Eigene Forschungen

Mittwoch, 16. Oktober 2013

00 SCHNEIDER - IM WENDEKREIS DER EIDECHSE


00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE
BRD 2013

Regie:
Helge Schneider

Darsteller:
Helge Schneider,
Rocko Schamoni,
Pete York,
Peter Thoms,
Sergej Gleithmann,
Norbert Losch,
Tyree Glenn,
Carlos Boes


 
„Er wurde nicht als Kommissar geboren. Er musste diesen Beruf erst erlernen.“ 


Inhalt:

Der Kommissar Schneider [Helge Schneider] ist gut. Darum braucht man ihn auch, als eines der schlimmsten Verbrechen überhaupt begangen wird: Ein skrupelloser Verbrecher hat eine Schachtel Zigaretten aus einem Kiosk geklaut. Die Täterbeschreibung der Besitzerin [Peter Thoms] gerät sehr ungewöhnlich: Er hielt sich die Hände wie eine Krause vor den Hals, gab reptilienähnliche Laute von sich und bespuckte die arme Frau mit einer übelriechenden Flüssigkeit. Natürlich will der Kommissar auch diesen Fall schnell lösen und den Verbrecher ins Gefängnis tun. Doch das erweist sich als ungewöhnlich schwierig. Als der Täter ein zweites Mal zuschlägt und ein Huhn vom Bauernhof klaut, ist er am Ende seiner Weisheit. Ein Täter, der raucht und spuckt? Wie kann das sein? 00 hat nur eine vernünftige Erklärung: Alle 400 Jahre kommt ein Eidechsenmann auf die Erde, um Unheil zu stiften. Da der Kommissar nebenbei auch noch einen Sittenstrolch zur Strecke bringen muss, von einem rachsüchtigen Staubsaugervertreter verfolgt wird, Besuch von seiner angeblichen Tante Tyree [Tyree Glenn] aus Amerika bekommt und zudem auch noch aufgrund seiner Memoiren jede Menge Interviews geben muss, hat er wieder alle Hände voll zu tun … 

Kritik:

Das Phänomen Helge Schneider zu erklären ist ein Unterfangen, an dem schon größere Männer gescheitert sind. Tatsache ist, dass der extravagante Unterhaltungskünstler von vielen Kritikern jahrelang als Dilettant verschrien wurde und seine Auftritte erst Konzerthallen füllen mussten, bis der Feuilleton sich schließlich bereit erklärte, ihn und seine ungewöhnliche Art der Komik zu akzeptieren. Als besonderer Härtefall erwiesen sich dabei vor allem Schneiders Leinwandausflüge, in welchen er sein Stilmittel der vermeintlichen Laienhaftigkeit, das bereits seine Musik, Hörspiele und Bühnenprogramme durchzog, bis ins maximal Mögliche potenzierte. Als er 1994 als Kommissar 00 SCHNEIDER – JAGD AUF NIHIL BAXTER machte und der Humor Schneiders noch längst nicht, wie in späteren Jahren, zur deutschen Popkultur gehörte, sorgte der sich jeder Stringenz und Professionalität verweigernde 16mm-Witz für so manch fragendes Kritiker- und Konsumentengesicht. 

00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE ist, schlanke 19 Jahre später, der zweite Kinoeinsatz der von Schneider erdachten und verkörperten Kunstfigur (wenn man seine Nebenrolle in TEXAS außer Acht lässt), und somit die erste reelle Fortsetzung innerhalb des Helge-Schneider-Universums. Tatsächlich jedoch ist das kaum von Belang, denn Schneider hat sich weiterentwickelt in all der Zeit, und so auch seine Arbeit. Der erste 00 SCHNEIDER ließ sich in alter Form kaum wiederholen, viel zu abgeklärt wirkt der mittlerweile lässige Altersmilde ausstrahlende Helge Schneider, der, anstatt wie zu früheren Zeiten mit seinem unangepassten Brachialhumor gegen starre Schablonen in Kunst und Gesellschaft zu rebellieren, lediglich noch entspannte Selbstreflexion bietet. 00 SCHNEIDER Eidechse ist nicht 00 SCHNEIDER Nihil Baxter, welcher mit komplett improvisierten Szenen, viel zu langen Kameraeinstellungen und dadaistisch-depperten Dialogen jeden Realitätsbezug unter brutalem Wahnwitz begrub. 

IM WENDEKREIS DER EIDECHSE fühlt sich grundlegend anders an und präsentiert sich als ironische Kriminalfilmparodie, welche zwar mit den gewohnt-grotesken Schneiderismen aufwartet, inhaltlich jedoch deutlich geschlossener daherkommt und in seiner Ausführung mehr den Regeln des Films als denen des absurden Theaters gehorcht. Bezeichnend für diesen Wandel sind bereits die ersten Minuten, in welchen 00 Schneider in seinem schäbigen Citroën durch das in bewährt-tristen Bildern eingefangene Ruhrgebiet eiert, um sich, nach einer Fahrt ums Eck, plötzlich und mit völliger Selbstverständlichkeit an den majestätischen Felsenstränden Andalusiens zu befinden. Die bekannte Ranzigkeit vermischt sich hier quasi im Handumdrehen mit wuchtiger Pracht, die renommierte Unsinnigkeit mit professionellem Handwerk. 

