Eigene Forschungen

Montag, 8. September 2025

DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER


DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER
BRD 1962

Regie:
Werner Klingler

Darsteller:
Joachim Hansen,
Senta Berger,
Hans Reiser,
Leonard Steckel,
Chris Howland,
Peter Carsten,
Helga Sommerfeld,
Stanislav Ledinek



Ruhig, Brauner? Von wegen! Nachdem die Rialto-Film-GmbH mit ihren auf Vorlagen des britischen Autors Edgar Wallace basierenden Grusel-Krimis ab 1959 unerwartete Erfolge einheimsen konnte, zögerte die Konkurrenz nicht lang. Auf der Suche nach weiterem gewinnträchtigem Material stieß Produzent Artur Brauner auf den Filius des prominenten Vielschreibers, der sich ebenfalls als Verfasser schauriger Verbrechensgeschichten verdingte und dessen Name praktischerweise nur eine Silbe länger war: Bryan Edgar Wallace. Brauner sicherte sich nicht nur die Verfilmungsrechte an dessen Storys, sondern auch die Erlaubnis, eigene Stoffe unter dem Wallace-Banner vertreiben zu dürfen. Schon das zeigt, dass Inhalte hier gar nicht so wichtig waren – entscheidend war die Marke. Und tatsächlich klebte der findige Geschäftsmann das Wallace-Etikett in den Folgejahren auch auf eingekaufte Produktionen, die mit dem angeblichen Verfasser nicht das Geringste zu tun hatten. DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER, das erste Werk dieser neuen Reihe aus dem Jahre 1962, trägt das Siegel jedoch noch zurecht, denn es handelt sich tatsächlich um die Adaption einer Geschichte des berühmten Sohnes, die dem Vorbild wenig überraschend inhaltlich wie stilistisch bestmöglich nacheifert.

Inhalt:

Scotland Yard ist in Aufruhr. Schon mehrere Geschäftsmänner wurden per Dolchwurf hingerichtet. Das Mysteriöse: Der Mörder nahm sich jedes Mal die Zeit, seinem Opfer zuvor noch den Koffer zu packen. Wer seine Siebensachen verschnürt vorfindet, muss mit seinem baldigen Ableben rechnen. Inspektor Finch [Joachim Hansen] und sein Vertrauter, der Kriminologe Curtis Humphrey [Hans Reiser], versuchen gemeinsam, das Rätsel zu lösen, tappen aber überwiegend im Dunkeln. Eine vage Spur führt schließlich zur Praxis des ominösen Dr. Bransby [Leonard Steckel], der sich zunächst verdächtig macht, die Bedenken aber auch schnell wieder zerstreuen kann. Dafür lernt Finch bei dem Besuch die attraktive Arzthelferin Susan Brown [Senta Berger] kennen, auf die er auch prompt ein Auge wirft. Die junge Frau stammt aus den Vereinigten Staaten und ist erst kürzlich nach London gereist, um ihren Bruder zu suchen, der vor einiger Zeit spurlos verschwunden ist.

Kritik:

Es ist erahnbar: Natürlich hängen beide Fälle zusammen, wie hier ohnehin fast alles auf teils abenteuerliche Weise miteinander verknüpft ist. London ist groß, die USA sind es ebenfalls, aber am Ende ist trotzdem jeder irgendwie mit jedem verbandelt. Plausibel ist das nicht und inhaltlich kommt man laufend vom Hölzchen aufs Stöckchen. Zur Mörderhatz gesellt sich alsbald die Brudersuche und ähnlich hurtig befindet man sich unversehens in der halbseidenen Welt des Drogenhandels, alles dargeboten im Gewande des naiven Groschenromans und gespickt mit abstrusen Zufällen und haarsträubenden Ideen. Das erfindet das Wort „Aufregung“ gewiss nicht neu, ist aber schon mit sicherer Hand und Gespür für Atmosphäre umgesetzt. Speziell die Mordsequenzen sind stimmig arrangiert und bedienen sich mehrerer reißerischer Elemente, die erst später durch den italienischen Giallo kultiviert wurden, wie das schwarze Handkleid des Täters oder das effektive Aufblitzen der Klinge kurz vor der Tötung. Dass die panischen Opfer noch so sehr die Beine in die Hand nehmen können, vom Meuchler dennoch stets wider jede Logik eingeholt werden, nimmt sogar bereits den Slasher vorweg. Gegen Berufspsychopathen wie Michael Meyers oder Jason Vorhees hatten später ja nicht einmal professionelle Marathonläufer den Hauch einer Chance. Mit Maskierungen oder ähnlichen Gruselelementen hielt man sich hier ansonsten allerdings zurück, was fast ein wenig schade ist. Das hätte der allgemein eher dröge servierten Suppe zumindest noch etwas Salz hingefügt.

DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER spielt zwar – mit Ausnahme weniger Minuten – in London, doch wie bei der Konkurrenz von Rialto wurden nur ein paar Stadtimpressionen tatsächlich in Großbritannien gedreht, der Rest wurde in Berlin in den Kasten gekurbelt. Die Übergänge funktionieren dabei erstaunlich gut, zumal man sich einige Mühe gab, die Illusion aufrechtzuerhalten. Wer ein paar der Orte kennt, dem zieht’s dennoch hin und wieder die Mundwinkel gen Himmel, wenn die Straßen Spandaus mit britischem Fuhrpark und Linksverkehr zweckentfremdet werden. Ein kurzer erzählerischer Abstecher in die USA, genauer gesagt in die dortige FBI-Zentrale, sollte vermutlich noch mehr Internationalität vortäuschen – nötig gewesen wäre er allerdings nicht. Die Informationen, die Hauptfigur Finch dort bekommt, hätte er ebenso gut per Telefon erfragen können. Gewiss, in der Realität wäre das nahezu unmöglich. Aber in der hier entworfenen Fantasiewelt sind Hindernisse wie Datenschutzbestimmungen und geheimdienstliche Regelwerke schlichtweg nicht existent. Da reicht ein kurzer kumpelhafter Bürobesuch unter Männern und schon wird das benötigte Material gönnerhaft aus dem Ärmel geschüttelt. Aus dramaturgischer Sicht äußerst schwach ist allerdings, dass Finch seine neu gewonnenen Erkenntnisse dann gar nicht nutzt. Und das auch nicht zum ersten Mal: Bereits zuvor erfuhr er aufgrund eines völlig bekloppten Zufalls, dass eine Person aus seinem Umfeld nicht so unschuldig ist, wie es scheint. Doch anstatt den Verdächtigen zur Rede zu stellen, Vorgesetzte einzuweihen oder zumindest weitere Untersuchungen einzuleiten, unternimmt er – nichts. Er lässt die Dinge einfach laufen, bis am Ende alle Fäden automatisch zusammenführen und die Sache sich von selbst auflöst.

