichtet als Erwachsener aus dem Off, auf
welche Weise das Wirken der Mafia bereits in seinen Jugendjahren
immensen Einfluss auf sein Leben und sogar seine Zeugung hatte:
Während seine Eltern ihren ehelichen Pflichten nachkommen, richten
ein paar Mobster in der Nachbarschaft ein lautstarkes Massaker an. In
einer an den Vorspann KUCK MAL, WER DA SPRICHTs erinnernden
Animationssequenz wird gezeigt, wie sich fast alle Spermien ob des
plötzlich gestiegenen Lärmpegels erschrocken zurückziehen. Nur
die, aus der später einmal Arturo entstehen soll, bekommt von
alledem nichts mit und gelangt so unbeirrt an und in ihr Ziel.
Dermaßen vorbelastet ist es kein Wunder, dass Arturos erstes Wort
später nicht 'Mama' oder 'Papa' lautet, sondern 'Mafia'.
Die
Idee, das große Trauma Italiens mit unbedarften Kinderaugen zu
betrachten, mag zunächst ungewöhnlich erscheinen, ist letztendlich
jedoch konsequent: Arturo stellt die Art von Fragen, die Erwachsenen
oftmals unbequem sind, die sie in Verlegenheit bringen und denen sie
deshalb lieber ausweichen. Die Relevanz der ständig stattfindenden
Morde wird unter den Teppich gekehrt, der Einfluss der Mafia
kleingeredet, die Existenz der großen Bosse sogar geleugnet. Der
Titel passt dazu wie die Faust aufs Auge und ist die Antwort von
Arturos Vater auf die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit wäre,
selbst Opfer eines Anschlags zu werden. Sehr gering sei sie, denn:
„Die Mafia mordet nur im Sommer.“ Eine weitere Erklärung für
die sich so zahlreich stapelnden Leichen – nämlich die, der Tod
treffe nur diejenigen, die sich in jemanden verliebt hätten – leitet
über zum zweiten Schwerpunkt der Geschichte, denn Diliberto hüllte
das ernste Thema von Mord und Totschlag in den publikumswirksamen
Mantel eines Liebesdreiecks, erzählt vor dem Hintergrund einer MY
GIRLigen Fabel über das Erwachsenwerden.
Dass
diese letztendlich jedoch nur wenig berührt, liegt in erster Linie
daran, dass Arturos Angebetete Flora (gewiss versehentlich) reichlich
unsympathisch gezeichnet wurde und es daher nicht nachvollziehbar
erscheint, warum dessen Herz dermaßen für sie entflammt, dass er
selbst Jahrzehnte später immer noch von ihr besessen ist. Denn
tatsächlich wird, wenn nach gut 50 Minuten Laufzeit ein Zeitsprung
erfolgt und Arturos Geschichte im Erwachsenenalter fortgesetzt wird,
das Thema wieder aufgegriffen und in einer nur geringfügig
überzeugenden Romantikkomödie zu Ende geführt. Spätestens zu
diesem Zeitpunkt schwindet das Publikumsinteresse vollends, zumal nun
auch auf das erfrischend natürliche Spiel der Kinderdarsteller
verzichtet werden muss und es Schwierigkeiten bereitet, in den
älteren Figuren die jüngeren vom Beginn wiederzuerkennen. Zudem
scheint Diliberto hier sein eigentliches Thema aus den Augen verloren
zu haben und versteift sich in teils alberne Belanglosigkeiten, die
der noch vielversprechenden ersten Hälfte seiner Arbeit nicht mehr
gerecht werden.
Thematisch
ist DIE MAFIA MORDET NUR IM SOMMER stark auf italienische
Befindlichkeiten zugeschnitten. So erscheint nicht nur Arturos Manie
für den damaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti für das
deutsche Publikum ein wenig befremdlich (sein Kostümfest-Auftritt
als eben jener ist als Gag zudem misslungen und wirkt eher peinlich
berührend), auch die Namen der historischen Persönlichkeiten, denen
er im Laufe der Handlung über den Weg läuft, dürften hierzulande
überwiegend unbekannt sein. Diliberto verbindet Fakten und Fiktion
und vermengt in bewährter FORREST GUMP-Manier dokumentarisches
Bildmaterial mit nachgestelltem (in welches er Arturo zum Teil auch
integrierte), um den Ereignissen einen realen Anstrich zu geben.
Völlig konträr dazu inszenierte er dann jedoch auch wieder Szenen,
die eher in eine gewöhnliche Gangsterklamotte passen würden und
Mafiaboss Totò Riina als dümmliche Witzfigur präsentieren, die
nicht mal mit einer simplen Fernbedienung zurande kommt. Auch die
schwarzhumorigen Gespräche der Mafiosi, die nebenbei mal völlig
selbstverständlich beschließen, den Vater einer jungen Dame
abzumurksen, da deren Eltern dann nicht mehr in Scheidung leben
würden und die Frau damit wieder frei wäre für die Ehe, dienen
natürlich dazu, die Organisation und ihre Mitglieder lächerlich zu
machen, passen aber in ihrer lockeren Art nicht zum ansonsten
vorherrschenden Grundton – geschweige denn, zu den authentisch
wirkenden Bildern verstümmelter Mafia-Opfer.
Dilibertos
eindeutig autobiographisch gefärbtes Debüt ist somit letzten Endes
zwar gut gemeint, aber nicht wirklich gut geworden (was es allerdings
nicht davon abhielt, 2014 den European Film Award für die beste
Komödie abzustauben). 'Coming of Age'-Geschichte, politisches
Statement, Gangster- und Liebeskomödie - DIE MAFIA MORDET NUR IM
SOMMER möchte alles zugleich sein, bringt seine Zutaten jedoch nicht
zufriedenstellend unter einen Hut. Dem Werk mangelt es entschieden an
Witz und Spannung, sodass es letztendlich trotz spürbaren
Engagements ernüchternd belanglos bleibt – auch wenn einen der
unerwartet bewegende Schluss, eine wahrlich aufrichtige Ehrerbietung
an alle im Kampf gegen die Mafia Getöteten, dann doch wieder ein
wenig versöhnlich stimmen kann.
Laufzeit: 85 Min. / Freigabe: ab 12
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