Eigene Forschungen

Freitag, 30. August 2013

EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN


UN DOLLARO TRA I DENTI
Italien 1966

Regie:
Luigi Vanzi

Darsteller:
Tony Anthony,
Frank Wolff,
Gia Sandri,
Raf Baldassarre,
Jolanda Modio,
Aldo Berti,
Enrico Cappellini,
Arturo Corso



„Was für ein Mann bin ich?“


Inhalt:

Ein Fremder [Tony Anthony] reitet in das karge Städtchen Cerro Gordo. Dort wird er Zeuge, wie die Schurkenbande unter der Führung des gefürchteten Gesetzlosen Aguilar [Frank Wolff] ein ganzes Bataillon mexikanischer Soldaten auslöscht. Der Grund: Aguilar und seine Männer wollen sich selbst als die Armeebediensteten ausgeben. Abgesandte der amerikanischen Kavallerie sind nämlich auf dem Weg, um dem mexikanischen Militär zwei Säcke voller Gold auszuhändigen. Der Fremde errät den Plan und klinkt sich in das Unternehmen ein. Doch als er seinen Anteil verlangt, ist es mit der Gastfreundschaft Aguilars zu Ende: Lediglich eine Dollarmünze überlässt er ihm als Belohnung, bevor er ihn brutal zusammenschlagen lässt. Doch der Fremde kann entkommen und hat jetzt nur noch ein einziges Ziel: das gesamte Gold ...

Kritik:

Das kleine Wörtchen 'Dollar' im Titel ist kein Zufall: EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN erinnert von Thema, Atmosphäre und Schauplatz her doch auffallend an den damals erst zwei Jahre zurückliegenden Sensationserfolg FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR, welcher Kinogeschichte schrieb und das Bild des Italo-Westerns entscheidend mitprägte. Hier wie dort reitet ein namenloser Fremder in ein kleines Western-Kaff, spricht kaum ein Wort, legt sich mit einer Schurkenbande an und erweist sich im Schusswechsel als unbezwingbar, um am Ende schließlich als Sieger wieder aus der Stadt zu reiten. Nur heißt der fremde Pistolero hier nicht etwa Clint Eastwood, sondern Tony Anthony. Dieser besitzt zwar einen ähnlichen Poncho wie sein großes Vorbild, aber bei weitem nicht dessen Coolness. Dabei gibt sich Anthony durchaus Mühe, es dem Original bestmöglich nachzueifern: Nicht nur sein Kleidungsstil, auch die verkniffene Miene und die Einsilbigkeit gehören zu den eindeutig kopierten Mechanismen des 'Fremden'. Die deutsche Fassung setzte dem Imitat dann noch die Krone auf, indem sie ihm gar dieselbe Synchronstimme verpasste. Doch im Vergleich zu Eastwood wirkt Anthony doch immer etwas zu schwachbrüstig, um ihm seine Überlegenheit so ohne weiteres abzukaufen. Wenn er die bösen Buben niederschlägt, dann befürchtet man im ersten Augenblick eher, er habe sich dabei die Hand gebrochen, als dass man tatsächlich erwarten würde, dass die Getroffenen betäubt zu Boden sinken.

Auch inhaltlich wandelt A STRANGER IN TOWN (englischer Titel) auf wohlbekannten Pfaden. Bereits nach wenigen Minuten sind die Seiten klar abgesteckt: Auf der einen die Bösen in Gestalt der verkleideten Schurkenbande Aguilars, auf der anderen der Gute (oder besser gesagt: der etwas weniger Böse, immerhin ist dies ein Italo-Western) in der Gestalt Tony Anthonys, der seinen Gegnern zumindest intellektuell haushoch überlegen ist und dessen Kugeln vermutlich ferngesteuert durch die Gegend fliegen, treffen sie ihr Ziel doch immer haargenau. Was sich daraus ergibt, ist ein gewalthaltiges Katz-und-Maus-Spiel, bei welchem mal die eine, mal die andere Partei die Oberhand gewinnt. EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN folgt somit überwiegend der narrativen Schablone des großen Vorbilds: Der Fremde gibt sich zunächst als Verbündeter der Banditen aus und hilft ihnen sogar dabei, ihren Coup durchzuziehen. Erst, als er im Anschluss von ihnen erwartungsgemäß aufs Kreuz gelegt und um seinen Anteil betrogen wird, beginnt er einen verlustreichen Feldzug. Aufgrund seiner Schießkunst und Schläue hat er dabei quasi auf Anhieb die besseren Karten als die primitive Gaunerbande, die zur Erlangung ihrer Ziele lediglich auf rohe Gewalt zu setzen vermag. Doch auch trotz seiner Überlegenheit muss der Fremde herbe Rückschläge einstecken, wird gefoltert und scheint fast besiegt, bevor er im Finale dennoch triumphieren kann.

