Eigene Forschungen

Donnerstag, 12. Juli 2012

DAS SCHLOSS DER BLAUEN VÖGEL


LA BESTIA UCCIDE A SANGUE FREDDO
Italien 1971

Regie:
Fernando Di Leo

Darsteller:
Klaus Kinski,
Margaret Lee,
Rosalba Neri,
Jane Garret,
John Karlsen,
Gioia Desideri,
John Ely,
Fernando Cerulli



Inhalt:

Vor den Toren Roms befindet sich Schloss Hohenschwand, ein nobles Luxus-Sanatorium für reiche Frauen mit Vollmeise, das jeden Wellness-Urlaub zur Lachnummer degradiert: Von früh bis spät vergnügt man sich beim Hockeyspiel, schlabbert Cocktails im schnieken Salon und lässt sich wahlweise vom Gärtner im Gewächshaus durchorgeln oder von der lesbischen Krankenschwester die Arschbacken massieren. Doch das fröhliche Lotterleben bekommt einen faden Beigeschmack, als plötzlich ein maskierter Killer erscheint und sein Tagwerk aufnimmt.

Kritik:

Angeblich basiert DAS SCHLOSS DER BLAUEN VÖGEL auf einer Romanvorlage von Massen-Bestsellerautor Heinz G. Konsalik. Stimmt aber natürlich nicht, diese Verbindung wurde lediglich vom deutschen Verleih forciert. Es wäre auch schon sehr überraschend gewesen, hätte da eine ganze Großeltern-Generation tatsächlich die Belletristik-Variante dieser schmierigen Mord-und-Muschi-Parade im Bücherschrank stehen. Piefige Arztkittel-Romantik hat hier nämlich Hausverbot – zum Ausgleich gibt es die volle Breitseite an Massage, Masturbation und Massakrierung. Dass dabei kaum eine Szene zur nächsten passt und auch generell auf jedwede Logik gepfiffen wurde, erhöht die Freude des Betrachters enorm.

Die Handlung der hanebüchenen Plotte ist hauchdünn und quasi nicht existent. Seine Basis nutzt DAS SCHLOSS DER BLAUEN VÖGEL völlig frei jeder Innovation zur x-ten Aufkochung des schon längst zu Tode getrampelten Edgar-Wallace-Schemas. Angereichert mit Blut, Schock und reichlich nacktem Fleisch verbindet das Werk fast schon absurd zusammenhanglose Momentaufnahmen zu einem faszinierenden, von grotesker Komik durchzogenen Mosaik der Merkwürdigkeit. Plausibilität bleibt dabei gnadenlos auf der Strecke. Da läuft ein Killer durch ein Sanatorium, bringt reihenweise Leute um, aber keinen scheint das wirklich zu interessieren, wird doch über die Opfer bis kurz vor Schluss kein Sterbenswort verloren. Die Werkzeuge für seine Missetaten bringt der Mörder dabei nicht etwa von zu Hause mit, sondern leiht sie sich aus der hauseigenen, gut sortierten und für jeden zugänglichen Waffensammlung des Sanatoriums (nochmal zur Erinnerung: randvoll mit suizidgefährdeten Dachschadenpatientinnen), bei der man – je nach Fasson!
 – frei wählen kann zwischen Messer, Axt, Schwert, Armbrust oder Morgenstern.

Inszenatorisch schwankt DER TRIEBMÖRDER (Alternativtitel, der mit dem Inhalt ebenso wenig zu tun hat wie der Kinotitel) zwischen Experimentierfreude (bereits in der ersten Einstellung legt sich die Kamera quer, gefolgt von rasantem Wechselschnitt zwischen gezücktem Mordinstrument und anvisiertem Opfer) und statischer Ödnis. Die unentschlossene Regieführung, die absurden Szenen jenseits jeder Realitätsnähe sowie die zusammenhanglose und dramaturgisch kaum schlüssige Präsentation der Ereignisse verdichten sich zu einem fast surrealen, in geschmeidige Easy-Listening-Klänge getauchten Trip, der gerade aufgrund seiner Schablonenlosigkeit ein schräges Spannungspotential entwickelt, sind doch das kommende Bild, der nächste Dialog oder die folgende Aktion nicht auch nur im Ansatz zu erahnen.

