DAIKAIJŪ GAMERA
Japan 1965
Regie:
Noriaki Yuasa
Darsteller:
Eiji Funakoshi,
Harumi Kiritachi,
Junichiro Yamashita,
Yoshiro Uchida,
Michiko Sugata,
Yoshirô Kitahara,
Jun Hamamura,
Kenji Ôyama
"SOS! Riesige Schildkröte gesichtet!"
(In Japan eine ganz normale Meldung.)
Nachdem das japanische Film-Studio Tōhō 1954 erstmals das gigantische großstadtverwüstende Fabelwesen Godzilla auf die Menschheit losgelassen hatte, war es damit lange Zeit im Grunde konkurrenzlos. Lediglich der Produktionsfirma Daiei gelang es, ab den 1960er Jahren ein weiteres Riesenmonster zu etablieren, das erfolgreich genug war, um ebenfalls in Serie gehen zu dürfen: Gamera. Zumindest bei dessen ersten Auftritt sind die Parallelen zum großen Vorbild noch unverkennbar, obgleich die Kreatur in Folge durchaus eigene Wege ging:
Inhalt:
Als in der Antarktis ein Flugzeug mit nuklearer Ladung abstürzt, erweckt die Explosion ein ebenso merkwürdiges wie gigantisches Wesen zum Leben. Von offensichtlicher Zerstörungswut getrieben, verarbeitet das schildkrötenartige Untier erst einmal ein sich vor Ort befindliches Schiff zu Kleinholz, bevor es sich auf den Weg nach Tokio macht. Das Militär ist machtlos gegen das Monster, obwohl man durchaus kreativ zu Werke geht: Man kämpft mit Hitze, Kälte und Krachbumm. Erst, als es nahezu keine Hoffnung mehr gibt, kommt der Menschheit die im wahrsten Sinne des Wortes zündende Idee ...
Kritik:
GAMERA als eigenständiges Werk zu betrachten, ist nahezu unmöglich. Viel zu offensichtlich als Imitation angelegt ist das launige Husarenstück, um nicht fortwährend Vergleiche mit ihrem großen Vorbild GODZILLA zu evozieren. Gemeinsamkeiten gibt es innerhalb der Reihe durchaus viele, sowohl auf formaler als auch erzählerischer Ebene: Der erste Auftritt noch in Schwarzweiß und von Weltuntergangsstimmung beseelt, später dann der Wandel des Monsters zum Beschützer der Erde bis hin zur umjubelten Heldenfigur für vorlaute Heranwachsende. In letzterer Beziehung hatte Gamera sogar ein wenig die Nase vorn. Und genau da liegt die Kröte in der Suppe. Denn während Godzilla sein Ruf als Weltenzerstörer noch lange Zeit nacheilte, fokussierten sich die Produzenten GAMERAs ziemlich schnell auf ein jüngeres Publikum und fanden so ihre Nische.
Vorboten dieser Entwicklung lassen sich bereits in diesem Debüt erkennen, gilt eine beträchtliche Anzahl an Laufzeitminuten doch dem jugendlichen Toshio, dessen Vater, ein Leuchtturmwärter, die Zuneigung seines Sohnes zu animalischen Hausgenossen nicht teilt und ihn darum dazu nötigt, die geliebte Schmuse-Schildkröte auszusetzen. Eine wirkliche Begründung dafür sparte man sich aus – eigentlich sollten Eltern doch froh darüber sein, dass sich der Nachwuchs mehr für knuffige Kiefermäuler interessiert als z. B. für Crystal Meth. Aber da Papa halt der Ansicht ist, menschliche Freunde seien wichtiger als gepanzerte Kriechtiere, wird auf unverzügliche Auswilderung bestanden. Eben, weil diese Maßnahme so ungerecht und willkürlich erscheint, schlägt man sich schnell auf Seite des Jungen, wobei die Sympathiewerte im weiteren Verlaufe dann doch wieder dezent nach unten korrigiert werden müssen. Denn als Gamera auf der Bildfläche erscheint, bringt Toshio, der für das Ungetüm natürlich auf Anhieb Zuneigung empfindet, fortwährend sein Leben in Gefahr und nervt selbst im Angesicht ärgster Zerstörung immer noch mit der penetranten Ansage, Gamera sei ja eigentlich gar nicht wirklich böse („Gamera will nur ‚Guten Tag‘ sagen. Gamera ist gar nicht unfreundlich.“).
