Italien 1977
Regie:
Luigi Petrini
Darsteller:
Mario Cutini,
Marco Marati,
Maria Pia Conte,
Patricia Pilchard,
Mario Bianchi,
Maria Francesca,
Linda Sini,
Edmondo Tieghi
Inhalt:
Paolo
[Mario Cutini], junger Weiberheld und Taugenichts, ist verbittert:
Erst gelang es ihm, sich auf eine dekadente Luxusparty zu schmuggeln
und dort bei der Gastgebertochter auf Tuchfühlung zu gehen, da wird
das Vergnügen von deren Mutter jäh unterbrochen und er selbst vor
die Tür gesetzt. Zornig stromert er nun durch die nächtlichen
Straßen und trifft dabei auf den etwa gleichaltrigen Giovanni [Marco
Marati], der ebenfalls Frust schiebt: Auch bei ihm ging ein
Schäferstündchen daneben, da ein bestimmter Teil seines Körpers im
entscheidenden Augenblick seinen Dienst versagte. Angestachelt durch
Drogen und Hassreden steigen sie in die Wohnung der jungen Anna
[Selvaggia Di Vasco] ein, um sich das, was sie zuvor nicht bekommen
haben, nun mit Gewalt zu holen. Als die spontan zwangsinvolvierte
Nachbarin Isabella [Linda Sini] dabei ihr Leben lassen muss, flüchten
die beiden panisch in die Nacht hinaus. Nachdem sie bald darauf
erfahren, dass sie von der Polizei gesucht werden, reagieren sie
kopflos: Sie überfallen ein Nobelrestaurant und nehmen die Gäste
als Geiseln, um von der Polizei Geld und freies Geleit ins Ausland zu
erpressen. Ein Plan, der gründlich in die Hose geht …
Kritik:
Luigi
Petrini hat nicht viel gedreht. Gerade mal eine Handvoll Beiträge
gehen auf das Konto des Regisseurs – im Italien der 70er, in dem
die Filmschaffenden oft wie am Fließband produzierten, ist das quasi
nichts. Hauptsächlich entstanden unter seiner Warte Komödien und
Musikfilme, anspruchsloser Zeitvertreib, weitestgehend vergessen. Und
dann produzierte er noch OPERAZIONE KAPPA – ein wahres Ungetüm von
einem Film, das rein gar nichts mit leichter Unterhaltung zu tun hat
und eher einem beherzten Schlag in die Magengegend gleicht. Petrini,
der auch das Drehbuch verfasste, macht hier absolut keine Gefangenen
und beschreibt nur wenige, aber entscheidende Stunden im Leben zweier
junger Männer, die aufgrund des Frusts über ihr soziales Versagen
und ihre Unangepasstheit explodieren und ihren Aggressionsstau, einer
radikalen Therapie gleich, rücksichtslos an ihrer Umgebung
auslassen. Rau und ungeschliffen geht es dabei zu, überwiegend im
dokumentarischen Duktus gehalten, ohne eine (offensichtliche)
cineastische Dramaturgie. KIDNAPPING – EIN TAG DER GEWALT nannte
man das Ganze dann im Deutschen, was zumindest zum Teil in die Irre
führt, da es hier nicht, wie der Haupttitel suggeriert, um eine
Entführung geht, sondern um eine Geiselnahme. Der Untertitel
hingegen passt perfekt, da sich die folgenschweren Ereignisse
tatsächlich nur innerhalb eines Tages ereignen, was den
authentischen Charakter des Gezeigten nochmals unterstreicht.
Böse
Zungen könnten Petrini gewiss vorwerfen, das formal tatsächlich
recht plumpe Werk diene lediglich dazu, die niederen Gelüste des
Publikums zu befriedigen, das hauptsächlich mit Blut und nackter
Haut in Sehberührung kommen möchte. Beiden Bedürfnissen wird dann
auch entsprochen, garniert mit zum Teil bemerkenswert asozialen
Aussprüchen, mit denen die Protagonisten ihre Schandtaten
kommentieren. Dennoch wäre die Unterstellung, man habe hier
lediglich schmieriges Entertainment für Sensationsdurstige im Sinn
gehabt, zu kurz gedacht. Petrini zeichnete seine beiden Hauptfiguren
nämlich dermaßen abstoßend, dass zu keinem Zeitpunkt jemals
irgendeine Form der Identifikation oder Befriedigung möglich wäre.