Das ist natürlich alles nicht atemberaubend originell und letztendlich nur die zu Grunde liegende Blaupause jeder Heldenstory, die hier eigentlich kaum großartig variiert wurde. Dass EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN dennoch ein gelungenes Unterhaltungsprogramm bietet, liegt, neben der versierten Regie Luigi Vanzis, vor allem an den liebgewonnen Ingredienzien des klassischen Italo-Westerns, welche hier, aufgrund des recht frühen Produktionsjahrs, noch erfreulich frisch und unabgenutzt wirken: das ungastliche Städtchen, durch das unaufhörlich der Wind pfeift, die kargen Landschaften, die eine trostlose Einsamkeit vermitteln, die unersättliche Gier nach Gold, die nur das Schlechteste im Menschen hervorruft, und nicht zuletzt die ruppige Gewaltdarstellung, die rein gar nichts mehr mit dem klinischen Glanz früherer amerikanischer Western gemein hat.

Im Gegensatz zu FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR fehlt es dabei allerdings etwas an inhaltlicher Dichte. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich Clint Eastwood seinerzeit mit gleich zwei Gangsterbanden herumschlug, während es Tony Anthony hier nur mit einer einzigen zu tun bekommt. Da sich diese auch nicht gerade durch übermäßige Pfiffigkeit auszeichnet, verkommt EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN im Mittelteil zeitweise zu einem simplen Versteckspiel, in welchem der Fremde lediglich durch Höhlen und Häuser kriecht, während seine Häscher erst dann wieder zur Jagd blasen, wenn ein weiteres Mitglied ihrer Truppe in den Staub gebissen hat. Chronologisch will dabei manches nicht so recht zusammenpassen: Da plant Aguilar die Dorfschönheit zwangszubegatten, was der Fremde lobenswerterweise verhindern möchte. So schleicht er durch das Gebäude, hinterlässt dabei eine Spur aus Schießpulver, wird beinahe entdeckt, versteckt sich, schlägt seinen Beinahe-Entdecker nieder, geht wieder in Deckung und entzündet schließlich die hinterlegte Spur, um das Dynamitlager in die Luft zu jagen. Und obwohl man während all dieser Zeit locker ein ganzes Frauenhaus hätte vernaschen können, hat sich Aguilar in der Zwischenzeit noch nicht einmal die Schuhe ausgezogen.

Auch an anderen Stellen gibt es durchaus mal kleinere Schönheitsfehler: Dass die Soldaten zu Beginn z. B. alle brav stehenbleiben, um sich über den Haufen schießen zu lassen, erscheint ein wenig merkwürdig. Auch an Blutpäckchen hat man offenbar gespart, immerhin hinterlässt das erwähnte Massaker nicht einen einzigen sichtbaren Kratzer auf dem schnieken Unterhemd. Zudem hat der Fremde die meiste Zeit mehr Glück als Verstand, da seine Gegner selbst aus nächster Nähe vielleicht gerade mal den Türrahmen treffen, in welchem er sich befindet. Sinnlos zu erwähnen, dass seine Kontrahenten meist schon am Boden liegen, bevor er überhaupt den Abzug betätigt hat. Doch solch liebenswerte Unzulänglichkeiten gehören auch einfach zu einem zünftigen B-Kracher, zumal EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN im Gegenzug mit so manch großartigem Moment aufwarten kann: So kann man sich eines Schmunzelns kaum erwehren, wenn der Fremde zunächst seine Schritte auf der Veranda abzählt, um dann später hinter der Ecke kauernd die Schritte seines Widersachers zu zählen und genau zu wissen, wann er feuern muss. Auch, wenn er sich im Anschluss unter den Bodendielen versteckt und seine Gegner zunächst mit Geräuschen und Bewegungen verunsichert, bevor er sie in seine Flinte laufen lässt, erntet das einen gehörigen Lacherfolg.

