Eigene Forschungen

Montag, 27. Januar 2025

DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN


DA SHA SHOU
Hongkong 1971

Regie:
Chor Yuen

Darsteller:
Tsung Hua,
Chin Han,
Wang Ping,
Chiang Nan,
Ching Miao,
Yang Chi-Ching,
Ku Feng,
Cheng Kang-Yeh



Inhalt:

Anfang des 20. Jahrhunderts: In einer chinesischen Kleinstadt floriert der Opiumschmuggel. Wang Hsin-Tien [Ching Miao], Leiter der Kung-To-Kampfkunstschule, will dem illegalen Treiben ein Ende bereiten und stört die Geschäfte der Schmuggler erheblich. Bandenmitglied Chiao Tzu-Fei [Chiang Nan] will ihn daher beiseite schaffen und ersinnt einen sinistren Plan: Er schreibt einen Brief an seinen ehemaligen Vertrauten Hsieh Chun [Tsung Hua], der die Stadt vor über 10 Jahren verlassen hat. Hsieh, einst Messerwerfer im örtlichen Zirkus und bekannt für sein aufbrausendes Temperament, wird von Chiao mit einer Lüge in die Irre geführt: Wang und seine Schüler, so die Behauptung, würden die Gegend tyrannisieren. Unwissend, dass sein früherer Freund der wahre Feind ist, mischt Hsieh daraufhin die Schule auf und verletzt einen der Männer schwer. Doch dann trifft er überraschend seine ehemalige Zirkuskollegin Yu [Wang Ping] wieder, die ihm ins Gewissen redet. Mehr noch: Auch sein damaliger Gefährte Ma [Chin Han], einst ebenfalls in die Ferne gegangen, um Arbeit zu finden, taucht plötzlich wieder auf. Inzwischen hat er Karriere bei der Polizei gemacht und nur ein Ziel: den Drogenhandel in seiner alten Heimat zu zerschlagen. Als Chiao erkennt, dass sein Täuschungsmanöver aufzufliegen droht, heckt er einen noch perfideren Plan aus: Er lässt mehrere von Wangs Schülern ermorden und schiebt Hsieh die Schuld in die Schuhe. Die Intrige trägt Früchte: Es dauert nicht lang, da stehen sich die einstigen Brüder Hsieh und Ma als Feinde gegenüber.

Kritik:

Im Jahre 1971 drehte Chor Yuen [→ DAS TODESDUELL DER TIGERKRALLE] für die Shaw Brothers diesen kompliziert erzählten, im Kern jedoch sehr simplen Kung-Fu-Krimi, für dessen Umsetzung man die bewährten Studiohallen und -areale augenscheinlich nur selten verließ. Viel Mühe in eine plausible Story investierte man dabei nicht. Das Skript wurde offenbar mit heißer Nadel gestrickt und steht auf ziemlich wackeligen Beinen. Bereits die Prämisse erscheint recht seltsam, wird hier doch offenbar ein kompletter Ort ausschließlich von der örtlichen Kung-Fu-Schule verwaltet und kontrolliert. Würde die Geschichte gut 100 Jahre früher spielen, wäre das nicht einmal allzu weit hergeholt, aber für die abgebildete Zeit (vermutlich so um 1910 rum) erscheint die generelle Abwesenheit von Staat und Behörde nur wenig schlüssig. Aber weil das hier nun einmal der Fall ist, muss sich der örtliche Kung-Fu-Lehrer Wang höchstpersönlich um die Verbrechensbekämpfung bemühen. Direkt in der Eröffnungssequenz überfallen er und seine Schüler daher einen Drogentransport durch die Botanik, verteilen tüchtig Keile und verbrennen die heiße Ware noch an Ort und Stelle. Wie sinnvoll es ist, massenhaft Opium in Brand zu stecken, während man direkt danebensteht, wird bei der Gelegenheit leider nicht beantwortet.

Was dann folgt, ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen, dass guter Wille allein kaum ausreicht, um die Konstruiertheit der Ereignisse ignorieren zu können. Denn die Idee, die der schurkische Schmuggler Chiao ausheckt, um Wang (buchstäblich) ans Messer zu liefern, ist schlichtweg hanebüchen: Er lockt seinen früheren Freund Hsieh in die Stadt, füttert ihn mit Falschinformationen, wonach Wang und seine Kung-Fu-Kollegen brutale Bösewichter sind, und hofft dann einfach darauf, dass dieser den Gegner aufgrund seines hitzigen Temperaments im Alleingang auslöscht. Ein einziges klärendes Gespräch mit dem vermeintlichen Feind hätte freilich schon ausgereicht, um das fragile Lügenkonstrukt in sich zusammenbrechen zu lassen, und in der Realität wäre es fraglos auch so gekommen. Aber in dieser Welt erlaubt das natürlich das Drehbuch nicht, weswegen Chiaos zweifelhafter Plan zunächst tatsächlich aufzugehen scheint. Als sich die Dinge dann doch anders entwickeln als erhofft, richtet Chiao ein Massaker an und schiebt Hsieh dafür die Schuld in die Schuhe. Das geschieht jedoch auf solch plumpe Weise, dass dabei auch noch das letzte bisschen Glaubwürdigkeit über Bord geht: Er lässt einfach Hsiehs Zeichen auf die Mordwerkzeuge gravieren, was als Beweis genügen soll (und es laut Skript auch tut). Wie ausgefuchst! Warum hat er nicht gleich noch dessen Visitenkarten nachgedruckt und den Leichen in die Taschen gesteckt?

Schluckt man diese haarsträubenden Ideen, dann funktioniert DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN allerdings ziemlich gut. Einen nicht erheblichen Anteil daran haben die stilsichere Inszenierung Chor Yuens und die energiegeladenen Kampfsequenzen. Für letztere war Yuen Wo-Ping [→ THE GRANDMASTER] verantwortlich, der damit eine seiner ersten Arbeiten ablieferte, viele Jahre, bevor er zum wohl bekanntesten Choreographen Asiens – vielleicht sogar der Welt – aufstieg. Von der späteren Perfektion ist er hier zwar noch entfernt, aber wenn sich die Kämpfer gegenseitig schwungvoll in und durch die Requisiten schleudern, besitzt das schon eine Menge destruktiver Wucht. Zwar gleichen sich die Bilder ziemlich und die Masche wird auch kaum variiert, aber unterhaltsam (und nicht zuletzt von allen Beteiligten gekonnt dargeboten) ist das Schauspiel allemal. Reichen die eigenen Extremitäten zur Verteidigung nicht mehr aus, werden überwiegend Messer gezückt. Das führt hin und wieder zu recht blutigen Ergebnissen, wobei diese nicht einmal ansatzweise so intensiv zelebriert werden wie z. B. bei DUELL OHNE GNADE oder DER PIRAT VON SHANTUNG, zwei weiteren Shaw Brothers-Werken mit leidenschaftlicher Messer-Macke. Die Wahl dieser Waffe ergibt in Anbetracht der Vergangenheit der Hauptfigur auch absolut Sinn, denn einst war Hsieh, mehrere Rückblicke verdeutlichen es, Messerwerfer der ansässigen Zirkusfamilie. Dementsprechend trägt er seine Wurfwerkzeuge nun wie Patronen am Gürtel mit sich herum, was schon ziemlich lässig rüberkommt. Dabei schleudert er seine Klingen überwiegend jedoch nicht, um seinen Gegnern das Lebenslicht auszupusten, sondern lediglich, um sie irgendwo festzunageln.

Die Qualitäten DIE BANDE DES GELBEN DRACHENs erschöpfen sich allerdings nicht allein in der Darbietung gewalttätiger Konfrontationen. Genaugenommen sind es gerade die leisen Zwischentöne, die das Interesse wecken und halten können. Denn hinter der harten Oberfläche schimmert dezent der zarte Zauber nostalgischer Wehmut. Ein sentimentaler Schleier schwebt über dem Geschehen, wenn der verlorene Sohn heimkehrt an die Stätte seiner Jugend, auf alte Weggefährten trifft und längst vergessen geglaubte Sorgen, Hoffnungen und Sehnsüchte neu erwachen. Durch böse manipulierende Mächte im Hintergrund droht die glückliche Zukunft des schließlich im Zentrum stehenden Dreiergespanns auf ewig zu zerbrechen und einstige Freundschaft zu Feindschaft zu werden. Geschickt wird dabei unterschwellig auf der Gefühlsklaviatur geklimpert, wenn Begegnungen und Aussprachen beispielsweise an Orten stattfinden, die sinnbildlich für die Vergangenheit stehen. Wie das Zirkuszelt, einst gemeinsames Domizil, mittlerweile alt, abgerockt und verlassen - ein Relikt verblichener Tage, wie die Figuren selbst. Oder wenn wiederkehrend die Seerose ins Bild gerückt wird, als Symbol für die Verbundenheit und unterdrückte Liebe zwischen Hsieh und Yu, die als einzige aus dem Trio in der Heimatstadt verblieb. Dass zwischen Hsieh und Ma, dem Dritten aus der Zirkusfamilie, ein latenter Wettbewerb um ihre Gunst besteht, wird dabei ebenfalls lediglich angedeutet, nie verbalisiert. Aber wenn die einstigen „Brüder“ sich am Ende, durch Lüge und Intrige aufeinandergehetzt, auf unterschiedlichen Seiten zum Duell gegenüberstehen, dann ist zu vermuten, dass sie auch durch eine verkappt schwelende Rivalität bezüglich der Zuneigung Yus angetrieben werden.

Der Umstand, dass genug Interpretationsspielraum gelassen wird und das Publikum nicht alles aufs Butterbrot geschmiert bekommt, ist eine der großen Stärken DIE BANDE DES GELBEN DRACHENs, der seine eingangs erwähnten Defizite gut auszugleichen versteht. Die Inszenierung ist durch und durch sauber, die Bilder sind prall gefüllt und die Sets werden stilsicher ins rechte Licht gerückt. Dazu wimmelt es von Statisten und ständig in der Luft hängender Rauch sorgt für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Lediglich bei der Hafenkulisse war man ein wenig zu sorglos und ließ die Darsteller einfach vor einer einfarbigen Wand agieren, was nicht besonders überzeugend aussieht. Dass am Ende urplötzlich mit Schusswaffen hantiert wird und ein japanischer Strippenzieher die Bühne betritt, will auch nicht so recht ins Bild passen und soll Resultat einer kurzfristigen Planänderung sein. Grund dafür war angeblich der bahnbrechende Erfolg FIST OF FURYs, in dem es Knochenbrecher-Koryphäe Bruce Lee ebenfalls mit Scharlatanen aus Nippon zu tun bekam. Da dieses Feindbild deswegen gerade mächtig in Mode war, so heißt es, entschied man sich für Storyänderungen und Nachdrehs, die das ursprüngliche Konzept ein wenig auf den Kopf stellten. Das klingt zwar zunächst plausibel, zumal ein Stilwechsel zum Finale nicht zu leugnen ist und der Auftritt des schwertschwingenden Ku Fengs [ → DIE TÖDLICHEN ZWEI] als neuer Endgegner doch arg forciert wirkt. Allerdings scheint DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN das Licht der Leinwand doch ein paar Wochen früher erblickt zu haben als FIST OF FURY, was die Behauptung ein wenig widersprüchlich macht.