Ob er damit recht hat, wusste das Skript indes selbst nicht so genau: Tatsächlich rettet das Monster den Jungen in einer Sequenz vor dem sicheren Tod, wobei es ihn allerdings überhaupt erst in Gefahr bringt. Warum Gamera überhaupt Menschen bedroht und tötet (explizite Szenen wurden zwar verschämt vermieden, doch ist klar, dass solch eine Hochhausvernichtungsorgie nicht folgenlos bleibt), anstatt sich nach dem versehentlich erfolgten atomaren Weckruf nicht einfach wieder unter die Eisdecke zu verkriechen, bleibt ebenfalls mysteriös. Ohnehin verhält sich die Kreatur mal aggressiv, dann wieder sanftmütig, immer so, wie es den Machern gerade in den Kram passte. Offenbar war man sich selbst noch nicht im Klaren darüber, ob man Gamera nun als gut oder böse porträtieren wollte und entschied sich darum für einen etwas wackeligen Mittelweg. Im Falle einer Fortsetzung würde damit ein Drall in Richtung Freundlichkeit deutlich plausibler erscheinen. Und so kam es dann ja auch.
Allerdings sollte es noch ein paar Beiträge dauern, bis sich die Titelfigur nach jeder erfolgreichen Rettungsaktion von neunmalklugen Dreikäsehochs feiern lassen durfte. Im Vergleich dazu ist GAMERA noch relativ seriös geraten, obwohl an infantiler Attitüde bereits kein Mangel besteht. Auffallend in diesem Zusammenhang ist vor allem die Gedankenlosigkeit betreffend Kernwaffen. Während GODZILLA diesbezüglich Warnung und Anklage zugleich war, scheint die einleitende Nuklear-Explosion hier keine Sau zu interessieren. Auch der Grund für dieses Ereignis, die militärischen Muskelspiele zweier befeindeter Nationen, wird danach vollkommen ad acta gelegt. Die Nummer diente einfach nur dazu, Gamera aus dem Kälteschlaf zu holen. Später dann, als man versucht, das erweckte Wesen zu besiegen und keiner der Pläne irgendwelche Früchte trägt, meint einer der Soldaten achselzuckend, so auf freiem Felde zwischen Tür und Angel: „Es sieht nicht gut aus. Vielleicht sollten wir eine Atombombe auf ihn werfen.“ Klar, warum nicht? Und falls das auch nix hilft, gleich noch ein ganzes Kraftwerk hinterher.
GAMERA fehlt somit nicht nur das inszenatorische Geschick eines Ishirō Honda, sondern auch die nötige Ernsthaftigkeit, eine reelle Vision, wie GODZILLA sie innehat. Dennoch wird man trotz und dank derartiger Absurditäten ganz angenehm unterhalten und in Sachen Optik ist das Ganze überraschend hochwertig. Die Schwarzweiß-Fotografie macht einen edlen Eindruck und kaschiert gekonnt Schwächen der Tricktechnik. Gamera sieht sogar erstaunlich „echt“ aus - und das will schon was heißen bei der kuriosen Kreation, die man hier zusammengerührt hat. Man fragt sich schon, warum man auf die Idee kam, als Konkurrenz für einen verstrahlten Dinosaurier ausgerechnet eine gigantische Schildkröte ins Rennen zu schicken, eine Spezies, die bis dato weder durch auffallende Aggressivität noch Schnelligkeit von sich reden machte. Das schien den Machern auf halber Strecke dann auch aufzufallen, weswegen sie ihre Schöpfung mit allerhand Merkmalen und Fähigkeiten ausstatteten, die bei einem Durchschnitts-Schleicher eher selten anzutreffen sind. So läuft Gamera (überwiegend) auf zwei Beinen herum und besitzt im Kiefer zusätzlich zwei wildschweinartige Hauer, um etwas gefährlicher auszusehen. Zudem kann das Vieh Feuer sowohl absorbieren als auch wieder ausspucken. Die aufsehenerregendste Eigenschaft allerdings ist fraglos die Begabung, nach Einziehen der Extremitäten aus deren Ende eine Art Raketenantrieb hervorzubringen, mittels dem es abheben und sich selbst in einen rotierenden Brummkreisel verwandeln kann, der dann einfach dorthin fliegt, wohin er möchte. Sowas sieht man auch nicht alle Tage!
Derlei Skurrilitäten in Sachen Star und Story stehen GAMERA ganz gut zu Gesicht, wozu gut und gern auch das abstruse Finale gezählt werden darf, das einen deutlichen Schlenker in Richtung Science-Fiction macht. Dass die anfängliche unheilvolle Atmosphäre zu diesem Zeitpunkt endgültig über Bord geworfen wurde, ist zwar ein bisschen bedauerlich, ebnete aber den Weg zu einer Reihe, die als naive Alternative zum (meist) „erwachseneren“ Godzilla durchaus ihre Berechtigung hat. Die zwar arg vorgeschoben wirkende, aber doch irgendwie herzliche Völkerverständigungsbotschaft am Ende sorgt für einen versöhnlichen Ausklang und rundet den zwischen gekonnter Darbietung und entwaffnender Einfalt pendelnden Einstand anständig ab. Für den deutschen Zusatztitel allerdings gehört mal wieder jemandem tüchtig der Panzer verbeult. Frankenstein am Ärmel!
Laufzeit: 75 Min. / Freigabe: ab 6
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