Die Gewaltdarstellung schockiert dabei aus zeitlicher Distanz freilich längst nicht mehr so sehr wie noch im Erscheinungsjahr, doch vor allem die Zynismen des Schurken Aguilar sind von unvergänglicher Boshaftigkeit: Nach dem kaltblütigen Niedermähen einer ganzen Armee schreckt er auch nicht davor zurück, einen Säugling mit dem Messer zu bedrohen, um aus dessen Mutter eine benötigte Information herauszukitzeln, lässt sich vor jeder Missetat jedoch immer wieder von seinem Handlanger Marinero (gespielt von Aldo Berti [→ ESCONDIDO]) bestätigen, dass er ein gerechter Mann sei. Das ist schon starker Tobak und macht Aguilar zu einem enorm verachtenswerten Vertreter seiner Zunft. Der viel zu früh verstorbene Frank Wolff [→ GOTT VERGIBT – DJANGO NIE!], welcher diesem sein markantes Gesicht leiht, ist als Darsteller hassenswerter Bösewicht ohnehin eine Bank. Seine schauspielerischen Qualitäten kann er hier allerdings kaum unter Beweis stellen, seine Rolle ist dafür schlichtweg zu eindimensional geraten. Im Gegenzug jedoch darf er hier nach Herzenslust böse sein, um immer dann, wenn er sich nicht mehr hinter seinem Maschinengewehr verstecken kann, zum erbärmlichen Jammerlappen zu mutieren.

Ungewöhnlich ist, dass sich hier auch eine Frau zu den Schurken zählen und als solchen ebenfalls gehörig austeilen darf: Gia Sandri [→ SCHNELLER ALS 1000 COLTS] spielt Maruca, welche dem Fremden bei seiner Ankunft zunächst nur die Blumenvase entgegenschleudert (nicht ganz zu Unrecht, immerhin beobachtet er sie beim Einkleiden), ihm später jedoch mit inbrünstiger Leidenschaft die Peitsche ins Gesicht knallt (obwohl sie in Wahrheit natürlich total rattig auf ihn ist). Die zweite größere Frauenrolle ging an die hübsche Jolanda Modio [→ VON ANGESICHT ZU ANGESICHT], die als hilfebedürftige Chica das klassische Opfer spielen und einige Male aufgescheucht aus der Wäsche gucken darf.

Und Tony Anthony? Der hat mit der Figur des schweigsamen Westernhelden offenbar die Rolle seines Lebens gefunden, so dass er nachfolgend eigentlich kaum noch etwas anderes spielte und diesem Typus fast bis zum Schluss treu blieb - was seinen Höhepunkt erreichte, als er in BLINDMAN nicht nur schweigsam sein durfte, sondern auch noch blind. Obwohl sich seine Darstellung, wie mehrfach erwähnt, mit den ganz Großen nicht messen kann, verleiht er der klassischen Figur des unnahbaren Revolvermannes doch etwas ganz Eigenes, eine eigenartig liebenswerte Tapsigkeit, die ihn aus der Masse hervorhebt.

Komponist Benedetto Ghiglia [→ HÖLLENJAGD AUF HEISSE WARE] spendierte dem Fremden dazu ein eingängiges Titelthema, welches allerdings ein wenig zu häufig wiederholt wird und einem daher irgendwann doch auf die Nerven fällt. Die restliche Musikuntermalung geriet eher trist und lässt große Melodien, eigentlich eines der Steckenpferde des Genres, schmerzlich vermissen.

Die ständigen Vergleiche mit FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR muss sich EIN DOLLAR ZWISCHEN DEN ZÄHNEN schlichtweg gefallen lassen – zeitlich zu nah sind sich beide Werke und zu ähnlich sind Konzept und Umsetzung. Doch holt man Vanzis kompetent umgesetzte Spaghetti-Sause aus dem Schatten Sergio Leones, dann kommt dabei ungemein passable Unterhaltung zum Vorschein. Auch dem Publikum schien das ausreichend gefallen zu haben, durfte der Fremde im Anschluss doch noch zwei weitere Male in die Stadt reiten.

Kein Grund zum Zähneknirschen. 

Laufzeit: 83 Min. / Freigabe: ab 16

Dienstag, 27. August 2013

TEPEPA


TEPEPA
Italien, Spanien 1969

Regie:
Giulio Petroni

Darsteller:
Tomas Milian,
John Steiner,
Orson Welles,
Luciano Casamonica,
Ángel Ortiz,
Annamaria Lanciaprima,
José Torres,
George Wang



„Liebst du Mexiko?“


Inhalt:

Tepepa [Tomas Milian] ist zum Tode verurteilt. Der freiheitsliebende Mexikaner war einer der Anführer der Revolution, die vermeintlich gewonnen wurde. Doch nach scheinbar erfolgtem Sieg ist die Armee doch bald wieder an der Macht und der erzkonservative Obert Cascorro [Orson Welles] arbeitet daran, die prärevolutionären Verhältnisse wiederherzustellen. Mit der Hinrichtung Tepepas, eines der wichtigsten Männer des Widerstandes, soll ein Exempel statuiert werden. Francisco Madero, der ehemalige Revolutionsführer, hat sich mit dem Militär verbündet und das Todesurteil seines ehemaligen Gefolgsgenossen selbst unterschrieben. Tepepa blickt bereits in die Gewehrmündungen, da fährt ein Auto vorbei. Am Steuer sitzt Dr. Henry Price [John Steiner]. Er entführt Tepepa und rettet ihm das Leben. Doch Price ist nicht etwa ein Sympathisant, wie Tepepa zunächst glaubt: Er meint, in Tepepa den Vergewaltiger seiner Verlobten zu erkennen und will ihm persönlich das Licht auspusten. Mit Müh und Not kann Tepepa ihn davon überzeugen, dass er sich irrt. Es folgt eine schrittweise Annährung beiden Parteien und schließlich wird Price sein Verbündeter im erneuten Kampf gegen die Unterdrückung.

Kritik:

Bei der Masse genießt der Italo-Western – vorausgesetzt, es steht nicht zufällig der Name Sergio Leone darauf – die Reputation des billig produzierten, bleihaltigen Spektakels, das Leiche über Leiche stapelt. Dieser Ruf kommt nicht von ungefähr, wurde die deutliche Mehrzahl dieses Subgenres doch tatsächlich mit eher beschränkten finanziellen Mitteln umgesetzt, während auf inhaltlicher Ebene das meist zu Grunde liegende Rachethema lediglich rudimentär variiert wurde. Dass es sich dennoch lohnt, den Blick zu schärfen, um in der Menge an Material das ein oder andere Glanzlicht zu entdecken (was natürlich nicht bedeuten soll, dass preiswerte Dutzendware zwangsläufig schlecht sein muss), beweist Regisseur Giulio Petroni mit seinem im Jahre 1969 entstandenen TEPEPA. Vor dem explosiven Hintergrund der mexikanischen Revolution entwirft Petroni eine penibel durchdachte politische Parabel, die ihr Hauptaugenmerk nicht auf Action und Sadismus legt, sondern auf eine differenzierte, mit bitterem Humor gespickte Auseinandersetzung mit den Themen Staat, Freiheit und Unterdrückung. Wer nun sperrige Intellektuellenkost erwartet, der sei mit dem Hinweis beruhigt, dass TEPEPA dennoch durchgehend packende Unterhaltung bietet und trotz Actionarmut bis zum überraschenden Ende zu fesseln vermag.

Dabei resultiert die vibrierende Spannung TEPEPAs weniger aus einer aufregenden Story, sondern vielmehr aus dem ambivalenten Verhältnis der Charaktere zueinander. Bereits die Ausgangssituation stellt diesbezüglich die Weichen: Der undurchsichtige Henry Price erscheint zunächst als Verbündeter der Titelfigur Tepepa, als er diesem das Leben rettet. Doch dann wird klar, dass er ihm lediglich geholfen hat, um ihn selbst umzubringen, da er ihn für einen Vergewaltiger hält. Erst, nachdem Tepepa ihn von seinem Irrtum überzeugen kann, wird er nach und nach tatsächlich zu dessen Verbündeten und schließt sich zunächst zaghaft, dann immer leidenschaftlicher der Widerstandsbewegung an. Dieser bereits wunderbar doppelbödige Beginn ist Wegbereiter für die folgenden Ereignisse, die geprägt sind von einem Wechselbad aus gegenseitigem Argwohn und Vertrauen, Hass und Respekt, Verachtung und Bewunderung. Verschiedene Figuren verfolgen verschiedene Interessen, und ihr Aufeinandertreffen sorgt für eine gehörige Portion Zündstoff und ein beständiges unterschwellig-bedrohliches Brodeln. Bedeutend dabei ist, dass das Verhalten der einzelnen Charaktere, selbst das des so unsympathischen Polizeichefs Cascorro, jederzeit nachvollziehbar bleibt und Verständnis ernten kann. Auf das klassische Gut-Böse-Schema wurde hier nahezu vollkommen verzichtet.