Als echtes Ärgernis entpuppt sich die deutsche Sprachfassung, welche Hintergründe und Motivationen der Figuren nach Lust und Laune umdeutet, was die ohnehin nicht sonderlich plausible Story endgültig ins tiefe Tal der Verwirrung führt. In dieser Version ist Hsieh nicht etwa ein Messerwerfer, der nach vielen Jahren an den Ort seiner Jugend zurückkehrt, sondern ein externer Auftragsmörder, der von Chiao extra engagiert wird, um dessen Feinde auszuschalten. Dass beide Männer sich eigentlich von früher kennen und ein altes Schuldverhältnis zwischen ihnen besteht, wird komplett unterschlagen, wie auch die Tatsache, dass die Ereignisse in Hsiehs alter Heimat stattfinden. So wirkt es nun, als laufe er seinen ganzen alten Freunden und Bekannten hier rein zufällig über den Weg. Auch verliert dadurch natürlich nahezu alles an Bedeutung, seien es die symbolträchtigen Orte, wie das zerfallene Zirkuszelt, oder die nun regelrecht zweckfreien Rückblenden in Hsiehs Schaustellervergangenheit. Warum Chiao, in der deutschen Version simpler Auftraggeber eines Attentats, seinem Bediensteten einen Bären bezüglich der Zielpersonen aufbindet, erscheint zudem ebenso nebulös wie der Umstand, dass Hsieh, angeblich ja ein Killer mit Mordmission im Gepäck, tatsächlich niemanden umbringt, sondern einfach nur ein wenig Wirbel veranstaltet. Da man in dieser Fassung außerdem versucht war, es so aussehen zu lassen, als habe die eigentlich unschuldige Kung-Fu-Schule tatsächlich irgendwie Dreck am Stecken, ergibt am Ende kaum noch etwas einen nachvollziehbaren Sinn.

Wenngleich auch im Original erzählerisch alles andere als stressresistent, punktet DIE BANDE DES GELBEN DRACHEN am Ende mit seiner eleganten Mixtur aus Stil, Action und emotionaler Tiefe. Nicht jeder Wurf ist ein Treffer. Aber jeder Treffer sitzt.

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 20. Januar 2025

BOLO - VIER FÄUSTE IM WILDEN OSTEN


BAI MA HEI QI
Hongkong 1977

Regie:
Yeung Sze

Darsteller:
Yeung Sze/Bolo Yeung,
Pai Piao/Jason Pai,
Mi Lan,
Chin Yuet-Sang,
To Siu-Ming,
San Kuai,
Lau Yat-Fan,
Tsang Chi-Wai/Eric Tsang



Yeung Sze ist Kult! Und das, obwohl ihn keiner kennt. Gut, zumindest nicht unter diesem Namen. Auch Yang-Sze-, Yeung-Shut-, Yang-Szu-, Yeung-See-, Yang-Tze-, Yung-Sze-, Ywung-Sze-, Yang-Tse-, Young-Sy- oder Yang-Sa-Fans trifft man eher selten. Der Name des als 양사 in der chinesischen Provinz Guangdong geborenen Martial-Arts-Darstellers wurde auf alle erdenkliche (Schreib-)Weisen transkribiert. Berühmtheit erlangte er am Ende allerdings mit dem wohl am albernsten klingenden Pseudonym. Denn nachdem der Kampfkünstler und Gewichtheber nach zahlreichen Statistenrollen für die Shaw Brothers einen blutrünstigen Schurken im ersten amerikanischen Bruce-Lee-Brüller DER MANN MIT DER TODESKRALLE (1973) verkörperte, wurde er quasi über Nacht weltbekannt. Und da seine Figur im Film „Bolo“ hieß, was nicht nur einprägsam ist, sondern international auch gut von Lippe und Zunge geht, war das ab sofort sein Künstlername: Bolo Yeung.

Bruce Lee selbst starb noch, bevor er Teil seines eigenen Welterfolgs werden konnte. Als nach dessen frühen Tod eine ganze Wagenladung an Bruce-Lee-Imitatoren auf die Leinwände geschüttet wurde, gehörte auch Bolo Yeung zum Stammpersonal und festigte aufgrund seines außergewöhnlichen Erscheinungsbilds somit seine Popularität. Ob es ihn gestört hat, dabei fast ausschließlich auf die Rolle des brutalen Bösewichts festgenagelt worden zu sein? Möglich, denn sein erstes Werk unter eigener Regie präsentiert ihn beinahe gänzlich anders. Geblieben ist lediglich sein Name, der dieses Mal – Marketing ist die halbe Miete! – auch direkt als ganzer Titel herhalten darf: BOLO!

Inhalt:

In einem kleinen chinesischen Dorf ist das Amt des Sheriffs gleichbedeutend mit einem Todesurteil: Wer ernsthaft für Recht und Ordnung eintritt, wird schnell einen Kopf kürzer gemacht – was durchaus wörtlich zu verstehen ist. Als den Zuständigen mal wieder ein Ordnungshüterhaupt vor die Füße kullert, wird beschlossen, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Denn wer kann Gangstern am besten Einhalt gebieten? Natürlich! Andere Gangster! Und so wird angeordnet, alle Knastinsassen Strohhalme ziehen zu lassen. Zwei Gewinner dürfen das Gefängnis verlassen und Gesetzeshüter werden. Das Schicksal entscheidet sich für den schlitzohrigen Sprücheklopfer Ma [Jason Pai Piao] sowie das grobschlächtige Muskelpaket Bolo [Bolo Yeung Sze], die bereits im Bau aneinandergeraten sind und sich nach Freilassung erst einmal ein Kung-Fu- und Artistik-Duell liefern, um die Fronten zu klären. Im Dorf angekommen, stellen sie fest, dass hier wirklich die Unmoral regiert. Sogar der Bürgermeister ist in Menschenhandel verwickelt und wer diesbezüglich auspacken will, endet aufgeknüpft an der Laterne. Ma und Bolo müssen sich im wahrsten Sinne zusammenraufen, um ihre Haut zu retten und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen.

Kritik:

Obwohl der Titel eigentlich Bolo-Solo-Action verspricht, macht bereits der Beginn klar, dass man sich hier im Genre des Buddy-Movies bewegt, das zwei ungleiche Protagonisten zusammenschweißt, um sie durch dick und dünn gehen zu lassen. Dabei durchziehen von Beginn an (der deutsche Zusatztitel deutet es dezent an) signifikante Spencer-/Hill-Schwingungen das Szenario, sind Grundgerüst und Duktus doch eindeutig angelehnt an die Kassenerfolge des populären Prügel-Duos aus Italien. Während Jason Pai Piao [→ DER TODESSCHREI DES GELBEN TIGERS] als schlaksiger Charmeur durchaus passabel den asiatischen Kung-Fu-Hill mimt, ist Bolo Yeung als dessen Kompagnon und bud-spenceriger Kaventsmann kaum wiederzuerkennen. Seine Gesichtsbehaarung und das ebenso tumbe wie gutmütige Auftreten hat mit seinen früheren Rollen als furchteinflößender Knochenbrecher nichts mehr gemein. Zwar ist Yeung – im Gegensatz zu seinem offensichtlichen Vorbild und anders als im Dialog mehrmals behauptet – tatsächlich „nur“ kräftig und nicht dick. Aber diese bis dahin unbekannte Facette steht dem Berufsbösewicht doch erstaunlich gut und es ist genau dieses Gegen-das-Image-Agieren, aus dem BOLO seinen hauptsächlichen Reiz bezieht.

Das ist auch dringend notwendig, denn Reize, zumindest positiver Art, sind bei dieser Veranstaltung eher Mangelware. Man hatte zwar eine interessante Idee, aber offenbar keine Ahnung, was man aus ihr machen sollte. Schon die Prämisse ist freilich denkbar hanebüchen. Dass Knastvögel aus dem Bau herausrekrutiert werden, um aus ihnen ein Himmelfahrtskommando zu formieren, das kennt die Leinwand spätestens seit DAS DRECKIGE DUTZEND zur Genüge. Aber dass verurteilte Verbrecher freigelassen werden, um als Gesetzeshüter andere Verbrecher zur Strecke zu bringen (noch dazu mit der Ermahnung, bloß nicht Fersengeld zu geben), das hat schon eine ganz neue Quatsch-Qualität. Allerdings ist BOLO eine Komödie, da geht eine solch absurde Ausgangssituation durchaus klar. Viel ernüchternder ist es, wie wenig aus dieser Basis herausgeholt wurde, obwohl die Trümpfe doch eigentlich schon in der Hand lagen.

Denn was offenbar nicht in der Hand lag, war ein vernünftiges Drehbuch. Erzählerische Höchstleistungen erwartet sicherlich niemand, aber die Ereignisse BOLOs sind insgesamt so zusammenhanglos und sinnbefreit, dass es teils absurde Ausmaße annimmt. Bereits der Einstieg ist äußerst ungelenk, wenn Ma und Bolo (die ja eigentlich Sympathiefiguren sein sollen) einem blinden Mann sein Fahrzeug klauen – völlig grundlos übrigens, denn der Alte hatte sich längst dazu bereit erklärt, die beiden an ihr Ziel zu bringen. Im Dorf angekommen, gehen die Protagonisten als Erstes ins Bordell, das von Eric Tsang [→ SEVEN ASSASSINS] in Frauenkleidern geführt wird, der Bolo schließlich in einer viel zu langen Sequenz im albernen „Hühner-Stil“ attackiert, weil er glaubt, dieser wolle die Zeche prellen. Ma indes trifft vor Ort eine alte Bekannte aus früheren kriminellen Tagen und quetscht sie um den Verbleib mehrerer Goldbarren aus – vermutlich Beute aus Raubzügen, von der das Publikum an dieser Stelle auch zum ersten Mal hört. Ist das narrativ alles bereits arg fragmentarisch, wird es im weiteren Verlauf regelrecht chaotisch. Immer mehr seltsame Figuren bevölkern das Szenario, die so lang sonderbare Dinge tun und lassen, bis man schlichtweg aufgibt, nach Sinn und System zu suchen.