Da scheint die Handlung für einen kurzen Moment auf einen Spannungshöhepunkt zuzusteuern, als die dunkelhäutige Pearl nach einer Frage ihrer Gespielin („Das ist Musik, wie man sie in deiner Heimat macht, nicht?“) plötzlich anfängt, zum pseudo-exotischen Hintergrundgedudel einen erotischen Zappeltanz zu zelebrieren, in welchen die Fragestellerin nach kurzem Überraschungsmoment etwas ungelenk mit einstimmt. Von ähnlicher Qualität ist der unmotivierte Ausdruckstanz, den eine weitere Insassin quasi aus heiterem Himmel minutenlang unter der Dusche darbietet. Exemplarisch für die vorherrschende Sinnlosigkeit ist der Moment, in dem sich der Killer mit riesigem Dolch in das Zimmer einer schlafenden Schönheit schleicht. Wer nun glaubt, es folge ein genretypischer Abstecher, der irrt gewaltig: Der Maskierte drückt der Schlafenden lediglich die Waffe in die Hand. Als diese erwacht, wundert sie sich freilich zurecht über das Werkzeug zwischen ihren Fingern und den fremden Mann in ihrem Zimmer. In diesem Zustand nun versuchend, den Eindringling mit eben diesem Dolch zu erstechen, wehrt der Maskierte ihren unprofessionellen Hieb ab und stranguliert die Frau. Warum er das nicht gleich getan hat, bleibt sein Geheimnis – vielleicht will er später vor Gericht ja auf Notwehr plädieren. Nicht gelingen wird ihm das freilich bei einer späteren Untat: Als das anvisierte Opfer überraschenderweise aus dem Schlaf erwacht, verfällt es beim Anblick des Killers nicht etwa in heftiges Kreischen, sondern raunt ihm stattdessen ein laszives „Leg dich zu mir, zieh dich aus!“ entgegen. Auf diese Weise doch arg unter Druck gesetzt, haut der überraschte Eindringling die juckige Dame kurzerhand mit der Axt in Stücke.

Wem solche Momente nicht reichen, dem ziehen spätestens die Dialoge die Schuhe aus: Wir haben hier sehr wenig Regeln – eigentlich können Sie tun und lassen, was Sie wollen“, erklärt Dr. Kamphausen seiner neuen Patientin. Diese plant gleich die Probe aufs Exempel, greift zu einem überdimensionalen Ast und setzt zum Schlag auf die werte Doktorbirne an. Doch der Doc – gar nicht so blöd, wie er aussieht – wehrt die Attacke mit einem Spezialgriff ab, der selbst Bruce Lee blass gemacht hätte. „Na! Sowas wollen wir in Zukunft aber lassen!“ entgegnet er nicht ohne Tadel in der Stimme. „Ich bin nicht wie die verrückten Frauen hier. Ich will nur mit einem Mann schlafen! Männer sind alles, was ich brauche!“ erklärt eine der Patientinnen sehr selbstbewusst und fügt schließlich noch hinzu: „Ich bin nymphoman – was gibt's da zu heilen?“ Als die Leitung des Hauses nach einer gefühlten Ewigkeit dann doch noch auf die geniale Idee kommt, angesichts der zahlreichen Morde die Polizei zu verständigen, bemerkt der zuständige Inspektor: „Leider sehen wir uns nicht in der Lage, weitere Morde zu verhindern!“ Willkommen beim Fachteam!

Zwar prangt das Antlitz Klaus Kinskis überlebensgroß auf so ziemlich jedem Plakat zum Film, die Rolle des Irrenarztes Bernd Keller (der nur in der deutschen Version so heißt, um eine Brücke zum Konsalik-Roman zu schlagen) ist jedoch nicht unbedingt eine wichtige und zudem auch reichlich tranig gespielt. Zudem wirkt Kinski im Irrenarztkittel natürlich auch eher wie ein Patient, der seinen eigenen Arzt erschlagen und sich dessen Klamotten übergestreift hat. Der Rest der männlichen Darstellerriege wirkt überwiegend, als käme sie direkt aus dem Hinterwald. Die Frauen sind zwar hauptsächlich damit beschäftigt, sich zu entblößen, zu befingern und meucheln zu lassen, sehen dabei aber immerhin ganz nett aus.

Am Ende geht dann plötzlich alles sehr schnell: Der Täter wird entlarvt (der Plan zur Überführung desselben ist dermaßen kryptisch, dass ihn wohl nicht mal die Autoren verstanden haben), und im Nu weiß auch jeder, was der Grund für seine Missetaten war und klärt sich gegenseitig (und das völlig überrumpelte Publikum) in ein, zwei Sätzen auf. Und als wolle er noch einen draufsetzen, flüchtet der Mörder nach seiner Demaskierung dann noch in ein Schlafzimmer, in welchem sich gleich sechs arglose Patientinnen verkrochen haben, und schwingt wie ein Berserker den Morgenstern, um im Rekordtempo alle sechs Damen gleichzeitig in Fetzen zu hacken, bevor er auf lächerlich theatralische Weise von mehreren Polizeikugeln durchsiebt wird.

DAS SCHLOSS DER BLAUEN VÖGEL ist ein einziger befreiend unkonventioneller Wust wundersamer Sinnlosigkeit. Kaum zu glauben, dass sich für diese haarsträubende Nummernrevue tatsächlich Fernando Di Leo verantwortlich zeichnet, der sich im selben Jahr mit dem geradlinigen Gangsterfilm-Kracher MILANO KALIBER 9 einen Namen gemacht hat. DAS SCHLOSS DER BLAUEN VÖGEL ist quasi das genaue Gegenteil: zusammenhanglos, dramaturgiebefreit und durch und durch seltsam. Im wahrsten Sinne: eine Mords-Gaudi.

Laufzeit: 96 Min. / Freigabe: ab 18

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