Auch begeht TEPEPA nicht etwa den Fehler, seine Titelfigur zum strahlenden, moralisch einwandfrei agierenden Helden zu stilisieren, wie man anfangs noch glauben könnte, sondern zeichnet ihn mit zunehmender Laufzeit als einen erschreckend naiven Charakter, dessen moralischer Kompass sehr ungenau justiert wurde. Zwar fehlt es ihm nicht an vordergründigem Selbstbewusstsein und Charisma (womit er nicht nur seine Leute zu blenden versteht), wohl aber am nötigen Intellekt, um sowohl Schwere als auch Folgen seiner Taten korrekt einschätzen zu können. Aus dem anfänglichen Idol wird so nach und nach ein eher bemitleidens-, zeitweise sogar verachtenswerter Tropf, für dessen simples Gemüt man schließlich nur noch Abscheu empfinden kann. Regisseur Giulio Petroni [→ PROVIDENZA] war es somit nicht etwa daran gelegen, lediglich ein simples Revolutionsspektakel darzubieten, welches die Bürgerrevolte einer kritiklosen Glorifizierung unterwirft. Das kluge Drehbuch aus der Feder Ivan Della Meas und Franco Solinas' interessiert sich vielmehr für das Wesen der Revolution, für ihre Macht der Verführung und Manipulation und für die Folgen, die falsch verstandener Freiheitsdrang mit sich bringen kann. Die Figuren sind Sinnbilder, ihr Handeln ist exemplarisch: Als Tepepa einen älteren Mann unter Anklage des Verrats hinrichtet, empfindet dessen Sohn nicht etwa Hass gegen den Mörder seines Vaters, was die natürliche und einzig logische Reaktion wäre, sondern akzeptiert die Tat stillschweigend als Notwendigkeit und unterstützt Tepepa nachfolgend sogar noch durch den Kauf von Feuerwaffen. Solche und ähnliche Momente sind in TEPEPA keine Seltenheit und veranschaulichen eindrucksvoll, wie sehr sich Verhalten und Einstellungen der Protagonisten bereits von der ‚normalen‘ Welt entfernt haben.

Tomas Milian [→ VON ANGESICHT ZU ANGESICHT] in der Titelrolle zu besetzen war die wohl beste Entscheidung der Macher, und es ist kaum anzunehmen, dass TEPEPA mit einem anderen Hauptdarsteller ebenfalls so gut funktioniert hätte. Milian war damals bereits einer der beliebtesten Darsteller Italiens und hat mit seinem spitzbübischen Charme und seiner Ausstrahlung die Publikumsgunst auf Anhieb auf seiner Seite. Gleichzeitig ist der gebürtige Kubaner jedoch auch ein hervorragender Schauspieler, der seine Rollen, falls nötig, mit der nötigen Tiefe auszustatten versteht. Der Wandel Tepepas von der Sympathiefigur zum wenn auch nicht ‚bösen‘ so doch zumindest zwielichtigen Charakter, geschieht somit ebenso unerwartet wie glaubwürdig. Ihm gegenüber steht ein fabelhaft besetzter Orson Welles [→ IM ZEICHEN DES BÖSEN], der als erzkonservativer Polizeichef Cascorro ebenfalls voll und ganz überzeugen kann. Mit scheinbar stoischer Gelassenheit versprüht er eine enorm autoritäre Aura, beunruhigend wie respekteinflößend zugleich. Und doch ist auch seine Figur nicht einfach nur der oberflächliche Schurke: In einer Szene erinnert er sich an den Kampf gegen die Aufständischen. Mit nachdenklicher Miene und fernem Blick berichtet er, wie Tepepa, der von Cascorros Befehl, ihn zu verschonen, nichts ahnte, ihm ohne jede Angst vor dem Tod entgegenrannte – eine großartig gespielte Momentaufnahme, die verdeutlicht, dass Cascorro, obwohl er Tepepas Feind ist, doch Bewunderung empfindet für diesen von seinen Idealen vollkommen überzeugten Mann. Denn ebenso wie Tepepa, sieht sich auch Cascorro als Patriot, dessen Ziel, die alten Verhältnisse wiederherzustellen, für ihn jedes Mittel legitimiert. John Steiner [→ EIN TURBO RÄUMT DEN HIGHWAY AUF] macht seinem Namen derweil alle Ehre und verkörpert seinen Dr. Henry Price mit tadellos versteinertem Gesichtsausdruck, was die Undurchsichtigkeit der Figur blendend unterstreicht. Nach seiner spektakulären Rettungsaktion zu Beginn, nimmt er lange Zeit eine eher passive Rolle ein, bevor er sich am Ende als eine der wichtigsten Figuren TEPEPAs herauskristallisiert. Den ständigen Zwiespalt zwischen persönlicher Überzeugung und zerreißenden Emotionen spielt Steiner sehr eindrucksvoll, seine tadellose Leistung ergänzt die Darbietungen seiner Schauspielkollegen nahezu perfekt.