In einem Moment bittet eine Mutter den Titelhelden Bolo, kurz ihr Baby im Arm zu halten, um Wasser holen zu können, was er mit Freuden tut. Dann kommt die Frau zurück, rammt ihm ein Messer in den Bauch und kratzt mit Kind die Kurve. Daraufhin taumelt Bolo in eine Praxis, wo der Arzt ihn verbindet. Plötzlich befindet sich die Attentäterin aber im Nebenbett und Bolo merkt, dass der Arzt ihn auf ein Brett gefesselt hat. Dann kommt der Doktor zurück und beide liefern sich einen Kampf, den Bolo schließlich gewinnt, woraufhin der Besiegte sich ein weißes Pulver ins Gesicht schüttet – vermutlich, weil er in dem Krug, den er sich an den Mund setzte, etwas anderes erwartet hatte. Wenn man chinesische Schriftzeichen lesen könnte, wüsste man wohl auch, was. Dass sich einem dadurch auch der Sinn der ganzen Sequenz erschließt, darf jedoch bezweifelt werden. An anderer Stelle gerät ein Wirt mit seinem Gast in Streit, weil dieser gerade aus den USA zurückgekommen ist und nun lauter Zeug bestellt, das in China gar nicht auf der Karte steht. Darum legt der Kellner ihm nahe, zu verschwinden, was ebenfalls in einer minutenlangen Prügelei mündet, die nachfolgend wirklich gar keine Relevanz für irgendetwas hat. Später machen Ma und eine Frau dann noch ein Spiel, dessen Regeln wahrlich schleierhaft sind: Sie rufen scheinbar zufällig Zahlen in den Raum, halten dazu ihre Hände hoch und sagen zeitgleich noch ein Gedicht auf, bei dem sich (zumindest in der Synchronisation) überhaupt nichts reimt. 

Ein Erklärungsansatz für derlei Gaga-Momente ist, dass ein Großteil des Humors sich auf kulturelle Eigenheiten des Entstehungslandes bezieht und daher schlichtweg nicht übertragbar war. Begleitet wird die Show dabei stets von weiteren Elementen, die das komödiantische Hongkong-Kino weltweit berühmt-berüchtigt gemacht haben, wie wildes Grimassenschneiden, Schielen, Lispeln, Augenrollen und sonstige Attribute. Das sägt teils schon sehr an den Nerven. Zu allem Überfluss sind auch die Kampfszenen – also der in der Regel eigentliche Grund, weswegen man sich so etwas überhaupt ansieht – ausnehmend schlecht umgesetzt. Die beiden Hauptdarsteller selbst sorgten für die Choreographien und das Ergebnis ist alles andere als überzeugend. Nichts hier sieht nach echtem Schlagabtausch aus. So bleibt am Ende nicht mehr als eine Abfolge wirrer Szenen, bei der sich kaum etwas im Einklang befindet. Dazu passend ist die deutsche Synchronisation nicht nur technisch miserabel und vermutlich von Amateuren im Wohnzimmer zurechtgekloppt, sondern in Sachen Dialog oftmals ebenfalls ein Mysterium, bei dem die Wörter – sofern man sie denn überhaupt versteht – einfach nicht zusammenpassen wollen. Dennoch – und das mag nun verblüffen – vertreibt BOLO die Zeit doch einigermaßen passabel und ist nicht nur trotz, sondern auch dank aller Eigenarten ein angenehm-kauziger Blick in die teils absurden Elaborate des damaligen Bahnhofskinos. Hin und wieder muss so eine kleine Kuriosität am Rande einfach mal sein. Und Yeung Sze bleibt Kult!

Laufzeit: 90 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 13. Januar 2025

DRAKAPA, DAS MONSTER MIT DER KRALLENHAND


BEAST OF BLOOD
USA, Philippinen 1971

Regie:
Eddie Romero

Darsteller:
John Ashley,
Celeste Yarnall,
Eddie Garcia,
Liza Belmonte,
Alfonso Carvajal,
Bruno Punzalan,
Angel Buenaventura,
Beverly Miller



Wer im Deutschland der 1970er Jahre das Lichtspielhaus aufsuchte, um seinen Feierabend mit DRAKAPA, DAS MONSTER MIT DER KRALLENHAND zu verbringen, der hat sich während der Sichtung vielleicht gewundert, dass inhaltlich kaum etwas Sinn ergibt. Einerseits lag das natürlich daran, dass hier inhaltlich tatsächlich kaum etwas Sinn ergibt. Andererseits – und das dürfte eher weniger bekannt gewesen sein – hatte man es aber auch mit einer Fortsetzung zu tun, deren Vorgänger auf bundesdeutschen Leinwänden gar nicht zu sehen war. Zahlreiche Zusammenhänge konnten sich einem daher gar nicht oder nur teilweise erschließen. Über die Gründe des Verleihers, den ersten Teil auszusparen, kann man nur spekulieren. Vielleicht wollte oder konnte man nur für ein einziges Blutspektakel Lizenzen zahlen und hielt BEAST OF BLOOD, wie die drollige Monster-Horror-Abenteuer-Mixtur eigentlich heißt, schlichtweg für vorzeigbarer.

Das dereinst unterschlagene Schauerstück trägt den sehr diskreten Titel MAD DOCTOR OF BLOOD ISLAND – auf gut Deutsch also so viel wie: Der Kloppi-Dok von Helgoland - und handelt vom Pathologen Bill Foster, der auf eine Südsee-Insel reist, um Nachforschungen über eine seltsame Krankheit anzustellen. Vor Ort trifft er auf den sinistren Dr. Lorca, der in Amtsformularen bei „Beruf“ mit Sicherheit „verrückter Wissenschaftler“ einträgt. Aus Gründen, die man wohl nur versteht, wenn man selbst nen Doktortitel hat, verbringt Lorca den Großteil seiner Freizeit damit, Einheimische in blutrünstige Mensch-Pflanz-Mutanten zu verwandeln, die dann – wer will es ihnen verübeln? – bevorzugt barbusige Schönheiten vernaschen. Im Wortsinne, versteht sich.

Hüpfende Möpse, fliegende Körperteile, grüne Blutsuppe – für manch Connaisseur schamlosen Tandwerks klingt das gewiss nach einer anständigen Kirmes. Aber im Endeffekt regiert Ernüchterung: Die Schauwerte machen gut fünf Minuten aus und der Rest ist so öde, da bleiben sogar die Cocktails ungerührt. Final kehrt Foster, zusammen mit seiner neuen Flamme, ihrem Vater und einem weiteren Typen, von dem man schon während des Films vergessen hat, wer das eigentlich ist, zurück aufs Schiff, um die Blutinsel für immer zu verlassen. Doch wie das im Horror-Genre halt so ist: Eine der Schreckgestalten hat überlebt, befindet sich an Bord und streckt unheilvoll ihre Hand unter der Abdeckplane eines Rettungsboots hervor. ENDE!

Beziehungsweise Anfang, denn genau da geht BEAST OF BLOOD los: Das Monster schlüpft aus seinem Versteck und richtet an Deck zu fröhlicher Beat-Musik ein Massaker an. Dabei fängt das Schiff Feuer und versinkt in den Tiefen der See. Nur Foster kann sich retten. Dieser Auftakt ist zwar effektiv, aber die Fragezeichen über den Köpfen des (deutschen) Betrachters dürften gigantisch gewesen sein. Eine sinnvolle Erklärung, warum sich Foster nach diesem Ereignis abermals auf das unheilvolle Eiland begibt, bleibt man im Übrigen ebenfalls schuldig. Aber vermutlich sollte man solche Fragen gar nicht stellen. Teile der Antwort könnten das Publikum verunsichern.

Inhalt:

Dr. Foster [John Ashley] befindet sich (mal wieder) auf einem Schiff Richtung 'Blutinsel' im Südpazifik. An Bord ist auch die kesse Reporterin Myra Russell [Celeste Yarnall], die Fosters vorherige Erlebnisse unbedingt zu einer Story verarbeiten möchte und ihm daher nicht mehr von der Seite weicht. Als sie das Festland erreichen, erfährt Foster, dass immer noch regelmäßig Einheimische verschwinden. Er vermutet seinen alten Rivalen Dr. Lorca [Eddie Romero] dahinter. Dieser gilt zwar als tot, ist allerdings tatsächlich noch am Leben, haust in einem geheimen Labor und entführt immer wieder Menschen, um den passenden Körper zum Kopf seiner Kreatur ‚Drakapa‘ zu finden.

Kritik:

Letzte Zweifel können an dieser Stelle ausgeräumt werden: BEAST OF BLOOD ist billiges Bahnhofs- und Autokinomaterial, wie es im Buche steht, eine auf Zelluloid gegossene Jahrmarktsattraktion, die Sensationen verspricht und Kehricht kredenzt. Was im Erscheinungsjahr womöglich noch die eine oder andere sensible Seele erschreckt hat, macht mittlerweile kein Schulkind mehr nervös. Dabei lieferte Autor und Regisseur Eddie Romero [→ FRAUEN IN KETTEN] in gewisser Hinsicht sogar eine Art Blaupause für spätere italienische Matschfeste wie ZOMBIES UNTER KANNIBALEN (1979), deren Zutaten hier bereits vorhanden sind: ein durchgeknallter Eierkopf, der auf einer augenscheinlich idyllischen Insel grausame Experimente durchführt, eine rätselhafte Seuche, welche die Menschen dahinrafft, verängstigte Inselbewohner, die zu Versuchskaninchen werden, und natürlich ein ebenso wackerer wie wenig aufregender Held, der den Tag retten muss.

Bei BEAST OF BLOOD allerdings haben Blutlüstlinge das Nachsehen, denn mehr noch als MAD DOCTOR OF BLOOD ISLAND ist der Nachfolger tatsächlich eher Abenteuer- als Horrorfilm, der bis auf ein paar kurze härtere Nummern (wie das berühmte Aufgespießtwerden auf Holzpflöcke am Höhlenboden oder eine an Schweinefleisch durchgeführte OP) auch gefahrlos im Nachmittagsprogramm laufen könnte. So stolpern die Hauptfiguren mal mehr, mal weniger motiviert durch dichte Dschungellandschaften und erleben so allerhand Episödchen, die sich in der Regel recht hurtig auch schon wieder in Wohlgefallen auflösen. Wahnsinnig aufregend ist das sicherlich nicht. Aber doch irgendwie ganz nett: Schlingpflanzen, Treibsand, Todesfallen – das komplette Marlboro-Country-Programm für einen angenehmen Feierabend. Dass in erster Linie alles dazu dient, die hauchdünne Handlung auf Gedeih und Verderb in die Länge zu ziehen, ist in seiner Offensichtlichkeit beinahe rührend.