Auch die Hauptfigur agiert widersprüchlich zum originalen 00, legt neben ihrem bewährten Kleidungsstil auch ihre verkniffene Mimik nebst gepresster Sprechweise ab und gleicht nunmehr dem in den Romanen beschriebenen Kommissar, welcher ebenfalls mit dem Kino-00 nur wenig zu tun hatte. Für Fans sind derlei Charakteränderungen nichts Ungewöhnliches: Auch Dr. Hasenbein, ein weiteres Alter Ego Helge Schneiders, war, nach einer Nebenrolle im ersten 00 SCHNEIDER, in seinem eigenen Kinofilm plötzlich eine völlig andere Person. Schneider hielt nie viel von Struktur und Zusammenhang und entwickelte seine Figuren stets auf dieselbe Art und Weise, wie er seine gesamte Komik entstehen lässt: spontan und aus dem Bauch heraus. Vorbilder für den ‚neuen‘ 00 waren ziemlich eindeutig die knallharten Cops der reaktionären 70er-Jahre-Polizeifilme, welche die Verbrecher mit unorthodoxen Methoden zur Strecke bringen, um sie im Anschluss windelweich zu prügeln.

Nicht nur, aber auch in diesen liebevoll eingestreuten Genrezu- und -zitaten zeigt sich erneut, worin der Erfolg Helge Schneiders mitbegründet liegt: Ebenso, wie er die Regeln der Musik beherrscht, beherrscht er auch die Regeln des Filmemachens – freilich lediglich, um sie genussvoll unterlaufen zu können. Man erkennt, dass Helge weiß, wie Filme funktionieren, dass er die Vorlagen kennt und sich darüber bewusst ist, dass sein Publikum das ebenfalls tut. Die daraus resultierende Erwartungshaltung macht er sich zu Nutze, um die sattsam bekannten Muster immer wieder aufzugreifen und sie dann, durch fallengelassene Ideen, verpasste Pointen und normkonträre Verhaltensweisen, gekonnt auszuhöhlen. Das passt wunderbar in diesen absonderlichen Parallelkosmos, in welchem sich die Ereignisse zutragen, eine merkwürdig anachronistische Mischung aus 70er-Jahre-Mief und globalisierter Weltoffenheit, in welchem es keine Computer gibt, sondern nur Schreibmaschinen, in welchem auf dem als Polizeirevier dienenden, äußerst hässlichen Betonklotz nicht ‚Polizei‘ steht, sondern ‚Police‘, und in welchem die Sprache auf der Station ein heilloses Durcheinander aus Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch ist.

Wie befreiend ist es da, dass an diesem absurden Ort Menschen hausen, die vor allem durch ihre unverkrampfte Natürlichkeit bestechen. Niemand hier ist ein professioneller Schauspieler, und das ist auch gut so. Abermals besetzte Helge überwiegend aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis und bewies dabei erneut ein unfehlbares Gespür für schräge Typen, die allein durch ihre Kauzigkeit amüsieren. Die junge, rappende Taxifahrerin z. B. hat zwar keine Funktion, passt aber irgendwie einfach hinein in dieses verrückte Helge-Universum, zu dem sich natürlich auch wieder alte Bekannte gesellen: So hat Peter Thoms als JAZZCLUBs Pflasterverkäufer zwar mittlerweile die Preise geändert, ist aber immer noch nicht beim Euro angekommen. Auch ließ es sich Helge nicht nehmen, zusätzlich zur Hauptfigur noch weitere Nebenrollen zu übernehmen: Vor allem der extrem nuschelnde Psychiater Dr. Henry oder der dauergeile Zahnarzt Dr. Fracklefuss belasten dabei gehörig das Zwerchfell.

Das Wiedersehen mit etablierten Charakteren und die gleichzeitige Einführung neuer Kultfiguren geriet für geübte Fans zu einer freudenspendenden Veranstaltung, die mit schneidertypischen Momenten (so legt der Meister in einem Parkhaus ebenso spontan wie sinnlos eine flotte Sohle aufs Parkett) ebenso aufwartet, wie mit gezielten Parodien auf gängige Klischees amerikanischer Copthriller (wie der massenhaft praktizierte Tabakkonsum, der selbst den seligen Helmut Körschgen blass gemacht hätte). Anhänger wissen, was sie erwartet, und 00 SCHNEIDER – IM WENDEKREIS DER EIDECHSE nach bekannten Maßstäben zu beurteilen, ist erwartungsgemäß nicht möglich. Denn obwohl man den Regeln des klassischen Filmemachens hier mehr Tribut zollte, bleibt es letztendlich ein nach wie vor formfernes Experiment. Sympathisanten hält das nicht ab: Klar schludert die Kamera. Klar schludert das Licht. Klar schludert der Schnitt. Doch ist es Schludern um des Schluderns Willen. Helge bleibt Helge bleibt Helge bleibt Helge. Wer’s mag, der mag’s. Wer’s nicht mag, hat einfach Pech.

Laufzeit: 94 Min. / Freigabe: ab 6

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