Grundsätzlich charaktergetrieben, fährt TEPEPA im Finale zur explosiven Hochform auf und bietet eine äußerst versiert in Szene gesetzte Actionsequenz, in der es auch ordentlich knallen darf. Doch trotz gelegentlich durchaus vorhandenen Feuerzaubers bleibt das Werk in erster Linie eine scharfsinnige Abhandlung über politische Verhältnisse, Macht und Ohnmacht, Staat und Volk. Eingehüllt in das wiederholt wunderbare Klangkleid Ennio Morricones [→ TOP JOB], präsentiert Petroni seine Analyse jedoch nicht als schwerfällig verkopftes Intellektuellenstück, sondern als sympathisch unaufdringlichen Nebeneffekt großartigen Unterhaltungskinos. TEPEPA gelingt somit das Kunststück, sowohl die feingeistige als auch die frugale Natur gleichermaßen zu beglücken. Das bestürzende Ende schließlich sitzt wie ein Keulenhieb und untermauert mit bleibendem Nachdruck nochmals die radikale Botschaft. Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder. Und Freunde packender Italo-Western fressen TEPEPA.

Laufzeit: 136 Min. / Freigabe: ab 16

Dienstag, 20. August 2013

BODYGUARDS AND ASSASSINS


SHI YUE WEI CHENG
China 2009

Regie:
Teddy Chan

Darsteller:
Donnie Yen,
Leon Lai,
Tony Leung Ka-Fai,
Nicholas Tse,
Eric Tsang,
Simon Yam,
Fan Bingbing,
Jacky Cheung



Inhalt:

„Demokratie ist die Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk.“

So zitiert Professor Yang Quyun [Jacky Cheung], Gegner der Qing-Dynastie und Anführer der Revive China Society, die berühmten Worte Abraham Lincolns. „Werden wir dieses Ideal auch in China verwirklichen?“, fragt eine Zuhörerin. „Ich bin mir ganz sicher: Dieser Tag wird kommen“, antwortet Yang. Dann spaltet ihm eine Kugel den Schädel.

Im Jahre 1905 steht das Kaiserreich China kurz vor dem Zusammenbruch. Die Intellektuellen wenden sich westlichen Ideen zu und kokettieren mit einem demokratischen Staat. Dr. Sun Yat-Sen [Zhang Han-Yu] ist einer der bedeutendsten Anführer der Widerstandsbewegung gegen die unterjochende Qing-Dynastie. Als er ankündigt, aus dem Exil zurück ins Land zu reisen, befiehlt Kaiserin Cixi [Lau Kwong-Ning] seinen Tod. Der Attentäter Yan Xiao-Guo [Hu Jun] soll das Urteil vollstrecken. Der Revolutionär Prof. Chen Xiaobai [Tony Leung] will Sun Yat-Sen zusammen mit General Fang Tian [Simon Yam] beschützen. Doch ihre Einheit wird verraten und vernichtend geschlagen. Polizeichef Shi [Eric Tsang] beugt sich dem britischen Druck und hält sich heraus. Doch Prof. Chen denkt nicht ans Aufgeben und formiert innerhalb von fünf Tagen eine neue Widerstandsgruppe. Der Geschäftsmann Li Yue-Tang [Wang Xue-Qi], welcher bisher lediglich als Geldgeber fungierte, kristallisiert sich dabei bald als wichtigste Persönlichkeit heraus. Dazu stoßen alsbald einfache Bürger wie der gutmütige Riese Wang Fuming [Mengke Bateer], der Rickschafahrer Deng Si-di [Nicholas Tse], der Bettler Liu Yubai [Leon Lai], General Fangs Tochter Hong [Chris Lee], der spielsüchtige Polizist Shen Chong-Yang [Donnie Yen] sowie Yue-Tangs Sohn Chung-Quang [Wang Bo-Chieh].

Kritik:

Mit Beginn des neuen Jahrtausends entdeckte das chinesische Kino langsam, aber sicher seine Vorliebe für die Historie und produzierte in Folge immer häufiger aufwändige Schlachtpanoramen und Biographien bedeutender Persönlichkeiten aus Chinas Vergangenheit, häufig und gern vor dem Hintergrund einschneidender politischer Umwälzungen. Der Hauptgrund dafür war jedoch weniger der Drang, das Publikum mit kostspieligem Geschichtsunterricht zu verwöhnen, sondern vielmehr die Tatsache, dass sich historische Stoffe hervorragend dazu eignen, beim Konsumenten unterschwellig patriotische Gefühle zu erwecken – ein Umstand, den die Propagandaabteilung des Landes natürlich sehr begrüßte. Der Hinweis, dass die tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse zu diesem Zwecke stark romantisiert und simplifiziert wurden, sollte dabei in seiner Selbstverständlichkeit kaum mehr als eine Fußnote wert sein.