Deutlich zu kurz kommt dabei allerdings die titelgebende Kreatur, die auch gar nicht so richtig brutal sein darf. Das ist freilich den Umständen geschuldet, existiert das Monster nach dem einleitenden Massaker doch nur noch als Kopf, der aufgespießt in Dr. Lorcas Labor dahinvegetiert und missmutig mit den Augen rollt. Es hat schon etwas Komisches, wenn der Doktor seine Schöpfung permanent zutextet und sich dabei mehrmals beklagt, dass sie nicht ein einziges Wort mit ihm wechseln möchte. Worüber will er denn mit der ollen Monsterrübe überhaupt sprechen? Übers Wetter? Schlechte Manieren kann man dem wahnsinnigen Weißkittel jedenfalls nicht vorwerfen, immerhin siezt er das Ding sogar ganz höflich - schon erstaunlich, wie viel Respekt man so einem zermatschten Schädel entgegenbringen kann. Als Draki dann am Ende tatsächlich zu sprechen anfängt, klingt er zu allem Überfluss auch noch, als wäre er von Roberto Blanco vertont worden.

"Jääääätzt wääärrrden wirrr uns untäärrrhalten, Lorrrcaaa!"

Das Finale bäumt sich dann noch mal richtig auf und gibt artig Zunder. Das liegt zwar nicht an Drakapa (dessen Amoklauf dauert hochgerechnet gerade einmal zwei Minuten), aber dafür wird fleißig mit Feuerwaffen, Dynamit sowie Pfeil und Bogen hantiert, was für ein anständiges Rambazamba sorgt.

Überraschend ist das engagierte Spiel der Darsteller. Vor allem John Ashley [→ SAVAGE SISTERS] gibt sich in seiner Hauptrolle tapfer seriös, ganz so, als wäre das alles kein bisschen bescheuert. Und obwohl auch hier einmal kurz ein Paar Hupen gelüftet wird, sind die weiblichen Inselbewohner erstaunlich emanzipiert bei der Sache: Als Myra nach Ankunft die erstbeste Insulanerin ablichten will, schlägt diese die Kamera zur Seite und meint harsch: "Wenn ich ein Foto haben will, sag’ ich Bescheid!"

So ist BEAST OF BLOOD am Ende gemütliche Unterhaltung, die einmal mehr von ihrem exotischen Inselflair profitiert. Das versprochene Nervenzerren bleibt aus, sodass auch sensiblere Gemüter keine schlaflose Nacht erleben werden. Warum der Untertitel Das Monster mit der Krallenhand lautet, ist allerdings ein Rätsel – die Greifer sind eigentlich noch mit das Normalste an der Kreatur. Aber Das Monster mit der Matschbirne hätte vermutlich deutlich weniger Publikum angezogen.

Laufzeit: 87 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 6. Januar 2025

AN SEINEN STIEFELN KLEBTE BLUT


NAVAJO JOE
Italien, Spanien 1966

Regie:
Sergio Corbucci

Darsteller:
Burt Reynolds,
Aldo Sanbrell,
Nicoletta Machiavelli,
Fernando Rey,
Tanya Lopert,
Franca Polesello,
Lucia Modugno,
Peter Cross



Inhalt:

USA, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die Tötung von Indianern ist mittlerweile verboten. Der skrupellose Duncan [Aldo Sambrell] und seine Banditenbande lassen sich davon allerdings nicht beeindrucken und machen weiterhin Jagd auf Ureinwohner-Skalps. Nachdem sie eine komplette Siedlung vernichtet haben, sinnt Joe [Burt Reynolds], einziger Überlebender des Massakers, auf Rache. Als Duncans Männer einen Zug mit Bargeld-Reserven überfallen, dezimiert Joe die Bande erheblich und bringt das Fahrzeug eigenhändig ans Ziel. Dort bietet er den verängstigen Dorfbewohnern an, Duncan und seine Männer unschädlich zu machen. Diese weigern sich zunächst, sehen jedoch bald ein, dass sie keine andere Wahl haben – denn die verbliebenen Banditen sind bereits auf dem Weg ins Dorf, um das Geld doch noch an sich zu bringen. Joe heftet sich den Sheriffstern an die Brust und verspricht den Anwesenden, sie zu beschützen. Nach seiner Ankunft stellt Duncan fest, dass Joe das Geld versteckt hat. Um den geheimen Ort herauszupressen, beginnt die Bande einen Terror gegen die Bürger, den Joe zunächst nicht verhindern kann – er unterliegt seinen Widersachern und wird gefoltert. Doch mithilfe zweier Huren kann er sich befreien und schlägt zurück.

Kritik:

Im selben Jahr, in dem Regisseur Sergio Corbucci mit dem wegweisenden, weil grandios dreckigen DJANGO das Bild des Wildwestfilms nachhaltig veränderte, inszenierte er noch ein weiteres von ähnlich nihilistischer Stimmung geprägtes Werk, das von den Kritikern häufiger mal vergessen wird: NAVAJO JOE! Gleichfalls als düstere Abkehr von den bis dahin gängigen, heroischen Pferdeopern konzipiert, bediente man sich auch hier später zum Standard gewordenen Genre-Zutaten: Wind pfeift durch karge Felslandschaften, Sand knirscht unter den Stiefeln und Pulverdampf schwängert die Luft – eine trostlose Welt, in der Sitte und Anstand sich größtenteils verabschiedet haben. Bereits der Auftakt stellt diesbezüglich die Weichen: In einer beschaulichen Indianersiedlung geht alles seinen gewohnten Gang. Die Sonne scheint, die Pferde trinken, die Menschen gehen ihren Alltagsgeschäften nach. So auch eine junge Indianerin, die am Fluss sitzt und Felle glättet. Da erscheint ein Reiter, ein weißer Mann mit Sombrero. Er steigt vom Pferd; die Frau lächelt ihn arglos an. Er erwidert die Geste, zieht seinen Colt und knallt sie kommentarlos über den Haufen. Während daraufhin eine Bande marodierender Männer das Dorf überfällt und ein Massaker anrichtet, zieht der Mann ein Messer und skalpiert sein soeben erlegtes Opfer.

Das ist zwar fraglos ziemlich plump und klischeehaft, aber eben auch enorm effektiv: Der harte Umschwung von idyllischer Eintracht zu barbarischer Brutalität schockiert und involviert zudem auf Anhieb das Publikum. Spätestens, wenn der gewissenlose Sombrero-Träger seiner Beute mit beinahe begeistertem Blick die Kopfhaut abtrennt und wie eine makabre Trophäe in die Höhe hält, während auf der Tonspur ein mehrstimmiger, verstörender Klagegesang anschwillt, der sich final zu einem mitreißenden, den Vorspann untermalenden Orchesterstück emporschwingt, dann ist der eigene Alltag völlig vergessen und man ist mit Haut und Haaren Teil dieser apokalyptischen Vision. Dabei ist NAVAJO JOE inhaltlich weder neu noch kreativ: Einmal mehr geht es um den Drang nach blutiger Vergeltung. Denn der einleitende Massenmord hinterlässt einen Überlebenden, Titelheld Joe, dem es nun gehörig nach Genugtuung dürstet. Doch anstatt einfach zur Tat zu schreiten und in Schurkenkreisen aufzuräumen, vereitelt er zunächst lediglich einen Raubzug der Bande und lässt sich dafür von den Bürgern eines kleinen Dorfes zum Sheriff ernennen. Somit darf er die Täter jetzt also sogar im Namen des Gesetzes zur Strecke bringen – denn die Ermordung von Indianern ist laut novelliertem amerikanischen Recht eine Straftat.

So wird aus der eigentlich obligatorischen Rachenummer ein originelles, ja, regelrecht rebellisches Stück Kino. Immerhin ist dies einer der ersten Western, in dem ein indigener Charakter die Hauptrolle verkörpert. War der „Indianer“ auf der Leinwand bis dahin meist als ruchloser Meuchler in Erscheinung getreten, der den armen weißen Mann drangsaliert, agiert er hier als moralische Instanz, während der gutbürgerliche Amerikaner als überwiegend rassistischer und geldgeiler Feigling porträtiert wird. Diesen Perspektivwechsel lotet das Skript geradezu genüsslich aus. Durchtränkt von bissigen Seitenhieben wird hier das pessimistische Bild eines Amerikas gezeichnet, in dem Dinge wie Fremdenhass, Vorurteile und gewissenloses Streben nach Reichtum eine Selbstverständlichkeit darstellen. Bösewicht Duncan und seine Bagage besitzen ohnehin kaum noch menschliche Züge, aber auch bei den vermeintlich so anständigen Dorfbewohnern trudelt der moralische Kompass gar mächtig. Als die Eisenbahn ankommt, mit Leichen gefüllt und von Blut getränkt, gilt ihre größte Sorge dem Panzerschrank inklusive der in ihm enthaltenden Barschaft. Erst, als sie diese an Ort und Stelle vorfinden, macht sich Erleichterung breit: „Es ist alles in Ordnung. Wir haben Glück gehabt!“ Von den Toten redet keiner.

Als Joe den Posten des Gesetzeshüters verlangt, fallen die Anwesenden wenig überraschend aus allen Wolken. „Völlig ausgeschlossen“, meint einer, „ein Indianer als Sheriff? Das amerikanische Gesetz muss von Amerikanern geschützt werden.“ Joe erklärt daraufhin: „Mein Vater wurde hier geboren. Der Vater meines Vaters ebenfalls, genauso der Vater vom Vater meines Vaters. Wo wurde dein Vater geboren?“ „In Schottland“, antwortet sein verdattertes Gegenüber. „Dann bist du kein Amerikaner“, entgegnet Joe und niemandem mehr fällt etwas Passendes ein. In emotional effektiver Manier verlangt Joe von den Dörflern schließlich für jeden Banditen, den er Strecke bringt, einen Dollar. Das ist eine wunderbar-perfide Umkehr früherer Verhältnisse: Ein Dollar, das war der Preis, den zuvor ein Indianer-Skalp einbrachte – der vermeintliche Wert eines indigenen Menschenlebens. Zwar mag die wütende Abrechnung mit der bigotten US-Politik, die Völkermord erst verurteilt, sobald sie keinen Nutzen mehr daraus zu ziehen vermag, teilweise etwas platt anmuten, doch verfehlt sie ihre Wirkung nicht. Ausgerechnet die Huren, die außerhalb der etablierten Gesellschaft stehen, sind dann auch diejenigen, die sich einen letzten Rest Anstand bewahrt haben.