Das zeigt, wie wenig Wert darauf gelegt wurde, dem Publikum eine durchdachte Geschichte zu präsentieren. Stattdessen verließ man sich auf bewährte Versatzstücke und lieferte routinierten Dienst nach Vorschrift. Da die Umsetzung in kompetenten Händen lag, ist das Ergebnis zumindest auf formaler Ebene vorzeigbar. Besonders die teils wunderschönen Schwarz-Weiß-Kompositionen von Kameramann Richard Angst [→ DAS INDISCHE GRABMAL] stechen ins Auge. Aufgrund vertraglicher Verpflichtungen konnten die Produzenten allerdings nicht auf die versierten Schauspieler der Rialto-Reihe zurückgreifen – prominente Gesichter wie Joachim Fuchsberger, Karin Dor oder Eddie Arent sollten fest mit dem „Original-Wallace“ verbunden bleiben. Im Nachhinein ist das durchaus als Vorteil zu werten, da hier einmal ein paar andere Gestalten die Gelegenheit bekommen, durch Nacht und Nebel zu ziehen. Als ermittelnder Inspektor gibt sich Joachim Hansen [→ PERRY RHODAN – SOS AUS DEM WELTALL] die Ehre. Er spielt solide, doch fehlt es ihm ein wenig an weltmännischer Kaltschnäuzigkeit. In seinen unvorteilhaftesten Momenten wirkt er wie ein öliger Schlagersänger, der seine schmierigen Flossen nicht bei sich behalten kann. Ziel seiner oft aufdringlichen Annäherungsversuche ist die ahnungslos in den Fall verstrickte Arzthelferin Susan Brown, die von Senta Berger [→ SHERLOCK HOLMES UND DAS HALSBAND DES TODES] wacker verkörpert wird, obwohl sie ihrem offensichtlichen Vorbild Karin Dor nicht das Wasser reichen kann. Für die (zweifelhafte) Komik sorgt Chris Howland [→ SADISTEROTICA], der als „Geräuschjäger“ mit Tonbandgerät und Mikrofon durch die Szenerie schleicht – und dabei zufällig immer genau dort auftaucht, wo gerade etwas passiert. Im echten Leben wäre das hochverdächtig und würde mit Untersuchungshaft enden, hier soll es ein Witz sein. Was noch fehlt, ist eine echte Type vom Schlage eines Klaus Kinski. Zumindest im Ansatz übernimmt diese Funktion Zeev Berlinsky [→ DER FLUCH DER GELBEN SCHLANGE] als Kleinganove, der zu Beginn versucht, den von Hans Reiser [→ DER WÜRGER VON SCHLOSS BLACKMOOR] dargestellten Kriminologen Humphrey zu erpressen. Strotzend vor Selbstbewusstsein steht er in dessen Wohnung und konfrontiert ihn mit seinem Vorhaben. Doch als dieser den Spieß umdreht und ebenfalls mit brisantem Wissen über sein Gegenüber aufwarten kann, sieht der verhinderte Verbrecher seine Felle davonschwimmen und verlässt das Zimmer kleinlaut und Entschuldigungen murmelnd wieder auf dem Wege, auf dem er bereits gekommen war: durchs Fenster.

Zum Glück gibt es mehrerer solcher gelungenen Momente, die stets als gesundes Gegengewicht zu den weniger geglückten dienen können. Zu letzteren zählt neben den gewohnt ungelenk umgesetzten Keilereien auch die Szene, in der eine Frau sich in Todessehnsucht vom Dach stürzt, was aber keine Sau zu kümmern scheint, denn als sie am Fenster vorbei segelt, geht das Leben in der Bar ganz normal weiter als wäre nichts gewesen. Monty Python machte später aus der Nummer einen Sketch. Die Dialoge haben derweil oft durchaus Pfiff und die jazzige Musik von Gert Wilden [→ KÄPT’N RAUHBEIN AUS ST. PAULI] verleiht dem Geschehen anständigen Schwung. Ernüchternd ist nur, wie gleichgültig den Autoren ihre eigene Story war, deren Auflösung extra im Eilverfahren abgefrühstückt wird, damit man gar nicht erst die Zeit hat zu bemerken, dass hier kaum etwas Sinn ergibt. Ein Ereignis, das Verschwinden einer Reisetasche vom Tatort, um das zuvor ein Riesen-Brimborium gemacht wurde, wurde vom Skript dann sogar vollkommen vergessen und somit gar nicht mehr aufgeklärt. Und dann wäre da noch der große geheimnisumwitterte Aufhänger: die Koffer, die der Killer seinem Kanonenfutter noch bereitstellt, bevor er zur Tat schreitet. Am Ende ist es dann tatsächlich nicht mehr als eben das: ein Aufhänger, ein Köder fürs mysteriumaffine Publikum, der ziemlich hurtig keine Rolle mehr spielt und dessen (natürlich ebenfalls hanebüchene) Erklärung final in einem Nebensatz heruntergerattert wird. Ein bisschen mehr hätten Brauner & Co. ihrem Publikum beim Imitieren schon zutrauen dürfen.

Laufzeit: 81 Min. / Freigabe: ab 16

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