Ganz und gar regierungskonform geriet somit auch BODYGUARDS AND ASSASSINS, ein von Regisseur Teddy Chan [→ PURPLE STORM] mit viel Eifer in Szene gesetztes Martial-Arts-Epos, angesiedelt vor der brodelnden Kulisse der letzten Tage der Qing-Dynastie. Um die reale Figur des Revolutionsführers Dr. Sun Yat-Sen ersponnen die Drehbuchautoren Junli Guo, Tin Nam Chun und Joyce Chan die fiktive Geschichte einer Gruppe von Widerstandskämpfern, welche sich gegen die Terrorherrschaft der Kaiserin auflehnt und mit allen Mitteln versucht, das Attentat am zukünftigen ersten Präsidenten der Republik China zu verhindern. Wer nun allerdings ein Dauerfeuer an Handkantenschlägen und Knochenbrechereien erwartet, dürfte recht bald ernüchtert aus der Wäsche blicken. Das mehr als zweistündige Werk nimmt sich nämlich jede Menge Zeit, um zunächst seine Protagonisten vorzustellen – und das sind nicht gerade wenige. So werden einem innerhalb der ersten Stunde gut und gern 20 Personenbeschreibungen vor den arglosen Latz geknallt. Trotz dieser enormen Figurenfülle gelingt es BODYGUARDS AND ASSASSINS jedoch, durch die geschickte Verknüpfung der einzelnen Schicksale und die eher simple, wenn auch effektive Charakterzeichnung, jede einzelne Person dermaßen prägnant zu schildern, dass eine Identifikation nahezu reibungslos funktioniert.

Dass die Figuren dabei allesamt Stereotypen sind, ist freilich kaum von der Hand zu weisen. Ob es nun der Bettler ist, welcher durch den Selbstmord seiner Geliebten in den Opiumrausch getrieben wurde, der spielsüchtige Polizist oder die rachsüchtige Tochter des ermordeten Generals – die Motive und Hintergründe der Handelnden sind denkbar simpel gestrickt und alles andere als innovativ. Zur Wahrung der Übersicht allerdings ist dieser Umstand doch sehr nützlich und die emotionale Bindung des Zuschauers an die Protagonisten wird auf diese Weise ebenfalls denkbar erleichtert. Das Erwecken von Emotionen ist dann auch eines der Hauptanliegen BODYGUARDS AND ASSASSINS', weswegen es die Protagonisten in manch tränentreibende Situation verstrickt. So erfährt der von Donnie Yen verkörperte Shen Chong-Yang, dass die Tochter seiner ehemaligen Frau in Wahrheit sein eigenes Kind und nicht das ihres neuen Geliebten ist. „Wie konnte ich ihr erklären, was für ein Mensch ihr leiblicher Vater ist?“, wird er in Anspielung auf seine Spielsucht gefragt. Es folgt ein hochergreifender Moment, in welchem Shen seiner Tochter des erste Mal in die Augen blickt. Auch der grandiosen Schauspielleistung Donnie Yens ist es zu verdanken, dass diese Szene selbst dem Abgefeimtesten ans Herz geht.

Ohnehin sind die darstellerischen Darbietungen BODYGUARDS AND ASSASSINS' durch die Bank exzellent. Neben dem erwähnten Donnie Yen, dessen Karriere nach jahrelangem Gedümpel in Billigproduktionen schließlich eine wahre Blütezeit erlebte, überzeugt vor allem Wang Xue-Qi in der Rolle des reichen Geschäftsmanns Li Yu-Tang, welcher mit der Revolution zunächst wenig zu tun haben will und seinen Beitrag in Geldleistungen erschöpft sieht, um dann, nach turbulenten Ereignissen sein Verlagshaus betreffend, zu einer der wichtigsten Führungspersonen des Widerstandes aufzusteigen. Der eher unbekannte Mime spielt seinen Wandel dabei ebenso glaubhaft wie eindrucksvoll. Doch auch der Rest der Besetzung, bestehend aus dem Genre-Freund durchaus wohlbekannten Namen wie Eric Tsang, Leon Lai, Nicolas Tse oder Tony Leung, bekommt eine Chance, und nahezu jeder Darsteller erhält eine große Szene, in welcher er sich beweisen darf.