Als Titelhelden sieht man Burt Reynolds in seiner ersten wirklichen Hauptrolle. Authentisch in Sachen Herkunft wirkt das zwar nicht gerade (womöglich auch deswegen, weil der Schauspieler vor allem aufgrund späterer Figuren bekannt ist, die wirklich rein gar nichts mit dieser hier zu tun haben), aber er verkörpert Joe mit einer sehr einnehmenden Lässigkeit und der nötigen ehrfurchtgebietenden Physis. Der Umstand, dass man Reynolds eigentlich mit ganz anderen Rollen assoziiert (nicht wenige davon aus dem Komödienbereich), passt im Nachhinein sogar zwar ungewollt, aber nichtsdestotrotz fabelhaft ins Konzept, geziemt sich das Gesamtwerk letztendlich doch ähnlich eigen wie dessen unkonventionelle Protagonistenbesetzung. Reynolds selbst allerdings fand keine guten Worte für sein Debüt, meinte sogar, es sei so miserabel, dass man es nur in Flugzeugen und Gefängnissen zeigen dürfe, weil man von dort nicht fliehen könne. Woher sein Unmut rührte, erschließt sich einem null, und niemals darf vergessen werden, dass dies derselbe Mann gesagt hat, der 1983 für DER RASENDE GOCKEL in ein Hühnerkostüm kroch und das für eine gute Idee hielt.

Als Antagonist agiert Aldo Sambrell [→ TÖTE, AMIGO] als wahrhaft hassenswerte Drecksau, dem ein Menschenleben nichts bedeutet. Bereits seine offensichtliche Verzückung beim Entfernen der Indianerkopfhaut in der Eingangssequenz macht klar, dass es ihm beim Skalpieren nur zweitrangig um die Belohnung geht: Duncan zieht Erfüllung aus dem Töten. Später ermordet er eigenhändig eine junge Mutter vor den Augen ihres Sohnes - vorgeblich, um eine Zeugin loszuwerden, in Wahrheit jedoch, so ist anzunehmen, aus purem Lustgewinn. „Meine Mutter war eine Indianerin, darum hasse ich die Indianer. Und ich hasse die Weißen, weil mein Vater einer war“, sagt er an einer Stelle, was impliziert, dass seine Mordlust aus reinem Selbsthass resultiert. Psychologisch erscheint das sehr simpel und es erklärt irgendwie auch nichts. So ist Duncans Figur wesentlich stereotypischer geraten, nicht zuletzt auch wegen des klischeehaften Spiels Sambrells. Dass seine deutsche Synchronstimme etwas unpassend ausgewählt wurde, dafür kann er ja nichts.

Apropos Deutsch: Aus irgendwelchen Gründen fürchteten sich die Verleiher der Bundesrepublik jahrelang vor dem Originaltitel. In den Kinos lief NAVAJO JOE zunächst als AN SEINEN STIEFELN KLEBTE BLUT, auf Videokassette nannte sich die Nummer dann plötzlich KOPFGELD: EIN DOLLAR. Beide Titel sind zwar passend, aber warum man sich bis zum digitalen Zeitalter um die originale Namensgebung herumdrückte, ist schon eine berechtigte Frage. Ganz gleich jedoch, unter welchem Banner man sie sich zu Gemüte führt: Corbuccis vor Wut schnaubende Rachemär ist ein schmutziges Glanzlicht, welches das Genre zwar nicht so beeinflusste wie DJANGO, sich aber keinesfalls hinter diesem zu verstecken braucht. Und der schmissige Titelsong von Ennio Morricone [→ TOP JOB] geht einmal mehr ins Ohr. Und bleibt auch dort.

Laufzeit: 92 Min. / Freigabe: ab 18

Montag, 30. Dezember 2024

DIE 18 TODESSCHLÄGE DER SHAOLIN


SHI BA LUO HAN QUAN
Hongkong 1978

Regie:
Yang Ching-Chen

Darsteller:
Stephen Tung Wai,
Dean Shek Tien,
Wen Chiang-Long,
Sze-Ma Lung,
Shen Hai-Rong,
Shih Chung-Tien,
Kwan Hung,
Shih Ting-Ken



Inhalt:

China zur Zeit der Qing-Dynastie: Die Mandschus sind im Land und knechten das Volk. Der Shaolin-Mönch Wen Hung [Wen Chiang-Long] führt einen Widerstand an, muss sich jedoch vor dem feindlichen Anführer Wong Wu Ti [Sze-Ma Lung] in Sicherheit bringen. Auf der Flucht erhält er unerwartete Schützenhilfe von den beiden harmlosen Herumtreibern Hsiao Tung [Tung Wai] und Tai Peng [Shek Tien], die seine Häscher erfolgreich auf die falsche Fährte führen und ihm dadurch das Leben retten. Um eine Verletzung auszukurieren, versteckt sich der Abt fortan in der Hütte seiner Wohltäter und beginnt damit, sie in die geheimen Kampfkünste der Shaolin einzuführen – ein Wissen, das die Freunde schneller brauchen werden, als ihnen lieb ist.

Kritik:

Dass DIE 18 TODESSCHLÄGE DER SHAOLIN im selben Jahr wie Jackie Chans Durchbruch SIE NANNTEN IHN KNOCHENBRECHER erschien, ist gewiss kein Zufall. Der Kassenerfolg war nämlich Auslöser einer horrenden Wagenladung ähnlich gearteter Werke, die klassisches Kung-Fu-Kino mit (teils sehr alberner) Komik verbanden und den bewährten Plot dabei nur rudimentär variierten. Anstatt eines zauseligen Bettlers darf hier nun also ein Shaolin-Mönch zwei Durchschnittstaugenichtsen die Kunst des Kampfes lehren, um den Drangsalen eines brutalen Schurken etwas entgegensetzen zu können.

Dabei verspricht die Einleitung episches Entertainment, wenn ein Erzähler bedeutsam vom Sturz der Ming-Dynastie berichtet, von der gewaltsamen Übernahme des Landes durch die Mandschurei, vom verzweifelten, doch fruchtlosen Widerstand des Volkes. Dazu werden statistenreiche Schlachtbilder serviert, ein emsiges Rennen, Hauen, Stechen und Sterben, dreckig und dramatisch. Auch der Bösewicht wird bei der Gelegenheit etabliert, Wong Wu Ti, der „Goldene Adler“, der zum Auftakt direkt den Shaolin-Tempel niederbrennen lässt, um das geistige Zentrum der Aufständischen zu zerstören. Abt Wen Hung, Anführer der Rebellen, flieht vor den Flammen und läuft seinem Widersacher Wong auf einer Wiese direkt in die Arme. Das wirkt schon alles sehr aufbrausend und medienwirksam und klingt in 30 Sekunden komprimiert nach großem Kino. Allerdings ist der Ofen danach auch schon wieder so ziemlich aus. Der nationale Freiheitskampf weicht mehrheitlich persönlichen Konflikten im kleinen Kreis; dem epochalen Einsteig folgt dramaturgisch eher ungeschickt eine überwiegend unzeremonielle Komödie. Und obwohl die Lage prinzipiell bedrohlich bleibt, erscheint es nicht mehr sonderlich staatstragend, wenn man sich mit dem Feind nur noch auf freiem Felde, zwischen schroffen Felsen und wogenden Gräsern, um die Zukunft des Landes prügelt.

Das ist zwar nicht auffallend aufregend, aber immerhin angenehm unterhaltsam. Tung Wai [→ ONCE UPON A TIME IN CHINA V], hier in einer Rolle zu sehen, die bei einem höheren Budget mit Sicherheit an Jackie Chan gegangen wäre, macht sich gut in der Haupt-Hauptrolle und sorgte, gemeinsam mit Yuen Cheung-Yan [→ LAST HERO IN CHINA], auch für die Kampf-Choreographien, die sehr ordentlich geraten sind, obwohl sie mit echtem Schlagabtausch abermals wenig zu tun haben und eher Tanz-Charakter besitzen. Die Neben-Hauptrolle ging an Shek Tien [→ DIE SCHLANGE IM SCHATTEN DES ADLERS], der Dauergast in Produktionen wie diesen war und erneut den grimassierenden Scherzkeks gibt. Ungewöhnlich ist allenfalls, dass er das hier auf sympathischer Seite tut und nicht etwa, wie so oft, als infantiler Rivale des Protagonisten. In der Rolle des Mentors strahlt Wen Chiang-Long [→ DIE GELBE HÖLLE DES SHAOLIN] als weiser Kung-Fu-Abt eine ausreichende Menge Würde aus, während Sze-Ma Lung [→ DIE TODESKÄMPFER DER SHAOLIN] als Endgegner mit bösem Blick und wallender weißer Haarpracht doch etwas sehr klischeehaft in Szene gesetzt wurde.

Aber Klischees erwartet man ja regelrecht bei einem Genre-Beitrag wie diesem, und im Prinzip werden alle Mechanismen zuverlässig bedient. Dazu gehören freilich auch die zahlreichen körperbetonten Konfrontationen, meist eingeleitet durch Nennung des verwendeten Kampfstils, wobei des Schurkens Zuckungen teils eher auf nen Epileptischen schließen lassen als auf Anwendung einer ausgefeilten Konzentrationsmethode. Allerdings trägt der Widersacher im Englischen tatsächlich auch den Spitznamen „Shaking Eagle“, was den Auftritt immerhin zum Teil plausibler erscheinen lässt – wobei „Zitternder Adler“ eigentlich genauso albern klingt wie es aussieht. Trotzdem ist diese Technik wohl so tödlich, dass selbst versierte Kung-Fu-Mönche wie Wen Hung lieber Fersengeld geben, als sich ihr in den Weg zu stellen. Dass es hier durchaus ernst zugeht, wird spätestens im letzten Drittel deutlich, wenn DIE 18 TODESSCHLÄGE DER SHAOLIN seine humoristischen Pfade verlässt und es anständig dramatisch und brutal wird – durchaus auch mit tragischem Ausgang, was auf emotionaler Ebene erstaunlich gut funktioniert, da die Figuren mit genügend Liebeswürdigkeit ausgestattet wurden.

Natürlich läuft auch dabei alles in eher vertrauten Bahnen und etwas Leerlauf lässt sich trotz knapper Laufzeit nicht leugnen. Ein paar Nebenhandlungen hätte man da gern noch etwas ausbauen dürfen. Wie der Strang um die wehrhafte Tochter eines Wirtshausbetreibers, die sich ebenfalls als Anführerin einer Rebellengruppe entpuppt, was eine willkommene Abwechslung bedeutet in einem Genre, das Frauen meist als passiv und schutzbedürftig porträtiert. Aber viel zu schnell ist das schon wieder kein Thema mehr, weswegen man die Chance auf ein wenig narrative Varianz überwiegend verspielt hat. Bahnbrechend wäre natürlich auch das nicht gewesen, aber zumindest doch ganz nett. Positiv anzurechnen ist, dass DIE 18 TODESSCHLÄGE DER SHAOLIN eine gute Balance findet zwischen Komik und Ernst, wobei er es angenehmerweise mit ersteren auch nicht übertreibt, was im Hongkong-Kino nämlich durchaus strapaziös sein kann. Hier sind die Kaspereien eher zurückhaltend, was den Übergang zu den härteren Elementen (inkl. des von Rachegelüsten bestrittenen Showdowns) flüssiger erscheinen lässt.