Fast könnten einem die Männer leid tun angesichts ihrer
Unfähigkeit, die Konsequenzen ihrer Handlungen richtig
einzuschätzen, der Zielgenauigkeit, mit der sie konsequent die
falschen Entscheidungen treffen, und ihres Unvermögens, Empathie mit
ihren Mitmenschen zu empfinden, wären sie nicht solch riesige
Arschlöcher, denen man am liebsten höchstselbst das Fell mit dem
Vorschlaghammer gerben möchte. Lobend erwähnt werden muss an dieser
Stelle das sagenhaft gute Spiel der beiden Darsteller Mario Cutini
und Marco Marati, die das Killerduo in einer Unverfälschtheit zum
Leben erwecken, dass man phasenweise glatt vergisst, dass ja alles
bloß inszeniert ist.
Es
ist ein schicksalhafter Moment, wenn Paolo erstmals auf Giovanni
trifft, der im Park hockt und Trübsal bläst. Sein sexuelles
Versagen nagt an ihm und die frauenverachtenden Aussagen seiner neuen
Zufallsbekanntschaft helfen ihm dabei, seinen Kummer zu überwinden.
Die enorme Schnelligkeit, in der die beiden Freundschaft schließen,
macht klar, wie sehr sie sich gegenseitig brauchen und vermutlich
immer gebraucht haben. Angestachelt durch gehässige Reden und
Drogenkonsum (albernerweise wird einem hier Marihuana als
Aggressionsmotor verkauft), beginnen sie eine fatale Tour de Force aus
Erniedrigung, Vergewaltigung und Mord - eine Einbahnstraße, aus der
sie sich anschließend in völliger Missabschätzung der Realität
durch eine gewalttätige Geiselnahme in einem Nobelrestaurant wieder
freipressen möchten. Das Skript wird dabei nicht müde, Erklärungen
für das asoziale Verhalten der Männer zu liefern – stellenweise
durchaus unterschwellig, zum Teil aber auch unnötig offensichtlich
in Dialoge verpackt. So wird Paolo vom Neid auf die privilegierte
Schicht angetrieben, sodass es natürlich kein Zufall ist, dass er
am Ende ausgerechnet die Gäste eines arschteuren Speiselokals als
Geisel nimmt. Giovanni hingegen stand zeit seines Lebens unter der
Fuchtel seines gestrengen Vaters und sieht in seinem Kompagnon das, was er sich niemals traute zu sein: ein Rebell nämlich, der auf
sämtliche Konventionen einen Haufen setzt und sich ohne jede
Etikette einfach das nimmt, was er will.
Der
zunächst zurückhaltend gezeichnete Giovanni schält sich im Laufe
der Ereignisse als die interessantere Figur heraus. Auf den Geschmack gekommen, überflügelt er in Sachen Boshaftigkeit sogar noch seinen
neuen Freund, der ihm sein Ausbrechen aus der Passivität überhaupt
erst ermöglicht hatte. Nicht zur Sprache gebracht, aber dennoch
offenkundig, ist dabei seine unterdrückte Homosexualität. Fast ein
wenig zu plump in der Bebilderung hocken er und Paolo am Anfang im
Park auf einer antiken Kanone, das Rohr wie zwei pubertäre Jungs
zwischen die Beine gepresst. Etwas subtiler geht Petrini später mit
der Thematik um. Giovannis Versagen bei Frauen (warum wohl?) mündet
in der perfiden Erniedrigung des weiblichen Geschlechts, die stets
auf körperliche und sexuelle Attribute abzielt. In einer Szene
zwingt er einen Mann per Waffengewalt dazu, Sex mit einer Frau zu
haben. Überraschung: Es funktioniert natürlich nicht. Giovanni
macht sich über den Mann lustig – dabei war sein eigenes sexuelles
Versagen überhaupt erst der Auslöser für den asozialen Amoklauf.
Etwas
merkwürdig erscheint die Nebenhandlung um eine der (weiblichen)
Geiseln, die ohne ersichtlichen Grund romantische Gefühle für einen
ihrer Geiselnehmer entwickeln darf. Das geschieht ohne erkennbare
Motivation und raubt KIDNAPPING daher Glaubwürdigkeit. Ebenfalls
kurios und wie ein Überbleibsel einer eigentlich am Schneidetisch
entfernten Episode wirkt der Erzählstrang um den in dem Fall
ermittelnden Inspektor, der mit seiner jungen Geliebten nebenbei noch
den gemeinsamen Beziehungsstatus klären muss. In solchen Momenten
wirkt Petrinis Gassenhauer dann doch etwas unrund und auf simple
Unterhaltungszwecke ausgerichtet. In der Summe aber hat man es hier
mit einem intensiven, radikal vorpreschenden Quer- und Tiefschläger
zu tun, der genug Ambivalenzen bietet, um nicht voreilig in die
Schmuddelecke gestellt zu werden.
Laufzeit: 95 Min. / Freigabe: ab 18
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