Auf gegnerischer Seite sieht man Hu Jun als kaiserlichen Attentäter Yan Xiaoguo, der zwar eine Armee befehligt, letztendlich jedoch quasi im Alleingang gegen den Widerstand zu Felde zieht. Das ist natürlich hochgeradig hanebüchen und letztendlich auch eher sinnbildlich zu verstehen: Yan Xiaoguo steht symbolisch für das 'böse China', für die verkrustete Kaisermentalität, die sich gegen jede Art von Fortschritt eisern zur Wehr setzt. Als typische Schurkenrolle angelegt, erfüllt Hu Juns Figur auch so ziemlich jedes zu erwartende Klischee, freilich nicht ohne ebenfalls einen großen Moment für sich zu verbuchen: So entführt er seinen ehemaligen Lehrer Chen Xiaobai [Tony Leung] und sperrt ihn ins Verlies, da auch dieser mit der Revolution sympathisiert. Doch hat Xiaoguo noch immer Respekt vor dem Mann, der ihn einst unterrichtete („Wer einmal mein Lehrer war, ist ein Leben lang mein Mentor.“). Darauf folgt ein großartiger verbaler Schlagabtausch zwischen beiden Parteien, von Unverständnis der gegenteiligen Meinung ebenso geprägt wie von verbleibender gegenseitiger Achtung.

Mit packenden Szenen wie dieser bietet BODYGUARDS AND ASSASSINS trotz der anfänglichen Action-Armut bereits mitreißende Unterhaltung. Die finale Stunde schließlich gehört dann fast ausschließlich dem Kampf und entschädigt auch den vergrätztesten Nörgler für die bis dahin vorherrschende Dialoglast. Meisterlich gelingt es Teddy Chan, eine zum Schneiden dichte Atmosphäre zu kreieren, als die zu beschützende Zielperson Sun Yat-Sen in einer Sänfte durch das belebte Hongkong getragen wird und das geschäftige Treiben in den Straßen plötzlich zur unheilvollen Kulisse mutiert, zu einem bedrohlichen Konglomerat aus fiebrigem Ambiente, unterschwelliger Gefahr und bösen Vorahnungen (so werden die zum Tragen schwerer Lasten benötigten Packhaken effektiv ins Bild gerückt), bei welchem der Duft des Massakers bereits in der Luft zu liegen scheint. Auf diese Weise bis zum Höhepunkt gepeitscht, entlädt sich die angestaute Spannung schließlich in einem gewaltigen Gemetzel, welches, wie vom Hongkong-Kino kaum anders gewohnt, abermals ein Musterbeispiel an Choreographie und Schlagkraft darstellt und in seiner Konsequenz kaum Wünsche offenlässt.

Dabei zelebriert BODYGUARDS AND ASSASSINS freilich ausgiebig Märtyrertum, Heldenmut und Opferbereitschaft und geriet damit in seiner Botschaft nicht unbedingt leicht verdaulich: Das zu erreichende Ziel steht über dem Wohl des Einzelnen und dessen Tod ist eine zwar tragische, doch im Zweifel notwendige Unabänderlichkeit. Die Opfer werden geehrt (hier sogar jeweils in einer Extraeinstellung mit Einblendung von Name, Geburts- und Todesdatum) und ihr Sterben, so die Behauptung, war nicht sinnlos. Derlei Propaganda könnte man BODYGUARDS AND ASSASSINS gewiss leicht zum Vorwurf machen, zumal die angestrebte Botschaft angesichts der tatsächlichen chinesischen Verhältnisse geradezu lachhaft wirkt: Das ständige Gerede von Freiheit und Demokratie, die behauptete Volksherrschaft, angebliche Weltoffenheit und USA-Sympathie, das alles steht im völligen Widerspruch zur wirklichen Situation des Landes, in welcher ein totalitäres System über die Belange seiner Bürger bestimmt und jeden Anflug von Freiheitsgeist bereits im Keim zu ersticken versucht.

Doch schiebt man den politischen Hintergrund beiseite, erlebt man ein mitreißendes, packendes Stück Kino, großartig ausgestattet und voll von symbolträchtigen Allegorien. Dabei ist es vor allem die Zeit, die als gegnerische Kraft immer wieder ins Bild gerückt wird. Ständig blicken die Protagonisten auf ihre Uhr und das Schlagen des Pendels erscheint manchmal als das lauteste Geräusch auf der Welt. BODYGUARDS AND ASSASSINS ist verdammt starker Stoff, der das Hongkong des beginnenden 20. Jahrhunderts mit beachtlichem Aufwand an Kostüm und Kulisse wieder zum Leben erweckt und inhaltlich bisweilen an den japanischen Klassiker DIE SIEBEN SAMURAI (und damit auch an dessen amerikanische Neuauflage DIE GLORREICHEN SIEBEN) erinnert, ein historisch inakkurates, doch mit einem Übermaß an Spannung, Stimmung und Atmosphäre aufgeheiztes Mammutwerk, großartig besetzt, stark gespielt und meisterhaft inszeniert. Von Leibwächtern und Attentätern empfohlen!

Laufzeit: 133 Min. / Freigabe: ab 16