Die deutsche Fassung bricht den Film frecherweise ein paar Sekunden zu früh ab, als im Finale des Helden Fuß des Feindes Hinterkopf trifft. Das sollte wohl suggerieren, dass der Tritt tödlich oder zumindest mit einer besiegenden Ohnmacht endet. In der Originalfassung hingegen balgen sich beide noch ein paar Bilder länger, bevor beim Gegner dann tatsächlich die Lichter ausgehen. Das geschieht zwar nicht wirklich weniger plötzlich – aber zumindest halt etwas später. Warum man sich für den Titel ausgerechnet für 18 Todesschläge entschieden hat, könnte man sich nun abschließend auch noch fragen. So viele kommen nämlich nicht einmal ansatzweise vor. Mentor-Mönch Wen Hung kann seinen Schützlingen gerade einmal 6 Schläge beibringen, der Gegner beherrscht laut seiner Aussage „doppelt so viele“. Schön und gut, aber auch das wären ja laut Adam Riese immer noch längst keine 18. Hier wurde der unschuldige Kinogänger also ganz eindeutig um mindestens 6 Todesschläge betrogen. Das ist, als würde man im China-Restaurant 8 Kostbarkeiten bestellen und dann bekäme man nur 7. Wenn man dann vom Ordnungsamt wäre …

Laufzeit: 78 Min. / Freigabe: ab 16

Montag, 23. Dezember 2024

DIE SOLO-KAMPFMASCHINE


WHEELS OF FIRE
USA, Philippinen 1985

Regie:
Cirio H. Santiago

Darsteller:
Gary Watkins,
Laura Banks,
Lynda Wiesmeier,
Linda Grovenor,
Joe Anderson,
Joseph Zucchero,
Jack S. Daniels,
Steve Parvin



Inhalt:

Müsste Trace [Gary Watkins] jemals ein Formular ausfüllen, gäbe er als Beruf vermutlich „Harter Hund“ an. Aber in der postakokalyptischen Welt, in der er lebt, gibt es keine Formulare mehr, nur noch Steine, Staub und das Recht des Stärkeren. Als seine jüngere Schwester Arlie [Lynda Wiesmeier] ihm ihren neuen Lebensgefährten Bo [Steve Parvin] präsentiert, ahnt er sofort, dass der Typ keine gute Wahl ist. Tatsächlich verliert der Taugenichts wenig später bei einem Wettkampf seinen fahrbaren Untersatz – in diesem Universum vergleichbar mit dem Verlust von Haus und Hof. Es liegt an Trace, ihn aus der Sache wieder rauszuhauen (wortwörtlich) und ihm und Arlie die Flucht zu ermöglichen. Aber es dauert nicht lang, da geraten die Geretteten in die Fänge des Tyrannen Scourge [Joe Mari Avellana] und seiner Handlanger, wo sich Bo endgültig als feiger Kriecher entpuppt, der, um seine heile Haut zu retten, keine Skrupel hat, seine Geliebte dem Gegner zu überlassen. Abermals ist es also an Trace, der Fährte des Feindes zu folgen, um Arlie zu befreien. Dabei trifft er auf die Kopfgeldjägerin Stinger [Laura Banks], die ebenfalls hinter Scourge her ist.

Kritik:

Ab den 1980er Jahren drehte der philippinische Regisseur Cirio Hermoso Santiago bis in die frühen 1990er quasi am Fließband, um erst das Bahnhofskino, später auch die Videotheken mit leicht konsumierbarer Action-Ware zu beglücken. Nicht selten durfte dafür der Vietnam-Krieg als Spielwiese herhalten. Aber auch die Post-Apokalypse ließ sich mittels ein paar alter Steinbrüche und Kiesgruben immer ganz gut nachstellen. WHEELS OF FIRE gehört in letztere Kategorie - wobei man dieses Mal sogar so weit ging, sich jedwede Erklärung für den kargen Zustand der porträtierten Welt auszusparen. Warum liegt denn hier bitteschön alles in Trümmern? Nuklearexplosion? Naturkatastrophe? Michael-Wendler-Konzert? Man weiß es nicht! Nicht einmal die obligatorische Atompilzaufnahme zu Beginn wurde integriert. Somit könnte die Geschichte ebenso gut auf einem fremden Planeten spielen. Oder im Wilden Westen einer alternativen Zeitrechnung, in der die Hottehüs gegen schmauchende Benzin-Boliden ausgetauscht wurden. Eine gewisse Cowboy-Mentalität lässt sich jedenfalls nicht leugnen, wird hier doch hauptsächlich scharf geschossen und geschlagen – mal, um Recht zu brechen, mal, um es wiederherzustellen.

Vorbild der Veranstaltung war natürlich abermals der australische Meilenstein MAD MAX von 1979 mit Mel Gibson als frustriertem Motorrad-Cop auf ruppigem Rachefeldzug sowie dessen Fortsetzung, die nach dem endgültigen Zusammenbruch der Zivilisation spielt. Während die Blaupause allerdings nicht nur durch Kinetik und durchdachte Bildsprache besticht, sondern bei allem Spektakel auch eine sinnvoll arrangierte Dramaturgie besitzt, bemühten sich Santiago und Konsorten gar nicht erst und warfen irgendwie alles in den Topf, was gerade zur Verfügung stand. Eines kann man WHEELS OF FIRE somit ganz gewiss nicht vorwerfen: Ereignisarmut. Im Prinzip ist wirklich immer etwas los und trotz schmalem Budget bekommt der Action-Freund viel geboten: Kämpfe, Überfälle und Verfolgungen dominieren das Geschehen, tatkräftig unterstützt von Maschinengewehr, Handgranate und Flammenwerfer. Mitreißen kann das alles trotzdem nicht, weil es so spürbar leidenschaftslos kredenzt wurde und sich nicht zu einer schlüssigen Ereigniskette fügt.

Bereits der Beginn ist maximal banal: Der zentrale Konflikt besteht zunächst darin, dass der Held nicht mit dem neuen Lebensgefährten seiner Schwester einverstanden ist. Das ist Stoff für Seifenopern, nicht für archaische Sandepen, bei denen das Hauptanliegen aller Beteiligten stets die Sicherstellung des eigenen Überlebens sein sollte. Aber auch, nachdem das einleitende Problem abgehandelt ist, wird es nicht auffallend aufregender: Aufhänger für das ganze Rambazamba ist eine lausige Entführung – womit man sich in Sachen Dramatik auf dem Niveau einer x-beliebigen 1980er-Krimi-Serie befindet. Doch wenn ein Protagonist eine brauchbare Motivation zur Eskalation benötigt, ist die eigene Schwester in den Klauen eines skrupellosen Schurken natürlich immer gut. Joe Mari Avellana [→ TNT JACKSON] agiert als Antagonist Scourge zwar ganz passabel und ließ sich in Sachen Optik offenbar von den alten Samurai inspirieren. Viele Möglichkeiten zur Entfaltung bekam er allerdings nicht, zumal seine Ziele unerwähnt bleiben. Er ist einfach nur ein Bösewicht, der junge Frauen entführt und in Ketten legt, um sich an ihnen zu vergehen. Klar, das ist nicht nett. Aber für die Leinwand dann doch etwas lahm. Echte Kino-Schufte erledigen so etwas bereits vor dem zweiten Frühstück und fangen dann erst mit der eigentlichen Arbeit an.

Scourge gegenüber steht Trace, der Held der Story, gespielt von Gary Watkins [→ JOHNNY G.]. Dem steht zwar „Maskulinität“ auf der Stirn, aber leider eben nicht „Schauspieltalent“. Trotzdem kann Trace von Anfang an alles besser, trifft immer ins Schwarze und wird dadurch zu einer sehr langweiligen Figur. Wie sich Lynda Wiesmeier [→ WAS FÜR EIN GENIE] für ihre Rolle als Entführungsopfer qualifizierte, ist indes nicht schwer zu erraten. Darstellerische Kunstfertigkeit war es nicht. Dafür wird ihr das Privileg zuteil, gut zwei Drittel der Laufzeit oben ohne durch die Wüste wackeln zu dürfen. Bei der Hitze sicherlich sehr angenehm! Die zweite relevante Frauenfigur darf immerhin schon etwas resoluter auftreten: Laura Banks [→ STAR TREK II] gibt die taffe Kopfgeldjägerin, die sich mit Trace verbündet, da sie mit dem Oberunhold ebenfalls noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Dass sie dabei mit ihrem Pudel auf dem Kopf an TERMINATORs Heldin Sarah Connor erinnert, ist gewiss kein Zufall. Und dann ist da die junge Spike (Linda Grovenor [→ STIRB LACHEND]), die auch noch irgendwie mitmischt und nicht nur Gedanken lesen, sondern auch durch Berührung von Gegenständen erfühlen kann, wie es deren Besitzer geht. Das ist zwar toll, aber für die Handlung völlig irrelevant.

Profil besitzen diese mit heißer Drehbuchnadel gestrickten Pappkameraden alle nicht, weswegen einer uninteressanter wirkt als der andere. Dass am Skript dennoch ganze drei Personen herumgebastelt haben sollen, mag man da kaum glauben. „Zweckdienlich“ ist noch das positivste Wort, das einem dazu einfällt, hält es die einzelnen Wegstationen und Action-Szenen doch immerhin notdürftig zusammen. Interesse am Aufbau einer glaubwürdigen, geschweige denn interessanten Welt hatte man allerdings nicht. Das ist insofern bedauerlich, als dass gute Ansätze zumindest vorhanden sind. Über die hippieartige Kommune True Believers, die mitten in der Wüste eine Rakete baut, hätte man z. B. gern etwas mehr erfahren. Stattdessen ist sie einfach nur da, um den Helden als dekorative Zwischenstation zu dienen, bevor sie dann natürlich prompt überfallen wird. Oder über das Volk, das unter Tage haust und Menschen von der Oberfläche stibitzt, indem es sie einfach ins Erdreich zieht, und das von der deutschen Synchronisation doch allen Ernstes "Erdmännchen" genannt wird. Allerdings sind das keine katzenartigen Raubtierchen, sondern zombieartige Saufmumien mit ordentlich Sand in der Visage. Wie diese schwankenden Schreckgestalten es hingekommen haben, sich ein unterirdisches Höhlensystem inklusive diverser Hängebrücken zu erschaffen, das wäre auch ein Kapitel wert gewesen.

In produktionstechnischer Hinsicht braucht sich WHEELS OF FIRE dementsprechend ganz und gar nicht zu verkriechen, denn die Kulissen sind allesamt imposant und auch an vernünftiger Ausstattung mangelt es nicht. Das Team um Santiago hat mal wieder fröhlich den Fuhrpark geplündert und alle möglichen Karosserien organisiert, wobei auch vor Kanonengeschützen und Panzerfahrzeugen kein Halt gemacht wurde. Zudem gönnte man sich eine anständige Anzahl an Statisten, wodurch die Sache größer erscheint, als sie es eigentlich ist. Auf genreübliche Albernheiten hat man überwiegend verzichtet, obwohl das Flaggensymbol der Bösewichte schon ziemlich lustig ist: ein schlecht gelaunter Totenkopf mit Hörnern. Schön auch, dass zumindest einer aus der Schurkentruppe ständig mit nem Dreizack herumläuft. Wie praktisch so ein Ding wohl bei einer Schießerei sein mag? Und die behauptete Hochgeschwindigkeit bei den motorisierten Verfolgungsjagden wurde natürlich mal wieder durch Bildbeschleunigung realisiert, wozu Trace dann einfach so tut, als würde er nach hinten in den Sitz gepresst. Das sieht zwar nicht sonderlich überzeugend aus, aber immerhin musste er kein Erdbeben oder Ionensturm simulieren.

DIE SOLO-KAMPFMASCHINE, wie WHEELS OF FIRE in Deutschland extraknallig genannt wurde (allenfalls Die gnadenlose Solo-Kampfmaschine des grausamen Todes hätte noch prägnanter gewirkt) hat durchaus seine Qualitäten. Er ist gut gefilmt, bietet zum Teil tolle Locations und wartet beizeiten auch mit schönen Bildern (wie malerische Sonnenuntergänge) auf. Auch die Action ist reichlich und abwechslungsreich; Stunts und Explosionen geben sich ein wiederkehrendes Stelldichein. Die deutsche Sprachfassung entzückt dazu mit Beleidigungen wie: „Du Hängebauchschwein!“ Erstaunlich, dass er es trotzdem hinbekommt, bis zum Schluss völlig substanzlos zu bleiben. Die Figuren sind zu keiner Sekunde nahbar, es fehlt an Epik, Herz und Leidenschaft. Zurück bleibt Leere. Und während der Abspann läuft, hat man schon vergessen, worum es eigentlich ging. Wer unbedingt Endzeit von Santiago möchte, sollte sich daher eher an Traces Kollegen STRYKER wenden.

Laufzeit: 81 Min. / Freigabe: ungeprüft

Montag, 16. Dezember 2024

13 ASSASSINS


JÛSANNIN NO SHIKAKU
Japan, GB 2010

Regie:
Takashi Miike

Darsteller:
Kôji Yakusho,
Goro Inagaki,
Masachika Ichimura,
Yûsuke Iseya,
Tsuyoshi Ihara,
Takayuki Yamada,
Sôsuke Takaoka,
Kazuki Namioka



Inhalt:

Japan, 1844: Die Zeit der großen Kriege ist vorbei. Doch dem Land droht neues Unheil: Fürst Naritsugu [Goro Inagaki] soll nach dem bevorstehenden Tod seines Bruders den Thron besteigen. Das Problem: Der Mann ist ein ausgemachter Sadist, verstümmelt, vergewaltigt und mordet in unfassbarer Grausamkeit. Da er der Bruder des Shōguns ist, wird ihm Narrenfreiheit gewährt; sein Tun darf nicht infrage gestellt werden. Obwohl sein Leibwächter Hanbei [Masachika Ichimura] angewidert ist von der Unmenschlichkeit seines Vorgesetzten, hält er ihm die Treue, wie es die Tradition verlangt. Doch am Hof regt sich Widerstand: Der ehrwürdige Samurai Shimada [Kôji Yakusho] erhält den Auftrag, ein Tötungskommando zusammenzustellen, um den Fürsten zu ermorden. 13 Krieger sind es schließlich, welche planen, den Thronfolger während einer Reise durch das Land zu meucheln. Doch Hanbei bekommt von den Plänen Wind und versucht, seinen Gebieter mit aller Macht zu schützen. Als die Attentäter dem Fürsten schließlich in einem mit Fallen gespickten Dorf auflauern, sehen sie sich einer 200 Mann starken Armee gegenüber – der Beginn eines infernalen Massakers ...

Kritik:

Regisseur Takashi Miike erwarb sich mit Schockgranaten wie ICHI THE KILLER einen Ruf wie Donnerhall und kreierte gern alptraumhafte, teils verstörende Grenzüberschreitungen, die Kritik und Publikum nicht selten sprach- und ratlos zurückließen. In der zweiten Hälfte seiner Karriere jedoch wandte sich der einstige Leinwandschreck vermehrt auch massentauglicheren Projekten zu, die sich sogar auf renommierten Filmfestivals Lob einheimsen und Preise abstauben konnten. Wie 13 ASSASSINS, die Neuinterpretation eines gleichnamigen Samurai-Epos' aus dem Jahre 1962, die sich deutlich stärker an traditionelles Erzählkino anlehnt und die Enfant-terrible-Attitüde nahezu vollständig ad acta legt. Zwar finden sich auch hier zumindest im Ansatz „klassische“ Miike-Momente, aber im Gegensatz zu früheren Eskapaden, bei denen Gewalt und Grausamkeit größtenteils der Provokation dienten, besitzen sie hier eine klare narrative Funktion. Wenn die Leiche eines Mädchens gezeigt wird, die Extremitäten abgeschlagen, die Zunge herausgerissen und wie Müll auf die Straße geworfen, dann dient das nicht der Befriedigung voyeuristischer Niederungen, sondern der effektiven Bebilderung der Verworfenheit des Fürsten Naritsugu, was dem Betrachter die Notwendigkeit seiner Ermordung vor Augen führt. 13 ASSASSINS ist keine simple Zurschaustellung rüder Brutalitäten, sondern erzählt primär von komplexen moralischen Dilemmata und behandelt die philosophische Frage, inwieweit Gewalt im Dienste einer vermeintlich guten Sache legitimiert werden kann und darf.

Nicht selten kommen einem dabei die Werke Akira Kurosawas in den Sinn, allen voran der Klassiker DIE SIEBEN SAMURAI von 1954, der ebenfalls von einer Gruppe aufopferungsvoller Krieger erzählt, die sich einer scheinbar unüberwindbaren Übermacht entgegenstellen, bereit dafür, ihr eigenes Leben zu geben, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Auffallend an 13 ASSASSINS ist seine experimentelle Struktur, die mit einer Zweiteilung der Dramaturgie einhergeht. So gestaltet sich die erste Hälfte überwiegend ruhig, zeitweise fast schon meditativ. In aller Ruhe wird da die Ausgangssituation etabliert, werden die Figuren eingeführt und ihre Beweggründe nachvollziehbar gemacht. Bei der Gelegenheit wird auch nicht darauf verzichtet, den Antagonisten ausgiebig ins schlechte Licht zu rücken. Der jugendlich wirkende Naritsugu ist eine wahrlich verachtenswerte Kreatur an der Schwelle zum Wahnsinn, die teils aus Trieb, teils aus purer Lust und Langeweile schändet, tötet und terrorisiert. Mit der Unschuld eines Kindes und der Grausamkeit eines Tyrannen kommentiert der Thronfolger selbst das schlimmste Gemetzel noch mit einem infantil-entzückten „Großartig!“, bis man ihm die Pest höchstpersönlich an den Hals wünscht und regelrecht Stoßgebete gen Himmel schickt, das Tötungskommando möge doch bitte recht schnell ziemlich erfolgreich sein. Die zweite Hälfte stellt dann eine radikale Wende dar: In dramatischem Gegensatz zur bis dahin vorherrschenden Langsamkeit entfesselt Miike ein fast eine Stunde andauerndes, apokalyptisches Gemetzel, ein dreckiges Wühlen in Schlamm, Schweiß und Blut, bei dem wahrlich keine Gefangenen gemacht werden. Und obwohl es natürlich in erster Linie diese Eindrücke sind, die mit nach Hause genommen werden, wäre es ein Fehler, die Wucht des Werkes allein auf das infernale Finale zu beschränken.

Denn nur vordergründig wird hier die Geschichte eines Blutbads erzählt. Hinter all dem Hauen, Stechen und Sterben verbirgt sich ein tiefgründigerer Kommentar auf die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Japan des späten 19. Jahrhunderts. 13 ASSASSINS spielt in der Edo-Zeit (ca. 1615 - 1868), einer Ära weitgehender Stabilität, in der die Samurai keine klassischen Krieger mehr waren, sondern Teil eines streng geregelten, von Bürokratie geprägten Systems. Miike bietet einen authentisch anmutenden Einblick in eine Zeit, in der der traditionelle Samurai-Kodex, der jahrhundertelang die japanische Gesellschaft geprägt hatte, seinen letzten Atemzug tut. Seine Protagonisten sind keine Helden, sondern verzweifelte Männer, die in einer sich verändernden Welt keine Rolle mehr spielen. Ihre Ideale sind veraltet, ihre Ehre wurde durch die politischen Umwälzungen der Zeit untergraben, und sie selbst wirken in der damaligen modernen Gesellschaft überflüssig. Aus diesem Gefühl der Entwurzelung heraus gehen sie in den Tod, entschlossen, ein letztes Mal ihre Ehre zu verteidigen und eine letzte Heldentat zu vollbringen, die ihnen einen Platz in der Geschichte sichern soll. An der Absurdität blinden Gehorsams wird dabei kaum ein Zweifel gelassen. Entscheidend ist dabei die Figur des Leibwächters Hanbei, der von den Gräueltaten des Fürsten zwar ebenso angewidert ist wie alle anderen, sich aber dennoch blindlings, starr bewährter Tradition folgend und entgegen jeder menschlichen Vernunft, an die Aufgabe klammert, seinem Herren zu dienen und dessen Leben zur Not mit seinem eigenem zu beschützen. Dieser innere Zwiespalt, der tief im kulturellen Selbstverständnis Japans verwurzelt ist, verleiht 13 ASSASSINS eine psychologische Tiefe, die ihn weitaus vielschichtiger macht, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

13 ASSASSINS ist eine gelungene Frischzellenkur für das Samurai-Genre, die klassische Motive mit den Funktionalitäten des modernen Action-Kinos kreuzt und genügend Raum zur Reflexion lässt. Die japanische Originalfassung läuft direkt noch einmal 20 Minuten länger, angereichert mit ein wenig übernatürlichem Tamtam, den man dem westlichen Publikum wohl nicht auch noch aufhalsen wollte – vermutlich nicht ganz zu Unrecht, gefällt das Werk doch gerade durch seine Bodenständigkeit. Zu einem Klassiker reicht es freilich trotzdem nicht. Wohl aber zu einem facettenreichen Kunstwerk, das beweist, dass Action und Anspruch keine Konkurrenten sein müssen.

Laufzeit: 120 Min. / Freigabe: ab 16

Montag, 9. Dezember 2024

DER SHOGUN UND SEIN SAMURAI


SANADA YUKIMURA NO BORYAKU
Japan 1979

Regie:
Sadao Nakajima

Darsteller:
Hiroki Matsukata,
Kinnosuke Yorozuya,
Minori Terada,
Teruhiko Aoi,
Hiroyuki Sanada,
Chiezô Kataoka,
Midori Hagio,
Tatsuo Umemiya



Inhalt:

17. Jahrhundert: Nach der Schlacht von Sekigahara ist Fürst Tokogawa Ieyasu [Kinnosuke Yorozuya] der mächtigste Mann Japans. Das von ihm installierte Shōgunat agiert als unantastbare Zentralregierung, der sich alle Fürstentümer unterwerfen müssen. Widerstand gegen die Herrschaft regt sich u. a. im Clan der Toyotomi, der auf Burg Ōsaka residiert. Zu den Vasallen Toyotomis gehört auch die Familie Sanada. Als deren Oberhaupt Masayuki [Chiezô Kataoka] einem Mordanschlag Tokogawas zum Opfer fällt, läuft dessen Sohn Nobuyuki [Tatsuo Umemiya] zu Tokogawa über. Sein Bruder Yukimura [Hiroki Matsukata] jedoch, motiviert auch durch den Freitod seiner Frau Aya [Midori Hagio], strebt nach Vergeltung und rekrutiert aus arbeitslosen Schwertkämpfern und heimatlosen Ninjas eine Gruppe von Rebellen.

Kritik:

SHOGUN ASSASSINS beginnt im Weltraum. Aus allerlei astralen Blitz- und Lichteffekten formiert sich final ein seltsamer, rot glühender Brocken, der kurz darauf Kurs auf die Erde nimmt – genauer gesagt in Richtung von Schloss Nagoya, wo zu diesem Zeitpunkt Fürst Tokogawa Ieyasu verweilt, um sich bei Sushi und Sake von seinen Gefolgsleuten Honig ums Maul schmieren zu lassen. Den Tumult, den das Auftauchen des Himmelskörpers verursacht, nutzt ein vermummter Attentäter, um sich ins Schloss zu schleichen, mit dem Ziel, Tokogawa des Nachts einen Kopf kürzer zu machen – ein Plan, der zu gelingen scheint: Just, als das geheimnisvolle Gestirn auf der Erde aufschlägt, bekommt der schlafende Shōgun die Klinge eines scharfen Schwerts zu spüren. Dessen Besitzer ist Kirigakure Saizō [Minori Terada], einer der Gefolgsleute der vom Fürsten verstoßenen Sanada-Familie, der am Folgetag herausfinden muss, dass er getäuscht wurde und lediglich einen Doppelgänger getötet hat. Tokogawa ist weiterhin Alleinherrscher über Japan und der Kampf geht weiter.

Dieser ungewöhnliche Auftakt, bei dessen ersten Bildern man sich fragt, ob man sich buchstäblich im falschen Film befindet und zufällig bei so etwas wie STERNENKRIEG IM WELTALL gelandet ist, steht exemplarisch für die experimentelle Attitüde des Werks, das nicht nur verschiedene Genres kreuzt, sondern dem Publikum auch eine wilde Mixtur aus historischen Fakten und heißblütiger Fiktion serviert. Denn während Shōgun Tokogawa Ieyasu, sein Widersacher Sanada Yukimura und auch viele andere Figuren tatsächlich existierten, ist der Ninja Kirigakure Saizō eine reine Sagengestalt, die seit Urzeiten in unterschiedlichen Interpretationen durch die japanische Popkultur geistert. SHOGUN ASSASSINS ist am Ende mehr Fantasy als Geschichtsstunde und kokettiert damit auch sehr offenherzig. Regisseur und Co-Autor Sadao Nakajima [→ OKINAWA YAKUZA WAR] webt aus Wahrheit und Folklore die spinnerte Fabel einer Widerstandsgruppe, an deren Spitze der von Rache und Trauer getriebene Samurai Sanada Yukimura steht.

Einer seiner Rekruten ist Sasuke Sarutobi, ebenfalls eine legendäre, vor allem in Mangas und Animes immer wieder gern verwendete fiktive Figur, die für gemeinhin als Superhelden-Ninja beschrieben wird und auch hier tüchtig vom Leder ziehen darf: Sasuke kann Wirbelstürme heraufbeschwören, sich in Feuerbälle verwandeln und durch kreiselartige Drehbewegungen vom Boden abheben, um seine Gegner in der Luft zu verwemsen. Warum er das nicht immer macht, um seiner Truppe zum Sieg zu verhelfen, sondern mit seinen Fähigkeiten unnötig haushält, ist eine offensichtliche Schwäche des Drehbuchs, das man diesbezüglich besser nicht auf Nachvollziehbarkeit abklopft. Im Großen und Ganzen ziehen Sanada und seine Mannen nämlich doch sehr weltlich gegen den Feind zu Felde: mit Kanonen, Schwertern und Sprengstoff. In einem der besten Momente leiten die Rebellen Öl in einen Bach, der am Munitionslager Tokogawas vorbeifließt, um es dann zu entzünden, was in einem visuell aparten Flammenmeer mündet, das zahlreiche Miniaturbauten eindrucksvoll in Mitleidenschaft zieht.

Action-Attraktionen wie diese sind in den satten zweieinhalb Stunden Laufzeit allerdings eher rar gesät. Viel Raum bekommt dafür der Dialog, der Konflikte und Interessen der einzelnen Parteien nachvollziehbar machen soll. Das geht freilich nicht immer ganz so locker runter wie das Öl, das erfolgreich das feindliche Lager infiltriert, sondern gestaltet sich bisweilen etwas zäh, da allein schon die Personaldichte dezent überfordernd wirkt: Unzählige Charaktere werden per Texteinblendung vorgestellt, aber sich zu merken, wer jetzt welchen Namen trägt und welchen Rang er bekleidet, ist schon eine ziemliche Mammutaufgabe. Viele der zwischenmenschlichen Zwiespälte sind zudem eng verwoben mit Epoche und Kultur, was das Begreifen diverser Krisenherde nicht unbedingt erleichtert. Es ist erstaunlich, wie bodenständig und authentisch SHOGUN ASSASSINS dadurch wirkt, zumal überraschend viel auf tatsächlichen Begebenheiten beruht. So unterdrückte der echte Tokogawa Ieyasu mit aller Gewalt das Praktizieren des Christentums, hier portraitiert am Beispiel der koreanischen Christin Julia Ota [Yôko Akino], die ebenfalls wirklich existierte und von Tokugawa ins Exil geschickt wurde. Und wie in der Realität geschehen, findet Tokugawa auch hier einen fadenscheinigen Grund (eine angebliche Beleidigung als Inschrift auf einer Glocke), um die Verbliebenen des Toyotomi-Clans anzugreifen und die Machtverhältnisse zu klären.

Akkurates Historienkino ist SHOGUN ASSASSINS dennoch nicht – und das nicht nur, weil der geschichtlich verbürgte Ausgang der Ereignisse zum Finale ohne Not neu gedichtet wird. Die Historie dient als Basis für eine Vermengung mit Mythologien, Fabeln und Esoterik, wobei der bierernste, bodenständige Duktus niemals verlassen wird. Da können dann auch ohne Probleme mal Ninja-Nonnen das Parkett betreten, ohne dass es auffallend albern wirkt. „Wir wurden Ninja-Nonnen“, erklärt die Mutter Oberin da ganz gewichtig, „die im ganzen Land ihre Körper gegen Informationen verkauften.“ Ja, in der Tat: Es sind Ninja-Nonnen-Nutten! Und dass der Shōgun-Armee halluzinogene Drogen in die Getränke gemischt wurde, woraufhin diese während der Schlacht nen totalen Film schiebt, ist nun ganz gewiss ebenso wenig überliefert wie der Umstand, dass sich der letzte Überlebende am Ende in einen Felsbrocken verwandelt und ins Weltall fliegt.

Wer die deutsche Fassung von SHOGUN ASSASSINS gesehen hat, der reibt sich ob dieser Worte vermutlich verwundert die Augen. Weltall? Drogen? Meteore? Überlänge? Was? Verständlich, denn was in Deutschland als DER SHOGUN UND SEIN SAMURAI ankam, ließ sage und schreibe 70 Minuten Material vermissen. Die Überbleibsel des Ganzen kann man gepflegt in der Pfeife rauchen. In einem Affenzahn wird da von Szene zu Szene gesprungen; die ausführlichen Vorstellungen der einzelnen Widerstandskämpfer, die im Original alle eine einleitende Episode spendiert bekamen, fehlen ebenso, wie jedwede Anspielung auf magische oder esoterische Elemente, wodurch auch fast alle der tollen visuellen Effekte gnadenlos eliminiert wurden. Komplexere Sachverhalte hat man ebenfalls ohne Rücksicht auf Verluste herausgeschnitten und/oder wegsynchronisiert, bis von der ursprünglichen Idee wirklich rein gar nichts mehr übrig war. Da nutzen auch die professionellen Stimmen (wie Elmar Wepper oder Christian Tramitz) nichts mehr. Aus dem experimentellen Epos wurde ein zusammenhangloses Fragment, das das eigentliche Werk nicht einmal mehr erahnen lässt.

Die unangetastete Version hingegen ist fraglos einen Blick wert. Nicht ohne Längen und zwischenzeitlich wohl etwas arg verlabert und schwerfällig erzählt, sticht SHOGUN ASSASSINS aufgrund seiner Verschrobenheit und seines visuellen Einfallsreichtums doch sehr angenehm aus der Masse heraus. Und wer genau aufpasst, erkennt als einen der Ninja-Rebellen den Schauspieler Hiroyuki Sanada, dem später eine beachtliche Hollywood-Karriere zuteilwurde. Interessantes Detail: Gut 45 Jahre später spielte Sanada in der Serie SHOGUN den Fürsten Toranaga – dessen reales Vorbild Tokogawa Ieyasu war. Hiroyuki Sanada jagt hier also quasi sein zukünftiges Selbst. Da ist sie wieder, die Esoterik.

Laufzeit: 148 Min. / Freigabe: ungeprüft